LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 20.02.2013 - 4 Sa 93/12
Fundstelle
openJur 2013, 27442
  • Rkr:

1) Eine nur mittels Paraphe unterzeichnete Kündigungsschutzklage ist unzulässig. Dieser Mangel kann jedoch gem. § 295 Abs. 1 ZPO durch rügelose Einlassung geheilt werden. Eine solche Heilung wirkt ex tunc und heilt somit zugleich eine verstrichene Klageerhebungsfrist gem. § 4 KSchG.

2) Aus einer fehlerhaften Beglaubigung der zugestellten Abschrift der Klageschrift muss der Beklagte nicht ableiten, dass auch die Klageschrift selbst an einem Mangel der Unterschrift leidet. Einen Kennenmüssen des Formmangels iSv. § 295 Abs. 1 ZPO kann hieraus nicht abgeleitet werden.

3) Der Beglaubigungsvermerk unter einer zuzustellenden beglaubigten Abschrift der Klageschrift muss ebenfalls mittels vollständigem Namenszug unterschrieben werden. Eine bloße Paraphe ist unzureichend. Wird eine solche mangelbehaftete Abschrift zugestellt, liegt ein Zustellungsmangel vor, der weder über § 189 ZPO, noch über § 295 Abs. 1 ZPO geheilt werden kann. Eine Rechtshängigkeit der Klage kann durch eine solche Zustellung nicht begründet werden.

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 04.07.2012 (14 Ca 6396/11) aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zum Zwecke einer ordnungsgemäßen Klagezustellung und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Arbeitsgericht zurückverwiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen.

3. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen. Für den Kläger wird die Revision nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung.

Der am 00.00.1964 geborene, verheiratete und nach eigenem Bekunden gegenüber drei Kindern (nach Lohnsteuerkarte jedoch nur gegenüber einem Kind) unterhaltsverpflichtete Kläger war bei der Insolvenzschuldnerin beschäftigt seit 02.07.1990 als Druckereihelfer.

Über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Esslingen vom 28.04.2011 (2 IN 56/11) das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte als Insolvenzverwalter bestellt. Im Betrieb der Insolvenzschuldnerin waren zuletzt 174 Mitarbeiter beschäftigt. Ein Betriebsrat ist in deren Betrieb in O. gebildet.

Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 22.07.2011, dem Kläger zugegangen am 23.07.2011, ordentlich zum 31.10.2011 aus betriebsbedingten Gründen. Die Kündigung wurde damit begründet, dass die Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger nach dem Erwerberkonzept des Betriebserwerbers entfallen sei. Der Beklagte schloss mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich nebst anhängender Namensliste, auf welcher insgesamt 94 Namen zu kündigender Arbeitnehmer gelistet waren, ua. der Kläger.

Gegen diese Kündigung legte der Kläger über seine Prozessbevollmächtigte beim Arbeitsgericht Stuttgart am 05.08.2011 eine Kündigungsschutzklage ein, die jedoch von der Prozessbevollmächtigten lediglich mit den Anfangsbuchstaben ihres Vor- und Nachnamens R. T. paraphiert unterzeichnet wurde, wobei der Anfangsbuchstabe R des Vornamens eher wie ein B aussieht. Dieser Klageschrift beigefügt war auch eine beglaubigte Abschrift. Diese Abschrift trägt lediglich einen aufgestempelten Vermerk Beglaubigte Abschrift und ist unter diesem Stempelaufdruck wiederum lediglich paraphiert unterzeichnet mit R. T.. In der eigentlichen Unterschriftszeile der Abschrift der Klageschrift befindet sich keine Unterschrift. Diese beglaubigte Abschrift wurde dem Beklagten am 15.08.2011 vom Arbeitsgericht zugestellt.

Andere Schriftsätze der Klägervertreterin im Laufe des Verfahrens sind größtenteils mit ausgeschriebenem Nachnamen vollständig unterzeichnet, teilweise aber ebenfalls nur paraphiert unterzeichnet.

Der Kläger machte im Wesentlichen Fehler in der Sozialauswahl geltend.

Der Kläger beantragte:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 22.07.2011, zugegangen am 23.07.2011, nicht aufgelöst wurde und über den 31.10.2011 hinaus fortbesteht.

Der Beklagte beantragte,

die Klage abzuweisen.

