OLG Schleswig, Urteil vom 05.09.2012 - 7 U 15/12
Fundstelle
openJur 2013, 27597
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 4 O 163/11
Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 7.651,10 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 8. November 2011 auf 2.151,10 € zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger jedweden weiteren materiellen oder immateriellen künftigen Schaden, der aus Anlass des Unfalls vom 29. März 2011 auf der Priwallfähre entstanden ist, zu ersetzen, soweit kein gesetzlicher Forderungsübergang auf Dritte besteht.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Berufungsstreitwert: 8.329 €

Gründe

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz aus einem Unfall auf deren Fähre Anspruch.

Der Kläger befand sich am 29. März 2011 mit seinem Motorrad auf dem Heimweg von seinem Schichtdienst bei der Feuerwehr. Gegen 06:55 Uhr wollte er die Trave mit der Priwallfähre „Travemünde“ überqueren, um nach Hause (Wohnung auf dem Priwall) zu gelangen. Als er, der Anweisung des Personals folgend, auf der Fähre von der mittleren auf die linke Spur wechseln wollte, um nach vorn zu fahren, brach das Hinterrad nach links aus. Der Kläger stürzte. Die Ursache des Unfalls ist streitig.

Der 1973 geborene Kläger erlitt durch den Sturz auf die linke Schulter eine Schultereckgelenkssprengung mit Abriss von Bändern (AC-Gelenksprengung [Rockwood III Tossy III] links), die eine Operation und mehrwöchige Nachbehandlung erforderlich machte. Der Kläger war bis zum 17. September 2011 arbeitsunfähig. Das Motorrad wurde beschädigt.

Die Fähre war gerade zur Überholung in der Werft gewesen und hatte - nunmehr unstreitig - u. a. einen neuen DIN-gerechten Anstrich des Fahrbahndecks (mit Einstreuung von Quarzsand, Körnung nicht größer als 0,2-0,7mm) erhalten. Dieser war zum Unfallzeitpunkt nach den Feststellungen der Polizei durch Nässe, obwohl es nicht geregnet hatte, sehr rutschig (Bl. 5 Ermittlungsakte 750 Js 17658/11A StA Lübeck).

Das auf Anforderung im 2. Rechtszug - auszugsweise - vorgelegte Dienstbuch (Zeitraum 25.3.-16.04.11) der Fähren weist für den Vortag des Unfalls (28.03.2011) folgenden Eintrag für die „Travemünde“ (Tra) aus:

„Deck bei Regen oder Tau sehr glatt!!! Unfallgefahr“

Die Beklagte ließ das Fahrbahndeck nachfolgend im April 2011 mit einem neuen Anstrich unter Verwendung einer Schlackeeinstreuung mit einer Körnung von (nun) 2,0 mm versehen.

Der Kläger hat behauptet:

Die Beklagte habe die Fähre mit ungeeignetem Bodenbelag auf dem Fahrbahndeck betrieben. Sein Heilungsverlauf sei sehr langwierig. Es sei mit Dauerschäden und Beeinträchtigungen zu rechnen.

Der Kläger hat seinen - zur Höhe streitigen - Schaden wie folgt beziffert (Klaganträge 1., 3., 4.):

1. Schmerzensgeld in angemessener Höhe von 5.000,00
3. a) Sachschaden (Motorrad gem. Kostenangebot) netto 1.199,87
b) Unkostenpauschale 20,00
c) Entgang. Verdienst aus Nebentätigkeit (April/Mai 2011) 2x100 200,00
1.419,87
4. Verdienstausfall wegen entfallender Überstunden/Nachtschichten pp 909,54
a) Nachtschichten: 328h= 419,85 € (steuerfrei)
b) Sonntagsdienste: 166h= 489,70 € (steuerfrei)
c) Dienste an Samstagen u. Vorfesttagen: 61,51 € 61,51

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichtes gestellt wird, zu zahlen;
2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, jedweden weiteren materiellen oder auch immateriellen Schaden, der aus Anlass des Unfalles vom 29. März 2011 entstanden ist, zu ersetzen;
3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.419,87 € nebst fünf Prozent Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
4. die Beklagte weiter zu verurteilen, an ihn 909,54 € netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit und 61,51 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen,

Sie hat behauptet, ein rutschiger Belag sei nicht unfallursächlich gewesen. Es sei möglich, dass der Kläger infolge Übermüdung zu viel Gas gegeben habe und deshalb gestürzt sei. Im Bereich von Gewässern sei immer mit einer Feuchtigkeit durch thermische Einflüsse zu rechnen.

Das Landgericht hat die der Beklagten am 7. September 2011 zugestellte Klage abgewiesen, weil der Kläger eine Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten nicht hinreichend schlüssig dargetan und unter Beweis gestellt habe.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Zahlungs- und Feststellungsbegehren weiter, während die Beklagte Zurückweisung der Berufung beantragt.

Wegen der Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf ihre im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Die Berufung des Klägers hat Erfolg.

