Bayerischer VGH, Beschluss vom 07.02.2013 - 15 CS 12.743
Fundstelle
openJur 2013, 5679
  • Rkr:
Tenor

I. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.

II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 1. Die Beigeladene zu 2 trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragsteller, Eigentümer des Grundstücks FlNr. 8 Gemarkung B., wenden sich gegen die dem Beigeladenen zu 1 mit Bescheid des Landratsamts Kelheim vom 30. September 2011 erteilte Baugenehmigung zur Neuerrichtung einer Biogasanlage auf dem südlich der geschlossenen Bebauung von B. gelegenen Grundstück FlNr. 14. Nördlich des Baugrundstücks befindet sich ein weiteres Grundstück des Beigeladenen zu 1 mit Kälber- und Bullenstall, Maschinenhalle, Wohnhaus und einem Gasthof. Das Wohnhaus der Antragsteller befindet sich nordöstlich des Bauvorhabens in einer Entfernung von etwas mehr als 50 m von der nächstliegenden Ecke der beiden Fahrsilos und etwas mehr als 100 m von dem Annahmedosierer.

Die Anträge der Antragsteller, die aufschiebende Wirkung ihrer Klagen vom 26. Oktober 2011 gegen den Bescheid vom 30. September 2011 anzuordnen, hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 14. März 2012 abgelehnt, weil die Klagen kaum Erfolgsaussichten haben würden. Der Bescheid verletze keine nachbarschützenden Vorschriften. Die Biogasanlage sei im Außenbereich privilegiert zulässig. Errichtung und Betrieb der Anlage verstießen nicht gegen das in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB verankerte Rücksichtnahmegebot. Nach dem immissionsschutzrechtlichen Gutachten des Büros h... vom 19. September 2011 sei nicht mit unzumutbaren Lärmimmissionen zu rechnen. Gleiches gelte für die von der Biogasanlage verursachten Geruchsimmissionen. Nach den bisher vorliegenden Berechnungen des Büros im Gutachten und in der Stellungnahme vom 7. Februar 2012 könne die in einem Dorfgebiet zumutbare Geruchsbelastung von 15 % der Jahresstunden am Haus der Antragsteller unter Einbeziehung der Vorbelastung durch die vorhandene Rinderhaltung des Beigeladenen zu 1 in einem Abstand von 60 m und die Schweinehaltung eines Dritten in 175 m Entfernung aller Voraussicht nach eingehalten werden. Auch wenn noch Unsicherheiten hinsichtlich der Parameter für die Ausbreitungsrechnung bestehen würden, könne eine nicht unerhebliche Reduzierung der Geruchsbelastung dadurch erreicht werden, dass durch eine Auflage im Bescheid eine Beschränkung auf eine Fahrsiloanschnittfläche erfolge.

Die Antragsteller haben Beschwerde eingelegt. Sie machen geltend, die angefochtene Baugenehmigung gewährleiste nicht, dass nicht mit unzumutbaren Lärmimmissionen durch das genehmigte Vorhaben zu rechnen sei. Bei einer nicht ausreichenden Körperschallentkoppelung des Aggregats zum BHKW-Container sei mit einer erhöhten Schallabstrahlung von diesem Container zu rechnen. Eine Bewertung der Geräuschimmissionen durch anlagenbezogenen Fahrverkehr auf öffentlichen Verkehrswegen nach Nr. 7.4 TA Lärm sei nicht erfolgt. Im immissionsschutztechnischen Gutachten vom 19. September 2011 fehlten Berechnungsparameter für die Geräuschemissionen von Traktoren. Nicht berücksichtigt sei, ob die für die Durchführung des Erntebetriebs angesetzten 10 Tage oder Nächte ausreichen würden. Hinsichtlich der Beurteilung tieffrequenter Geräusche sei bei der Beschreibung der Messpositionen innerhalb der Gebäude die genaue Angabe des Messorts nicht erfolgt. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei auch mit unzumutbaren Geruchsimmissionen zu rechnen. Das immissionsschutztechnische Gutachten vom 19. September 2011 sei insoweit nach wie vor nicht plausibel. Nach der korrigierenden Berechnung des Büros liege unter Einbeziehung der Vorbelastung eine erhebliche Annäherung an die vom Verwaltungsgericht für maßgeblich angenommene Geruchsbelastung von 15 % der Jahresstunden vor. Wie die Rasterdarstellung zeige, könnten sich die Antragsteller ohne unzumutbare Immissionseinwirkung nicht mehr auf ihrem Grundstück und dem angelegten Garten bewegen. Notwendig sei eine Berücksichtigung der bei Foliengasspeichern möglicherweise auftretenden diffusen Emissionen. Die Ansätze für Mastbullen und Mastkälber in der Ausbreitungsrechnung seien nicht nachvollziehbar erklärt. Zudem würden entgegen den Vorgaben der TA Luft und der GIRL die dort vorgesehenen Werte für die Größe des Beurteilungsgebiets nicht eingehalten. Es sei unklar, auf welcher Grundlage das Verwaltungsgericht davon ausgehe, dass durch die Beschränkung auf eine Anschnittsfläche bei den beiden Fahrsilos eine nicht unerhebliche Reduzierung der Geruchsbelastung erreicht werden könne. Die Voraussetzungen für eine Privilegierung der Anlage im Außenbereich lägen nicht vor.

