Hessisches LSG, Beschluss vom 27.03.2013 - L 6 AS 400/12 B ER
Fundstelle
openJur 2013, 20430
  • Rkr:

Der Antrag nach § 37 SGB II ist bedingungsfeindlich. Ein bedingter Antrag kann das Verwaltungsverfahren nicht in Gang setzen. Stellt ein Antragsteller nach dem SGB II einen zunächst wirksam gestellten Antrag unter eine Bedingung - hier, dass der Grundsicherungsträger eine Verarbeitung seiner Daten mittels EDV unterlasse - so macht dies den Antrag jedenfalls insofern unwirksam, als dieser seine Türöffnerfunktion (vgl. BSG Urteil vom 16.5.2012 - B 4 AS 166/11 R m.w.N.) nicht weiter erfüllen kann.

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 18. Mai 2012 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligte haben einander auch für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II).

Der 1960 geborene Antragsteller bezog bis Ende September 2004Leistungen der Arbeitsagentur Kassel. Im August 2004 übersandte die Bundesagentur für Arbeit dem Antragsteller einen Antragsvordruck zur Antragstellung nach dem SGB II mit dem Hinweis, dass nur bei rechtzeitiger Abgabe des Antrags zum 1. Januar 2005 eine Leistungsgewährung erfolgen könne. Im Rahmen eines Gespräches mit seinem Arbeitsvermittler stellte der Antragsteller am 19. Januar 2005 mündlich einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II. Das ihm ausgehändigte Antragsformular reichte der Antragsteller nicht ausgefüllt zurück.

In einem ersten einstweiligen Rechtsschutzverfahren versuchte der Antragsteller eine vorläufige Leistungsgewährung zu erstreiten.Sein Antrag wurde mit Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 12.August 2005 abgelehnt (Az. S 21 168/05 ER) und die hiergegen gerichtete Beschwerde zum Hessischen Landessozialgericht mit Beschluss vom 17. Oktober 2005 zurückgewiesen (Az. L 9 AS 69/05ER), weil der Antragsteller seine Mitwirkungspflichten nach den §§60 ff. Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil (SGBI) nicht erfüllt habe.

Am 1. November 2006 stellte der Antragsteller erneut einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Kassel (Az. S 21 907/06 ER). In einem Erörterungstermin am 20. November 2006 erklärte sich der Antragsteller bereit, „ohne Ausfüllen des Formularantrags gewisse Angaben schriftlich zu machen und die Richtigkeit zu bestätigen“ und nahm anschließend seinen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zurück.

Mit Schreiben vom 23. November 2006 teilte der Antragsteller dem Antragsgegner diverse Daten betreffend Familienstand, Wohnort,Arbeitsfähigkeit mit und erklärte, keine Einkünfte, kein Vermögen,keine Unterhaltsansprüche und keine Ansprüche gegenüber früheren Arbeitgebern zu haben. Er versah diese Angaben mit dem Zusatz „Eine IT-mäßige Erfassung und Erhebung untersage ich Ihnen zwingend“.

Hierauf versagte der Antragsgegner mit Bescheid vom 13. Dezember 2006 Leistungen ab 13. Dezember 2006 mit der Begründung, der Antragsteller sei seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen,und wies den Widerspruch des Antragstellers mit Widerspruchsbescheid vom 15. Februar 2007 zurück. In dem Widerspruchsbescheid wird unter anderem darauf abgehoben, dass zu den wesentlichen Mitwirkungspflichten des Antragstellers sein Einverständnis in die elektronische Verarbeitung seiner Daten gehöre. Ohne die Verarbeitung in der EDV sei nicht nur eine Leistungsberechnung zumindest erschwert. Eine Auszahlung von Leistungen könne dann schlichtweg nicht vorgenommen werden, da auch dazu die Daten des Antragstellers be- und verarbeitet werden müssten.

