VG Freiburg, Urteil vom 19.04.2012 - 4 K 1626/11
Fundstelle
openJur 2013, 15088
  • Rkr:

Eine im Jahr 2008 unter Verwendung des bundeseinheitlichen Formulars abgegebene Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG (juris: AufenthG 2004) findet nach Maßgabe der §§ 133, 157 BGB ihr Ende nicht gleichsam automatisch mit der Stellung eines Asylgesuchs oder dem Hineinwachsen in eine unbedingte Anspruchsposition für einen Aufenthaltstitel zu einem anderen Aufenthaltszweck.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen seine Inanspruchnahme aus einer Verpflichtungserklärung.

Der am … 1971 in Togo geborene Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und arbeitet als Schweißer. Er ist der leibliche Bruder der am ... geborenen A. (künftig: Schwester). Im Rahmen des Visumverfahrens zur Erteilung eines Besuchervisums für seine in Togo lebende Mutter und seine Schwester verpflichtete sich der Kläger am 04.06.2008 gegenüber der Ausländerbehörde der Stadt R. „vom Beginn der voraussichtlichen Visumgültigkeit bis zur Beendigung des Aufenthalts seiner Schwester oder bis zur Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck nach § 68 des Aufenthaltsgesetzes die Kosten für den Lebensunterhalt und nach §§ 66 und 67 des Aufenthaltsgesetzes die Kosten für die Ausreise“ seiner Schwester zu tragen. Der Verpflichtungserklärung war eine Prüfung der Einkommensverhältnisse des Klägers anhand von Gehaltsabrechnungen vorangegangen. In der Folgezeit wurden Mutter und Schwester des Klägers je ein Besuchsvisum zum Aufenthalt in der Bundesrepublik erteilt; beide nahmen nach der Einreise ihren Aufenthalt in der Wohnung des Klägers. Die Visa von Mutter und Tochter wurden in der Folgezeit einmal verlängert. Eine weitere Verlängerung des Visums der Schwester des Klägers lehnte die Ausländerbehörde der Stadt R. - anders als hinsichtlich der Mutter des Klägers – ab.

Im März 2009 verließ die Schwester des Klägers dessen Wohnung und hielt sich andernorts in Deutschland auf. Im November 2009 beantragte sie ihre Anerkennung als Asylberechtigte; die ihr ausgestellte Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung datiert vom 24.11.2009. Am 10.12.2009 beantragte die - seinerzeit hochschwange- re - Klägerin bei der Stadt ... die Gewährung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Erstmals mit Bescheid vom 14.12.2009 bewilligte der Beklagte der Klägerin Sach- und Geldleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Am 27.01.2010 gebar die Schwester des Klägers ihren Sohn S.. Die Vaterschaft wurde am 09.02.2010 von dem im Jahr 1954 geborenen, schwerbehinderten, einkommens- und vermögenslosen, in Erfurt wohnhaften deutschen Staatsangehörigen togoischer Herkunft, ..., anerkannt; die Vaterschaftsanerkennung wurde von den Ausländerbehörden zunächst für rechtsmissbräuchlich gehalten. Später ergab jedoch ein Abstammungsgutachten, dass ... der Vater des Kindes der Schwester des Klägers ist.

Die Schwester des Klägers war seit dem 28.10.2010 im Besitz einer ausländerrechtlichen Duldung, nachdem ihr Asylantrag mit Bescheid vom 06.07.2010 vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden war. Am 16.06.2011 wurde ihr - auf ihren Antrag vom 10.06.2010 - eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG erteilt, nachdem das Verfahren auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zeitweise gemäß § 79 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG ausgesetzt war. Seit dem 16.06.2011 bewilligt der Beklagte der Schwester des Klägers keine Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz mehr.

Bereits am 29.10.2010 hatte die Stadt R. die vom Kläger unterzeichnete Verpflichtungserklärung übersandt. Mit Schreiben vom 22.11.2010 wies der Beklagte den Kläger darauf hin, für seine Schwester seien in der Zeit vom 10.12.2009 bis zum 30.11.2010 bereits 8.711,33 EUR an Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gewährt worden. Die Hilfeleistung dauere an. Die gewährten Leistungen seien aufgrund der vom Kläger abgegebenen Verpflichtungserklärung von diesem zu erstatten.