Die Antragsteller beantragen,

unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts die aufschiebende Wirkung der Klagen der Antragsteller gegen die Baugenehmigung vom 30. September 2011 anzuordnen,

hilfsweise,

den Antragsgegner zu verpflichten, die Nutzung der Biogasanlage bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klagen zu untersagen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerden zurückzuweisen.

Der Beigeladene zu 1 beantragt ebenfalls,

die Beschwerden zurückzuweisen.

Durch den angefochtenen Bescheid werde sichergestellt, dass keine unzumutbaren Lärmimmissionen für die Antragsteller auftreten würden. Konkrete Anhaltspunkte, dass die im Bescheid festgelegten Lärmwerte im regelmäßigen Betrieb bzw. im Erntebetrieb nicht eingehalten werden könnten, lägen nicht vor. Auch nach den von den Antragstellern vorgelegten Stellungnahmen des Büros M... seien die nach der GIRL in einem Dorfgebiet zumutbaren Geruchshäufigkeiten nicht überschritten. Auf eine fehlende Privilegierung der Anlage könnten sich die Antragsteller nicht berufen.

Die Beigeladene zu 2 hat sich nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

II.

Die zulässigen Beschwerden sind unbegründet. Die von den Antragstellern dargelegten Gründe, auf die die Prüfung des Senats im Beschwerdeverfahren beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses.

1. Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung verletzt die dem Beigeladenen zu 1 erteilte Baugenehmigung aller Voraussicht nach nicht Rechte der Antragsteller schützende Vorschriften des Bauplanungsrechts (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

a) Ob die Biogasanlage nach § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB im Außenbereich privilegiert ist, kann dahinstehen, weil das tatsächliche Vorliegen der Voraussetzungen dieser Vorschrift allein objektiv-rechtlich zu beurteilen ist und daher selbst bei deren Nichtvorliegen eine subjektiv-rechtliche Verletzung von Nachbarrechten ausscheidet (vgl. BayVGH, B. v. 5.10.2011 - 15 CS 11.1858 und B. v. 25.10.2010 - 2 CS 10.2137 m.w.N.).

b) Von dem Vorhaben des Beigeladenen zu 1 gehen voraussichtlich keine schädlichen Umwelteinwirkungen i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB aus, die zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung der Antragsteller führen würden. Die vom Vorhaben ausgehenden Immissionen überschreiten nach der dem Baugenehmigungsverfahren zugrunde liegenden Planung, insbesondere nach dem vom Beigeladenen zu 1 vorgelegten immissionsschutztechnischen Gutachten des Büros h... vom 19. September 2011 und den im gerichtlichen Verfahren erfolgten ergänzenden Ausführungen dazu nicht den Rahmen des für die Antragsteller in einem Dorfgebiet Zumutbaren.