Dem Kläger steht aus Beförderungsvertrag ein vertraglicher Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zu.

1. Das Landgericht hat nur § 823 BGB geprüft, indes nicht beachtet, dass vertragliche Schadensersatzansprüche aus dem Beförderungsvertrag mit anderer Beweislastverteilung zum Tragen kommen, §§ 631, 282, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB (Schutzpflichtverletzung).

Es steht fest, dass das frisch gestrichene Fahrdeck der Fähre bei Feuchtigkeit und Nässe mehr als zu erwarten sehr glatt war. Das ergibt sich nicht nur aus den polizeilichen Feststellungen, sondern mit Deutlichkeit auch aus dem Dienstbucheintrag des Fährpersonals vom Vortage. Warum der neue DIN-gerechte Anstrich bei Feuchtigkeit und Nässe unüblich besonders rutschig war, kann dahingestellt bleiben.

Entscheidend ist, dass die Beklagte über das ihr gemäß § 278 BGB zuzurechnende Wissen des Fährpersonals um diese Gefahr wusste, wie der Eintrag im Dienstbuch vom Vortage belegt. Dann hätte es, wenn diese Fähre trotz der Gefährdung der Nutzer weiterhin eingesetzt wurde, mindestens eines deutlichen Warnhinweises an die Benutzer der Fähre bedurft. Solchen hat es - unstreitig - bis zum Unfall des Klägers nicht gegeben, sondern erst nachfolgend unter dem Eindruck des Unfalls. Der Kläger durfte daher - als ständiger Fährnutzer - davon ausgehen, dass der Fahrbahnbelag die übliche Beschaffenheit aufwies. Der Unfall ist allein auf die besondere Glätte des Belages/Anstrichs zurückzuführen. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger bei dem Spurwechsel - hinter dem Mercedestransporter stehend - besonders forsch angefahren und deshalb (auch) infolge eines mitwirkenden Fahrfehlers gestürzt war, bestehen nicht und stehen vor allem auch nicht fest. Dies geht zulasten der insoweit beweispflichtigen Beklagten.

2. Damit ist die Beklagte zum Ersatz des dem Kläger entstandenen immateriellen und materiellen Schadens verpflichtet.

a) Unter Berücksichtigung der Schwere der erlittenen Verletzung, die eine Operation erforderlich machte, des langwierigen Heilungsverlaufs und der glaubhaft geschilderten andauernden Beeinträchtigungen erscheint an sich ein Schmerzensgeld von 5.000 € angemessen, § 253 BGB. Erschwerend und schmerzensgelderhöhend berücksichtigt der Senat aber zusätzlich das nicht hinnehmbare Verhalten der Beklagten, die im ersten Rechtszug (angesichts des Dienstbucheintrags) wider besseres Wissen bestritten hat, dass das Fährpersonal um die „besondere Glätte bei Feuchtigkeit“ wusste. Das rechtfertigt eine Erhöhung um jedenfalls 500 €, so dass insgesamt ein Schmerzensgeld von 5.500 € als unter diesen Umständen der Billigkeit entsprechende Entschädigung zuzusprechen ist.

b) Für den an seinem Motorrad entstandenen Sachschaden bezieht der Kläger sich auf ein Kostenangebot der Reifen Auto Service RAS AG vom 20.05.2011 über erforderliche Reparaturen in Höhe von 1.199,87 € netto. Das Motorrad hat er indes bis heute noch nicht reparieren lassen. Da bei Kostenangeboten die erforderlichen Reparaturkosten pauschalierend vorsorglich eher höher angesetzt werden, erscheint im Wege der Schadensschätzung nach § 287 ZPO ein Kostenabschlag von 20% erforderlich. Das ergibt einen nach § 249 BGB zu berücksichtigenden Sachschaden von 960 €.

c) Die geltend gemachten entgangenen Nebeneinkünfte für April und Mai 2011 (2 x 100 €) sind ausreichend belegt, ebenso der unfallbedingt entgangene zusätzliche Verdienst als Feuerwehrmann (Nachtzuschläge iHv von insgesamt 909,54 € sowie Dienst zu „ungünstigen Zeiten“ 61,51 €).

d) Der zu leistende Schadensersatz beläuft sich danach unter Einschluss einer zu Recht verlangten Kostenpauschale von 20 € auf insgesamt 7.651,05 €.

e) Der geltend gemachte Zinsanspruch für die Sach- und Vermögensschäden ergibt sich aus dem Gesichtspunkt des Verzuges.

3. Der Feststellungsantrag ist zulässig und begründet. Aus dem ärztlichen Bericht des Orthopäden Dr. C. (chirurgisch-orthopädische Gemeinschaftspraxis in T.) vom 22. November 2011 ergibt sich, dass ein Dauerschaden im linken Schultergelenk, wie durchaus nicht ungewöhnlich bei derartigen Verletzungen, zu erwarten ist,

Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 91, 708 Nr. 10 und 713 ZPO.

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