Der Kläger teilte daraufhin telefonisch mit, er habe in der Zeit, als seine Schwester und seine Mutter bei ihm gewohnt hätten, für beide gesorgt und auch eine Krankenversicherung für seine Schwester abgeschlossen. Nach der Rückkehr aus einem Kurzurlaub im April 2009 sei seine Schwester verschwunden gewesen. Er habe dies umgehend der Ausländerbehörde der Stadt R. mitgeteilt und die Krankenversicherung für seine Schwester gekündigt. Seither habe er keinen Kontakt mehr zu ihr gehabt. Mit Schreiben vom 26.11.2010 bestätigte die Ausländerbehörde der Stadt R., der Kläger habe ihr gegenüber im März 2009 sinngemäß erklärt: „Meine Schwester ... hält sich nicht mehr bei mir auf. Der neue Aufenthaltsort ist mir nicht bekannt. Ich möchte von der Verpflichtung für meine Schwester zurücktreten.“

Mit Bescheid vom 31.03.2011 gab der Beklagte dem Kläger auf, die seiner Schwester nach dem Asylbewerberleistungsgesetz im Zeitraum vom 10.12.2009 bis zum 31.03.2011 gewährten Leistungen in Höhe von 9.437,08 EUR bis spätestens 30.04.2011 zu erstatten.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und machte geltend, seine Schwester sei damals allein aus dem Grunde zusammen mit seiner Mutter eingereist, weil sie diese habe betreuen sollen. Seine Schwester habe die Wohnung aber im März 2009 verlassen und wohne seither bei einem ihm nicht bekannten Mann. Er - der Kläger - habe seine Mutter im Dezember 2009 zurück nach Togo gebracht, nachdem ihre Betreuung in Deutschland nicht mehr sichergestellt gewesen sei. Die Betreuung der Mutter sei der einzige - auch bei der Deutschen Botschaft in Togo vorgebrachte - Aufenthaltszweck seiner Schwester gewesen. Die für seine Schwester abgegebene Verpflichtungserklärung sei bereits im März 2009 widerrufen worden. Im Übrigen sei deren Geltung auf den damaligen Aufenthaltszweck beschränkt gewesen, decke somit Zeiträume nach der Stellung des Asylantrags nicht ab.

Nachdem der Kläger mehreren Aufforderungen des Beklagten, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse darzulegen, nicht nachgekommen war, wies das Landratsamt Konstanz den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 19.07.2011, dem Kläger zugestellt am 20.07.2011, zurück.

Der Kläger hat am 22.08.2011, einem Montag, bei dem Verwaltungsgericht Freiburg Klage erhoben. Er macht geltend, er habe unmittelbar nachdem seine Schwester die Wohnung verlassen habe gegenüber der Stadt R. erklärt, nun nicht mehr für deren Lebensunterhalt einstehen zu wollen. Die mit dem angefochtenen Bescheid angeforderten Kosten seien später entstanden und müssten von ihm deshalb nicht übernommen werden. Seine Schwester sei nur deshalb zusammen mit seiner Mutter als deren Betreuerin eingereist, weil seine Mutter Analphabetin sei und nur einen togoischen Dialekt spreche; zudem sei ihre Sehkraft stark eingeschränkt.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Landratsamts K. vom 31.03.2011 und dessen Widerspruchsbescheid vom 19.07.2011 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er macht geltend, es sei dem Kläger aus Rechtsgründen verwehrt, seine Verpflichtungserklärung - eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung - zu widerrufen. Er sei daher grundsätzlich an deren Inhalt festzuhalten. Die auf dem bundeseinheitlichen Formular abgegebene Erklärung, über deren Inhalt der Kläger belehrt worden sei, sei in ihrer Reichweite auch nicht durch den Asylantrag der Schwester des Klägers begrenzt, zumal dieser als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, nachdem er nur gestellt worden sei, um eine drohende Aufenthaltsbeendigung abzuwenden. Trotz Aufforderung, seine derzeitigen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse darzulegen, habe es der Kläger dem Beklagten nicht ermöglicht, eine Haftungsbegrenzung anhand der derzeitigen Verhältnisse zu prüfen. Somit seien insoweit die Verhältnisse im Zeitpunkt der Abgabe der Verpflichtungserklärung zugrunde gelegt worden.

