FG Nürnberg, Urteil vom 25.02.2011 - 7 K 3/10
Fundstelle
openJur 2013, 23237
  • Rkr:
Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu tragen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist der Erlass von Zinsen gem. § 233a AO.

Die Kläger sind Ehegatten. Der Kläger erzielt u. a. gewerbliche Einkünfte im Sinne des § 15 EStG aus seiner Beteiligung an der Fa. B GmbH & Co. KG, 1. Im Rahmen einer steuerlichen Betriebsprüfung der A-Gruppe, der die KG angehört, wurden die dem Kläger zuzurechnenden Beteiligungsergebnisse wie folgt erhöht:

1997   1.407.835 €1998   1.268.744 €1999   1.551.390 €Grundlage dieser Erhöhungen war eine im Rahmen der genannten Betriebsprüfung erzielte tatsächliche Verständigung über die Streitfrage, in welcher Höhe im Rahmen der Geschäftsbeziehungen der A Handels GmbH und Co. KG zu ihrer ausländischen Schwestergesellschaft, der Fa. C, EU-Land zu Lasten des inländischen Ergebnisses unangemessen hohe Vermögensvorteile zugewendet wurden, und ob insoweit eine Verrechnungspreiskorrektur durchzuführen sei.

Am 06.02.2007 erließ das Finanzamt den BP-Feststellungen Rechnung tragende geänderte Einkommensteuerbescheide 1997 – 1999. Mit gleichem Datum ergingen entsprechende Zinsbescheide, in denen Nachzahlungszinsen gem. § 233a AO für die einzelnen Jahre in folgender Höhe festgesetzt wurden:

1997   622.555 €1998   591.802 €1999   659.600 €Mit Bescheid vom 06.02.2007, geändert am 09.03.2007, wurden aufgrund freiwilliger Zahlungen die Zinsen gem. § 227 AO teilweise erlassen:

1997   5.972,00 €1998   60.862,50 €1999   1.730,00 €Mit Schreiben vom 07.03.2007 beantragte der steuerliche Berater des Klägers einen weiteren Erlass hinsichtlich der Nachzahlungszinsen für Teilbeträge in Höhe von 310.991 € für 1997, 244.487 € für 1998 und in Höhe von 244.344 € für 1999 aus Billigkeitsgründen gem. § 227 AO. Die Zinsen seien im vorliegenden Fall auf die Verrechnungspreiskorrektur entsprechend der tatsächlichen Verständigung zurückzuführen. Zweck der Regelung des § 233a AO sei die Abschöpfung von Zins- und Liquiditätsvorteilen aus Gründen der Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Für eine Verzinsung von Steuernachforderungen bestehe kein Raum, wenn zweifelsfrei feststehe, dass der Steuerpflichtige durch die verspätete Festsetzung keinen Vorteil erlangt habe. Die durch die Betriebsprüfung veranlassten Verrechnungspreiskorrekturen hätten nicht dazu geführt, dass per saldo ein steuerliches Mehrergebnis auszuweisen gewesen wäre. Es sei lediglich zu einer Verschiebung des Steuerzugriffs zwischen Deutschland und EU-Land gekommen. Dies bedeute, dass die Gewinne im Entstehungsjahr grundsätzlich zutreffend versteuert worden seien. Durch die Versteuerung im Entstehungsjahr und dem damit verbundenen Abfluss von Ertragsteuern habe keine Liquidität zur Verfügung gestanden, die Basis einer Verzinsung nach § 233 a AO hätte sein können. Zudem sei im EU-Land erst ab 2001 die Verzinsung eingeführt worden, so dass keine korrespondierenden Erstattungszinsen zugunsten des Klägers gegenüber stünden. Deshalb stehe zweifelsfrei fest, dass der Kläger durch die Einkommensverschiebung keinerlei Vorteile in Form einer möglichen Kapitalnutzung gehabt habe und den Nachzahlungszinsen in Deutschland keinerlei Erstattungszinsen im EU-Land gegenüber stünden.

