OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 15.08.2011 - 18 W 175/11
Fundstelle
openJur 2013, 23360
  • Rkr:
Tenor

Der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 07.12.2010 auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 27.12.2010 wie folgt abgeändert:

Auf Grund des vollstreckbaren Beschlusses des Landgerichts Frankfurt am Main vom 28.10.2010 sind von der Antragstellerin an Kosten € 5.641,45 nebst jährlichen Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 10.11.2010 an die Antragsgegnerin zu erstatten. Der weitergehende Kostenfestsetzungsantrag der Antragsgegnerin vom 09.11.2010 wird abgelehnt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.

Der Beschwerdewert beträgt € 4.482,39.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien führten ein selbständiges Beweisverfahren, in dem das Landgericht der Antragstellerin mit Beschluss vom 21.07.2010 (Bl. 320 d. A.) aufgab, binnen sechs Wochen Klage zu erheben. Nachdem diese Frist fruchtlos verstrichen war, bestimmte das Landgericht mit Beschluss vom 28.10.2010 (Bl. 325 d. A.) gemäß § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO, dass die Antragstellerin die der Antragsgegnerin entstandenen Kosten zu tragen hat.

Auf Grund dieses Beschlusses setzte das Landgericht auf den Antrag der Antragsgegnerin vom 09.11.2010 (Bl. 329, 330 d. A.) mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 07.12.2010 (Bl. 342 d. A.) Kosten von € 10.129,84 nebst jährlichen Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 10.11.2010 zu Gunsten der Antragsgegnerin gegen die Antragstellerin fest. In diesem Betrag sind € 316,45 enthalten, die der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin zahlte, weil er Expertisen von A und B sowie die Teile 1 bis 7 eines Gutachtens vom 26.09.2005 elektronisch reproduzieren ließ (vgl. Kopie der Rechnung der C GmbH vom 09.02.2010, Bl. 331 d. A.). Weiter beinhaltet der festgesetzte Betrag € 4.173,-, die die Antragsgegnerin für die während des selbständigen Beweisverfahrens erfolgte Erstellung eines Privatgutachtens an die D GmbH gezahlt hatte (vgl. Kopie der Rechnung der D GmbH vom 07.07.2001, Bl. 332, 333 d. A.).

Mit ihrer sofortige Beschwerde, die sie mit am 27.12.2010 per Telefax bei Gericht eingegangenem (Bl. 344 d. A.) Schriftsatz vom selben Tage (Bl. 347 bis 350 d. A.) gegen den bei ihrem Verfahrensbevollmächtigten am 13.12.2010 eingegangenen (Bl. 344 d. A.) Kostenfestsetzungsbeschluss vom 07.12.2010 erhoben hat, wendet sich die Antragstellerin gegen die Festsetzung der Kosten für die Reproduktion der Expertisen von A und B und der Teile 1 bis 7 des Gutachtens vom 26.09.2005 sowie gegen die Festsetzung der wegen der Erstellung des Privatgutachtens entstandenen Kosten. Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen (Bl. 375, 376 d. A.).

II.

1. Die gemäß §§ 11 Abs. 1 RPflG, 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist die in § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO normierte Frist zu ihrer Einlegung gewahrt.

2. Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

1. Zu Unrecht hat das Landgericht die beim Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin wegen der Reproduktion der Expertisen von A und B sowie der Teile 1 bis 7 eines Gutachtens vom 26.09.2005 angefallenen € 316,45 gegen die Antragstellerin festgesetzt.

Dies folgt aus der Regelung des § 91 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. ZPO, die auch dann anwendbar ist, wenn die für die Festsetzung maßgebliche Kostengrundentscheidung - wie vorliegend -gemäß § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO ergangen ist und bestimmt, dass nur die Kosten zu erstatten sind, die dem Erstattungsberechtigte erwachsen sind und zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig waren.

Dies ist hinsichtlich der Reproduktionskosten nicht der Fall.

a) Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die elektronische Reproduktion erforderlich war und die Anfertigung einfacher Ablichtungen nicht ausreichte, um den Inhalt der dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin vom Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin in einem Karton - und damit in gedruckter Form - übersandten (vgl. Schriftsatz des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin vom 28.01.2010 (Bl. 355 d. A.) Expertisen von A und B sowie der Teile 1 bis 7 des Gutachtens vom 26.09.2005 in einer für die Rechtsverteidigung im selbständigen Beweisverfahren ausreichenden Weise zur Kenntnis nehmen zu können. Der Verfahrensbevollmächtigte einer wirtschaftlich denkenden Partei hätte deshalb pflichtgemäß einfache Ablichtungen fertigen lassen.