Dem Gericht liegen die Leistungsakten des Beklagten vor; sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Auf sie sowie auf die von den Beteiligten im Gerichtsverfahren vorgelegten Schriftsätze und Urkunden wird ergänzend Bezug genommen.

Gründe

Das Gericht konnte verhandeln und entscheiden, obwohl der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter an der mündlichen Verhandlung nicht teilgenommen haben. Denn die Ladung enthielt den Hinweis nach § 102 Abs. 2 VwGO.

Die Verwaltungsgerichte sind nach § 40 Abs. 1 VwGO zur Entscheidung über Fälle der vorliegenden Art berufen, denn es handelt sich nicht um eine den Sozialgerichten nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 Buchstabe a) SGG zugewiesene Streitigkeit in Angelegenheiten des Asylbewerberleistungsgesetzes, sondern um eine in den Zuständigkeitsbereich der Verwaltungsgerichte fallende Streitigkeit nach dem Ausländer- und Aufenthaltsrecht (so zutr. BSG, Beschluss vom 26.10.2010 - B 8 AY 1/09 R -, NVwZ-RR 2011, 343).

Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig, nachdem der letzte Tag der Frist des § 74 Abs. 1 VwGO auf einen Sonnabend gefallen und die Klage am nächsten Werktag erhoben worden ist (§§ 74 Abs. 1, 57 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 222 Abs. 2 ZPO).

Die Klage ist aber unbegründet, denn der Bescheid des Landratsamts K. ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Beklagte hat die Befugnis, den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch durch Verwaltungsakt geltend zu machen (a), denn die Verpflichtungserklärung wurde wirksam abgegeben (b), ist nicht durch Widerruf erloschen (c), deckt den im Streit stehenden Zeitraum dem Grunde und der Höhe nach ab (d) und wurde ohne nach § 114 Satz 1 VwGO beachtliche Ermessensfehler erlassen (e).

a) In der Rechtsprechung zu § 84 AuslG 1990 - der Vorgängervorschrift zu § 68 AufenthG - ist geklärt, dass die anspruchsberechtigte öffentliche Stelle nach der Konzeption der Haftungsnorm berechtigt ist, den hinter ihr stehenden öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch durch Verwaltungsakt geltend zu machen (vgl. statt vieler: BVerwG, Urteil vom 24.11.1998 - 1 C 33.97 -, BVerwGE 108, 1 = NVwZ 1999, 779). Für die hier maßgebliche Vorschrift des § 68 AufenthG hat sich an dieser Sichtweise nichts geändert. Wer sich der Ausländerbehörde gegenüber verpflichtet hat, die Kosten für den Lebensunterhalt eines Ausländers zu tragen, hat der öffentlichen Stelle, die öffentliche Mittel für den Lebensunterhalt des Ausländers aufgewendet hat, diese gemäß § 68 Abs. 1 und 2 AufenthG zu erstatten. Eine derartige Verpflichtung bedarf der Schriftform und ist nach Maßgabe des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes vollstreckbar (§ 68 Abs. 2 Satz 1 und 2 AufenthG). Diese Regelung setzt die Befugnis der erstattungsberechtigten Stelle voraus, den Erstattungsanspruch durch Verwaltungsakt geltend zu machen, zumal über das Ob und das Wie der Heranziehung eine Ermessensbetätigung der anspruchsberechtigten Behörde zu erfolgen hat (vgl. näher BVerwG, Urteil vom 24.11.1998, a.a.O.; Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Loseblattslg. [59. Lieferung März 2012], § 68 RdNr. 37; Hailbronner, Ausländerrecht, Loseblattslg. [38. Aktualisierung 2005], § 68 RdNr. 5; Stiegeler, in: Hofmann/Hoffmann, Ausländerrecht [2008], § 68 RdNr. 11).