Er hielt seine Kündigung für sozial gerechtfertigt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 04.07.2012 abgewiesen. Es führte zur Begründung aus, der Wegfall der bisherigen vertraglichen Beschäftigung sei unstreitig. Die Sozialauswahl könne nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Der darlegungs- und beweisbelastete Kläger habe im Rahmen der Sozialauswahl aber zur Vergleichbarkeit mit nicht gekündigten Arbeitnehmern nur unsubstantiiert und allenfalls rudimentär vorgetragen.

Dieses Urteil wurde der Klägerseite am 22.08.2012 zugestellt. Hiergegen richtet sich die vorliegende Berufung, die am Montag, dem 24.09.2012, beim Landesarbeitsgericht (vollständig unterschrieben) einging und innerhalb der bis 05.11.2012 verlängerten Begründungsfrist am 05.11.2012 (unter vollständiger Namensunterzeichnung) begründet wurde.

Der Kläger meint, das Arbeitsgericht habe verkannt, dass er zur Nennung der Namen vergleichbarer Kollegen nicht in der Lage sei, weshalb es Aufgabe des Beklagten gewesen wäre, darzustellen, wie er die Sozialauswahl durchgeführt habe. Außerdem meint er, er hätte der Vergleichsgruppe der qualifizierten Helfer zugeordnet werden müssen, weil er behauptetermaßen in der Vergangenheit ebenfalls schon alle Aggregate der Maschinen RO 812 und RO 813 bedient habe.

Der Kläger wurde mit Verfügung des Vorsitzenden vom 05.02.2013 auf die Mangelhaftigkeit der Unterschrift unter der Klageschrift und mit Verfügung vom 13.02.2013 auf die Mangelhaftigkeit der Unterschrift auch unter der beglaubigten Abschrift hingewiesen.

Der Kläger meint, die Fehlerhaftigkeit der Unterschrift unter der Klageschrift sei durch rügelose Einlassung des Beklagten geheilt.

Der Kläger beantragt:

Das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 04.07.2012, Aktenzeichen 14 Ca 6396/11, wird abgeändert.

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 22.07.2011, zugegangen am 22.07.2011, nicht aufgelöst wurde und über den 31.10.2011 hinaus fortbesteht.

Der Beklagte beantragt:

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 04.07.2012 (14 Ca 6396/11) wird abgeändert und die Klage als unzulässig abgewiesen.

2. Hilfsweise:

Das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 04.07.2012 (14 Ca 6396/11) wird aufgehoben und der Rechtsstreit zum Zwecke einer ordnungsgemäßen Zustellung an das Arbeitsgericht zurückverwiesen.

3. Hilfsweise:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 04.07.2012 (14 Ca 6396/11) wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hält die Klage mangels ordnungsgemäßer Unterschrift für unzulässig. Im Übrigen sei auch die Zustellung der Klage nicht ordnungsgemäß erfolgt. Eine Heilung gemäß § 295 ZPO läge nicht vor, da der Mangel der Unterschrift auf der Klage für ihn nicht erkennbar gewesen sei. Er rügt nunmehr ausdrücklich die Zulässigkeit der Klage.

Hilfsweise hält er die Sozialauswahl weiterhin für fehlerfrei. Er behauptet, der Kläger habe an den Maschinen RO 812 und RO 813 allenfalls einfache Hilfsarbeiten erbracht. Zur Bedienung (inklusive Programmierung) der Aggregate sei der Kläger nicht in der Lage.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 313 Abs. 2 ZPO auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze samt den dazugehörenden Anlagen verwiesen.

Gründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Es besteht derzeit noch nicht einmal eine Rechtshängigkeit der Klage, weshalb das Urteil des Arbeitsgerichts aufzuheben und der Rechtsstreit an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen ist.

I.

Die Berufung des Klägers ist zulässig.

1. Sie ist insbesondere statthaft gemäß § 64 Abs. 1, 2 Buchst. c ArbGG. Sie wurde auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO). Sie ist auch im Übrigen zulässig.

2. Die Berufung ist selbst dann zulässig, wenn man wie vorliegend (siehe nachfolgend) annehmen wollte, mangels ordnungsgemäßer Zustellung läge noch gar keine Rechtshängigkeit vor. Denn ein trotz fehlender Rechtshängigkeit erlassenes Urteil ist zwar wirkungslos und kann nicht in materielle Rechtskraft erwachsen. Es kann aber, wenn es nicht angefochten wird, formelle Rechtskraft erlangen. Um deren Eintritt zu verhindern, kann ein wirkungsloses Urteil mit dem Rechtsmittel angefochten werden, das gegen ein fehlerhaftes Urteil gleichen Inhalts gegeben wäre (BGH 5. Dezember 2005 - II ZB 2/05 - NJW-RR 2006, 565).

