OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11.06.2012 - 12 B 458/12
Fundstelle
openJur 2013, 16755
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwer-deverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass sich schon eine Beeinträchtigung von Rechten der Antragstellerin als Voraussetzung sowohl für einen Anordnungsanspruch als auch für einen Anordnungsgrund, wie sie der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO fordert, nicht feststellen lässt. Gegen die überzeugenden Gründe des Verwaltungsgerichts, die sich der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen zu eigen macht, dringt die Antragstellerin mit ihrem Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, nicht durch.

Die Antragstellerin kann demgegenüber nicht mit Erfolg geltend machen, das Verwaltungsgericht sei im Hinblick auf ihre Kernbehauptung,

die Antragsgegnerin habe in ihrem Zuständigkeitsbereich ein Konzept der Sozialraumorientierung im Bereich der Hilfen zur Erziehung unter Beteiligung der Beigeladenen implementiert, stelle im Rahmen dieses Konzeptes den Beigeladenen pauschale Mittel aus einem der Sache nach begrenzten Budget zur Verfügung und erschwere dadurch den weiteren im Sozialraum tätigen Trägern - wie gerade auch ihr - den Marktzugang in erheblichen Umfang bzw. mache ihn teilweise auch unmöglich,

seiner Aufklärungspflicht nach § 86 VwGO nicht nachgekommen. Der Amtsermittlungsgrundsatz nach § 86 VwGO gilt zwar auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren und tritt lediglich dort zurück, wo eine Überprüfung ohne weitere Tatsachenermittlung der Eilbedürftigkeit der Sache geschuldet ist.

Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 8. Mai 2012 - 12 B 499/12 -, Beschluss vom 11. Juni 2008 - 13 C 170/08 , jeweils mit Hinweis auf BVerfG, Kammerbeschluss vom 31. März 2004 - 1 BvR 356/04 , NVwZ 2004, 1112, juris.

Das Verwaltungsgericht hat - über die allenfalls rudimentären Belege der Antragstellerin hinaus - von der Antragsgegnerseite Unterlagen angefordert und diese zusammen mit den Einlassungen der Antragstellerin, der Antragsgegnerin und der Beigeladenen ausgewertet. Danach ist zwar auf der einen Seite die Fortgeltung des alten Delegationsvertrages zwischen der Antragsgegnerin und den Beigeladenen, durch den die Antragstellerin keine Nachteile erlitten haben will, offen, auf der anderen Seite sind jedoch auch belastbare Anhaltspunkte dafür, dass ein neuer für die Antragstellerin nachteiliger Delegationsvertrag geschlossen worden ist, nicht zu erkennen. Das Verwaltungsgericht ist bei dieser Sachlage der Frage einer Ersetzung dieser Vereinbarung als Grundlage für die Zusammenarbeit der Antragsgegnerin mit den Beigeladenen durch einen neuen Vertrag, der nunmehr für die Antragstellerin Wettbewerbsnachteile mit sich bringen würde, zulässigerweise nicht weiter nachgegangen. Der Amtsermittlungsgrundsatz geht nicht soweit, dass das Gericht der bloßen Unterstellung des Vorliegens von Tatsachen nachgehen müsste, denen die Gegenseite mit nichts anderem als einem Bestreiten entgegentreten kann.

Vor diesem Hintergrund geht es auch ins Leere, wenn die Antragstellerin mit ihrer Beschwerdebegründung unter Aufstellung der bloßen - wiederum unbelegten - Behauptung einer Pauschalfinanzierung von Einzelfallhilfen durch die Antragsgegnerin ihre eigene rechtliche und tatsächliche Würdigung des Streitstoffes an die Stelle der gerichtlichen Wertung setzt. Das Verwaltungsgericht hat nämlich auch insoweit unter Auseinandersetzung mit den entsprechenden Einlassungen der Beteiligten und den beigezogenen Unterlagen in nicht zu beanstandender Weise die Feststellung getroffen, dass sich keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Vereinbarung eines Sozialraumbudgets, wie es dem Oberverwaltungsgericht für das Land Niedersachsen im Verfahren 4 ME 306/09 zur Entscheidung vorlag,