b) Die Verpflichtungserklärung ist als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung (vgl. hierzu wiederum BVerwG, Urteil vom 24.11.1998, a.a.O.; Funke-Kaiser, a.a.O., RdNr. 9; Zeitler, in: HTK-AuslR / § 68 AufenthG / Verpflichtungserklärung 07/2009 Nr. 1) am 04.06.2008 bei der Stadt R. wirksam abgegeben worden. Die von dem Kläger unterzeichnete Urkunde erfüllt die gesetzlich vorgesehene Schriftform (§ 68 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Da die Verpflichtung gemäß § 68 Abs. 1 AufenthG durch einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung begründet wird, bedurfte es keiner förmlichen Annahme durch die Ausländerbehörde. Der Verpflichtungserklärung ging eine Bonitätsprüfung voraus, die die Ausländerbehörde in nicht zu beanstandender Weise anhand der Entgeltabrechnung des Klägers vorgenommen hat. Der ihm bescheinigte durchschnittliche Bruttolohn ließ erwarten, dass der Kläger die mit dem Besuch seiner Mutter und Schwester einhergehenden Kosten würde tragen können (vgl. auch zur Frage, ob pro Person der einfache oder eineinhalbfache Regelsatz als Bedarf zugrunde zu legen ist: Funke-Kaiser, a.a.O., RdNr. 13), zumal etwaige Behandlungskosten durch eine Reisekrankenversicherung abgesichert werden sollten. Schließlich wurde der Kläger - was er in der von ihm selbst unterschriebenen Verpflichtungserklärung erklärt und seither nicht in Abrede gestellt hat - über den Umfang und die Dauer der Haftung sowie über die Bindungswirkung seiner Verpflichtung aufgeklärt (vgl. hierzu Hessischer VGH, Urteil vom 29.08.1997 - 10 UE 2030/95 -, NVwZ-RR 1998, 393; OVG Niedersachsen, Urteil vom 20.07.2005 - 7 LB 182/02 -, InfAuslR 2005, 485; Hölscheidt, DVBl. 2000, 385 [388]). Die Verpflichtungserklärung ist daher mit der Entgegennahme durch die Ausländerbehörde am 04.06.2008 wirksam geworden.

Dass die Verpflichtungserklärung im Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung wegen eines Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (materiell) unwirksam gewesen sein könnte (vgl. auch zum Verhältnis zu § 138 BGB: BVerwG, Urteil vom 24.11.1998, a.a.O.; Funke-Kaiser, a.a.O., RdNr. 24), macht der Kläger nicht geltend. Hierfür ist auch nichts ersichtlich. Die Zustimmung zur Einreise von Familienangehörigen zu Besuchszwecken davon abhängig zu machen, dass ihnen Obdach und Lebensunterhalt durch Private oder nichtstaatliche Stellen gewährt werden, ist von der Rechtsordnung gedeckt und beruht nicht auf einer sachwidrigen Ausnutzung staatlicher Übermacht (BVerwG, Urteil vom 24.11.1998, a.a.O. - zur Einreise bosnischer Bürgerkriegsflüchtlinge). Namentlich werden mit der Abgabe der Verpflichtungserklärung erst die rechtlichen Voraussetzungen für eine positive Entscheidung der Auslandsvertretung geschaffen (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Trägt der an einer positiven Entscheidung Interessierte nicht das in seiner Macht Stehende dazu bei, die Voraussetzungen des andernfalls nicht erfüllten Begünstigungstatbestandes zu schaffen, nötigt die Rechtslage die Behörde dazu, die Begünstigung zu versagen. Einen entsprechenden Hinweis zu geben, ist ihre Pflicht (vgl. § 25 VwVfG; § 82 Abs. 3 AufenthG) und hat mit der Ausnutzung einer Machtstellung nichts zu tun (so BVerwG, Urteil vom 24.11.1998, a.a.O.; zustimmend Funke-Kaiser, a.a.O., RdNr. 25; enger: Kube, VBlBW 1999, 364 [368]). Dass die vom Kläger übernommene Haftung ihrem Umfang nach unter Berücksichtigung seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit völlig unangemessen war und er sich bei Abgabe der Erklärung in einer Art Zwangslage befunden haben könnte, macht er selbst nicht geltend. Hierfür ist auch - da das Gegenteil nachgerade feststeht - nichts ersichtlich.

