Niedersächsisches OVG, Urteil vom 30.01.2013 - 11 LB 115/12
Fundstelle
openJur 2013, 4636
  • Rkr:
Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung.

Gegen den 1977 geborenen Kläger wurde 2010 wegen des Verdachts des Betruges strafrechtlich ermittelt. In dem zunächst bei der Staatsanwaltschaft B. anhängigen Ermittlungsverfahren wurde ihm vorgeworfen, durch Vorspiegelung falscher Tatsachen einen beträchtlichen Vermögensvorteil zum Nachteil des Anzeigenerstatters erworben zu haben, wobei sich die Schadenshöhe auf rd. 167.000 EUR belief. Dieses Ermittlungsverfahren wurde an die Staatsanwaltschaft C. abgegeben. Mit Urteil des Amtsgerichts C. vom 25. April 2012 wurde der Kläger wegen gewerbsmäßigen Betruges in vier Fällen unter Einbeziehung der mit Urteil des Amtsgerichts D. vom 12. Oktober 2010 verhängten Einzelfreiheitsstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde (22 Ls 142 Js 57785/10).

Mit Bescheid vom 12. Juli 2010 ordnete das Polizeikommissariat E. gegenüber dem Kläger die Durchführung von erkennungsdienstlichen Maßnahmen an. Die erkennungsdienstliche Behandlung sollte die Abnahme von Fingerabdrücken sowie von Handflächen- und Handkantenabdrücken und die Aufnahme von Lichtbildern bzw. Porträtaufnahmen umfassen. Zur Begründung wurde angegeben, die erkennungsdienstliche Behandlung sei notwendig, weil der Kläger seit 1999 in den Deliktsbereichen Bedrohung, Verstößen gegen das Waffengesetz, Unterschlagung und Betrug polizeilich in Erscheinung getreten sei. Aktuell würden drei Strafverfahren wegen Betruges, jeweils mit erheblicher Schadenshöhe, bei verschiedenen Polizeidienststellen gegen ihn geführt. Vor dem Amtsgericht E. habe er am 24. Oktober 2008 die eidesstattliche Versicherung abgegeben. Aufgrund kriminalistischer Erfahrung und der finanziellen Lage des Klägers sei davon auszugehen, dass es zur Begehung weiterer Straftaten durch ihn kommen werde.

Der Kläger ist in der Vergangenheit u.a. wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten:

Das Amtsgericht E. verurteilte den Kläger mit Strafbefehl vom 18. Mai 2006 wegen Unterschlagung in 112 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde (2 Cs 115 Js 4524/04). Dem lag zugrunde, dass der Kläger als Kassierer in einer Tankstelle von Kunden Geld für Tankvorgänge entgegennahm, dieses Geld aber nicht in die Kasse abrechnete, sondern für sich behielt, wodurch dem Tankstelleninhaber ein Schaden in Höhe von über 5.200 EUR entstand.

Mit Urteil des Amtsgerichts D. vom 12. Oktober 2010 (2 Ds 34 Js 19547/08) wurde der Kläger wegen Betruges in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. In dem einen Fall hatte der Kläger 2008 von dem Geschädigten Vorleistungen in Höhe von 50.000 EUR auf die Lieferung von Sonnenblumenöl erhalten, welches er entsprechend seiner vorgefassten Absicht nicht lieferte. In dem anderen Fall kaufte der Kläger von der geschädigten Firma 7392 Flaschen Zuckerrohrschnaps, wobei er billigend in Kauf nahm, den Kaufpreis nicht zahlen zu können. Ein weiteres strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Betruges, das 2010 von der Staatsanwaltschaft F. gegen den Kläger eingeleitet worden ist (35 Js 13716/10), wurde vom Amtsgericht D. nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt.