aa) Das Vorhaben ruft keinen für die Antragsteller unzumutbaren Lärm hervor. In der angefochtenen Baugenehmigung ist festgelegt, dass die Biogasanlage einschließlich des betrieblichen Fahrverkehrs am Wohnhaus der Antragsteller (IO3) die um 6 dB(A) reduzierten Immissionsrichtwerte für ein Dorfgebiet von 54 dB(A) tags und 39 dB(A) nachts nicht überschreiten darf (Nr. 6.1 Buchst. c TA Lärm; Nebenbestimmung Nr. 57 der Baugenehmigung). Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist es grundsätzlich zulässig, den Lärmschutz in dieser Weise durch zielorientierte Festlegungen zu regeln (vgl. z.B. BayVGH, B. v. 10.2.2012 - 15 ZB 10.97 juris RdNr. 6; B. v. 29.6.2009 - 15 CS 09.860 juris RdNr. 14). Dabei muss jedoch gewährleistet sein, dass die Richtwerte im regelmäßigen Betrieb auch eingehalten werden können. Daran bestehen nach Lage der Akten keine Zweifel.

Aus dem immissionsschutztechnischen Gutachten des Büros h... vom 19. September 2011 geht hervor, dass sich bei regulärem Anlagenbetrieb, ausgehend von der Betriebsbeschreibung in Kapitel 2 des Gutachtens, die Bestandteil der Baugenehmigung geworden ist, am Wohnhaus der Antragsteller ein Beurteilungspegel von 49 dB(A) tags und 37 dB(A) nachts errechnet. Weder aus dem Vorbringen der Antragsteller noch sonst ergeben sich konkrete Anhaltspunkte dafür, dass bei diesem Regelbetrieb mit Überschreitungen der im angefochtenen Bescheid festgesetzten reduzierten Immissionsrichtwerte gerechnet werden müsste. Soweit die Antragsteller einen Hinweis darauf vermissen, dass bei der Aufstellung des Aggregats im BHKW-Container auf eine ausreichende Körperschallentkoppelung zu achten sei, ist in Nr. 6.2 der Anlagenbeschreibung als vorgesehene Schutzmaßnahme eine schwingungsgedämpfte Aufstellung des Motors beschrieben. Dies entspricht nach der Stellungnahme der Umweltingenieurin des Landratsamts vom 7. Mai 2012 dem Stand der Technik zur Lärmminderung und ist im angefochtenen Bescheid beauflagt (Nebenbestimmung Nr. 67).

Wie sich der Stellungnahme des Büros h... vom 6. Mai 2012 weiter entnehmen lässt, ist auch nicht mit unzumutbaren Beeinträchtigungen der Antragsteller durch die An- und Abfahrt zu bzw. von der Anlage zu rechnen. Dies wird von dem von den Antragstellern beauftragten Büro M... in dessen Stellungnahme vom 13. Juni 2012 bestätigt. Schließlich ergibt sich auch aus dem vom Antragsgegner vorgelegten Messbericht der Firma I... vom 6. September 2012, dass die im angefochtenen Bescheid vorgegebenen Immissionsrichtwerte am Anwesen der Antragsteller beim Betrieb der Anlage eingehalten werden; sie werden nach dem Messbericht vor allem am Tag sogar deutlich unterschritten.

