VG Gießen, Urteil vom 18.03.2011 - 5 K 2001/10.GI
Fundstelle
openJur 2013, 23429
  • Rkr:

Im Falle einer isolierten Anfechtung der Kostenentscheidung, an die sich kein gerichtliches Verfahren in der Sache anschließt, bemisst sich der Erfolg oder Misserfolg eines Widerspruchs allein an dem Inhalt der das Vorverfahren abschließenden Sachentscheidung (im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 25.09.1992 - 8 C 16/90 -, Buchholz 316, § 80 VwVfG Nr. 33). Die Vorschrift des § 80 Abs. 2 HVwfG stellt keine selbständige Anspruchsgrundlage dar, sondern knüpft an die auf der Grundlage des § 80 Abs. 1 HVwfG zu treffende vorrangige Kostengrundentscheidung an.

Tenor

1. Der Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung der Nummern 2 und 3 des Widerspruchsbescheides des Justizprüfungsamtes vom 15.06.2010 verpflichtet, der Klägerin die notwendigen Aufwendungen im Widerspruchsverfahren einschließlich der Gebühren und Auslagen ihrer Bevollmächtigten zu 7/9 zu erstatten.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens haben die Klägerin zu 2/9 und der Beklagte zu 7/9 zu tragen.

3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung nach Maßgabe der Kostenfestsetzung abwenden,falls nicht der jeweilige Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin schrieb im Juli 2009 die Aufsichtsarbeiten in der Wiederholungsprüfung zur zweiten juristischen Staatsprüfung.

Mit Bescheid vom 30.10.2009 teilte ihr das Justizprüfungsamt mit, sie werde aufgrund der Bewertungen ihrer Aufsichtsarbeiten von der weiteren Prüfung ausgeschlossen und habe die zweite juristische Staatsprüfung wiederholt nicht bestanden. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein, mit dem sie die Bewertung der Aufsichtsarbeiten S II, Ö I und Ö II rügte. In dem anschließenden Überprüfungsverfahren hob der Erstkorrektor der Klausur S II seine Bewertung von drei Punkten auf vier Punkte an. Die übrigen Bewertungen blieben unverändert. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.06.2010 hob das Justizprüfungsamt den Bescheid über das Nichtbestehen der zweiten juristischen Staatsprüfung auf, lies die Klägerin zur mündlichen Prüfung zu und wies den Widerspruch im Übrigen zurück (Nr. 1). Weiter stellte die Widerspruchsbehörde fest, die Klägerin habe die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu 2/3 zu tragen (Nr. 2) und ihr seien die notwendigen Aufwendungen der Bevollmächtigten zu 1/3 zu erstatten (Nr. 3).

Mit bei Gericht am Montag, dem 19.07.2010 eingegangenem Schriftsatz hat die Klägerin Klage erhoben.

Sie trägt vor, für die Quotelung der Kosten sei letztlich das Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen im Widerspruchsverfahren ausschlaggebend. Gegenstand der Anfechtung sei die Feststellung des endgültigen Nichtbestehens der zweiten Staatsprüfung verbunden mit der Nichtzulassung zur mündlichen Prüfung gewesen. Insoweit habe sie in vollem Umfang obsiegt. Die Ausführungen zu den einzelnen Prüfungsleistungen hätten lediglich der rechtlichen Begründung des eingelegten Widerspruchs gedient.

Die Klägerin beantragt (wörtlich),

den Beklagten unter Aufhebung seines Widerspruchsbescheides vom 15.06.2010 hinsichtlich des Tenors zu 2. und 3.(Kostenentscheidung) zu verpflichten, die Kosten des Widerspruchsverfahrens sowie die notwendigen Aufwendungen der Bevollmächtigten der Widerspruchsführerin zu tragen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt vor, der Widerspruchsbescheid enthalte neben der tenorierten Aufhebung des Nichtbestehensbescheides eine abschließende Entscheidung über die rechtliche Vertretbarkeit der Bewertung jeder einzelnen der im Widerspruchsverfahren zur Überprüfung gestellten Klausur. Diese in den Gründen des Widerspruchsbescheids getroffene Entscheidung über das Fehlen von Bewertungsfehlern in Bezug auf die Klausuren Ö I und Ö II sei direkt gerichtlich anfechtbar und müsse auch angefochten werden, um die Möglichkeit zu erhalten, Einwendungen gegen die Bewertung gerichtlich überprüfen zu lassen. Wegen dieser „Bindungswirkung“ sei nur von einem Teilobsiegen der Klägerin im Widerspruchsverfahren auszugehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Behördenakte (drei Hefter) Bezug genommen. Diese Akten waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Gründe

Die Klage, über die der Einzelrichter gemäß § 101 Abs. 2 VwGOmit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig.