Mit Bescheid vom 02.08.2007 lehnte das Finanzamt den beantragten Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen mit der Begründung ab, Sinn und Zweck der Verzinsung nach § 233a AO sei nicht nur die Abschöpfung von konkreten und möglichen Liquiditätsvorteilen aufseiten des Steuerpflichtigen; die Verzinsung solle auch Liquiditätsnachteile auf Seiten des Steuergläubigers ausgleichen. Außerdem habe der Gesetzgeber die Vorschrift des § 233a AO bewusst verschuldensunabhängig ausgestaltet. Die Frage der Erhebung von Nachzahlungszinsen bei Gewinnverlagerungen sei im Rahmen der Anhörung zum Gesetzentwurf (vgl. BT-Drucksache 11/2536 S. 22) erörtert worden. Da der Gesetzgeber hierzu keine Zinsbefreiung getroffen habe, habe er im Hinblick auf die Praktikabilität der Vollverzinsung die durch die Gewinnverlagerung eintretenden Härten grundsätzlich in Kauf genommen. Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestandes bewusst in Kauf genommen habe, könnten jedoch keinen Billigkeitserlass rechtfertigen.

Gegen diesen Ablehnungsbescheid legte der steuerliche Vertreter der Kläger mit Schreiben vom 24.08.2007 Einspruch ein. In seiner Begründung wandte er sich gegen die Argumentation des Finanzamtes, dass neben dem Zinsvorteil des Steuerschuldners auch ein etwaiger Zinsnachteil des Steuergläubigers die Entstehung von Nachzahlungszinsen rechtfertige. So besage Rn. 69.2 zu § 233a AEAO, dass für den Ausgleich in Form einer Verzinsung der Steuernachforderung dann kein Raum bestehe, wenn zweifelsfrei feststehe, dass der Steuerbürger durch die verspätete Festsetzung keinen Vorteil erlangt habe. Dies habe auch der BFH in seinem Urteil vom 11.07.1996 (V R 18/95, BStBl II 1997, 259) bestätigt. Im vorliegenden Fall handele es sich nicht um die Verlagerung von Besteuerungsgrundlagen von einem Veranlagungszeitraum in den anderen, sondern um eine Verschiebung zwischen zwei EU-Mitgliedsstaaten im selben Veranlagungszeitraum. Global betrachtet sei die Summe der Besteuerungsgrundlagen auch durch die Verrechnungspreiskorrektur nicht verändert worden; dadurch sei ein etwaiger Liquiditätsvorteil, der zu einer Kapitalnutzung hätte führen können, nicht vorhanden gewesen. Die Festsetzung von Nachzahlungszinsen sei sachlich unbillig; gemäß § 227 AO sei zwingend ein Erlass auszusprechen.

Mit Einspruchsentscheidung vom 03.12.2009 wies das Finanzamt den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, eine Unbilligkeit aus sachlichen Gründen im Sinne des § 227 AO sei gegeben, wenn die Geltendmachung eines Anspruches aus dem Steuerschuldverhältnis im Einzelfall zwar dem Wortlaut einer Vorschrift entspreche, aber nach dem Zweck des zugrunde liegenden Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen sei und dessen Wertungen zuwiderlaufe (BFH-Urteil vom 26.10.1994 X R 104/92, BStBl. II 1995, 297). Härten, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestandes einer Vorschrift bewusst in Kauf genommen hat, stünden jedoch dem Erlass entgegen (ständige Rechtsprechung, z. B. BFH-Urteile vom 05.06.1996 X R 234/93, BStBl. II 1996, 503; vom 20.01.1997 V R 28/95, BStBl. II 1997, 717). Dies gelte auch für den Erlass von festgesetzten Zinsen gem. § 233a AO (vgl. BFH-Urteile vom 16.08.2001 V R 72/00, BFH/NV 2002, 545; vom 23.10.2003 V R 2/02, BStBl. II 2004, 39). Im Streitfall widerspreche die Festsetzung der Nachzahlungszinsen nicht den Wertungen, die der Verzinsungsregelung des § 233a AO zugrunde lägen. Führe die Festsetzung der Einkommensteuer zu einem Unterschiedsbetrag im Sinne von § 233a Abs. 3 AO, sei dieser zu verzinsen. Zweck der Regelungen in § 233a AO sei es, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig werden (Begründung zum Gesetzesentwurf, BT-Drucksache 11/2157, S. 194). Liquiditätsvorteile, die dem Steuerpflichtigen oder dem Fiskus aus dem verspäteten Erlass eines Steuerbescheides typischerweise entstanden seien, sollten mit Hilfe der sog. Vollverzinsung ausgeglichen werden. Ob hierbei die möglichen Zinsvorteile tatsächlich gezogen worden seien, sei grundsätzlich unbeachtlich (BFH-Urteile vom 15.10.1998 IV R 69/97, BFH/NV 1999, 383; vom 15.07.2004 V R 76/01, BFH/NV 2004, 1682). Schon deshalb könnten sich die Kläger nicht mit Erfolg darauf berufen, sie hätten tatsächlich keinen Liquiditätsvorteil gehabt. § 233a AO stelle hier allein auf das Steuerschuldverhältnis zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Finanzamt ab. Das von den Klägern zitierte Urteil des BFH vom 11.07.1996 (V R 18/95, BStBl II 1997, 259) betreffe einen nicht vergleichbaren Fall. Im Streitfall hätten die Kläger den Liquiditätsvorteil durch die zunächst zu niedrig festgesetzte Einkommensteuer erlangt. Die Argumentation, dass sich dieser Vorteil durch die entsprechende Erhöhung der Besteuerungsgrundlagen und die damit verbundene Erhöhung der Steuerfestsetzung der ausländischen Schwestergesellschaft im EU-Land ausgeglichen worden sei, gehe ins Leere und verkenne die Zielsetzung des § 233a AO. § 233a AO stelle ausschließlich auf das Steuerschuldverhältnis zwischen dem Steuerschuldner und dem Finanzamt ab und nicht auf mögliche Konsequenzen bei Dritten bzw. bei nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden, ausländischen Steuersubjekten. Es verbleibe bei den festgesetzten Nachzahlungszinsen.