Zu Recht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die Überschreitung der Immissionsrichtwerte beim Erntebetrieb an wenigen Tagen im Jahr im Rahmen der Regelung für seltene Ereignisse in Nr. 7.2 und Nr. 6.3 TA Lärm zumutbar ist. In rechtlicher Hinsicht ist von einem Zeitraum von 10 Tagen auszugehen. Dies hat das Landratsamt in Anlehnung an die Regelung in Nr. 7.2 TA Lärm durch Auflage festgelegt (Nebenbestimmung Nr. 68 zur angefochtenen Genehmigung). Nach dem immissionsschutztechnischen Gutachten des Büros h... vom 19. September 2011 ist gewährleistet, dass diese erhöhten Immissionsrichtwerte ohne weiteres eingehalten werden können. Im Gutachten wird für die Variante "Erntebetrieb" davon ausgegangen, dass diese nach den Angaben des Beigeladenen zu 1 lediglich an zwei bis drei Tagen im Jahr erfolgt, an denen jeweils 75 Fahrten mit dem Traktor und Anhänger in das Fahrsilo nötig sind, und die Erntetätigkeiten ausschließlich während der Tagzeit stattfinden. Dieses Gutachten ist mit den darin festgeschriebenen Beurteilungsgrundlagen Bestandteil der Baugenehmigung geworden (Nebenbestimmung Nr. 99 zum angefochtenen Bescheid). Die für die Traktoren angesetzten Schallleistungspegel haben die Sachverständigen im Schreiben vom 6. Mai 2012 plausibel erläutert. Unter diesen Umständen muss die Baugenehmigung konkrete Regelungen zur Zahl der Fahrten nicht enthalten (vgl. BayVGH, B. v. 10.2.2012 - 15 ZB 10.97). Streitgegenstand dieses Verfahrens ist allein die genehmigte Planung und das genehmigte Betriebskonzept. Sollte sich beim Betrieb der Anlage herausstellen, dass wesentlich vom genehmigten Betriebsablauf abgewichen wird oder dass die erhöhten Immissionsrichtwerte beim Erntebetrieb nicht eingehalten werden können, dann ist durch die Genehmigungsbehörde eine Neubewertung durchzuführen und kann dies Gegenstand nachträglicher Anordnungen sowohl in bauordnungsrechtlicher als auch in immissionsschutzrechtlicher Hinsicht sein (vgl. BayVGH, B. v. 15.11.2010 - 15 CS 10.2131; B. v. 29.6.2009 - 15 CS 09.860).

Soweit die Antragsteller im Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 10. Januar 2013 erstmals tieffrequente Geräusche thematisieren, ist dieser Vortrag nach Ablauf der Monatsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO erfolgt und damit nach dem gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO eingeschränkten Prüfungsmaßstab des Senats nicht zu berücksichtigten (vgl. BayVGH, B. v. 22.1.2013 - 15 CS 12.2005). Im übrigen lässt sich dem Messbericht der Firma I... vom 6. September 2012 entnehmen, dass die durch den Betrieb der Anlage hervorgerufenen tieffrequenten Geräusche die Grenze des für die Antragsteller Zumutbaren nicht überschreiten.

bb) Ebenso wenig sind nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen Prüfung für die Antragsteller unzumutbare Geruchsimmissionen durch den Betrieb der Biogasanlage zu erwarten.

Zur Beurteilung von Geruchsimmissionen kann die Geruchs-Immissionsrichtlinie i.d.F. vom 29. Februar 2008 und einer Ergänzung vom 10. September 2008 (GIRL 2008) im Einzelfall im Rahmen der tatrichterlichen Bewertung als Orientierungshilfe herangezogen werden, und zwar unabhängig davon, ob sie im jeweiligen Bundesland umgesetzt ist (vgl. BVerwG, U. v. 21.12.2011 - 4 C 12/10 NVwZ 2012, 636/639 m.w.N.). Die Vorgaben von Anhang 3 der TA Luft und die speziellen Anpassungen an die Geruchsausbreitung wurden im Rahmen der GIRL 2008 im Referenzmodell AUSTAL 2000 umgesetzt (vgl. Begründung und Anwendungshinweise zu Nr. 1 der GIRL 2008 S. 31 f.). Die GIRL 2008 greift somit zur Ermittlung der Geruchsausbreitung auf das Programm AUSTAL 2000 zurück. Die Heranziehung dieses Programms im Rahmen der fachkundigen Bewertung durch das Büro h... begegnet keinen Bedenken. Der Senat hat bezweifelt, ob die Werte nach Nr. 3.1 GIRL (Fassung vom 21.9.2004) für Immissionen aus landwirtschaftlicher Tierhaltung (Schweine, Rinder) dem Begriff dessen, was unzumutbar i.S.d. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO oder i.S.d. § 3 Abs. 1 BImSchG "erheblich" ist, gerecht werden, u.a. weil bereits der geringste Grad der spezifischen Geruchswahrnehmung bewertet wurde (vgl. BayVGH, U. v. 17.9.2007 - 15 BV 07.142). Ob dies für die Beurteilung von Biogasanlagen in Dorfgebieten auch unter der Neufassung der GIRL 2008 gilt, kann hier dahinstehen.