Sie ist insbesondere als Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO)statthaft. Die Klägerin erstrebt die Änderung der in Nummern 2 und 3 des Widerspruchsbescheides des Justizprüfungsamtes vom 15.06.2010enthaltenen Kostengrundentscheidungen einschließlich der Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren und der sich daraus ergebenden Kostenquote. Bei diesen Entscheidungen handelt es sich um selbständig anfechtbare Verwaltungsakte (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.09.1992 – 8 C 16/90 -, Buchholz 316, § 80 VwVfG Nr.33).

Vor Klageerhebung bedurfte es nicht eines erneuten Vorverfahrens (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.09.1992, a. a. O.).

Die Klägerin hat auch die gemäß § 74 Abs. 1 VwGO vorgeschriebene Klagefrist von einem Monat nach Zustellung des Widerspruchsbescheides gewahrt. Nach ihren unwidersprochen gebliebenen Angaben erfolgte die Zustellung des Widerspruchsbescheides an ihre Bevollmächtigten am 17.06.2010 (ein Empfangsbekenntnis befindet sich nicht im Verwaltungsvorgang).Gemessen an diesem Zustellungsdatum lief die Klagefrist am Montag,dem 19.07.2010, 24.00 Uhr, ab (vgl. §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1ZPO, 188 Abs. 2 BGB). An diesem Tag ging die Klageschrift bei Gericht ein.

Die Klage ist jedoch nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

Der Klägerin steht ein Anspruch auf Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen im Widerspruchsverfahren zu 7/9 zu. Dieser Anspruch schließt in dem genannten Umfang auch die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts ein. Die Aussprüche in Nummern 2 und 3 des Widerspruchsbescheides des Justizprüfungsamtes vom 15.06.2009 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, soweit sie dem zuvor genannten Anspruch entgegenstehen (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5VwGO).

17Die Klägerin kann den von ihr geltend gemachten Anspruch in dem genannten Umfang auf § 80 Abs. 1 Satz 1 HVwVfG stützen. Nach dieser Vorschrift hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, soweit der Widerspruch erfolgreich ist, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Mit dieser Regelung werden die Vorschriften der §§ 72, 73 Abs. 3 Satz 3 VwGO ergänzt, die festlegen, in welchen Fällen im Vorverfahren eine Kostenentscheidung zu ergehen hat. Die Kostenerstattungspflicht besteht nach § 80 Abs. 1 Satz 1 HVwVfG ausdrücklich nur,„soweit der Widerspruch erfolgreich ist“. Erfolgreich ist ein Widerspruch in dem Umfang, in dem ihm die Behörde abgeholfen oder stattgegeben hat. Erfolglos geblieben ist er,soweit die Behörde ihn zurückgewiesen hat oder soweit der Widerspruchsführer mit seinem sachlichen Begehren nicht durchgedrungen ist. Hierbei ist im Falle der isolierten Anfechtung der Kostenentscheidung, an die sich kein gerichtliches Verfahren in der Sache anschließt, eine formale Betrachtungsweise geboten.Maßgebend für die Beantwortung der Frage, ob und inwieweit der Widerspruch erfolgreich oder erfolglos war, ist allein der Inhalt der das Vorfahren abschließenden Sachentscheidung, die bei einer auf die Kosten beschränkten isolierten Anfechtung Bestandskraft erlangt hat und als solche nicht mehr in Frage gestellt werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.09.1992, a. a. O.).

Gemessen an diesen rechtlichen Vorgaben kommt die von der Klägerin in vollem Umfang begehrte Kostenerstattung nicht in Betracht. Das Justizprüfungsamt hat ausweislich des Tenors zu Nr. 1des Widerspruchsbescheides vom 15.06.2010 dem Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid der Behörde vom 30.10.2009 nur zum Teil stattgegeben und diesen im Übrigen zurückgewiesen. Diese für sie negative Sachentscheidung hat die Klägerin unanfechtbar werden lassen. Der von der anwaltlich vertretenen Klägerin in der Klageschrift formulierte Antrag richtet sich ausdrücklich nur gegen die in dem Widerspruchsbescheid unter Nrn. 2 und 3 getroffene Kostenentscheidung(en).

