BGH, Urteil vom 16.05.2002 - VII ZR 81/00
Fundstelle
openJur 2010, 5877
  • Rkr:
Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 19. Januar 2000 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage gegen den Beklagten zu 1 in Höhe von 20.520 DM und Zinsen sowie der Feststellungsantrag, die Straße "Im B. " betreffend, abgewiesen und die Anschlußberufung der Klägerin gegen den Beklagten zu 1 in Höhe von 170.080,53 DM und Zinsen zurückgewiesen worden sind.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten zu 1, einem Architekten (künftig: Beklagter), Schadensersatz.

Der Beklagte hatte in den Jahren 1981 bis 1983 für die Klägerin die Befestigung von an Hängen gelegenen Straßen durch Stützmauern geplant und die Bauarbeiten beaufsichtigt. Weil es in der Folgezeit zu Mängeln an vielen Stützmauern gekommen war, hat die Klägerin u.a. den Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Im Revisionsverfahren geht es nur noch um Schäden an den Stützmauern der Straßen "Im B. " und "P. Weg".

Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme insoweit Schadensersatzansprüche der Klägerin gegen den Beklagten in Höhe von 44.512 DM zuerkannt. Es hat ferner antragsgemäß festgestellt, daß der Beklagte der Klägerin weitergehende Schäden an den Stützmauern in den oben angeführten Straßen zu ersetzen hat. Hiergegen haben die Beklagten Berufung eingelegt. Die Klägerin hat ihre Schäden bezüglich der Straße "P. Weg" in vollem Umfang beziffert und den Anspruch im Wege der Anschlußberufung gegenüber dem Beklagten zu 1 geltend gemacht. Das Berufungsgericht hat nach weiterer Beweisaufnahme die auf die Straßen "Im B. " und "P. Weg" gerichteten Klageanträge insgesamt abgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin.

Gründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Auf das Schuldverhältnis ist das Bürgerliche Gesetzbuch in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung anwendbar (Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB).

A. Straße "Im B. "

I.

Das sachverständig beratene Berufungsgericht führt aus, die Winkelelemente der Stützmauer seien mangelhaft errichtet worden. Es fehle sowohl eine Entwässerung als auch die erforderliche Gründungstiefe, so daß die Winkelelemente zu erneuern seien. Es sei allerdings nicht festzustellen, daß diese Bauwerksmängel dem Beklagten als "schuldhaft fehlerhaft" zuzurechnen seien. Der Sachverständige M. habe den Eindruck gewonnen, der Unternehmer habe den Beklagten bewußt getäuscht, weil die Bauleitung, welche die Sandschicht unter den Winkelelementen sehe, davon ausgehen könne, daß ordentlich gearbeitet worden sei. Daher sei ein Verschulden des Beklagten nicht festzustellen.

II.

Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Feststellungen des Berufungsgerichts tragen nicht die Abweisung des Schadensersatzbegehrens der Klägerin nach § 635 BGB.

1. Das Berufungsgericht stellt fest, daß die Stützmauer "Im B. " fehlerhaft errichtet worden ist. Seine Meinung, der Beklagte hafte hierfür nicht, weil die bauausführende Firma eine ordnungsgemäße Leistung vorgetäuscht habe, ist nicht frei von Rechtsfehlern.

a) Wenn der Beklagte, wie die Revision als mögliche Pflichtverletzung andeutet, die Gründung nicht ordnungsgemäß geplant haben sollte, so würde ihn ein Planungsverschulden treffen. Dazu fehlen jedoch jedwede Feststellungen des Berufungsgerichts, ohne daß die Revision übergangenen Vortrag rügt.