c) Die Verpflichtungserklärung ist schließlich nicht durch die Widerrufs- oder Rücktrittserklärung gegenüber der Ausländerbehörde der Stadt R. im März 2009 (vgl. Bl. 507 d. Behördenakten) mit Wirkung für die Zukunft unwirksam geworden. Es kann dahinstehen, ob der für öffentlich-rechtliche Verträge in § 60 LVwVfG normierte Grundsatz des Wegfalls der Geschäftsgrundlage auf Verpflichtungserklärungen nach § 68 AufenthG entsprechende Anwendung findet (vgl. bejahend: Einzinger, in: Huber, Handbuch des Ausländer- und Asylrechts, B 100, § 84 AuslG RdNr. 75; Funke-Kaiser, a.a.O., RdNr. 32; Stiegeler, a.a.O., § 68 RdNr. 7; Hölscheidt, DVBl. 2000, 385 [389]; Zeitler, a.a.O., Nr. 3; offen: Hailbronner, a.a.O., RdNr. 23). Denn selbst wenn dies der Fall wäre, käme eine Anpassung mit Wirkung für die Zukunft nur in Betracht, wenn die Kündigung schriftlich erklärt worden wäre (§ 60 Abs. 2 Satz 1 LVwVfG). Die dem Kläger am 26.11.2010 ausgestellte und von ihm am 28.11.2010 per Telefax übersandte „wunschgemäße“ Bescheinigung, er habe bereits im März 2009 gegenüber der Ausländerbehörde der Stadt R. erklärt, von der Verpflichtung für seine Schwester zurücktreten zu wollen, ist keine den Anforderungen des § 60 Abs. 2 Satz 1 LVwVfG genügende Kündigung. Auch sonst ist - soweit ersichtlich - vor Ablauf des hier im Streit stehenden Zeitraums keine den Formerfordernissen des § 60 Abs. 2 LVwVfG genügende Kündigung von Seiten des Klägers ausgesprochen worden.

d) Die vom Kläger abgegebene Verpflichtungserklärung deckt den mit dem angefochtenen Bescheid angeforderten Betrag auch dem Grunde und der Höhe nach ab. Zwischen den Beteiligten steht außer Streit, dass die Kosten für den Lebensunterhalt der Schwester des Klägers während der Geltungsdauer des (einmal verlängerten) Besuchsvisums von der Verpflichtungserklärung umfasst sind. Um sie geht es hier aber nicht. Im hier maßgeblichen Zeitraum stehen Kosten in Rede, die nach der Verteilung der Schwester des Klägers in den Landkreis K. entstanden sind, weil ihr nach der Stellung eines Asylantrags Hilfe nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bewilligt worden war. Während die obergerichtliche Rechtsprechung zu § 84 AuslG überwiegend die Auffassung vertreten hatte, dass sich die erklärte Verpflichtung nur auf die Geltungsdauer der erteilten Visa erstrecke, weil eine Verpflichtungserklärung nach § 84 AuslG „in unmittelbarem funktionalen Zusammenhang mit einem konkreten Verwaltungsverfahren“ stehe und in ihrer Wirkung auf dieses beschränkt sei (vgl. nur Bayerischer VGH, Urteil vom 17.07.1997 - 12 B 96.1165 -, NVwZ-RR 1998, 264), ist das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 24.11.1998, a.a.O.) dem später ausdrücklich entgegen getreten und hat ausgeführt:

„Die Rechtsordnung überlässt es der Entscheidung des einzelnen, ob und in welchem Umfang er für den Unterhalt eines Ausländers im Bundesgebiet aufkommen und damit die Voraussetzungen für dessen Aufenthalt schaffen will. Dementsprechend ist im Wege der Auslegung der jeweiligen Verpflichtungserklärung konkret zu bestimmen, für welchen Aufenthaltszweck und welche (Gesamt-) Aufenthaltsdauer sie gelten soll. Der Geltungsdauer der Aufenthaltsgenehmigungen kommt dabei grundsätzlich keine entscheidende Bedeutung zu. Dies wird besonders augenfällig, wenn eine Verpflichtungserklärung abgegeben wird, um die Einreise und einen längeren (etwa zu Ausbildungszwecken) oder sogar auf Dauer angelegten Aufenthalt des Ausländers (etwa zur Familienzusammenführung) zu ermöglichen, die Geltungsdauer des Visums aber wie üblich auf drei Monate beschränkt wird. Sinn der Verpflichtungserklärung ist es nämlich, nicht nur den Versagungsgrund des § 7 Abs. 2 Nr. 2 AuslG vor der Einreise zu beseitigen, sondern ebenso, die Entstehung des Ausweisungsgrundes des § 46 Nr. 6 AuslG während des gesamten sich an die Einreise anschließenden Aufenthalts auszuschließen und damit einer Belastung öffentlicher Kassen während der Anwesenheit des Ausländers vorzubeugen. Ferner kommt es auf die rechtliche Grundlage und nähere Ausgestaltung des Aufenthalts des Ausländers nicht an. Die Unterhaltsverpflichtung erstreckt sich grundsätzlich auch auf Zeiträume illegalen Aufenthalts einschließlich der Dauer einer etwaigen Abschiebung. Sie endet, wenn sie nicht ausdrücklich befristet ist, nach Maßgabe der Auslegung im Einzelfall mit dem Ende des vorgesehenen Aufenthalts oder dann, wenn der ursprüngliche Aufenthaltszweck durch einen anderen ersetzt und dies aufenthaltsrechtlich anerkannt worden ist.“