b) Die wegen der elektronischen Reproduktion entstandenen Kosten sind auch nicht in Höhe fiktiver Kopierkosten erstattungsfähig. Denn es ist nicht festzustellen, dass diese Kosten der Antragsgegnerin im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO erwachsenen wären. Dies wäre nur der Fall, wenn ihr Verfahrensbevollmächtigter solche Kopierkosten von der Antragsgegnerin aus dem mit ihr geschlossenen Geschäftsbesorgungsvertrag in Verbindung mit § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG und Nr. 7000 VV RVG beanspruchen könnte. Ein solcher Anspruch steht dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin jedoch gegen diese nicht zu

aa) Es ist nicht dargetan, weshalb die Expertisen von A und B sowie die Teile 1 bis 7 eines Gutachtens vom 26.09.2005 zur sachgemäßen Rechtsverteidigung im Beweissicherungsverfahren erforderlich waren, so dass die Voraussetzungen von Nr. 7000 Ziff. 1 lit a) VV RVG nicht gegeben sind.

bb) Auch liegt kein Fall von Nr. 7000 Ziff. 1. lit. b) vor. Die Expertisen von A und B und die Teile 1 bis 7 des Gutachtens vom 26.09.2005 waren von der Antragsgegnerin nicht zur Zustellung oder Mitteilung an Gegner oder Beteiligte und Verfahrensbevollmächtigte auf Grund einer Rechtsvorschrift oder nach Aufforderung durch das Gericht zu erstellen.

cc) Auch die Voraussetzungen von Nr. 7000 Ziff. 1. lit c) oder d) sind nicht gegeben. Es ist nicht dargetan, ob die Expertisen von A und B und die Teile 1 bis 7 eines Gutachtens vom 26.09.2005 zur Unterrichtung der Antragsgegnerin oder mit deren Zustimmung angefertigt worden sind.

2. Ebenfalls zu Unrecht hat das Landgericht die bei der Antragsgegnerin wegen der während des selbstständigen Beweisverfahrens erfolgten Erstellung eines Privatgutachtens angefallenen € 4.173,- gegen die Antragstellerin festgesetzt. Diese Kosten sind nicht gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. ZPO erstattungsfähig, weil sie zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung nicht notwendig waren.

Es ist anerkannt, dass es während eines Rechtsstreits Sache des Gerichts ist, Beweiserhebungen durch Einholung von Sachverständigengutachten durchzuführen, weshalb Kosten eines prozessbegleitend eingeholten Privatgutachten grundsätzlich nicht erstattungsfähig sind (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 11.07.2007, Az.: 8 W 265/07, ZEV 2007, 536, 537 - zitiert nach juris). Ausnahmen kommen nur dann in Betracht, wenn das Privatgutachten zur Wiederherstellung der „Waffengleichheit“ erforderlich ist, weil der Gegner seinerseits ein Privatgutachten eingeholt hat (vgl. OLG Stuttgart a. a. O.) oder die fachunkundige Partei erst durch das Gutachten in die Lage versetzt wird, die bei der Gegenseite bestehende Sachkenntnis ausgleichen zu können (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26.03.2007, Az.: 15 W 7/07, BauR 2007, 1450-1452 - zitiert nach juris). Die Einholung eines Privatgutachtens während eines Rechtsstreits kann auch dann ausnahmsweise im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO notwendig sein, wenn das Gericht eine Substantiierung des Vortrags verlangt, die ohne die Einholung eines Privatgutachtens nicht möglich ist (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 14.09.1995, Az.: 14 U 27/95, NJW-RR 1996, 255 - zitiert nach juris), die Partei nur auf der Basis eines Privatgutachtens in der Lage ist, substantiiert und sachgerecht schriftsätzlich im Rechtsstreit vorzutragen (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 03.04.2007, Az.: 15 W 109/07, IBR 2008, 626 - zitiert nach juris) oder auf die Hinzuziehung eines eigenen Sachverständigen zwingend angewiesen ist, um ihrer Darlegungs- und Beweislast zu genügen (HansOLG Bremen, Beschluss vom 28.04.2008, Az.: 2 W 41/08, OLGR Bremen 2008, 675-676 - zitiert nach juris). Schließlich kann die Einholung eines Privatgutachtens notwendig sein, wenn die Partei dieses benötigt, um die Feststellungen eines gerichtlichen Sachverständigen zu überprüfen und zu widerlegen (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 14.09.1995, Az.: 14 U 27/95, NJW-RR 1996, 255 - zitiert nach juris).