Im Dorfgebiet beträgt der Immissionswert nach Nr. 3.1 Tabelle 1 GIRL 2008, der die relative Häufigkeit der Geruchsbeeinträchtigung bezogen auf die Stunden eines Jahres wiedergibt, 0,15 (15 %). Nach der vom Antragsgegner mit Schriftsatz vom 8. Mai 2012 und vom Beigeladenen zu 1 mit Schriftsatz vom 10. Mai 2012 vorgelegten Stellungnahme des Büros h... vom 6. Mai 2012, die im Beschwerdeverfahren nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO als neue Tatsache zu berücksichtigen war, auch wenn sie erst während des Beschwerdeverfahrens eingetreten ist (vgl. BayVGH, B. v. 29.6.2009 - 15 CS 09.860), überschreitet das Vorhaben des Beigeladenen zu 1 diesen Immissionswert am Wohnhaus der Antragsteller nicht. Der Senat geht nicht von strengeren Anforderungen aus (BayVGH, B. v. 10.2.2012 - 15 ZB 10.97).

Die von den Antragstellern hiergegen erhobenen Rügen ändern an dieser Beurteilung nichts.

Soweit sie auf die Geruchsbelästigung auf dem gesamten Grundstück und insbesondere in dem angelegten Garten verweisen, wird übersehen, dass es für die Frage der Zumutbarkeit von Geruchsimmissionen nicht auf die Einwirkung auf das gesamte Grundstück, sondern nur auf die Einwirkung auf das Wohnhaus und den geschützten Außenwohnbereich der Antragsteller ankommt. Hierzu dürften eventuell vorhandene Außenanlagen zur Freizeitgestaltung und Erholung am Wohngebäude wie Terrassen oder Balkone zählen, die regelmäßig genutzt werden, nicht aber der gesamte Garten (vgl. BVerwG, B. v. 9.10.2008 – 9 PKH 2/08 - (zu 9 A 7/08) 2/08, 9 PKH 2/08 (zu 9 A7=08). Es steht nicht im freien Belieben eines Grundstückseigentümers, sein gesamtes Grundstück mit Außenwohnbereichen zu versehen und vom benachbarten Anlagenbetreiber zu verlangen, er habe darauf uneingeschränkt Rücksicht zu nehmen. Vielmehr können Außenwohnbereiche nur in dem Umfang geschützt werden, wie dies den mit der Eigenart des Baugebiets berechtigterweise verbundenen Wohnerwartungen und Wohngewohnheiten auch außerhalb des Wohngebäudes entspricht (vgl. BayVGH, B. v. 26.7.2006 - 22 ZB 06.1087; NdsOVG, B. v. 30.8.2004 - 1 LA 277/03 NVwZ-RR 2005, 455/457). Das Beschwerdevorbringen enthält keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine verlässliche Eingrenzung des danach allein schützenswerten Grundstücksteils außerhalb des Wohngebäudes. Jedenfalls wird aus der Rasterdarstellung zur Ausbreitungsrechnung in der Stellungnahme vom 6. Mai 2012 deutlich, dass auch im Außenwohnbereich unmittelbar südlich des Wohngebäudes der Antragsteller der Immissionswert der GIRL 2008 für ein Dorfgebiet noch nicht überschritten wird. Im Übrigen sind nach den Auslegungshinweisen zu Nr. 3.1 GIRL am Rand von Dorfgebieten in begründeten Einzelfällen auch Werte von bis zu 20 % der Geruchsstunden tolerierbar, die im gesamten Garten des Grundstücks der Antragsteller nach dieser Rasterdarstellung nicht überschritten werden.