Die hiergegen am 15. Juli 2008 erhobene Klage wies das Sozialgericht Kassel mit Gerichtsbescheid vom 26. Juni 2008 als unzulässig ab (Az. S 5 AS 201/07). Das Hessische Landessozialgericht hob diesen Gerichtsbescheid sowie die angegriffenen Bescheide mit Urteil vom 23. September 2009 auf, weil der Antragsgegner bei der Versagung der Leistungen nach § 66 SGB Idas ihm eingeräumte Ermessen nicht hinreichend ausgeübt habe (Az. L6 AS 275/08).

Nachdem der Antragsgegner hierauf nicht tätig wurde, erhob der Antragsteller am 23. Dezember 2009 beim Sozialgericht Kassel eine Klage auf Zahlung von Leistungen nach dem SGB II (Az. S 10 AS1408/10), die er in der mündlichen Verhandlung am 30. November 2011zurücknahm.

Auf eine am 30. Dezember 2010 erhobene Untätigkeitsklage (Az. S10 1430/10) verurteilte das Sozialgericht Kassel den Antragsgegner mit Urteil vom 30. November 2011, den Antrag des Antragstellers vom 1. Januar 2005 zu bescheiden. Den Antrag des Antragsgegners auf Tenorberichtigung, wonach das Datum des Antrags auf den 19. Januar 2005 korrigiert werden sollte, lehnte das Sozialgericht mit Beschluss vom 8. Februar 2012 ab.

Hierauf lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 16. Januar 2012 die Gewährung von Leistungen ab 19. Januar 2005 ab, weil der Antragsteller die mit Schreiben vom 6. November 2006 für die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen zwingend erforderlichen und angeforderten Unterlagen nicht vorgelegt habe. Die Versagungsentscheidung wurde wiederum auf die §§ 60 und 66 SGB Igestützt. Der Antragsgegner habe von seinem Ermessen Gebrauch gemacht. Ohne die erforderlichen Angaben könne nicht festgestellt werden, ob bzw. in welcher Höhe ein Anspruch nach dem SGB IIbestehe. Den Widerspruch des Antragstellers wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 2012 zurück. Am 27. März 2012 erhob der Antragsteller hiergegen Klage beim Sozialgericht Kassel (Az. S 13 AS 261/12). Mit weiterem Bescheid vom 14. Februar 2012 lehnte der Antragsgegner die Gewährung von Leistungen ab 1.Januar 2005 ab. Der Widerspruch des Antragstellers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 2012 zurückgewiesen. Hiergegen erhob der Antragsteller am 28. März 2012 Klage (Az. S 13 AS263/12). Die Klageverfahren sind noch anhängig.

Am 27. März 2012 hat der Antragsteller mit seiner Klage auch einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt und beantragt,den Antragsgegner zu verpflichten, dem Antragsteller Leistungen ab sofort zu bewilligen. Er hat vorgetragen, für seine Unterkunft in einer Obdachlosenunterkunft sei keine Miete zu zahlen. Er lebe von minimalen Zuwendungen von Freunden, auch von Lebensmittelproben aus Lebensmittelläden. Fahrten, bspw. nach B-Stadt führe er teilweise per Fahrrad, teilweise per Autostop durch. Der Antragsgegner berufe sich lediglich darauf, dass der Antragsteller die „erforderlichen Unterlagen“ nicht vorgelegt habe. Mit der Frage des menschenwürdigen Existenzminimums habe er sich nicht auseinandergesetzt. Der Antragsteller beruft sich weiter darauf,dass das Sozialgericht Kassel im Verfahren S 10 AS 1430/10ausgeführt habe, ein zureichender Grund für eine Untätigkeit des Antragsgegners folge insbesondere nicht daraus, dass der Antragsteller es dem Antragsgegner untersagt habe, seine Daten IT-technisch zu erfassen und zu erheben.