2008 leitete die Staatsanwaltschaft B. ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Kläger ein, weil dieser trotz Versäumnisurteils ein ihm in Höhe von 30.000 EUR gewährtes Darlehen nicht zurückgezahlt hatte und wegen der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung Betrugsabsicht vermutet wurde (115 Js 30814/08). Dieses Verfahren wurde am 21. Januar 2009 an die Staatsanwaltschaft G. abgegeben (100 Js 1256/09). Das Amtsgericht G. stellte das Verfahren mit Beschluss vom 18. Februar 2011 im Hinblick auf das vorstehend angeführte Urteil des Amtsgerichts D. vom 12. Oktober 2010 nach § 154 Abs. 2 StPO ein.

Weiterhin wurde 2008 gegen den Kläger wegen Betruges ermittelt, weil dieser zwei hochwertige Uhren im Wert von über 2.600 EUR erworben, den Kaufpreis aber nicht bezahlt hatte. Das Verfahren wurde an die Staatsanwaltschaft H. abgegeben, über den Ausgang des Verfahrens ist nichts bekannt.

Der Kläger hat am 20. Juli 2010 Klage gegen den Bescheid vom 12. Juli 2010 erhoben und zur Begründung vorgetragen, dass ungeachtet der fehlenden Voraussetzungen des § 81 b 2. Alt. StPO dem Bescheid nicht zu entnehmen sei, dass die Beklagte von dem ihr zustehenden Ermessen Gebrauch gemacht habe. Die Ausführungen in dem Bescheid verhielten sich allenfalls zu der angenommenen Wiederholungsgefahr. Die insoweit anzustellende Prognose sei jedoch Bestandteil der Voraussetzungen des Tatbestandes des § 81 b 2. Alt. StPO. Ermessenserwägungen enthalte der angefochtene Bescheid nicht. Es seien auch keine Anhaltspunkte für eine Ermessensreduzierung auf Null ersichtlich. Der Ermessensfehler könne nicht geheilt werden, weil gänzlich fehlende Erwägungen nicht im Sinne des § 114 Satz 2 VwGO ergänzt werden könnten.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 12. Juli 2010 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat sie vorgetragen, dass gegen den Kläger ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Betruges anhängig sei. Damit sei er Beschuldigter im Sinne von § 81 b 2. Alt. StPO. Die angeordneten Maßnahmen seien auch notwendig. Nach dem dem Anlassverfahren zugrunde liegenden Sachverhalt habe der Kläger durch Vorspiegelung falscher Tatsachen einen beträchtlichen Vermögensvorteil zum Nachteil des Anzeigenerstatters erwerben können. Die Schadenshöhe belaufe sich auf rd. 167.000 EUR. Er sei bisher mehrfach in relevanter Art und Weise polizeilich in Erscheinung getreten und das ihm zur Last gelegte Verhalten sei als ausreichende Rechtfertigung für die Prognose, dass er auch zukünftig Beteiligter in Strafverfahren sein könne, heranziehbar. Das Ermessen sei korrekt ausgeübt worden. Es lägen mehr als ausreichende Indizien vor, welche die Negativprognose im Sinne einer Wiederholungsgefahr insbesondere im Deliktsbereich Betrug stützen würden. Der Kläger habe offensichtlich erhebliche finanzielle Probleme, was u. a. durch die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung belegt werde. Des Weiteren sei er nirgends amtlich gemeldet. Es handele sich auch um keine Bagatelldelikte. Der Begründung des Bescheides lasse sich entnehmen, dass das Ermessen erkannt und auch ausgeübt worden sei. In der angefochtenen Vorladung würden die Fälle genannt, in denen der Kläger bisher strafrechtlich in Erscheinung getreten sei. Es werde außerdem eine Prognose hinsichtlich der Wiederholungsgefahr gestellt. Spätestens in den Schriftsätzen im Rahmen des Klageverfahrens seien die Ermessenserwägungen insoweit in hinreichender Weise ergänzt worden, dass die angeordnete erkennungsdienstliche Behandlung wegen der wiederholten Ermittlungen gegen den Kläger aufgrund diverser Straftaten für erforderlich gehalten werde.

