VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.12.2012 - 6 S 3335/11
Fundstelle
openJur 2013, 15362
  • Rkr:

1. Es bestehen hinreichend gewichtige Zweifel an der Vereinbarkeit des strikten Internetverbots für Casino- und Pokerspiele in § 4 Abs. 4 GlüStV n.F. (juris: GKL/GlüÄndStVtrG BW) und des strikten Verbots der Werbung dafür in § 5 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 5 GlüStV n.F. (juris: GKL/GlüÄndStVtrG BW) mit dem unionsrechtlichen Kohärenzgebot im Hinblick darauf, dass in Schleswig-Holstein seit dem 01.01.2012 auf Grund des dortigen Glücksspielgesetzes unter bestimmten Voraussetzungen solche Internetglücksspiele sowie die Werbung dafür erlaubt werden können.

2. In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist in diesen Fällen mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 56 AEUV dem Suspensivinteresse des Veranstalters von Casino- und Pokerspielen im Internet trotz fehlender Erlaubnis nach § 4 Abs. 1 GlüStV n.F. (juris: GKL/GlüÄndStVtrG BW) der Vorrang einzuräumen, wenn er bislang sein Gewerbe beanstandungsfrei ausgeübt hat.

Tenor

Auf den Antrag der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 28. November 2011 - 3 K 2619/11 - geändert. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 31.08.2011 wird ab dem Zeitpunkt der Zustellung dieses Beschlusses an den Antragsgegner angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500 EUR festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts hat Erfolg. Die von der Antragstellerin in der Beschwerdebegründung fristgemäß (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat grundsätzlich beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO), geben dem Senat Anlass, den angefochtenen Beschluss zu ändern und auf den Antrag der Antragstellerin die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 31.08.2011 im tenorierten Umfang anzuordnen.

Der Senat kann dabei seiner Prüfung ausschließlich die Rechtslage ab dem Inkrafttreten des Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrags (Erster Staatsvertrag zur Änderung des Staatsvertrags zum Glücksspielwesen in Deutschland und zu dem Staatsvertrag über die Gründung der GKL Gemeinsame Klassenlotterie der Länder vom 26.06.2012, GBl. 2012 S. 385 in Verbindung mit der Bekanntmachung des Staatsministeriums über das Inkrafttreten des Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrags vom 10.07.2012, GBl. 2012 S. 515, im Folgenden: GlüStV n.F.) zum 01.07.2012 zugrundelegen. Zwar kommt es für die Entscheidung im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO maßgeblich auf die Erfolgsaussichten der von der Antragstellerin erhobenen Klage an, deren Gegenstand die einen Dauerverwaltungsakt darstellende Verfügung des Antragsgegners vom 31.08.2011 im gesamten Zeitraum seit ihrem Erlass ist, wenn die Antragstellerin ihren Klageantrag nicht zeitlich begrenzt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 05.01.2012 - 8 B 62/11 -, NVwZ 2012, 510). Die angefochtene Verfügung trifft auch eine unbefristete Regelung, die selbst für den Fall einer Änderung der Sach- und Rechtslage Fortgeltung beansprucht (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 17.10.2012 - 8 B 61-63/12 -, juris). Ihre Rechtmäßigkeit bestimmt sich dabei nach der Sach- und Rechtslage zum jeweiligen Zeitpunkt innerhalb des Wirksamkeitszeitraums und kann daher zeitabschnittsweise geprüft und beurteilt werden (BVerwG, Beschlüsse vom 17.10.2012, a.a.O.). Die Antragstellerin hat aber mitgeteilt, dass auf Grundlage der streitgegenständlichen Verfügung bis zum Inkrafttreten des Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrages zum 01.07.2012 keine Vollstreckungsmaßnahmen erfolgt sind und hat auch für sie sonstige nachteilige Folgen der Verfügung vom 31.08.2011 nicht geltend gemacht. Damit begehrt die Antragstellerin Vollstreckungsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO im Beschwerdeverfahren der Sache nach nur für die Zukunft, so dass in diesem Verfahren auch nur die Erfolgsaussichten der von der Antragstellerin erhobenen Klage ex nunc und damit unter Zugrundelegung des Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrags zu beurteilen sind.

Für den hier entscheidungserheblichen Zeitraum ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen anzusehen.

Stellt sich damit der Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen dar, ist mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 56 AEUV dem Suspensivinteresse der Antragstellerin der Vorrang einzuräumen, zumal da sie bislang - soweit dem Senat ersichtlich - im Übrigen beanstandungsfrei ihr Gewerbe ausgeübt hat (vgl. Beschluss des Senats vom 31.08.2011 - 6 S 1695/11 -, ESVGH 62, 70).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 53 Abs., 3 Nr. 2, 52 Abs. 1, 47 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Ziffer 54.1 des Streitwertkatalogs 2004.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.