Das Sozialgericht Kassel hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 18. Mai 2012 abgelehnt und sich zur Begründung darauf gestützt, dass der Antragsteller seine Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 ff. SGB I nicht erfüllt habe. Ein atypischer Ausnahmefall, der den Antragsteller davon dispensieren könnte, den Antragsvordruck des Antragsgegners auszufüllen, sei nicht erkennbar. Weder habe der Antragsteller den Vordruck des Antragsgegners ausgefüllt noch die für die Prüfung eines Leistungsanspruchs notwendigen Angaben schriftlich gemacht.Ungeklärt sei, ob der Antragsteller mit der weiteren Verarbeitung seiner Daten durch den Antragsgegner überhaupt einverstanden sei.Auch habe der Antragsteller, der mittlerweile sieben Jahre ohne Leistungen des Antragsgegners lebe, nicht glaubhaft gemacht, dass sein Bedarf nicht gedeckt sei. Auch aus den Entscheidungen des Hessischen Landessozialgerichts vom 23. September 2009 und des Sozialgerichts Kassel vom 30. November 2011 ergebe sich nichts anderes.

Mit seiner am 18. Juni 2012 eingelegten Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter. Er trägt vor, für seinen Aufenthalt in der städtischen Obdachlosenunterkunft in der A-Straße in A-Stadt an die Stadt keine Miete zu zahlen. Er lebe von Zuwendungen von Freunden.

Im Beschwerdeverfahren hat das Gericht dem Antragsteller mit Schreiben vom 4. Januar 2013 die folgenden Fragen vorgelegt:

1. Was ist der Familienstand des Beschwerdeführers?2. Ist der Beschwerdeführer seiner Einschätzung nach gesundheitlich in der Lage, eine Tätigkeit von mindestens drei Stunden täglich auszuüben?3. Befindet sich der Beschwerdeführer zurzeit oder demnächst in einer stationären Einrichtung?4. Lebt der Beschwerdeführer in der Unterkunft A-Straße in A-Stadt mit anderen Personen zusammen, wenn ja, mit wem?5. Wie hoch sind die Zuwendungen von Freunden und Bekannten monatlich? Was ist der Rechtsgrund dieser Zuwendungen?6. Ist der Beschwerdeführer bei einer gesetzlichen Krankenkasse versichert, wenn ja, bei welcher? Wenn nein, ist der Beschwerdeführer privat krankenversichert? Wie werden die Beiträge getragen?7. Hat der Beschwerdeführer Unterhaltsansprüche gegen andere Personen? Wenn ja, gegen wen und in welcher Höhe?8. Wie lautet die Bankverbindung des Beschwerdeführers?

Der Antragsgegner hat vorgetragen, der Antragsteller verweigere kategorisch eine Einwilligung in die Erhebung und Verarbeitung seiner Daten mittels EDV. Diese Einwilligung sei allerdings unerlässlich, da es ohne diese dem Antragsgegner nicht möglich sei,die Daten in die Software einzugeben, den Leistungsanspruch zu ermitteln und die Leistungen auszuzahlen. Spätestens bei der Zahlung müsse die Zahlung verbucht werden.

Das Gericht hat den Antragsteller mehrfach aufgefordert,mitzuteilen, ob er weiterhin einer Verarbeitung seiner Daten ablehne und darauf hingewiesen, dass auch das Gericht die Daten des Antragstellers speichere und verarbeite.

Hierauf hat der Antragsteller mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 12. Februar 2013 Angaben zu den gestellten Fragen gemacht. Der Antragsteller sei ledig und nach seiner Einschätzung gesundheitlich in der Lage, täglich eine Tätigkeit von mindestens 3 Stunden auszuüben. Er befinde sich weder zur Zeit noch demnächst in einer stationären Einrichtung. Er lebe in der Unterkunft A-Straße, A-Stadt alleine. Die Zuwendungen von Freunden und Bekannten monatlich bestünden einerseits darin, dass der Antragsteller zum Essen eingeladen werde. An Geld bekomme er monatlich 40,00 € bis 50,00 Euro. „Rechtsgrund“dieser Zuwendungen sei die freundschaftliche Beziehung des Antragstellers zu diesen Personen. Der Antragsteller sei nach wie vor bei der DAK versichert, privat versichert sei er nicht.Beiträge würden seit längerer Zeit überhaupt nicht gezahlt, hier mache die DAK „Mahnpositionen“ in vierstelliger Höhe geltend. Unterhaltsansprüche gegen andere Personen habe der Antragsteller nicht. Der Antragsteller habe keine Bankverbindung und kein Konto. Der Antragsteller erklärt weiter, dass er darauf vertraue, dass seine Daten beim Hessischen Landessozialgericht optimal geschützt seien.