Hinzu kommt, dass der Kläger die Wirkungslosigkeit des Urteils gerade in Abrede stellt. Gerade wenn die Rechtshängigkeit der Klage zwischen den Parteien auch im Streit steht, muss die Berufung gegen ein möglicherweise wirkungsloses Urteil zulässig sein.

II.

Die Berufung des Klägers hat aber nicht den vom Kläger erstrebten Erfolg. Das arbeitsgerichtliche Urteil ist vielmehr als wirkungsloses Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen.

1. Die Klageschrift ist nicht ordnungsgemäß unterschrieben.

a) Gemäß § 253 Abs. 4 ZPO iVm. § 130 Nr. 6 ZPO gehört die Unterschrift zu den wesentlichen Erfordernissen einer Klageschrift. Fehlt die Unterschrift unter einer Klageschrift oder ist diese ungenügend, so ist die Klage bereits unzulässig (LAG Hamm 17. November 2011 - 8 Sa 881/11 - juris). Die Unterzeichnung muss handschriftlich mit vollständigem Namenszug erfolgen. Die bewusst und gewollt nur abgekürzte Unterzeichnung mittels bloßer Paraphe ist ungenügend (BAG 27. März 1996 - 5 AZR 576/94 - AP ZPO § 518 Nr. 67; BGH 10. Juli 1997 - IX ZR 24/97 - NJW 1997, 3380).

b) Vorliegend war die Klageschrift jedoch lediglich mittels Paraphe unterzeichnet, somit ungenügend.

2. Die unzureichende Form der Klage wurde nicht gemäß § 295 Abs. 1 ZPO geheilt.

a) Das Unterschriftserfordernis unter einer Klage gehört nicht zu den gemäß § 295 Abs. 2 ZPO unverzichtbaren Formvorschriften. Der Mangel kann somit gemäß § 295 Abs. 1 ZPO durch rügelose Einlassung geheilt werden, wenn der Mangel dem Gegner bekannt war oder hätte bekannt sein müssen, der Gegner jedoch in der nächsten mündlichen Verhandlung, die aufgrund des betreffenden Verfahrens stattgefunden hat, erschienen ist und den Mangel nicht gerügt hat (BAG 06. August 1987 - 2 AZR 553/86 - juris; BAG 26. Juni 1986 - 2 AZR 358/85 - BAGE 52, 263; BGH 27. April 1999 - VI ZR 174/97 - NJW-RR 1999, 1251; BGH 25. Juni 1975 - VIII ZR 254/74 - BGHZ 65, 46). Im Hinblick auf eine verstrichene dreiwöchige Klageerhebungsfrist des § 4 KSchG würde eine solche Heilung nicht nur ex nunc wirken, sondern vielmehr rückwirken (ex tunc) (BAG 26. Juni 1986 aaO).

Zur Erhaltung des Rügerechts muss der Beklagte somit dartun, dass er den angeblichen Mangel der Klageschrift nicht gekannt hat und dessen Unkenntnis nicht verschuldet hat, den Mangel also nicht früher hätte erkennen können, § 276 BGB (BGH 27. April 1999 aaO).

b) Vorliegend hat der Beklagte von der Fehlerhaftigkeit der Unterschrift unter der Klageschrift erstmalig Kenntnis erhalten durch Verfügung des Vorsitzenden vom 05.02.2013. Zuvor hatte er mangels Einsicht in die Gerichtsakte keine positive Kenntnis. Ab Kenntnis des Formmangels berief er sich auch auf diesen und rügte diesen Mangel auch ausdrücklich mit Schriftsatz vom 12.02.2013 und in der mündlichen Verhandlung am 20.02.2013.