Gemessen an dieser Erklärung ist davon auszugehen, dass die sich an die Geltungsdauer des Besuchsvisums anschließenden Zeiten des unerlaubten Aufenthalts jedenfalls von der Verpflichtungserklärung des Klägers umfasst sind. Auch der Kläger selbst scheint hiervon ausgegangen zu sein, denn andernfalls hätte es der von ihm offenbar mündlich bei der Stadt R. ausgesprochenen „Kündigung“ der Verpflichtungserklärung gar nicht bedurft. Um die Kosten ab dem „Untertauchen“ der Schwester des Klägers bis zur Stellung des Asylantrags geht es hier indes ebenfalls nicht, denn die die hier im Streit stehenden Kosten sind solche, die nach der Asylantragstellung entstanden sind, und betreffen somit Zeiträume, in denen sich die Schwester des Klägers zunächst auf der Grundlage einer Aufenthaltsgestattung und - nach Zustellung der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet - unerlaubt und auf der Grundlage einer Duldung in Deutschland aufgehalten hat. Damit ist die Frage aufgeworfen, ob die Auslegung der Verpflichtungserklärung ergibt, dass die Haftung des Klägers für seine Schwester mit der Stellung eines Asylantrags geendet hat. Dies ist nach dem Dafürhalten der erkennenden Kammer nicht der Fall. Bereits die Erwähnung der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz im Text der Verpflichtungserklärung sprechen für eine Haftung des Klägers, denn Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz werden - gerade auch aus der Sicht eines Laien - vor allem für Asylbewerber erbracht (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylblG). Ein Haftungsende mit Asylantragstellung ließe sich allenfalls befürworten, wenn man unter die Formulierung die Verpflichtung dauere „bis zur Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck“ auch die Ausstellung einer Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung subsumieren würde. Auch diesen Ansatz hält die erkennende Kammer jedoch nicht für zutreffend. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (Urteil vom 27.02.2006 - 11 S 1857/06 - juris RdNr. 30) hat zu einer vergleichbaren Fallgestaltung ausgeführt, zwar habe der durch die Verpflichtungserklärung Begünstigte spätestens durch Stellung seines Asylantrags seinen ursprünglichen Aufenthaltszweck (eine durch ein Besuchervisum erlaubte Ferienreise) gewechselt. Der Erhalt einer Aufenthaltsgestattung (§ 55 AsylVfG) durch die Stellung des Asylantrages könne aber noch nicht als aufenthaltsrechtliche Anerkennung des neuen Aufenthaltszwecks im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gewertet werden, da der Asylantrag - sogar als offensichtlich unbegründet - abgelehnt worden sei (ebenso: Bayerisches LSG, Urteil vom 12.11.2008 - L 11 B 845/08 AY -, FEVS 60, 427; VG Oldenburg, Urteil vom 13.02.2012 - 11 A 518/11 -, juris RdNr. 20; VG Hannover, Urteil vom 22.07.2011 - 3 A 6111/08 - juris RdNr. 32; VG Braunschweig, Gerichtsbescheid vom 01.06.2006 - 3 A 192/05 - juris RdNr. 16; wohl auch OVG Niedersachsen, Urteil vom 20.07.2005 - 7 LB 182/02 -, InfAuslR 2005, 485; a.A. noch Bayerischer VGH, Urteil vom 03.03.1998 - 12 B 96.3002 -, juris RdNr. 26; VG Minden, Urteil vom 11.11.2002 - 11 K 1203/02 -, juris RdNr. 24; Hail-bronner, a.a.O., § 68 RdNr. 14; Funke-Kaiser, a.a.O., § 68 RdNr. 22). Diese Rechtsauffassung liegt auch dem Bundeseinheitlichen Merkblatt des Bundesministeriums des Innern zur Verwendung des bundeseinheitlichen Formulars der Verpflichtungserklärung zu § 68 in Verbindung mit §§ 66 und 67 AufenthG (Fassung vom 15.12.2009) zugrunde (dort S. 9). Sie wird von der erkennenden Kammer geteilt. Hierfür dürfte schon der Hinweis auf die Erstattungspflichtigkeit von Kosten, die der Schwester des Klägers „nach dem Asylbewerberleistungsgesetz“ gewährt werden, sprechen. Zudem ist zur Dauer der Verpflichtungserklärung bestimmt, sie gelte „(…) bis zur Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck“. Mit dem Terminus des „Aufenthaltstitels“ wird ein Rechtsbegriff in Bezug genommen, der in § 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG abschließend definiert ist (so Wenger, in Storr/Wenger, Kommentar zum Zuwanderungsrecht, 2. Aufl. [2008], § 4 RdNr. 5). Die Aufenthaltsgestattung nach § 55 AsylVfG ist danach kein Aufenthaltstitel (Wenger, a.a.O.; Hoffmann, in: Hofmann/Hoffmann, a.a.O., § 4 RdNr. 19). Denn der grundlegende Entscheidungsgehalt eines Aufenthaltstitels besteht darin, dass dem Inhaber ein darin ggf. näher beschriebenes Aufenthaltsrecht zuerkannt wird (zutreffend Maor in: Kluth/Hund/Maaßen, Zuwanderungsrecht [2008], § 4 RdNr. 11). Dies ist bei der in § 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nicht genannten Aufenthaltsgestattung schon deshalb nicht der Fall, weil nicht erst der Aufenthaltstitel das Aufenthaltsrecht gewährt, sondern bereits das Asylgesuch (§ 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) das Aufenthaltsrecht auslöst. Bei einer an §§ 133, 157 BGB orientierten Auslegung der Verpflichtungserklärung lässt sich demnach nicht feststellen, dass der ihre Dauer begrenzende Tatbestand der „Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck“ mit der Stellung eines Asylantrags eingetreten ist. Hierfür spricht auch, dass es der von der Verpflichtungserklärung begünstigte Ausländer andernfalls in der Hand hätte, die Reichweite der Verpflichtungserklärung gleichsam auf Null zu reduzieren, indem er sogleich nach der Einreise mit einem Besuchervisum einen Asylantrag stellt. Auch die Zeiten des (nur) geduldeten Aufenthalts im Anschluss an den Ablauf der Geltungsdauer eines Visums sind im Übrigen zweifellos von der Verpflichtungserklärung umfasst (BVerwG, Urteil vom 24.11.1998, a.a.O.). Dies und der Umstand, dass es sich bei der Aufenthaltsgestattung gleichsam um ein (verfahrensrechtliches) Aufenthaltsrecht handelt, das sich der Ausländer selbst und ohne Erfüllung eines materiell-rechtlichen aufenthaltsrechtlichen Tatbestands beschaffen kann, lassen es - neben dem Wortlaut der Verpflichtungserklärung - nicht gerechtfertigt erscheinen, den Asylantrag als geltungsbegrenzenden Umstand zu verstehen.