Mit Schreiben vom 28. Februar 2013 hat der Senat den Antragsteller letztmalig um Mitteilung gebeten, ob sich der Antragsteller mit einer Verarbeitung seiner Daten durch den Antragsgegner einverstanden erkläre. Ohne dieses Einverständnis werde sich eine Auszahlung an den Antragsteller, auch im Wege einer Barauszahlung, nicht durchführen lassen.

Nachdem der Antragsgegner erklärt hatte, mit der Beantwortung der vom Gericht gestellten Fragen ändere sich nichts an dem grundsätzlichen Problem, dass der Antragsteller sein Einverständnis mit der Verarbeitung seiner Sozialdaten durch den Antragsgegner verweigere, hat der Antragsteller selbst mit Schreiben vom 11. März 2013 geantwortet: „Sobald alle Beteiligten jederzeit und stets in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Vorschriften im Sinne des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnologie (BSI)gehandelt haben und handeln werden und die EDV- bzw.IT-Beauftragten lückenlos nachgewiesen haben und auch zukünftig sicherstellen, sowie der Datenschutzbeauftragte des Bundes die Richtigkeit zwingend bestätigt hat und der öffentliche Dienst als auch deren externe Dienstleister ihrer Nachweispflicht nachgekommen sind – es besteht Dokumentationspflicht – bin ich gerne bereit mein Einverständnis, um meinen formlosen Antrag vom 31.Dezember 2004, per Fax und persönlichen Einwurf in den Briefkasten am Fuße der Treppe des Haupteingangs im B-Straße, AA A-Stadt,Mandatsübernahme durch Sie (Rechtsanwalt B., B-Stadt) am 30. April 2005 mit dem Zusatzblatt des 10-seitigen ALG II Antrages (das Ausfüllen ist eine Kannmöglichkeit) zu erteilen.“

In einem weiteren Schreiben vom 18. März 2013 teilte der Antragsteller mit, dass er am 30. November 2011 beim Sozialgericht Kassel nur einer einmaligen ungeprüften Datenverarbeitung zugestimmt habe, die die C-Straße in A-Stadt – seinen Wohnsitz bei Antragstellung im Jahr 2005 bis zu seiner Übersiedlung im Jahr 2009 oder 2010 in die Obdachlosenunterkunft in der A-Straße - als Antragswohnsitz voraussetzte.

Der Antragsteller beantragt,

in Abänderung des angegriffenen Beschlusses den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB II ab 27. März 2012 zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Antragsgegner verweist darauf, dass ohne ein Einverständnis des Antragstellers in die Verarbeitung seiner Daten eine Bearbeitung seines Antrags nicht möglich sei.

Wegen des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Gerichtsakten der abgeschlossenen und laufenden im Tatbestand erwähnten Verfahren sowie der beigezogenen, den Kläger betreffenden Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen, die Grundlage dieser Entscheidung sind.

II.

Die zulässige, insbesondere auch fristgerecht erhobene Beschwerde ist nicht begründet.

Nach § 86 b Absatz 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die einstweilige Anordnung darf grundsätzlich die endgültige Entscheidung nicht vorwegnehmen. Deshalb ist es in der Regel nicht zulässig, eine Behörde zum Erlass eines im Hauptverfahren beantragten Verwaltungsakts zu verpflichten. Bei Ermessensentscheidungen der Verwaltung ist eine einstweilige Anordnung nur möglich, wenn nur eine bestimmte Entscheidung ermessensgerecht sein kann.

Voraussetzung der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist damit das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs, also eines materiell-rechtlichen Anspruchs auf die Leistung, und eines Anordnungsgrundes, nämlich eines Sachverhalts, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet.

Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht isoliert nebeneinander, es besteht eine Wechselbeziehung der Art, dass die Anforderung an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils zu verringern sind und umgekehrt. Wenn danach die Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist, ist ein Recht, das geschützt werden muss,nicht vorhanden. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist dann, auch wenn ein Anordnungsgrund gegeben ist,abzulehnen. Es handelt sich insgesamt um ein im funktionalen Zusammenhang stehendes bewegliches System (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 86b Rn. 27und 29 m.w.N.).