Der Beklagte hätte den Formmangel auch nicht kennen müssen. Denn die ihm zugeleitete beglaubigte Abschrift trug im Unterschriftsfeld gar keine Unterschrift. Dies ist auch nicht weiter ungewöhnlich, da auf der Abschrift statt dessen ein Beglaubigungsvermerk angebracht war. Die Beglaubigung erfolgte zwar auch unzureichend nur mittels Paraphe (hierzu siehe nachfolgend). Jedoch kann aus Unzulänglichkeiten der Beglaubigung, mit der lediglich die inhaltliche Übereinstimmung des Inhalts der Abschrift mit dem Inhalt der Urschrift der Klageschrift bekundet werden soll (BGH 04. Februar 1971 - VII ZR 111/70 - BGHZ 55, 251), nicht zwangsläufig auch auf eine Unzulänglichkeit der Klageschrift selbst rückgeschlossen werden, in welcher die Unterschrift dazu dient, die Verantwortung für den Klageinhalt zu übernehmen. Aus der mangelhaften Beglaubigung der zugestellten Abschrift musste der Beklagte somit nicht schließen, dass die bei den Gerichtsakten verbliebene Urschrift der Klage ebenfalls nicht oder mangelbehaftet unterschrieben war. Vielmehr durfte er darauf vertrauen, dass das Gericht die von Amts wegen zu prüfenden allgemeinen Prozessvoraussetzungen und damit auch die Ordnungsgemäßheit der Klageerhebung zutreffend bejaht hat. Die Sorgfalt des Beklagten braucht nicht über die des Gerichts hinausgehen (OLG Köln 18. November 1996 - 16 U 17/96 - NJW-RR 1997, 1291).

c) Auf die Berufung hätte deshalb eigentlich das Urteil abgeändert und die Klage als unzulässig abgewiesen werden müssen (LAG Hamm 17. November 2011 aaO).

3. Jedoch mangelte es nicht nur der Urschrift der Klageschrift an einer ordnungsgemäßen Unterschrift. Es wurde dem Beklagten zugleich eine unzureichende Abschrift der Klageschrift zugestellt, so dass noch gar keine ordnungsgemäße Zustellung vorliegt und somit auch noch keine Rechtshängigkeit der Klage begründet wurde.

a) Die Rechtshängigkeit einer Klage wird gemäß § 261 Abs. 1 ZPO durch ihre Erhebung begründet. Die Erhebung einer Klage erfolgt wiederum gemäß § 253 Abs. 1 ZPO durch Zustellung der Klageschrift. Wesentliches Erfordernis der Zustellung ist die Beglaubigung der Abschrift der Klageschrift (BGH 04. Februar 1971 aaO; BGH 15. April 1957 - II ZR 23/56 - NJW 1957, 951; RG 04. Juni 1920 - VII 523/19 - RGZ 99,140), die gemäß § 169 Abs. 2 ZPO von der Geschäftsstelle des angerufenen Gerichts vorzunehmen ist, wenn sie nicht bereits vom klägerischen Rechtsanwalt erfolgt ist. Ohne Beglaubigung oder bei fehlerhafter Beglaubigung ist die Zustellung unwirksam, ohne dass dieser Mangel gemäß § 189 ZPO geheilt werden könnte (Zöller/Stöber ZPO 29. Aufl. § 169 Rn. 12; ders. § 189 Rn. 8). Denn über § 189 ZPO ist nur eine Verletzung zwingender Zustellvorschriften heilbar, nicht aber ein Mangel des bei der Zustellung übergebenen Schriftstücks (Zöller/Stöber ZPO 29. Aufl. § 189 Rn. 8).

Der durch die unzureichende Beglaubigung der Abschrift begründete Zustellungsmangel ist auch nicht über eine rügelose Einlassung gem. § 295 Abs. 1 ZPO heilbar. Dies wurde ausdrücklich bereits entschieden für Fälle, in denen sich ausgehend vom Zustelldatum Notfristen berechnen (BGH 18. April 1952 - I ZB 5/52 - NJW 1952, 934; RG 04. Juni 1920 aaO). Dies gilt aber auch für Fälle wie vorliegendem, in denen ab Klagezustellung keine Notfristen zu laufen beginnen. Mängel in der Beglaubigung werden nämlich nicht dadurch geheilt, dass der Empfänger Gelegenheit hatte, sich durch Vergleich mit der Urschrift vom Gleichlaut zu überzeugen (Zöller/Stöber ZPO 29. Aufl. § 169 Rn. 12). Durch die Zustellung soll nämlich der Empfänger in den Besitz des zu übergebenden Schriftstücks kommen, ohne dass es auf eine Kenntnisnahme seines Inhalts ankommt. Es muss ihm überlassen bleiben, sich über den näheren Inhalt zu einem ihm genehmen Zeitpunkt zu unterrichten. Daher erschöpft sich die Zustellung in einer Reihe von tatsächlichen Vorgängen, bei denen ein Identitätsvergleich keine Rolle spielen kann. Wenn der Empfänger die Übereinstimmung der ihm übergebenen Abschrift mit dem zuzustellenden Original bei der Ausführung der Zustellung prüfen müsste, so würde ihm damit eine Verpflichtung auferlegt, die nach dem Gesetz das Gericht oder den die beglaubigte Abschrift herstellenden Anwalt trifft. Ebenso wenig kann die Gültigkeit der Zustellung davon abhängig gemacht werden, ob der Zustellungsempfänger aufgrund einer solchen Prüfung die Unrichtigkeit der beglaubigten Abschrift erkannt hat. Damit würde in den formalen Zustellungsakt eine unerträgliche Quelle der Rechtsunsicherheit hineingetragen. Dies würde im Ergebnis dazu führen, dass entgegen den gesetzlichen Bestimmungen auch die Übergabe einer gewöhnlichen, unbeglaubigten Abschrift genügen würde, wenn dem Empfänger bei der Zustellung Gelegenheit gegeben würde, ihre Übereinstimmung mit der Urschrift zu vergleichen (BGH 15. April 1957 aaO). Der Empfänger ist daher schlicht nicht zur Überprüfung der inhaltlichen Übereinstimmung der Abschrift mit der Urschrift verpflichtet.