Vgl. Beschluss vom 9. Juli 2010, JAmt 2011, 102 (204), wonach seinerzeit die Vergütung für Einzelfallmaßnahmen zu Lasten des dem Sozialraumträgers zugewiesenen Budget gingen,

finden ließen. Die Spekulation der Antragstellerin, es sprächen "harte Indiztatsachen" für eine Sozialraumbudgetierung in dem Sinne, dass pauschale Zuwendungen von Mitteln aus dem - durch die Fallzahlen in der Region begrenzten - Jugendhilfehaushalt an einzelne freie Träger für die Durchführung von Einzelhilfen erfolgen, lässt sich an keiner Stelle konkret festmachen. Die Antragstellerin lässt völlig außer Acht, dass den anerkannten freien Trägern der Jugendhilfe nach den übereinstimmenden Angaben der Antragsgegnerin und des Beigeladenen zu 3. ein Budget lediglich für die fallunabhängige "Vorfeldarbeit" zur Verfügung gestellt wird. Außerdem könnte selbst eine haushaltsrechtliche Budgetierung der Kosten für Einzelfallmaßnahmen weder den Anspruch der Hilfebedürftigen auf derartige Hilfeleistungen beschränken noch das Absenken der Angebotspreise der freien Träger als Leistungserbringer solcher Leistungen unter eine nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu kalkulierende Schwelle erzwingen. Die ergänzenden Argumente, die die Antragstellerin zum angeblichen Sozialraumbudget mit ihrer Beschwerde vorgetragen hat, liegen neben der Sache oder erschöpfen sich in bloßen Mutmaßungen, denen ein Gericht nicht nachgehen muss. So dürften Personalkosten, die den Beigeladenen durch ihre Beteiligung an der Konzeptentwicklung und -umsetzung entstehen, regelmäßig durch die

- nicht fallbezogene - Förderung nach § 74 SGB VIII aufgefangen werden.

Der Behauptung der Antragstellerin, zu der geltend gemachten "Pauschalfinanzierung von Einzelfällen" über eine interne Quelle zu verfügen, die jedoch nicht genannt werden könne, kommt für sich genommen kein Erkenntniswert zu. Wollte man sie zum Anlass einer weiteren Sachverhaltsaufklärung nehmen, liefe dies auf die Zulassung eines Ausforschungsbeweises hinaus.

Vgl. zur Unzulässigkeit eines Ausforschungsbeweises: BVerwG, Beschluss vom 6. Januar 2011 - 4 B 51.10 -, juris; Beschluss vom 13. Juni 2007 - 4 BN 6.07 -, BRS 71 Nr. 49.

Das Verwaltungsgericht hat sich schließlich auch in vertretbarer Weise damit auseinandergesetzt, ob nicht schon die bloße Einteilung der Stadt in Sozialräume und die Bildung von Sozialraumteams unter Beteiligung der Beigeladenen zu einer Wettbewerbsbenachteiligung der Antragstellerin führt und ihr deshalb hier einen durch einstweilige Anordnung durchsetzbaren Unterlassungsanspruch verschafft. Zwar kann die Einräumung von Mitentscheidungsbefugnissen für die Sozialraumträger bei der Entscheidung über die Hilfe im Einzelfall eine wettbewerbsrelevante erhebliche Benachteiligung des privatgewerblichen Anbieters zur Folge haben, die einen Verstoß des Konzeptes gegen Art. 12 GG bedeuten würde.

Vgl. OVG Niedersachsen, Beschluss vom 9. Juli 2010 - 4 ME 306/09 -, JAmt 2011, 102 (104).

Trotz der von der Antragsgegnerin beteuerten Trennung von Leistungsbewilligung und Leistungserbringung schließt die Beratung und Begleitung von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien nach § 16 SGB VIII im bloßen Vorfeld von Hilfen nach § 27 ff. SGB VIII, anlässlich derer das Sozialraumteam unter Beteiligung von Vertretern gerade auch der Beigeladenen im Rahmen von Fachgesprächen einen Vorschlag über die einzuleitende Hilfe erarbeitet,

vgl. zu dieser Vorgehensweise: Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 28. November 2011 in Beantwortung der gerichtlichen Verfügung vom 11. November 2011, Gerichtsakte Bl. 106 (110 f),

die Eröffnung einer - rechtlich bedenklichen - Möglichkeit der Steuerung des Entscheidungsprozesses des Leistungsadressaten, welches der bedarfsgerechten Leistungsangebote verschiedener Anbieter er letztlich annimmt, nicht aus. Die Auffassung des Beigeladenen zu 3., dass die Mitwirkung von Vertretern bei Beigeladenen in den Sozialraumteams "prima facie" nichts mit einer steuernden Einflussnahme auf den Markt zu tun habe, greift insoweit zu kurz. Im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes reicht aber die bloße - der Nachprüfung im Hauptsacheverfahren bedürfende - Möglichkeit einer objektiven Rechtswidrigkeit des praktizierten Konzeptes nicht aus, um insoweit durch eine Untersagung, dieses insgesamt oder teilweise weiterzuverfolgen, die Hauptsache vorweg zu nehmen. Das für eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO grundsätzlich geltende Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache kann im Einzelfall nur überwunden werden, wenn durch das Abwarten der Hauptsacheentscheidung für den Antragsteller schwere und unzumutbare, anders nicht anwendbaren Nachteile entstehen würden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Dabei ist der Bedeutung der jeweils betroffenen Grundrechte und den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes Rechnung zu tragen.

Vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 30. April 2008

- 2 BvR 338/08 -, juris.

Gemessen hieran ist es unter dem Gesichtspunkt der von Sozialwissenschaftlern propagierten Vorteile eines sozialraumorientierten Jugendhilfekonzeptes für die Hilfesuchenden selbst und in Anbetracht der erhofften positiven Auswirkungen auf einen möglichst effektiven Einsatz öffentlicher Jugendhilfemitteln nicht zu beanstanden, wenn das Verwaltungsgericht vorliegend maßgeblich darauf abgestellt hat, ob sich in Folge des möglicherweise zu missbilligenden Verhaltens der Antragsgegnerin und der Beigeladenen bereits eine Wettbewerbsbenachteiligung der Antragstellerin feststellen lässt. Die diesbezügliche Sachverhalts- und Beweiswürdigung ist von der Antragstellerin mit der Beschwerde indes nicht substantiiert angegriffen worden.

Die von der Antragstellerin thematisierte rechtspolitische Akzeptanz, die die vom Institut für T. (J. ), F. , unter Mitarbeit von Prof. Dr. I. entwickelten Steuerungsmodelle derzeit finden, besitzt für das vorliegende Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes keine erkennbare Aussagekraft, zumal nicht ohne weiteres davon auszugehen ist, dass das von der Antragsgegnerin praktizierte Konzept in den neuralgischen Punkten mit denen identisch ist, die von der Rechtsprechung in der Vergangenheit verworfen worden sind. Der Vorwurf, die Kommunen würden von ihren Beratern lediglich zur Verschleierung der rechtlichen Grundlagen und der Ausgestaltung ihrer Konzepte im einzelnen veranlasst, ist pauschal und nicht fundiert. Es steht nicht in Frage, dass sich die Antragstellerin als Jugendhilfeträgerin um die Einhaltung von Recht und Gesetz bemüht. Der Umstand allein, dass das von Prof. Dr. I. entwickelte Sozialraumsteuerungsmodell - wie beim Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin - auf fachinterne Kritik und Ablehnung stößt, rechtfertigt für sich nicht den Verdacht, die Antragsgegnerin würde sich mit einer Wahl für dieses oder ein ähnliches Modell schon über die aus Art. 20 Abs. 3 GG hervorgehende Bindung an Gesetz und Recht hinwegsetzen. Bezeichnenderweise weist der Beigeladene zu 3. als Teil einer bundesweit aufgestellten Organisation darauf hin, dass seit längerem von keiner Kommune mehr versucht worden sei, das von Prof. Dr. I. vorgeschlagene Konzept in seiner ursprünglichen Form zu realisieren. Auch vorliegend solle die vom KSD der Antragsgegnerin praktizierte Fallvergabe gewährleisten, dass eine Beratung des Leistungsempfängers hinsichtlich der Auswahl der leistungserbringenden Stelle auf der Basis einer allein an sachlichen und fachlichen Kriterien orientierten Entscheidung des öffentlichen Trägers über die vorzuschlagenden Leistungserbringer erfolge und mithin kein in Betracht kommender Träger von vornherein ausgeschlossen werde.

Die Argumentation der Antragstellerin, inwieweit auch die Tätigkeit eines nicht auf Gewinnerzielung gerichteten Trägers von Art. 12 Abs. 1 GG geschützt wird, geht für den vorliegenden Streitfall ins Leere, weil es sich bei der Antragstellerin um einen privatgewerblichen Träger der Jugendhilfe handelt. Ebenso wenig kommt es vorliegend auf die theoretisierenden Ausführungen der Antragstellerin über den Schutz des Art. 12 GG vor allen planenden und insoweit den Wettbewerb verändernden Tätigkeiten an, die die öffentlichen Träger gegenüber den privaten und privatgewerblichen Trägern auf dem Gebiet des Leistungserbringungsrechts entfalten. Das Verwaltungsgericht ist im Ergebnis vielmehr zu Recht davon ausgegangen, dass jedenfalls kein solcher Eingriff in Art. 12 GG zu verzeichnen ist, der eine der hier beantragten Eilmaßnahmen verlangt. Zumindest insoweit würde es hier nicht allein ausreichen, dass das von der Antragsgegnerin praktizierte Steuerungsmodell nur objektiv wegen eines Eingriffs in den Schutzbereich des Art. 12 GG rechtswidrig ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO. Es entspricht nicht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären, weil auch der Beigeladene zu 3. im Beschwerdeverfahren keinen Antrag gestellt und sich damit nicht selbst am Kostenrisiko beteiligt hat (§§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).

Der Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.