b) Das Berufungsgericht übersieht, daß der Nachweis einer Pflichtverletzung durch einen Anscheinsbeweis erleichtert sein kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. April 1973 -VII ZR 85/71, Schäfer/Finnern Rspr. Bau Z.3.00 Bl. 249 f -auszugsweise abgedruckt bei Löffelmann/Fleischmann, Architektenrecht 4. Aufl. Rdn. 566). Wenn eine Stützmauer aufgrund fehlender Drainage und unzureichender Gründungstiefe einzustürzen droht, so spricht der typische Geschehensablauf dafür, daß die Überwachung des Architekten bei der Errichtung mangelhaft war. In einem solchen Fall braucht der Bauherr nicht anzugeben, inwieweit es der Architekt im einzelnen an der erforderlichen Überwachung hat fehlen lassen. Vielmehr ist es Sache des Architekten, den Beweis des ersten Anscheins dadurch auszuräumen, daß er seinerseits darlegt, was er oder sein Erfüllungsgehilfe an Überwachungsmaßnahmen geleistet hat. Dazu genügt nicht die bloße Behauptung, er habe die Gründungsarbeiten selbst oder durch seinen Bauleiter überwachen lassen (vgl. BGH, Urteil vom 26. April 1973 -VII ZR 85/71 aaO).

Erst wenn der Beklagte die ordnungsgemäße Wahrnehmung der von ihm geschuldeten Bauaufsicht substantiiert vorgetragen hat, ist zu prüfen, ob damit der Anscheinsbeweis aufgrund der vom Berufungsgericht ohne weiteres angenommenen Täuschung des Beklagten erschüttert ist. Feststellungen des Berufungsgerichts hierzu fehlen.

c) Soweit das Berufungsgericht meint, ein Verschulden des Beklagten könne nicht festgestellt werden, verkennt es die Beweislast. Liegen die objektiven Haftungsvoraussetzungen vor, muß der Beklagte das nach § 282 BGB vermutete Verschulden ausräumen; ein non liquet genügt nicht (vgl. BGH, Urteil vom 5. März 1987 -III ZR 265/85, BGHR BGB § 282 Beweislast 1).

2. Aus den vorstehend dargelegten Gründen ist auch die Klageabweisung des Feststellungsbegehrens der Klägerin nicht begründet.

B. Straße "P. Weg"

I.

Das Berufungsgericht führt aus, daß der aufgetretene Schaden an der Stützmauer ganz wesentlich durch die unzureichend bewehrten Stützelemente verursacht worden sei. Das sei dem Beklagten nicht anzulasten, weil dieser Fehler für ihn nicht erkennbar gewesen sei. Das Fehlen der Sickerpackung habe zwar zu einem größeren Druck auf die Mauer geführt. Es habe allerdings den Schaden, der durch die fehlerhaften Stützelemente selbst bereits angelegt gewesen sei, nicht entscheidend vergrößert, weil der Druck durch das Wasser nur zu einer Beschleunigung des Bruchs der Stützelemente geführt habe. Das Verhältnis, in dem sich die verschiedenen möglichen Schadensverursachungen ausgewirkt haben könnten, sei nicht aufklärbar, so daß eine Schätzung der Verursachungsbeiträge nicht möglich sei. Es sei daher zu Gunsten des Beklagten davon auszugehen, daß das Fehlen der Sickerpackung gegenüber der eigentlichen Schadensursache unerheblich gewesen sei.

II.

Das hält rechtlicher Nachprüfung gleichfalls nicht stand.

1.

Das Berufungsgericht befaßt sich bei dem Schadensersatzanspruch der Klägerin bezüglich der Straße "P. Weg" ausschließlich mit der Frage der fehlenden Sickerpackung als Schadensursache. Mithin ist zu Gunsten der Revision von einer objektiven Pflichtverletzung des Beklagten im Rahmen seiner Bauaufsicht auszugehen.

2.

Die Annahme des Berufungsgerichts, das Fehlen der Sickerpackung sei als "nicht so entscheidende Ursache" anzusehen und sei zu Gunsten des Beklagten als unerheblich zu beurteilen, ist rechtsfehlerhaft. Sofern beide Ursachen zusammen den Schaden herbeigeführt haben, kann bereits eine Mitursächlichkeit der Verletzung der Vertragspflicht des Beklagten zu seiner vollen Haftung dem Grunde nach führen (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 1974 -VII ZR 35/72, BauR 1975, 130, 131; MünchKomm BGB/Oetker, 4. Aufl. § 249 Rdn. 129). Die Verursachungsbeiträge der Schädiger für den eingetretenen Schaden haben erst in einem möglichen Regreßprozeß Bedeutung.