Das Büro h... hat in seinen Stellungnahmen vom 6. Mai 2012 und vom 16. August 2012 unter Auseinandersetzung mit den Einwänden des Büros M... vom 13. Juni 2012 nachvollziehbar erläutert, dass zwar durch die Diffusion von Biogas durch eine EPDM-Membran Geruchsemissionen entstehen können, diese sich aber allenfalls auf den Nahbereich der Anlagen insbesondere bei starker Sonneneinstrahlung beschränken und damit bei einer Beurteilung der Geruchsbelastung an entfernter gelegenen Immissionsorten - wie hier dem Wohnhaus der Antragsteller - vernachlässigt werden können. Es wurde dort auch plausibel dargelegt, mit welchen GV-Faktoren, Tierplatzzahlen und Geruchsstoffströmen bei den Mastbullen und Kälbern gerechnet wurde. Die Antragsteller sind diesen Ausführungen zuletzt nicht mehr substantiiert entgegengetreten.

Was die Größe des Beurteilungsgebiets bei der Ermittlung der Vorbelastung angeht, weist das Büro M... in seiner Stellungnahme vom 21. Dezember 2011 zu Recht darauf hin, dass gemäß Nr. 4.4.2 GIRL 2008 für das Beurteilungsgebiet als kleinster Radius 600 m zu wählen und bei der Ermittlung der zu erwartenden Zusatzbelastung nach Nr. 4.5 GIRL 2008 das Rechengebiet im allgemeinen identisch mit dem Beurteilungsgebiet nach Nr. 4.4.2 GIRL 2008 ist. Wenn die Ermittlung der vorhandenen Belastung nicht durch Rasterbegehung, sondern - wie hier - rechnerisch vorgenommen wird, so sind alle Emittenten von Geruchsstoffen, die das Beurteilungsgebiet beaufschlagen, zu erfassen (Nr. 4.1 Abs. 2 GIRL 2008). Damit dürfte Nr. 4.4.2 GIRL 2008 auch für diese Fälle anwendbar sein (vgl. OVG Lüneburg, B. v. 18.7.2012 - 12 LA 114/11).

Neben dieser speziellen Regelung zur Größe des Beurteilungsgebiets ist entgegen der Auffassung des Büros M... Nr. 4.6.2.5 TA Luft nicht einschlägig. Soweit nach Nrn. 1 und 4.5 GIRL 2008 die Ermittlung der zu erwartenden Zusatzbelastung durch Geruchsausbreitungsrechnung u.a. auf der Basis des Anhangs 3 der TA Luft zu erfolgen hat, findet sich auch dort keine Verweisung auf Nr. 4.6.2.5 TA Luft. Abgesehen davon enthält die TA Luft keine Regelungen zum Schutz vor belästigenden Gerüchen sowie zur Ermittlung von Geruchsimmissionen (vgl. Nr. 1 TA Luft) und nur wenige Bestimmungen zur Geruchsproblematik, die lediglich die Vorsorgepflicht des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG konkretisieren (vgl. Moench/Hamann, DVBl 2004, 201). Nr. 4.6.2.5 TA Luft bezieht sich deswegen nicht auf Gerüche, sondern nur auf die Festlegung des Beurteilungsgebiet im Rahmen der Ermittlung der Vorbelastung durch bestimmte luftverunreinigende Stoffe, für die in Nr. 4 i.V.m. den Tabellen 1 bis 7 Immissionswerte zum Schutz der menschlichen Gesundheit, zum Schutz vor erheblichen Belästigungen oder erheblichen Nachteilen und zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Depositionen enthalten sind.

