LAG Hamm, Urteil vom 14.03.2013 - 8 Sa 1510/12
Fundstelle
openJur 2013, 21457
  • Rkr:

Voraussetzungen der Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens wegen behaupten Fehlens der gesundheitlichen Eignung; Ausforschungsbeweis bei unzureichendem Sachvortrag

Erklärt der Betriebsarzt den Einsatz eines mit Medikamenten zur Herabsetzung der Immunreaktion (Immunsuppressiva) behandelten AN in der Versandabteilung eines medizinischen Labors in Kenntnis des Krankheitsbildes für unbedenklich, so ist dem auf Feststellung des Gegenteils gerichteten Antrag des Arbeitgebers auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens nur zu entsprechen, wenn sich seinem Vortrag die Behauptung entnehmen lässt, nach dem konkreten Gesundheitszustand des AN müsse jedwedes Risiko eines infektiösen Kontakts wegen der zu erwartenden schweren gesundheitlichen Folgen vermieden werden. Bieten weder die gerichtlich eingeholten Arztauskünfte noch die Lebensverhältnisse des AN und der langjährige Verlauf des Arbeitsverhältnisses einen Anhalt für ein derartiges Krankheitsbild, liefe die Einholung des beantragten Sachverständigengutachtens auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis hinaus.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 13.09.2012 - 1 Ca 1456/10 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Mit ihrer Klage wendet sich die im Jahre 1956 geborene Klägerin, welche seit dem Jahre 1974 in dem bislang vom beklagten Verein geführten und im Zuge des Rechtsstreits auf einen Rechtsnachfolger übertragenen Institut für Laboratoriumsmedizin gegen ein monatliches Bruttogehalt von ca. 2.048,-- Euro beschäftigt ist, gegen die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch ordentliche, arbeitgeberseitige Kündigung vom 30.07.2010 mit Wirkung zum 28.02.2011.

Die angegriffene Kündigung stützt der beklagte Verein zum einen auf den Vorwurf, entgegen erteilter Weisung verweigere die in der Versandabteilung tätige Klägerin wegen angeblicher Gesundheitsgefahren - nämlich wegen Einnahme von Medikamenten zur Herabsetzung der Immunabwehr - die Übernahme von Botengängen, zum anderen rechtfertige sich die Kündigung auch aus personenbedingten Gründen. Wenn die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen einen wesentlichen Teil der ihr zugewiesenen Arbeitsaufgaben - nämlich die Durchführung von Botengängen - nicht erledigen könne, sei ihr Einsatz insgesamt infrage gestellt, da die übrigen im Versand tätigen Kräfte nicht mit zusätzlichen Botengängen belastet werden könnten. Darüber hinaus müsse davon ausgegangen werden, dass die Klägerin auf der Grundlage ihres eigenen Vorbringens zu den bestehenden Gesundheitsgefahren überhaupt ungeeignet sei, in einem medizinischen Laborbetrieb eingesetzt zu werden.

Durch Urteil vom 13.09.2012 (Bl. 315 ff. der Akte) auf welches wegen des weiteren erstinstanzlichen Parteivortrages Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht nach Einholung schriftlicher Arztauskünfte antragsgemäß festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die angegriffene Kündigung vom 30.07.2010 nicht beendet worden ist. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, aufgrund der Stellungnahmen der behandelnden Ärzte, welche die von der Klägerin vorgetragenen Einsatzbeschränkungen bestätigt hätten, liege eine schuldhafte Arbeitsverweigerung nicht vor. Ebenso wenig sei die Kündigung aus personenbedingten Gründen berechtigt. Zwar könne die Klägerin, wie u. a. von der Betriebsärztin bestätigt worden sei, nicht mit den anfallenden Botengängen zu Arztpraxen wegen bestehender Infektionsgefahr betraut werden. Hierin liege jedoch kein Kündigungsgrund, da die Botengänge unschwer auf andere Mitarbeiter der Versandabteilung verteilt werden könnten. Soweit die betreffenden Mitarbeiter hiermit nicht einverstanden seien, sei es Sache des Arbeitgebers, derartige Vorbehalte zu entkräften. Ebenso wenig treffe der Standpunkt zu, die Klägerin sei aufgrund der bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen überhaupt in einem Laborbetrieb nicht einsetzbar. Bereits im Vorfeld der Kündigung habe die Betriebsärztin ausdrücklich erklärt, dass gegen die Fortführung der bisherigen Tätigkeit der Klägerin im Versand keine gesundheitlichen Bedenken bestünden. Da die Klägerin keinem unmittelbaren Kontakt mit den zu untersuchenden Proben ausgesetzt sei, sondern lediglich im Versandbereich eingesetzt werde, handele es sich bei dem Vortrag, die Klägerin sei wegen bestehender gesundheitlicher Risiken für eine Beschäftigung in einem Laborbetrieb überhaupt ungeeignet, um eine Behauptung ins Blaue hinein.