Mit Urteil vom 14. Oktober 2011 hat das Verwaltungsgericht den Bescheid der Beklagten vom 12. Juli 2010 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass § 81 b 2. Alt. StPO der Polizei einen Ermessensspielraum eröffne. Die Ermessensbetätigung auf der Rechtsfolgenseite setze dabei sowohl eine Entscheidung über das „Ob“ der Anordnung voraus (sog. Entschließungsermessen) als auch eine Entscheidung über das „Wie“ der Anordnung (sog. Auswahlermessen). Die Kehrseite dieses vom sog. Opportunitätsprinzip geprägten Ermessens bestehe darin, dass die Polizei ihre Handlungsfreiheit erkennen und die Entscheidung für oder gegen ein entsprechendes Tätigwerden bzw. für oder gegen eine bestimmte Maßnahme begründen müsse. Hier sei nicht ersichtlich, dass die handelnde Polizeibehörde sich ihres Ermessensspielraums bewusst gewesen sei. Insbesondere sei weder aus der Begründung des Bescheides noch aus dem Verwaltungsvorgang zu ersehen, dass ihr das eingeräumte Entschließungsermessen bekannt gewesen sei und dass sie dieses ausgeübt habe. Die Begründung des Bescheides befasse sich ausschließlich mit Fragen, die die Tatbestandsseite des § 81 b 2. Alt. StPO beträfen. Ermessenserwägungen irgendwelcher Art würden darin nicht einmal ansatzweise angestellt werden. Dieser Mangel in der Ermessensbetätigung sei nicht durch die Ausführungen der Beklagten im Rahmen des Klageverfahrens geheilt worden. Ermessenserwägungen könnten im verwaltungsgerichtlichen Verfahren lediglich ergänzt, aber nicht vollständig oder auch nur in wesentlichen Teilen erstmals nachgeholt werden.

Auf den Antrag der Beklagten hat der Senat mit Beschluss vom 25. April 2012 (11 LA 371/11) die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit dieses Urteils zugelassen.