Allerdings bedarf die in dem Widerspruchsbescheid vom 15.06.2010getroffene Kostenentscheidung hinsichtlich der festgesetzten Kostenquote der Korrektur. Bei teilweisem Stattgeben und teilweiser Zurückweisung des Widerspruchs hängt der Umfang der Kostenerstattung von dem Verhältnis des Erfolges zum Misserfolg ab.Nur der auf den Teilerfolg entfallende verhältnismäßige Anteil der notwendigen Aufwendungen ist zu erstatten (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.09.1992, a. a. O.). Diesen Anforderungen wird die vom Justizprüfungsamt in dem Widerspruchsbescheid vom 15.06.2010getroffene Kostenentscheidung nicht gerecht.

Hierin hat die Widerspruchsbehörde den Anteil des Unterliegens der Klägerin mit 2/3 bewertet. Bei dieser Quotelung hat sie ersichtlich als maßgebliches Kriterium die Anzahl von drei Aufsichtsarbeiten, die die Klägerin im Widerspruchsverfahren als fehlerhaft bewertet bezeichnet hat, zugrunde gelegt und den Erfolg des Rechtsschutzbegehrens der Klägerin daran gemessen, welche Bewertungsrügen zu einer Neubewertung der Aufsichtsarbeiten geführt haben. Diese Betrachtungsweise des Beklagten ist zu kurz gegriffen und wird dem Rechtsschutzbegehren der Klägerin nicht gerecht. Deren Rechtsbehelf zielte in erster Linie auf die Aufhebung der in dem Ausgangsbescheid vom 30.10.2009 enthaltenen Regelungen, sie, die Klägerin, werde von der weiteren Prüfung ausgeschlossen und habe die zweite Staatsprüfung wiederholt und damit endgültig nicht bestanden. Selbst wenn der Rechtsauffassung des Beklagten zu folgen wäre und die Bewertung der einzelnen Aufsichtsarbeiten als selbständig angreifbar anzusehen sein sollten (vgl. aber BVerwG,Urteil vom 16.03.1994 - 6 C 5/93 -, NVwZ-RR 1994, 582),erscheint es nach Einschätzung des Gerichts allenfalls als sachlich gerechtfertigt, das Verhältnis der Streitgegenstände „Zulassung zur mündlichen Prüfung/Nichtbestehen der zweiten Staatsprüfung“ einerseits und „Bewertung von drei Aufsichtsarbeiten“ andererseits mit 2/3 zu 1/3 einzustufen und daran den Anteil des Obsiegens und Unterliegens der Klägerin zu messen.

21Der Beklagte ist anteilmäßig auch zur Erstattung der Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts verpflichtet. Gemäß § 80 Abs. 2HVwVfG sind die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts im Vorverfahren erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war. Die Vorschrift des § 80 Abs. 2HVwVfG stellt keine selbständige Anspruchsgrundlage dar, sondern knüpft an die auf der Grundlage des § 80 Abs. 1 HVwVfG zu treffende vorrangige Kostengrundentscheidung an. Eine dahingehende (positive)Entscheidung im Widerspruchsbescheid ist konstitutiv (vgl. BVerwG,Urteil vom 18.04.1988 – 6 C 41.85 -, Buchholz 316 § 80VwVfG Nr. 26, S. 10). Dem Widerspruchsbescheid des Justizprüfungsamtes vom 15.06.2010 ist eine solche konstitutive Entscheidung zu entnehmen. Die Behörde hat in Nr. 3 des Widerspruchsbescheides die Zuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren durch die Klägerin zwar nicht ausdrücklich für notwendig erklärt, dies jedoch durch die Formulierung „Ihr werden 1/3 der notwendigen Aufwendungen der Bevollmächtigten erstattet“ hinreichend klar zum Ausdruck gebracht.

Die Kostenfestsetzung in Nummer 4 des Widerspruchsbescheides vom 15.06.2010 hat die Klägerin nicht mit ihrer Klage angefochten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO und entspricht dem Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens der Klägerin in diesem Verfahren.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Eine Zulassung der Berufung gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGOkommt nicht in Betracht, da die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO nicht vorliegen.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 643,35 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Wertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 und 3 GKG und entspricht dem von der Klägerin in der Klageschrift angegebenen und vom Gericht in dem Beschluss über die vorläufige Streitwertfestsetzung vom 19.06.2010 zugrunde gelegten Betrag, dem der Beklagte nicht widersprochen hat.

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