Mit ihrer rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung hält der beklagte Verein an seinem Standpunkt zur sozialen Rechtfertigung der Kündigung fest. In Anbetracht der Tatsache, dass die Klägerin vor Ausspruch der Kündigung zunächst eine wenig aussagekräftige Bescheinigung des Dr. S1 vom medizinischen Versorgungszentrum G1 (Bl. 80 d. A. ) vorgelegt und seinerzeit auch die Betriebsärztin nicht von der Schweigepflicht befreit habe, habe aus Sicht des beklagten Vereins kein ausreichender Grund vorgelegen, die Klägerin von den betreffenden Botengängen zu befreien. Auch die im Zuge des Rechtsstreits eingeholten ärztlichen Stellungnahmen seien letztlich nicht schlüssig, weswegen das Arbeitsgericht zu Unrecht die Einholung des beantragten medizinischen Sachverständigengutachtens unterlassen habe. Dies gelte insbesondere, soweit auf die eine angebliche Belastung durch "extrem schwankende" Temperaturunterschiede verwiesen werde. Allein der Temperaturunterschied zwischen Temperaturen in Innenräumen und im Außenbereich bei Durchführung der Botengänge könne hiermit nicht gemeint sein, da die Klägerin dann überhaupt kein normales Leben führen könne. Zumindest sei die Kündigung jedoch unter dem Gesichtspunkt der fehlenden gesundheitlichen Eignung der Klägerin begründet. Schon der Umstand, dass die Klägerin im Umfang von etwa 1/3 der Arbeitszeit eine ihr übertragene Arbeitsaufgabe - nämlich die Durchführung von Botengängen - nicht ausführen könne, lasse die Kündigung als gerechtfertigt erscheinen. Darüber hinaus handele es sich auch keineswegs - wie das Arbeitsgericht angenommen habe - um eine unbeachtliche Behauptung ins Blaue hinein, wenn auf die bestehenden Gesundheitsgefahren in einem Laborbetrieb verwiesen werde. Schon die Tatsache, dass das Amt für Arbeitsschutz den Einsatz von Schwangeren in diesem Bereich nicht zulasse, belege die bestehenden Risiken. Auch wenn die Klägerin selbst nicht mit Laborarbeiten befasst, sondern im Versand tätig sei, komme es doch vor, dass sich etwa Proben öffneten, da sie von den Einsendern nicht 100 %-ig verpackt seien. Hinsichtlich derjenigen Proben, die von der Beklagten verschickt werden, sei es so, dass diese im Hause der Beklagten erst noch verpackt werden müssten. Allein der Umstand, dass es in der Vergangenheit nicht zu einer Infektion gekommen sei, belege nicht das Fehlen jeglicher Infektionsgefahr.

Die Beklagte beantragt,

das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält an ihrem Vortrag fest, wegen der ärztlich bestätigten gesundheitlichen Einschränkungen könne sie die aufgetragenen Botengänge nicht erledigen. Organisatorisch könne dies ohne Weiteres durch eine Umverteilung der Tätigkeiten in der Versandabteilung ausgeglichen werden. Entgegen dem Sachvortrag der Beklagtenseite komme die Klägerin auch nicht mit "gefährlichen Proben" in Kontakt. Aufgabe der Klägerin sei es nicht, eingehende Pakete mit Proben zu öffnen und zu bearbeiten, sondern Leergut zu versenden. Hierzu hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht ergänzend ausgeführt, die von ihr zu verpackenden Probengläser würden vom Hersteller bezogen und seien zur Einmalverwendung bestimmt, nicht hingegen handele es sich um bereits einmal verwendete und womöglich unzureichend sterilisierte Probengläser. Der beklagte Verein hat hierauf erwidert, trotz räumlicher Trennung von Laborbereich, Versand und anderen Betriebsbereichen gehe schon vom innerbetriebliche Kontakt - so z.B. zur Personalabteilung - ein nicht vollständig auszuschließendes Gesundheitsrisiko für die Klägerin aus.

Von der weiteren Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen.