Mit ihrer Klage begehren die Kläger weiterhin einen Teilerlass der Nachzahlungszinsen. Sie sind der Ansicht, das Finanzamt sei zum Erlass zu verpflichten, da sein Ermessen auf Null reduziert sei. Bei ihnen sei kein Zuwachs an Leistungsfähigkeit eingetreten. Sie hätten die Einkommensteile aus der Verrechnungspreisproblematik im Rahmen des deutschen Einkommensteuerrechts in Verbindung mit den Bestimmungen des Doppelbesteuerungsabkommens mit dem EU-Land zunächst ordnungsgemäß erklärt und versteuert. Nach Abschluss der Betriebsprüfungen im EU-Land und 1, denen am 22.12.2005 eine tatsächliche Verständigung vorangegangen sei, seien die Steuerbescheide in beiden Staaten berichtigt worden mit dem Ergebnis, dass ein Liquiditätsvorteil nicht eingetreten sei. Eine Betrachtung allein des Steuerrechtsverhältnisses zum deutschen Steuergläubiger greife zu kurz, da sie, die Kläger, aufgrund des Welteinkommensprinzips mit ihren in- und ausländischen Einkünften der Einkommensteuer unterlägen. Auch in anderen Fällen, in denen ein Liquiditätsvorteil nicht eingetreten sei, habe der Gesetzgeber einen Billigkeitserlass vorgesehen.

Die Kläger beantragen, unter Aufhebung der Ablehnungsbescheide vom 02.08.2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.12.2009 den Beklagten zu verpflichten, antragsgemäß Nachzahlungszinsen gem. § 233a AO wegen sachlicher Unbilligkeit i. H. v. 310.991 € für das Jahr 1997, 244.487 € für das Jahr 1998 und 244.344 € für das Jahr 1999 zu erlassen, hilfsweise für den Fall des Unterliegens die Revision zuzulassen. Den Zulassungsgrund sehen die Klägervertreter im Falle der Klageabweisung in einer Divergenz zu den unter Ziff. 69.2 des Anwendungserlasses zu § 233a AO genannten Entscheidungen des BFH.

Das Finanzamt beantragt, die Klage abzuweisen.

Nach Ansicht des Finanzamts ist allein auf die Verhältnisse des Steuerschuldners abzustellen und nicht mit Ergebnissen bei anderen in- oder ausländischen Steuerschuldnern zu verrechnen. Nachforderungszinsen seien nicht deshalb wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen, weil sich die nachträglich festgesetzte Steuer und die einem Dritten gegenüber zu erstattende Steuer per saldo ausgleichen.

Auf den Inhalt der im Klageverfahren eingereichten Schriftsätze und die dem Gericht vorliegenden Einkommensteuerakten für die Jahre 1997 - 1999 wird Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist unbegründet.

Das Finanzamt hat den Erlass der Zinsen ermessensfehlerfrei abgelehnt.

I. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Erlass der Nachzahlungszinsen.

211. Bei der Prüfung, ob mangels Liquiditätsvorteil eine sachliche Unbilligkeit vorliegt, ist allein auf das konkrete Steuerrechtsverhältnis abzustellen. Gegenläufige Auswirkungen im Steuerrechtsverhältnis zu einem anderen EU-Mitgliedsstaat bleiben außer Betracht.

a) Nach § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.