Diese, für die Einholung eines Privatgutachtens während eines Rechtsstreits entwickelten Grundsätze sind auf den hier gegebenen Fall der Entstehung von Kosten wegen der Einholung eines Privatgutachtens durch den Antragsgegner während eines selbständigen Beweisverfahrens jedenfalls dann nicht übertragbar - wenn die maßgebliche Kostengrundentscheidung - wie hier - auf § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO beruht. Da der Antragsteller des selbständigen Beweisverfahrens die ihm gemäß § 494a Abs. 1 ZPO gesetzte Frist nicht gewahrt hat, folgt dem selbständigen Beweisverfahren regelmäßig kein Rechtsstreit, in dem die selbständige Beweiserhebung gemäß § 493 Abs. 1 ZPO Verwendung finden wird. Der Antragsgegner benötigt deshalb - objektiv - ein Privatgutachten nicht. Insbesondere ist die Herstellung einer Waffengleichheit nicht erforderlich.

Damit ist die Einholung eines Privatgutachtens durch den Antragsgegner während eines selbständigen Beweisverfahrens aus der Sicht einer wirtschaftlich vernünftigen Partei, die ihre Kostengeringhaltungspflicht beachtet, nur dann als sachdienlich anzusehen, so dass die dadurch entstehenden Kosten im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO notwendig sind, wenn zu besorgen ist, dass eine spätere Begutachtung der beweisgegenständlichen Tatsachen und Umstände infolge ihrer Veränderung zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr möglich sein wird, oder wenn die Partei nur mit Hilfe des Privatgutachtens das ihr gemäß §§ 492 Abs. 1, 402, 397 ZPO zustehende Fragerecht sinnvoll ausüben kann. In jedem anderen Fall kann der Antragsgegner mit der Beauftragung eines Sachverständigen zuwarten bis feststeht, ob der Antragsteller des selbständigen Beweisverfahrens Klage erhebt.

Damit war die Einholung eines Privatgutachtens durch die Antragsgegnerin nicht notwendig. Denn sie musste nicht befürchten, sie werde infolge einer anstehenden Veränderung der tatsächlichen Umstände im Falle der Klageerhebung keinen Beweis mehr führen können. Dies folgt daraus, dass das selbständige Beweisverfahren nicht gemäß § 485 Abs. 1 ZPO, sondern gemäß § 485 Abs. 2 ZPO durchgeführt wurde. Dass die nach dem Vorbringen der Antragstellerin noch ausstehende Sanierung des beweisgegenständlichen Gebäudes (vgl. Seite 12 des Schriftsatzes der Antragstellerin vom 30.12.2008, Bl. 13 d. A.) unmittelbar bevorstand, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Ebenso wenig ist festzustellen, dass die Antragsgegnerin die Fragen, die an den Sachverständigen zu stellen sie mit Schriftsatz vom 04.03.2010 (Bl. 290, 291 d. A.) beantragt hat, nur deshalb formulieren konnte, weil ihr das Privatgutachten der D GmbH vorlag.

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen, weil sie in diesem unterlegen ist, § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Der Beschwerdewert bemisst sich nach dem Betrag der Kosten, hinsichtlich deren die Antragstellerin eine Abänderung des angefochtenen Beschlusses begehrt hat, § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen. Die - soweit ersichtlich - vom Rechtsbeschwerdegericht noch nicht entschiedene Frage, ob der Antragsgegner eines selbständigen Beweisverfahren die Erstattung von Kosten, die ihm durch die Einholung eines Privatgutachtens während dieses Verfahrens entstanden sind, beanspruchen kann, wenn dem Antragsteller die beim Antragsgegner entstandenen Kosten gemäß § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO auferlegt worden sind, hat über den Einzelfall hinausgehende und damit grundsätzliche Bedeutung, § 574 Abs. 2 Ziff. 1 ZPO.

<Anmerkung der Dokumentationsstelle des Bundesgerichtshofs: Der Berichtigungsbeschluss vom 30. August 2011 wurde in den Tenor eingearbeitet und wie folgt begründet:

Gründe

Der Beschluss des Senats vom 15.08.2011 ist wie tenoriert zu berichtigen, weil die Kostenentscheidung wegen eines Schreibversehens unrichtig formuliert ist. Diese Unrichtigkeit ist offenbar, weil es unter Ziff. 3. der Gründe des Beschlusses vom 15.08.2011 heißt, dass die Kosten des Beschwerdeverfahrens von der Antragsgegnerin zu tragen sind.>