Bei einem offenen Ausgang der Hauptsache ist wiederum eine Interessenabwägung erforderlich. Es sind hierbei die Folgen abzuwägen, die auf der einen Seite entstehen würden, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung nicht erließe, sich jedoch im Hauptsacheverfahren herausstellt, dass der Anspruch besteht, und auf der anderen Seite entstünden, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung erließe, sich aber im Hauptsacheverfahren herausstellt,dass der Anspruch nicht besteht.

Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen. Dabei ist, soweit im Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf mangelnde Erfolgsaussichten abgestellt wird,die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Die Glaubhaftmachung bezieht sich im Übrigen lediglich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruches und des Anordnungsgrundes.

Hier fehlt es schon an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs.

Voraussetzung eines Anspruchs nach dem SGB II ist ein Antrag (§37 SGB II). Der Antrag nach dem SGB II ist eine einseitige empfangsbedürftige öffentlich-rechtliche Willenserklärung, auf die die Regelungen des bürgerlichen Rechts (§§ 130 ff. Bürgerliches Gesetzbuch - BGB) entsprechend Anwendung finden, soweit sich nicht aus sozialrechtlichen Bestimmungen – etwa § 11 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X), §36 SGB I - etwas anderes ergibt (BSG, Urteil vom 28. Oktober 2009 -B 14 AS 56/08 R - juris Rn. 14;BSG, Urteil vom 23. März 2010 - B 14 AS 6/09 R - juris Rn.15).

Der Antragsteller hat am 19. Januar 2005 mündlich und zunächst bedingungslos einen Antrag gestellt. Der auf diesen Antrag ergangene Ablehnungsbescheid vom 16. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Februar 2012 ist Gegenstand des beim Sozialgericht Kassel anhängigen Klageverfahrens S 13 AS 261/12.

Das Gesetz sieht keine bestimmte Form für die Antragstellung vor. Es gilt der Grundsatz der Nichtförmlichkeit des Verwaltungsverfahrens nach § 9 SGB X. Die Willenserklärung „Antrag“ kann schriftlich, mündlich und in jeder anderen vom BGB zugelassenen Form abgegeben werden (BSG, Urteil vom 28. Oktober 2009 - B 14 AS 56/08 R – juris Rn. 14; LSGNiedersachsen-Bremen, Urteil vom 21. September 2011 - L 7 AS 262/09– juris Rn. 19; Striebinger in Gagel SGB II, 2012, § 37 Rn.46). Der Antragsteller ist insbesondere nicht verpflichtet, zur Antragstellung den Antragsvordruck des Leistungsträgers zu benutzen. Es reicht daher aus, wenn der erwerbsfähige Leistungsberechtigte deutlich macht, dass er Leistungen der zuständigen Träger beanspruchen möchte. Das Ausfüllen des Antragsvordrucks konkretisiert dann den bereits formlos gestellten Antrag. Der Antrag gilt auch als wirksam gestellt, wenn das Antragsformular noch nicht ausgefüllt oder unvollständig ist und Unterlagen nachgereicht werden müssen (vgl. LSGNiedersachsen-Bremen, Urteil vom 21. September 2011 - L 7 AS262/09 - juris Rn. 19). Im Rahmen des durch den – formlos gestellten - Antrag eröffneten Verwaltungsverfahrens treffen sowohl die Behörde wie auch den Antragsteller bestimmte Pflichten, die im Einzelnen im SGB I und SGB X normiert sind. Der Grundsicherungsträger muss im Rahmen seiner Amtsermittlung (§ 20SGB X) gemäß § 16 Abs. 3 SGB I darauf hinwirken, dass der Antragsteller unverzüglich klare und sachdienliche Anträge stellt und unvollständige Angaben ergänzt. Weiterhin treffen den Grundsicherungsträger gemäß §§ 14 ff SGB I weitgehende Beratungs-und Aufklärungspflichten. Dem korrespondiert die Verpflichtung des Antragstellers, im Verwaltungsverfahren mitzuwirken. Im Rahmen dieser Mitwirkungspflicht kann nach § 60 SGB I von dem Antragsteller verlangt werden, bestimmte Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder

ihrer Vorlage zuzustimmen (§ 60 Abs 1 Nr 3 SGB I; zur Vorlagepflicht von Kontounterlagen BSG, Urteil vom 19. September 2008 – B 14 AS 45/07 R, juris = BSGE 101, 260 = SozR 4-1200 §60 Nr 2).