Nachforderungszinsen sind Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis i. S. d. § 37 Abs. 1 AO, denn sie gehören nach § 3 Abs. 3 AO zu den steuerlichen Nebenleistungen. Sie können nach § 227 AO aus Billigkeitsgründen erlassen werden (BFH-Urteil vom 05.06.1996 X R 234/93, BStBl II 1996, 503, m. w. N.).

Die Entscheidung über den Erlass ist eine Ermessensentscheidung der Behörde (Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19.10.1971 GmS-OGB 3/70, BStBl II 1972, 603) und unterliegt deshalb gemäß § 102 FGO nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Im Einzelfall kann der Ermessensspielraum aber so eingeengt sein, dass nur eine Entscheidung ermessensgerecht ist (sog. Ermessensreduzierung auf Null). Ist nur der Erlass eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis ermessensgerecht, kann das Gericht gemäß § 101 Satz 1 FGO die Verpflichtung zum Erlass aussprechen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 16.11.2005 X R 3/04, BStBl II 2006, 155; vom 25. November 1997 IX R 28/96, BStBl II 1998, 550, m. w. N.).

Eine – hier allein in Betracht kommende – Unbilligkeit aus sachlichen Gründen ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH dann anzunehmen, wenn ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis zwar nach dem gesetzlichen Tatbestand besteht, seine Geltendmachung aber mit dem Zweck des Gesetzes nicht oder nicht mehr zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 26.10.1994 X R 104/92, BStBl II 1995, 297, m. w. N.). Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestands bewusst in Kauf genommen hat, können jedoch nicht einen Billigkeitserlass rechtfertigen. Die generelle Geltungsanordnung des Gesetzes darf durch eine Billigkeitsmaßnahme nicht unterlaufen werden. Diese Grundsätze gelten auch für den Erlass festgesetzter Zinsen nach § 233a AO (vgl. BFH-Urteile vom 16.11.2005 X R 28/04, BFH/NV 2006, 697; vom 16.11.2005 X R 3/04, BStBl II 2006, 155; BFH-Beschlüsse vom 02.11.2006 V B 24/05, BFH/NV 2007, 208; vom 30.10.2001 X B 147/01, BFH/NV 2002, 505, m. w. N.).

Es ist Sinn und Zweck des § 233a AO, den Zinsvorteil des Steuerpflichtigen und den Zinsnachteil des Steuergläubigers auszugleichen, ohne dass es auf eine konkrete Berechnung der tatsächlich eingetretenen Zinsvorteile und Zinsnachteile ankommt. Die Rechtfertigung für die Entstehung einer solchen steuerlichen Nebenleistung ist nicht nur im abstrakten Zinsvorteil des Steuerschuldners, sondern auch in einem ebensolchen Nachteil des Steuergläubigers zu sehen (BFH-Urteil vom 19.03.1997 I R 7/96, BStBl II 1997, 446; Beschluss vom 30.10.2001 X B 147/01, BFH/NV 2002, 505). Auf die Frage, ob das Fehlen eines Zinsnachteils des Steuergläubigers einem Erlass entgegenstünde, kommt es im Streitfall nicht an, da ein solcher Nachteil aufgrund der verspäteten Steuerzahlung vorliegt. Die Festsetzung von Nachzahlungszinsen ist gemäß § 233a AO grundsätzlich bereits dann rechtmäßig, wenn der Schuldner der Steuernachforderung Liquiditätsvorteile gehabt hat. Insbesondere ist geklärt, dass es für die Prüfung nicht auf eine fiktive Berechnung der Liquidität ankommt, sondern entscheidend ist, ob der Steuerschuldner aufgrund der erst späteren Steuernachforderung Liquiditätsvorteile gehabt hat, weil er von der Zahlung dieser geschuldeten Steuer vorerst – wegen unzutreffender Steuerfestsetzung – "freigestellt" gewesen ist (vgl. BFH-Urteile vom 30.03.2006 V R 60/04, BFH/NV 2006, 1434, m. w. N.; vom 16.08.2001 V R 72/00, BFH/NV 2002, 545; vom 19.12.2002 V R 66/00, BFH/NV 2003, 591; BFH-Beschluss vom 10.03.2006 V B 82/05, BFH/NV 2006, 1433).