Indes hat die erkennende Kammer eine Beschränkung der Dauer der Verpflichtungserklärung erwogen, weil die Schwester des Klägers mit der Geburt ihres deutschen Sohnes am 27.01.2010 in eine unbedingte Anspruchsposition für einen Aufenthaltstitel zum Zwecke des Familiennachzugs (§ 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG) hineingewachsen ist, zumal in den Fällen des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG die Erteilung des Aufenthaltstitels nicht von der Sicherung des Lebensunterhalts abhängig gemacht werden darf (§ 28 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). In Rechtsprechung und Literatur wird angenommen, dass insoweit ein unmittelbarer und immanenter Vorbehalt einer jeden Verpflichtungserklärung bestehe, der nicht erst im Einzelfall durch Auslegung zu ermitteln sei (VG Köln, Urteil vom 12.12.2008 - 5 K 3672/07 -, NWVBl. 2009, 282; VG Ansbach, Urteil vom 21.08.2008 - AN 5 K 08.01116 -, juris RdNr. 20; VG Hannover, Urteil vom 20.11.2001 - 3 A 3320/01 -, NVwZ-RR 2002, 443; VG Oldenburg, Urteil vom 13.02.2012 - 11 A 518/11 -, juris RdNr. 20; Funke-Kaiser, a.a.O., RdNrn. 5 und 22). Dieser Sichtweise folgend hat die Kammer eine Haftungsbegrenzung ab dem 10.06.2010 - dem Datum des Antrags auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG - ggf. mit einem Zeitzuschlag für ein Verwaltungsverfahren von angemessener Dauer in Erwägung gezogen.