Nach der Einschätzung des Büros M... wurde hier bei der Geruchsausbreitungsrechnung durch das Büro h... mit Rechengittern gearbeitet, die eine Kantenlänge von 1.184 m x 1.024 m bzw. 800 m x 800 m aufweisen. Ob diese Rechengitter den oben genannten Vorgaben der GIRL 2008 entsprechen, bedarf keiner Entscheidung. Denn selbst wenn damit der Mindestradius für das Beurteilungsgebiet von 600 m nach Nr. 4.4.2 GIRL 2008 für die Ermittlung der Vorbelastung unterschritten worden sein sollte, lässt sich daraus keine Rechtsverletzung der Antragsteller ableiten. Entscheidend hierfür ist lediglich, dass im Rahmen der Ermittlung der Geruchsgesamtbelastung die tatsächlich vorhandene Vorbelastung möglichst vollständig und realitätsnah unter Einbeziehung aller Geruchsquellen erfasst wird, die in dem Umfeld der zur Genehmigung gestellten Anlage geruchsrelevant sind (vgl. OVG Lüneburg, B. v. 6.11.2012 - 12 ME 189/12). Dem Beschwerdevorbringen lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass sich hier im 600 m-Radius um die Biogasanlage oder darüber hinaus zusätzlich zu der berücksichtigten Rinderhaltung des Beigeladenen zu 1 und einer größeren Schweinehaltung eines Dritten weitere Geruchsquellen befinden, die zu einer relevanten Erhöhung der am Wohnhaus der Antragsteller auftretenden Geruchsbelastung führen würden.

2. Selbst wenn hier davon auszugehen wäre, dass aufgrund der unterschiedlichen gutachterlichen Äußerungen die Frage der Geruchsbelastungen ungeklärt und damit das Ergebnis des Rechtsstreits in der Hauptsache offen wäre, müsste die Interessenabwägung zu Gunsten des beigeladenen Bauherrn ausfallen. Es ist angesichts der bisher berechneten Geruchsimmissionswerte nicht erkennbar, dass die möglichen Beeinträchtigungen so groß sind, dass eine Untersagung der Nutzung der Biogasanlage angezeigt wäre. Zudem ließen sich Beeinträchtigungen im Fall einer dauerhaften Überschreitung der Geruchsimmissionswerte hier leicht vermeiden, indem - worauf bereits das Verwaltungsgericht hingewiesen hat - beispielsweise eine Beschränkung der Schnittfläche der Fahrsiloanlage zur Beschickung der Biogasanlage und der Fütterung der Rinder nachträglich durch die Bauaufsichtsbehörde angeordnet würde. Mit einer solchen Maßnahme ließe sich die Geruchsbelastung für die Antragsteller in relevanter Weise reduzieren, weil das Fahrsilo, wie den Stellungnahmen des Büros h... vom 7. Februar 2012 und vom 16. August 2012 entnommen werden kann, aufgrund der bodennahmen Ausbreitung und der relativen Nähe zu den Antragstellern einen nicht unerheblichen Anteil an der Geruchsbelastung durch die Biogasanlage hat. Die Antragsteller sind dieser Einschätzung nicht substantiiert entgegengetreten.

3. Der Hilfsantrag ist auf die Verpflichtung des Antragsgegners gerichtet, die Nutzung der Biogasanlage bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu untersagen. Diesem Begehren fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Antrag in der Weise ausgelegt wird, dass er - wofür die Bezeichnung als Hilfsantrag durch die Antragstellerbevollmächtigten spricht - für den Fall des Misserfolgs des Hauptantrags gestellt wird. Mangels einer Aussetzung der Vollziehung des Bescheids vom 30. September 2011 bzw. einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klagen der Antragsteller gegen diesen Bescheid kommt bei einem solchen Misserfolg der Erlass von Sicherungsmaßnahmen nach § 80 a Abs. 3, § 80 a Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht in Betracht (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl. 2012, § 80 a RdNr. 14). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung scheidet gemäß § 123 Abs. 5 VwGO aus.

Selbst wenn der Antrag für den Fall gestellt sein sollte, dass der Senat dem Hauptantrag stattgibt, könnte er keinen Erfolg haben, weil dies hier nicht der Fall ist. Im Übrigen würde es in erster Linie der Bauaufsichtsbehörde obliegen, im Rahmen ihres Ermessens gegebenenfalls das Erforderliche zur Sicherung der Rechte der Antragsteller zu veranlassen (vgl. BayVGH, B. v. 17.8.2010 - 15 CS 10.981).

Kosten: § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.

Streitwert: § 47, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG; der Hilfsanspruch war hier nach § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG nicht mit dem Hauptanspruch zu addieren, weil er als unzulässig anzusehen ist (vgl. BayVGH, B. v. 26.7.2011 - 2 C 11.1551).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).