27§ 233a AO stellt allein auf das konkrete Steuerschuldverhältnis – hier zwischen den Klägern und der Bundesrepublik Deutschland – ab (vgl. BFH-Urteil vom 24.02.2005 V R 62/03, BFH/NV 2005, 1220). Die Rechtsprechung zu besonderen Ausnahmefällen der zeitlichen Gewinnverlagerung (vgl. BFH-Urteile in BFH/NV 2006, 697, und vom 15.10.1998 IV R 69/97, BFH/NV 1999, 383) betrifft ersichtlich das identische Steuerschuldverhältnis. Für ein vom streitgegenständlichen Steuerschuldverhältnis unabhängiges weiteres Steuerschuldverhältnis zu einem anderen Staat hat der BFH ausdrücklich eine Berücksichtigung der Auswirkungen des anderen Steuerschuldverhältnisses abgelehnt (BFH-Beschluss vom 15.01.2008 VIII B 222/06, BFH/NV 2008, 753 zu den gegenläufigen Auswirkungen eines Steuerschuldverhältnisses wie im Streitfall zur Republik EU-Land).

b) Im vorliegenden Fall haben die Kläger bezogen auf die inländische Steuerfestsetzung unstreitig einen erheblichen Liquiditätsvorteil gehabt, da die aufgrund der tatsächlichen Verständigung in Deutschland nachzuentrichtende Steuer erst verspätet festgesetzt wurde.

Die gegenläufige Steuerbelastung im EU-Land kann nicht zur Aufzehrung dieses Vorteils führen, da sie in einem anderen Steuerrechtsverhältnis entstanden und daher nicht zu berücksichtigen ist.

30Dies gilt unabhängig davon, dass die Steuererstattung im EU-Land in den Streitjahren nicht verzinst wurde. Diese Härte ist Bestandteil des ausländischen Rechts und kann dem inländischen Steuergläubiger nicht entgegengehalten werden.

Der vorliegende Fall ist auch nicht mit dem von den Klägern angeführten Fall vergleichbar, in denen der BFH sich mit zeitlichen Verschiebungen bei der Umsatzsteuer beschäftigt hat (beispielsweise BFH-Urteil vom 11.07.1996 V R 18/95, BStBl II 1997, 259). Bei einer bloßen zeitlichen Verschiebung der Zuordnung eines Umsatzes in ein anderes Jahr war die Grundlage für eine Zinserhebung in der Tat entfallen. Dieser Gedanke ist jedoch auf das Steuerrechtsverhältnis zu einem anderen EU-Mitgliedsstaat aufgrund der jeweils eigenständigen nationalen Rechtsgrundlagen jedenfalls für den Bereich der europarechtlich nicht harmonisierten Ertragssteuern nicht zu übertragen. Ob tatsächlich in einem anderen Staat Steuern in gleicher Höhe anfallen, lässt sich nicht generell sagen. Eine steuerliche Gestaltung, die zu einer Verrechnungspreiskorrektur Anlass gibt, wird typischerweise gerade im Verhältnis zu Staaten gewählt, deren Steuersystem und insbesondere auch Steuerbelastung von den inländischen Gegebenheiten abweicht. Einer Einzelfallbetrachtung steht jedoch der pauschale Charakter der Nachzahlungszinsen gem. § 233a AO entgegen.

Darüber hinaus ist nicht nur auf der Seite des Steuergläubigers, sondern auch auf der Seite des Steuerschuldners eine zwar konzernzugehörige, aber eigenständige Schwestergesellschaft der inländischen Gesellschaft beteiligt. Der BFH hat selbst bei der Umsatzsteuer, die eher einer Vergleichbarkeit zugänglich ist, einen Ausgleich der Liquiditätsvor- und -nachteile zwischen verschiedenen Steuerpflichtigen abgelehnt (BFH-Urteil vom 12.04.2000 XI R 21/97, BFH/NV 2000, 1178). Dies muss um so mehr im Bereich der Ertragssteuern gelten, und in jedem Fall für ausländischen Gesellschaften, auch wenn sie zum selben Konzern gehören.

Gegen die Saldierung der im In- und Ausland entstandenen Liquiditätsvor- und –nachteile für die Frage, ob Zinsen zu erlassen sind, spricht weiter das Fehlen einer entsprechenden Regelung im Gesetz selbst sowie im Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und dem EU-Land. Der Umstand, dass die Frage ersichtlich als nicht regelungsbedürftig angesehen wurde, spricht ebenfalls gegen die Berücksichtigung im Einzelfall bestehender gegenläufiger Liquiditätsvor- und -nachteile.