Gemäß § 60 Abs 2 SGB I kann der Leistungsträger vom Antragsteller verlangen, bestimmte Vordrucke - wie etwa das Antragsformular - zu benutzen und dieses ausgefüllt vorzulegen (BSG, Urteil vom 28. Oktober 2009 – B 14 AS 56/08 R, juris Rn. 16; a.A. Schoch in LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011 § 37 Rn. 10).

Hier hat der Antragsteller zwar den Vordruck nach wie vor nicht ausgefüllt, aber durch die Beantwortung der vom Gericht gestellten Fragen während des Verfahrens auf einstweiligen Rechtsschutz die Angaben gemacht, die er im üblichen Ablauf im Antragsformular jedenfalls hätte machen müssen. Zusammen mit den schon vorher gemachten Angaben zur Bedürftigkeit wurde der Leistungsträger dadurch in die Lage versetzt werden, die Anspruchsvoraussetzungen zu prüfen. Dazu sind hier nicht alle Angaben erforderlich, die etwa im Antragsvordruck der Bundesagentur für Arbeit abgefragt werden.Auch wenn ein Antragsformular des Leistungsträgers benutzt wird,muss dieses nur nach § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB I insoweit ausgefüllt werden, wie die Angaben für die Feststellung des Leistungsanspruches erheblich und daher erforderlich sind (Aubel in jurisPK SGB II, 3. Aufl. 2012, § 37 Rn. 49). Die Nichtverwendung des Antragsformulars macht den Antrag nicht unwirksam (Schoch in LPK-SGB II, 4. Aufl 2011 § 37 Rn. 10; Burkiczak in BeckOK, SGB II,Stand 1.3.2013, § 37 Rn. 10; Aubel in jurisPK SGB II, 3. Aufl.2012, § 37 Rn. 24).

Stellt eine Person wie hier der Antragsteller – wirksam – formlos einen Antrag, weigert sich aber nach Antragstellung, das Formular der Behörde auszufüllen, macht aber in eindeutiger und für die Behörde leicht zu erfassender Weise alle zur Beurteilung eines Leistungsanspruchs notwendigen Angaben, so muss der Leistungsträger den Antrag bearbeiten und bei Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen Leistungen gewähren.

Hier hat der Antragsteller im laufenden Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz alle vom Gericht gestellten Fragen beantwortet. Nach den vom Antragsteller gemachten Angaben ist jedenfalls nach summarischer Prüfung davon auszugehen, dass ein Leistungsanspruch nach § 7 SGB II in Höhe des Regelbedarfs nach §20 SGB II besteht. Da der Antragsteller nach eigenem Vortrag alleine kostenlos in einer Obdachlosenunterkunft wohnt, reicht zur Wohnsituation diese Angabe, da Kosten der Unterkunft nicht zu berechnen sind.

Jedoch kommt, ohne dass man sich näher mit der Glaubhaftigkeit der gemachten Angaben des Antragstellers auseinandersetzen müsste,eine Verpflichtung des Antragsgegners im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu Zahlungen nicht in Betracht, weil der Antragsteller mit seiner Vorgabe, eine Speicherung und Verarbeitung seiner Daten durch den Antragsgegner dürfe nicht erfolgen, die Durchsetzung seines Anspruchs selbst verhindert.

Der Datenschutz wird über die Datenschutzgesetze des Bundes und der Länder gewährleistet. Die Verarbeitung von Sozialdaten und deren Nutzung ist nur zulässig, soweit die Regelungen der §§ 67 ff.SGB X oder andere Vorschriften im Sozialgesetzbuch, insbesondere die §§ 50 – 52a SGB II, es erlauben oder anordnen oder soweit der Betroffene eingewilligt hat (§ 67b Abs. 1 SGB X).