Der Beglaubigungsvermerk muss eigenhändig und identifizierbar unterschrieben sein, und zwar unter Hinzufügung der Funktionsbezeichnung. Eine Unterschrift mittels bloßer Paraphe ist unzureichend (Müko ZPO/Häublein 3. Aufl. § 169 Rn 7).

b) Wendet man diese Grundsätze an, so ist festzustellen, dass vorliegend der Beglaubigungsvermerk nicht unterschrieben, sondern nur paraphiert war. Mit dieser Unzulänglichkeit wurde die Abschrift dem Beklagten zugestellt. Es liegt somit ein nicht heilbarer Zustellungsmangel vor, weshalb eine Rechtshängigkeit der Klage bislang noch nicht begründet wurde.

Selbst wenn man aber den Beglaubigungsmangel als gem. § 295 Abs. 1 ZPO heilbar ansehen wollte, wäre eine solche Heilung vorliegend nicht eingetreten. Denn der Beklagte hat nicht in die Gerichtsakte Einsicht genommen und sich von der Übereinstimmung der Abschrift mit der Urschrift überzeugt. Hierzu war er, wie oben dargelegt, auch nicht verpflichtet.

4. Ist aber eine Rechtshängigkeit der Klage noch gar nicht begründet worden, so kann das arbeitsgerichtliche Urteil nicht nur abgeändert und die Klage nicht nur als unzulässig abgewiesen werden. Vielmehr ist das Urteil auf eine noch nicht erhobene Klage erfolgt, weshalb dieses gänzlich aufzuheben ist. Da jedoch der Rechtsstreit durch die Klageeinlegung aber weiterhin beim Arbeitsgericht anhängig (jedoch noch nicht rechtshängig) ist, muss das Verfahren an das Arbeitsgericht zurückverwiesen werden. Hierbei handelt es sich nicht um eine gemäß § 68 ArbGG unzulässige Zurückverweisung wegen eines Verfahrensmangels, sondern nur um eine Zurückverweisungsentscheidung mit rein deklaratorischem Charakter (Sächsisches LAG 21. August 2002 - 2 Sa 936/00 - juris; Pfeiffer in Natter/Groß ArbGG § 68 Rn. 3).

Das Arbeitsgericht wird die (unzulässige) Klage nach Anbringung eines ordnungsgemäßen Beglaubigungsvermerks zustellen lassen müssen und sie dann einer Entscheidung zuführen müssen. Sollte die Klage unzulässig bleiben, kommt es darauf an, ob sich der Beklagte rügelos einlassen möchte. Sollte die Unterschrift auf der Klageschrift nachgeholt werden, wird die Einhaltung der Klageerhebungsfrist des § 4 KSchG zu prüfen sein.

5. Das Rechtsmittel des Klägers war trotz Zurückverweisung erfolglos, weshalb dem Kläger gem. § 97 ZPO die Kosten des Berufungsverfahrens aufzuerlegen sind.

6. Die Revision war für den Beklagten gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen. In den zitierten Entscheidungen des BAG und des BGH zur Heilung des Mangels der Klageschrift gemäß § 295 ZPO ist bislang nicht diskutiert worden, ob ein zugleich vorliegender Mangel der Beglaubigung und somit der Zustellung die Heilung überholen könnte, weil es bereits an der Rechtshängigkeit fehlt. In dieser Rechtsfrage ist aber lediglich der Beklagte beschwert, der statt einer klageabweisenden Entscheidung sich nunmehr wieder dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht stellen muss.

Gründe für eine Revisionszulassung zugunsten für den Kläger gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor.