BVerfG, Beschluss vom 28.07.2008 - 2 BvR 1347/08
Fundstelle
openJur 2013, 25768
  • Rkr:
Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Gründe

Die mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene Verfassungsbeschwerde betrifft die Auslieferung des Beschwerdeführers in die USA zum Zweck der Strafverfolgung.

I.

1. Der Beschwerdeführer ist niederländischer Staatsangehöriger. Gegen ihn besteht ein Haftbefehl des Bezirksgerichts San Diego. Die Anklagejury wirft dem Beschwerdeführer unter anderem vor, ?Netzbetrug? begangen zu haben. Dieser Straftatbestand nach Titel 18, Art. 1343 des United States Code erfasst die Verabredung zum Betrug unter Verwendung bestimmter Kommunikationsmittel. Der Beschwerdeführer habe sich von Spanien aus per e-mail, Telefon und Fax mit anderen Beschuldigten, die von einem Büro in San Diego aus operierten, zum Anlagebetrug verabredet. Das Auslieferungsersuchen führt die Kontakte zwischen den Beschuldigten in Spanien und San Diego auf und schildert das System, mit dem Anleger durch die Firma M., deren Geschäftsführer und Berater der Beschwerdeführer gewesen sei, unter Vorspiegelung falscher Tatsachen geworben und beispielsweise zu Investitionen in wertlose Aktien bestimmter Unternehmen veranlasst worden seien. Die Auslieferungsunterlagen führen allerdings weder die Betrugsopfer noch die angelegten Vermögenssummen auf.

In Spanien wurde ein US-amerikanisches Auslieferungsersuchen durch eine Entscheidung des Spanischen Strafgerichtshofs (Audiencia nacional) vom 25. Juli 2006 abgewiesen. Der Gerichtshof sah die Auslieferungsunterlagen nach dem maßgeblichen Auslieferungsabkommen zwischen den USA und Spanien als unzureichend an, insbesondere weil der Vorwurf einer in den USA begangenen Straftat nicht hinreichend dargelegt sei.

Anlässlich eines Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland wurde der Beschwerdeführer vorläufig in Auslieferungshaft genommen. Mit dem angegriffenen Beschluss vom 23. Juni 2008 ordnete das Oberlandesgericht München die Haftfortdauer an und erklärte die Auslieferung zur Strafverfolgung für zulässig. Das Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit sei erfüllt, da dem Beschwerdeführer die in San Diego begangenen Straftaten zuzurechnen seien. Die vorgeworfene Tat sei hinreichend konkretisiert und auch in Deutschland als Betrug verfolgbar. Anders als vom Beschwerdeführer vorgetragen sei der in Art. 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens (Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 19. Juni 1990, BGBl 1993 II S. 1013 - im Folgenden: SDÜ) niedergelegte Grundsatz des ?ne bis in idem? nur bei rechtskräftigen Aburteilungen anwendbar, nicht aber bei der Ablehnung des Auslieferungsersuchens durch Spanien. Die gerügte Verletzung von Art. 16 Abs. 2 GG in Verbindung mit dem Diskriminierungsverbot nach Art. 12 Abs. 1 EGV sei ebenfalls nicht feststellbar, sodass auch für eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) keine Veranlassung bestehe.

2. Der Beschwerdeführer hat Verfassungsbeschwerde erhoben und einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Er rügt Willkür bei der Feststellung des Tatorts und der gegenseitigen Strafbarkeit nach Art. 1 und 2 des Auslieferungsvertrages zwischen den USA und Deutschland vom 20. Juni 1978 in der Fassung des Zusatzvertrages vom 21. Oktober 1986 (BGBl 1980 II S. 646; BGBl 1988 S. 1086 - im Folgenden: Auslieferungsvertrag) und bei der Auslegung von Art. 54 SDÜ. Ferner rügt er eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG wegen Nichtvorlage an den EuGH.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Weder kommt ihr grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.

1. Die angegriffene Entscheidung verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Eine willkürliche Auslegung und Anwendung von einfachem Recht ist nicht ersichtlich.

Das Bundesverfassungsgericht prüft in Auslieferungsverfahren, ob die Rechtsanwendung oder das dazu eingeschlagene Verfahren unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 80, 48 <51>; 108, 129 <137>; 109, 13 <33>; 109, 38 <59>; BVerfGK 2, 165 <173>; 6, 334 <342>). Hierbei macht eine fehlerhafte Auslegung eines Gesetzes für sich allein eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Willkür liegt vielmehr erst vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder der Inhalt einer Norm in krasser Weise missdeutet wird (vgl. BVerfGE 87, 273 <279>).

Um eine in diesem Sinne willkürliche Entscheidung handelt es sich nicht, wenn bei einer Tatbeteiligung mehrerer Personen auch derjenige Ort als Tatort im Sinne von Art. 1 Abs. 1 des Auslieferungsvertrages angesehen wird, von dem aus das Geschehen gelenkt wurde (vgl. zu einer entsprechenden Zurechnung von Tatbeiträgen nach deutschem Strafrecht BGHSt 39, 88 <91>; BGH, Beschluss vom 17. Juni 2002 - 2 ARs 164/02 -, NJW 2002, S. 3486 <3487>; Eser, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, § 9 Rn. 10).

Ferner liegt auch keine Willkür in der Annahme, dass die in den Auslieferungsunterlagen geschilderte Tat unter den deutschen Betrugstatbestand subsumiert werden kann und daher die nach Art. 2 Abs. 1 des Auslieferungsvertrages und nach § 3 Abs. 1 des Gesetzes über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Juni 1994, BGBl I S. 1537 - im Folgenden: IRG) erforderliche beiderseitige Strafbarkeit vorliegt. Es lässt sich darüber streiten, wie konkret die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegende Tat im Auslieferungsersuchen dargestellt sein muss. Rechtsprechung und Lehre stellen hier grundsätzlich hohe Anforderungen (vgl. Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluss vom 14. Februar 2003 - 3 Ausl. 86/02 -, NStZ-RR 2003, S. 276 <277>; Lagodny/Schomburg/Hackner, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, § 10 Rn. 3; vgl. ferner die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 10. Dezember 1979 - 2 AK 5/79 -, Eser/Lagodny/Wilkitzki <Hrsg.>, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 2. Aufl. 1993 - im Folgenden: E/L/W, S. 165 <168 f.>; des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 11. Januar 1980 - 4 Ausl (A) 349/79 -, E/L/W, S. 170 <171>, des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 20. Januar 1981 - 2 AK 3/80 -, E/L/W, S. 204 <206>, des Oberlandesgerichts München vom 6. Juli 1981 - 1 Ausl 23/81 -, E/L/W, S. 215 <217>; des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 14. Juni 1982 - 3 Ausl. Reg (13) 92/81 -, E/L/W, S. 241 <242>; und des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 9. November 1987 - 1 AK 29/87 -, E/L/W, S. 534 <537>; weniger streng aber BGHSt 27, 168 <173 f.>). Wenn das Oberlandesgericht den mitgeteilten Sachverhalt, der zumindest das Anlageberatungsunternehmen und einige Investitionsobjekte kennzeichnet, als hinreichend konkret genügen lässt, liegt darin aber zumindest keine krasse Missdeutung von Art. 2 Abs. 1 des Auslieferungsvertrages und § 3 Abs. 1 IRG.

Schließlich hat das Oberlandesgericht München auch ohne Verstoß gegen das Willkürverbot verneint, dass Art. 54 SDÜ einer Auslieferung entgegensteht. Diese Vorschrift ist nach dem Verständnis des EuGH auf gerichtliche oder behördliche Entscheidungen anwendbar, mit denen die Strafverfolgung in einem Mitgliedsstaat endgültig beendet wird (vgl. Urteil des EuGH vom 11. Februar 2003, Verb. Rs. C-187/01 und C-385/01, Slg. 2003-I, 1345 - Gözütök und Brügge, Ziff. 25 ff.). Dies gilt aber gerade nicht für eine Entscheidung wie die des Spanischen Strafgerichtshofs, die nicht im Strafverfahren, sondern im Auslieferungsverfahren ergeht.

2. Auch ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG liegt nicht vor. Das Oberlandesgericht war nicht dazu verpflichtet, eine Vorabentscheidung zur Auslegung von Art. 54 SDÜ oder Art. 12 EGV einzuholen.

Der EuGH ist gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. BVerfGE 73, 339 <366>). Die Voraussetzungen, unter denen die Vorlage eines Rechtsstreits an den EuGH in Betracht kommt, ergeben sich vorliegend aus Art. 234 EG beziehungsweise aus § 1 des Gesetzes betreffend die Anrufung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens auf dem Gebiet der polizeilichen Zusammenarbeit und der justitiellen Zusammenarbeit in Strafsachen nach Art. 35 des EU-Vertrages vom 6. August 1998 (BGBl I S. 2035) in Verbindung mit Art. 35 EUV. Das Bundesverfassungsgericht überprüft jedoch nur, ob diese Zuständigkeitsregeln in offensichtlich unhaltbarer Weise gehandhabt worden sind. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn zu einer entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschaftsrechts beziehungsweise des Unionsrechts einschlägige Rechtsprechung des EuGH noch nicht vorliegt, die vorliegende Rechtsprechung die entscheidungserhebliche Frage möglicherweise noch nicht erschöpfend beantwortet hat oder eine Fortentwicklung der Rechtsprechung des EuGH nicht nur als entfernte Möglichkeit erscheint (vgl. BVerfGE 82, 159 <194 ff.>).

Die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts München lässt eine derartige offensichtlich unhaltbare Handhabung nicht erkennen. Das Oberlandesgericht ging nachvollziehbar davon aus, dass die entscheidungserheblichen Fragen des Unions- und Gemeinschaftsrechts geklärt sind. Dies gilt zum einen für die Annahme, dass eine Entscheidung im Auslieferungsverfahren Art. 54 SDÜ nicht unterfällt (s.o.). Dies gilt zum anderen auch für die Auffassung, dass aus Art. 12 Abs. 1 EGV in Verbindung mit Art. 16 Abs. 2 GG vorliegend kein Auslieferungsschutz für EU-Ausländer folge. Das Diskriminierungsverbot des Art. 12 Abs. 1 EGV greift nur im sachlichen Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts. Der Auslieferungsverkehr mit Drittstaaten ist aber keine Materie, die in diesen sachlichen Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fällt.

3. Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

4. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.