Damit ist der Antragsgegner nach der gesetzlichen Rechtslage nicht gehindert, im Rahmen der Gesetze die Sozialdaten des Antragstellers zu verarbeiten, auch wenn der Antragsteller in diese Datenverarbeitung nicht eingewilligt hat. In diesem gesetzlichen Rahmen gibt es keinen Anspruch gegen den Staat, dass die Sozialverwaltung sich der Mittel der modernen Leistungsverwaltung,also auch der Datenverarbeitung, nicht bedient. Vielmehr unterliegt der Antragsgegner u.a. nach § 50 Abs. 3 SGB II Pflichten zur Datenverarbeitung.

Hier hat der Antragsteller allerdings nicht nur nicht ausdrücklich in die Verarbeitung seiner Sozialdaten eingewilligt,sondern sich mit Schreiben vom 23. November 2006 ausdrücklich gegen eine Verarbeitung seiner Daten mittels EDV verwahrt und eine Bearbeitung seines Antrags ohne Speicherung seiner Daten verlangt.Hierin liegt eine Bedingung. Der Antrag nach § 37 SGB II ist jedoch bedingungsfeindlich. Wegen seiner konstitutiven Wirkung (vgl. dazu Gesetzesbegründung BT-Drs 15/1516, S 62;BSG, Urteil vom 23. März 2010 - B 14 AS 6/09 R - juris Rn. 15)kann der Antrag als geschäftsähnliche Handlungqualifiziert werden,die nach demRechtsgedanken des § 388 S. 2 BGB ebenso wie eine Prozesshandlung bedingungsfeindlich ist. Wird der Antrag wie hier nachträglich unter Bedingung gestellt, dass der Leistungsträger die Verarbeitung der Sozialdaten mittels EDV unterlasse, so liegt ein bedingter Antrag vor, der aus diesem Grunde das Verwaltungsverfahren nicht in Gang bzw. fortsetzen kann.

Da der Antragsteller weiterhin einer Verarbeitung seiner Daten nicht zustimmt, sondern u.a. verlangt, dass „der Datenschutzbeauftragte des Bundes die Richtigkeit zwingend bestätigt“ – ein Verlangen, für das es keine Rechtsgrundlage gibt -, macht der Antragsteller die Bearbeitung seines Antrags, der grundsätzlich das Verwaltungsverfahren einleitet, in dem der Leistungsträger das Bestehen des Leistungsanspruchs ab diesem Zeitpunkt zu prüfen und zu bescheiden hat (sog. „Türöffnerfunktion“, BSG, Urteil vom 22. März 2010 – B 4 AS 62/09 R - juris Rn. 14; BSG, Urteil vom 18.Januar 2011 - B 4 AS 99/10 R – juris Rn. 17; BSG, Urteil vom 16. Mai 2012 - B 4 AS 166/11 R, juris Rn. 15), von der Erfüllung einer Bedingung abhängig. Das macht seinen Antrag -solange die Bedingung aufrechterhalten wird - jedenfalls insofern unwirksam, als der Antrag seine „Türöffnerfunktion“nicht weiter erfüllen kann.

Nachdem das einstweilige Rechtsschutzverfahren nun fast ein Jahr gedauert und der Antragsteller durch seine kategorische Ablehnung einer Verarbeitung seiner Daten eine Bearbeitung seines Antrags verhindert hat, sind auch Zweifel an der Dringlichkeit des Begehrens des Antragstellers und damit am Bestehen eines Anordnungsgrundes angebracht. Der Antragsteller hat es selbst in der Hand durch die Erklärung seines Einverständnisses mit der Verarbeitung seiner Daten, die der Antragsgegner nur im Rahmen der §§ 50 bis 52a SGB II erheben, verarbeiten und nutzen darf, nach über acht Jahren und einer Vielzahl von Rechtsstreiten das Hindernis für eine Leistungsgewährung durch den Antragsgegner aus dem Weg zu räumen.

Die Voraussetzungen für die beantragte Anordnung sind nach allem nicht erfüllt. Der Antrag war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177SGG).

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