Die Erhebung der Zinsen ist daher aufgrund des von den Klägern im inländischen Steuerrechtsverhältnis erzielten Liquiditätsvorteils nicht sachlich unbillig.

2. Ein Anspruch auf Erlass der Zinsen ergibt sich auch nicht aus dem Grundsatz von Treu und Glauben bzw. einer Bindung aufgrund der tatsächlichen Verständigung vom 22.12.2005 zwischen der A Handel GmbH & Co. KG und dem beklagten Finanzamt. Die tatsächliche Verständigung enthält keine Aussage zur Verzinsung der sich ergebenden inländischen Mehrsteuern. Ergebnis der tatsächlichen Verständigung war die Erhöhung des steuerlichen Gewinns aufgrund der Verrechnungspreiskorrektur. Eine Vereinbarung über die Höhe der inländischen Steuern und Zinsen durch einen Vergleich wäre nicht zulässig gewesen. Es ist davon auszugehen, dass die an der Vereinbarung vom 22.12.2005 Beteiligten sich rechtstreu verhalten wollten; im Wege der Auslegung kann der Vereinbarung ohne konkrete Anhaltspunkte ein anderer Inhalt daher nicht entnommen werden. Die Vereinbarung betont auch ausdrücklich, dass mit der Einigung über die Erhöhung des Gewinns der Rechtsfrieden hergestellt werden sollte. Die Vereinbarung betraf daher allein die Besteuerungsgrundlagen mit der Folge, dass weder ein Verzicht auf die gesetzlich vorgesehene Verzinsung noch eine Verpflichtung zu einem Erlass – also einer Ermessensentscheidung – daraus abzuleiten ist.

36Ganz im Gegenteil spricht die Entstehung der Zinsen als Folge einer tatsächlichen Verständigung gegen die Annahme einer sachlichen Unbilligkeit. Auch der BFH bezweifelt, dass in einem solchen Fall überhaupt ein sachlicher Erlassgrund vorliegen kann (BFH-Urteil vom 23.10.2003 V R 2/02, BStBl II 2004, 39). Wer freiwillig anstelle einer genauen Ermittlung des steuerlichen Sachverhalts unter Abwägung seiner Chancen und Risiken zu einer pauschalierenden Verständigung über den zu beurteilenden Sachverhalt schreitet, hat sich in erhöhtem Maße über die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts vor Abschluss dieser Verständigung Gedanken zu machen. Eine im Gesetz als Normalfall vorgesehene und auf jede Prüfung von Vor- und Nachteilen im Einzelfall verzichtende Regelung ist nicht unbillig.

3. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Das Finanzamt hat sich strikt am Zweck des § 233a AO orientiert. Die Ermessensentscheidung wurde auch ausreichend begründet (§ 121 AO).

Die Kläger haben daher keinen Anspruch auf Erlass der Zinsen.

Die Klage war deshalb als unbegründet abzuweisen.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

III. Die Revision war nicht zuzulassen.

1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung i. S. d. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Die streitentscheidende Rechtsfrage, ob Liquiditätsnachteile in einem anderen Steuerrechtsverhältnis in die Prüfung der sachlichen Unbilligkeit einbezogen werden müssen, hat der BFH in einem nahezu identischen Fall bereits entschieden (BFH-Beschluss vom 15.01.2008 VIII B 222/06, BFH/NV 2008, 753). Sie ist daher nicht klärungsbedürftig.

2. Einer Zulassung der Revision bedarf es auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung durch eine Entscheidung des BFH (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO). Eine vergleichbare Entscheidung des BFH liegt bereits vor (s. o.). Die von den Klägern für den Fall der Klageabweisung angenommene Abweichung von den in Nr. 69.2, letzter Absatz, des Anwendungserlasses zu § 233a AO genannten Urteilen des BFH (vom 11.07.1996 V R 18/95, BStBl II 259; vom 12.04.2000 XI R 21/97, BFH/NV 2000, 1178) ist nach Überzeugung des Senats schon deshalb nicht gegeben, weil sich der Senat gerade auf die jüngste Entscheidung des BFH zur Streitfrage stützt. Die von den Klägern genannten anderen Entscheidungen betreffen entweder einen anderen Sachverhalt (BFH-Urteil vom 11.07.1996, a. a. O.) bzw. stützen sogar die vorliegende Entscheidung (BFH-Urteil vom 12.04.2000, a. a. O.).