Mit dem Wortlaut der abgegebenen Verpflichtungserklärung und den Auslegungsgrundsätzen der §§ 133, 157 BGB verträgt sich auch diese Sichtweise indes nicht, denn die Erklärung selbst stellt auf die Erteilung des Aufenthaltstitels für den neuen Aufenthaltszweck ab und nicht auf das Entstehen des materiellen Erteilungsanspruchs oder das gänzlich unklare „Hineinwachsen in eine Anspruchsposition“. Die gegenteilige Auffassung vermag auch nicht hinreichend zu erklären, weshalb der sich Verpflichtende auch für Kosten des geduldeten Aufenthalts nicht soll haften müssen (so aber Funke-Kaiser, a.a.O., § 68 RdNr. 5, der es schon ausreichen lässt, dass der Ausländer in eine unbedingte Anspruchsposition hinsichtlich einer Duldung hinein wächst). Die dem erstattungsberechtigten Leistungsträger und den Gerichten aufgetragene Auslegung der Verpflichtungserklärung anhand der §§ 133, 157 BGB wird bei dieser Sichtweise zugunsten allgemeiner Billigkeitserwägungen überspannt. Für diese ist indes lediglich im Rahmen des Ermessens Raum, nicht aber bereits bei der Frage, ob überhaupt (noch) ein Haftungsgrund gegeben ist. Ob man - entgegen dem Wortlaut der Verpflichtungserklärung - in Fallkonstellationen, in denen die Ausländerbehörde dem Ausländer ein Aufenthaltsrecht zeitweise treuwidrig vorenthält, bereits an das Datum der Antragstellung anknüpfen kann, bedarf hier keiner Entscheidung, denn ein solcher Fall steht hier erkennbar nicht in Rede.

Hinsichtlich der Höhe des geltend gemachten Anspruchs hat der Kläger keine Einwendungen erhoben. Fehler hinsichtlich der Addition der einzelnen Beträge sind auch für die Kammer nicht ersichtlich.

e) Schließlich lassen sich auch nach Maßgabe des § 114 Satz 1 VwGO beachtliche Ermessensfehler nicht feststellen. Gemessen an seinen Einkommensverhältnissen ist der gegenüber dem Kläger festgesetzte Betrag zwar hoch; es bestehen aber andererseits keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass seine Leistungsfähigkeit damit überfordert sein könnte. Namentlich hat der Kläger - trotz mehrfacher Anfragen des Beklagten im Widerspruchsverfahren - in wirtschaftlicher Hinsicht keine Umstände geltend gemacht hat, die gegen seine (volle) Inanspruchnahme sprechen. In Fällen dieser Art gebieten es die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit in der Regel, dass die öffentliche Hand ihr zustehende Geldleistungsansprüche auch geltend macht (BVerwG, Urteil vom 16.06.1997 - 3 C 22.96 -, BVerwGE 105, 55 [58]; Funke-Kaiser, a.a.O., § 68 RdNr. 38).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Gericht sieht im Rahmen des ihm nach § 167 Abs. 2 VwGO eingeräumten Ermessens davon ab, die Entscheidung hinsichtlich der Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären.

Die Berufung ist zuzulassen, denn die Frage, ob bereits ein Asylantrag die Dauer der Haftung aus einer Verpflichtungserklärung begrenzt oder ob dies anzunehmen ist, wenn der Ausländer in eine unbedingte Anspruchsposition für einen Aufenthaltstitel zu einem anderen Aufenthaltszweck hineingewachsen ist, stellt sich - zumal unter Verwendung des bundeseinheitlichen Formulars - in einer Vielzahl von Fällen und ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung bislang nicht abschließend geklärt.