Gründe

Die Berufung des beklagten Vereins bleibt ohne Erfolg. Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ist durch die angegriffene Kündigung nicht beendet worden. Die Kammer folgt dem ausführlich und überzeugend begründeten arbeitsgerichtlichen Urteil, auf welches Bezug genommen wird. Die mit der Berufung vorgetragenen Gesichtspunkte rechtfertigen keine abweichende Entscheidung.

1. Auf verhaltensbedingte Gründe kann die Kündigung schon deshalb nicht gestützt werden, weil es jedenfalls an einem vorwerfbaren Verhalten der Klägerin fehlt. Selbst wenn also - entgegen den vorliegenden ärztlichen Bescheinigungen - objektiv keine durchgreifenden Bedenken gegen eine Beauftragung der Klägerin mit Botengängen vorlägen, müsste der Klägerin zu Gute gehalten werden, dass sie sich auf die entsprechenden ärztlichen Einschätzungen verlassen durfte.

2. Zutreffend hat das Arbeitsgericht weiter auch eine fehlende gesundheitliche Eignung der Klägerin verneint. Soweit es die Erledigung von Botengängen betrifft, ist dem durch eine entsprechende Umverteilung der Arbeit Rechnung zu tragen. Für die weitergehende Annahme des beklagten Vereins, wegen bestehender Infektionsgefahren könne die Klägerin überhaupt in einem Laborbetrieb, und zwar auch nicht in der Versandabteilung, eingesetzt werden, fehlt es an einer überzeugenden Begründung. Soweit in der Berufungsbegründung auf die Möglichkeit verwiesen wird, dass sich eingesandte und nicht 100 %-ig korrekt verpackte Proben öffnen könnten, betrifft dies ersichtlich nicht den Versandbereich, in dem nicht Proben eingehen, sondern Probengläser versandt werden. Ebenso wenig geht es darum, dass die Versandabteilung noch nicht verpackte Proben zu verschicken hat, vielmehr werden - wie die Klägerin in der Berufungsverhandlung unwidersprochen vorgetragenen hat - vom Hersteller gelieferte sterile Probengläser versandt, welche zur Einmalverwendung bestimmt sind. Die von den Auftraggebern eingesandten Probengläser werden also nicht etwa nach Sterilisation erneut in Umlauf gebracht. Damit scheidet aber auch das Risiko aus, dass im Falle nicht ordnungsgemäßer Sterilisation der Gläser ein Mitarbeiter der Versandabteilung auf diesem Wege infiziert wird.

Soweit schließlich der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung darauf verwiesen hat, dass trotz der strengen Trennung zwischen Laborbereich und Versand ein Kontakt unter den Mitarbeitern als Ursache einer Infektion in Betracht kommt, in dem etwa gleichermaßen Labormitarbeiter und Mitarbeiter der Versandabteilung die Personalabteilung aufsuchen, kann dem keine besondere Bedeutung beigemessen werden. Geht man davon aus, dass die Labormitarbeiter sowohl im eigenen Interesse wie aber auch zur Vermeidung der Übertragung von Infektionen zu gesteigerter Vorsicht angehalten sind, ist nicht ersichtlich, inwiefern allein durch das Bestehen einer einheitlichen Betriebsorganisation und dem hiermit verbundenen mittelbaren Kontakt der Beschäftigten das Risiko einer Infektion in relevanter Weise gegenüber dem allgemeinen Lebensrisiko gesteigert sein soll, wie es sich bei einem Kontakt unter den Bewohnern eines Mehrfamilienhauses oder beim Einkaufen ergibt. Theoretisch mag es durchaus Fallgestaltungen geben, in denen nach dem konkreten Krankheitsbefund bereits das Risiko jedweden infektiösen Kontaktes wegen der zu erwartenden schweren gesundheitlichen Folgen vermieden werden muss, so dass eine Beschäftigung als Arbeitnehmer gleichsam nur unter Quarantänebedingungen in Betracht kommt. Die vom beklagten Verein beantragte Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Nachweis fehlender gesundheitlicher Eignung der Klägerin käme danach allein unter der Voraussetzung in Betracht, dass eine derartige Extremgefährdung vorläge. Hiervon kann jedoch nach den vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen nicht ausgegangen werden. Auch der Vortrag der Beklagten enthält insoweit keine Anhaltspunkte. Dann ist aber dem arbeitsgerichtlichen Standpunkt beizutreten, dass nach dem festgestellten Sachverhalt eine mangelnde gesundheitliche Eignung wegen spezifischer arbeitsplatzbezogener Gesundheitsgefahren zu verneinen ist.

II. Die Kosten der erfolglosen Berufung hat die Beklagte zu tragen.

III. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 72 ArbGG liegen nicht vor.

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