Zur Begründung der Berufung trägt die Beklagte weiter vor, dass Ermessensfehler nicht vorliegen würden. Im angefochtenen Bescheid werde als Rechtsgrundlage für die angeordnete erkennungsdienstliche Maßnahme die Vorschrift des § 81 b 2. Alt. StPO genannt und begründet, warum im Falle des Klägers eine erkennungsdienstliche Behandlung als notwendig angesehen werde. Unter Berücksichtigung der Vorfälle, in denen der Kläger bisher strafrechtlich in Erscheinung getreten sei, und seiner finanziellen Situation werde eine Prognose hinsichtlich der Wiederholungsgefahr gestellt. Diese Erwägungen ließen bereits erkennen, dass das Ermessen erkannt und auch ausgeübt worden sei. Weitere Gesichtspunkte zur Darlegung der Notwendigkeit der erkennungsdienstlichen Maßnahmen seien nicht vorhanden und könnten daher nicht angeführt werden. Darüber hinaus sei im Rahmen der Klageerwiderung in hinreichender Weise ergänzt worden, dass die angeordnete erkennungsdienstliche Behandlung wegen der wiederholten Ermittlungen gegen den Kläger aufgrund diverser Straftaten sowie der Wiederholungsgefahr für erforderlich gehalten werde. Die Ausübung des Entschließungsermessens stelle im Übrigen eine notwendige Vorstufe zu dem ergangenen Bescheid dar. Ohne die etwaige Überlegung, ob und wie in diesem Fall gehandelt werden solle, hätte der handelnde Beamte nicht klar anordnen können, welche genauen erkennungsdienstlichen Maßnahmen vorgenommen werden sollten und mit welcher Begründung. Hier habe der handelnde Beamte eine individuelle Negativprognose zum Kläger erstellt und wesentliche Erwägungen kurz dargelegt. Der Bescheid setze sich mit den Gesichtspunkten, die die Notwendigkeit der Maßnahme begründeten, auseinander. Darüber hinaus vertrete das Verwaltungsgericht Hannover die Auffassung, dass eine fehlende Ermessensausübung unschädlich sei, weil das Ermessen bereits intendiert sei (Beschl. v. 6.12.2011 - 4 A 508/11 -). Des Weiteren habe die Dienststelle ihr Auswahlermessen dahingehend ausgeübt, dass lediglich die Abnahme von Fingerabdrücken sowie die Abnahme von Handflächen- und Handkantenabdrücken und die Aufnahme von Lichtbildern bzw. Porträtaufnahmen angeordnet worden sei. Es existierten wesentlich mehr Maßnahmen, die im Rahmen einer erkennungsdienstlichen Behandlung angeordnet werden könnten. Eine nähere Begründung dieser Standardmaßnahmen sei nach ständiger Rechtsprechung nicht unbedingt erforderlich, da diese Unterlagen regelmäßig für Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig seien.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade - Einzelrichterin der 1. Kammer - vom 14. Oktober 2011 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, dass das Verwaltungsgericht den Bescheid der Beklagten zu Recht aufgehoben hat. Im Hinblick auf die zwingend erforderliche Ermessensausübung hätte die Beklagte zumindest anführen können, warum oder zumindest dass mildere Maßnahmen nicht in Betracht kämen. Im Übrigen dürfe die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung nicht an beliebige Tatsachen anknüpfen. Vielmehr wäre die Beklagte verpflichtet gewesen, die von ihr getroffenen Maßnahmen aus einem konkret gegen ihn als Beschuldigten geführten Strafverfahren zu begründen. In ihrer Begründung gehe die Beklagte jedoch nicht ein einziges Mal auf ein gegen ihn gerichtetes Strafverfahren ein. Vielmehr führe sie lediglich aus, dass er seit 1999 in mehreren Deliktsbereichen polizeilich in Erscheinung getreten sei und aktuell drei Strafverfahren wegen Betruges geführt würden. Wo und unter welchem Aktenzeichen diese geführt werden, sei nicht ersichtlich, so dass auch nicht überprüft werden könne, welche Strafverfahren die Beklagte zur Grundlage ihrer Entscheidung gemacht habe. Im Übrigen sei er nicht mehr Beschuldigter im Sinne des § 81 b StPO.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte, den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten sowie auf die beigezogenen Strafakten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 12. Juli 2010, mit dem die erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers angeordnet wurde, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Gemäß § 81 b 2. Alt. StPO dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden, soweit es für Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist. Derartige erkennungsdienstliche Unterlagen werden nicht für Zwecke eines gegen den Betroffenen gerichteten oder irgendeines anderen konkreten Strafverfahrens erhoben. Ihre Anfertigung, Aufbewahrung und systematische Zusammenstellung in kriminalpolizeilichen Sammlungen dient nach ihrer gesetzlichen Zweckbestimmung - ohne unmittelbaren Bezug zu einem konkreten Strafverfahren - der vorsorgenden Bereitstellung von sächlichen Hilfsmitteln für die sachgerechte Wahrnehmung der Aufgaben, die der Kriminalpolizei hinsichtlich der Erforschung und Aufklärung von Straftaten zugewiesen sind (BVerwG, Urt. v. 23.11.2005 - BVerwG 6 C 2.05 -, NJW 2006, 1225 m.w.N.). Es handelt sich nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei § 81 b 2. Alt. StPO nicht um eine Regelung im Bereich der Strafverfolgung, sondern um die Ermächtigung zu Maßnahmen der Strafverfolgungsvorsorge im Sinne präventiv-polizeilicher Tätigkeit. Die Notwendigkeit erkennungsdienstlicher Maßnahmen bemisst sich dementsprechend danach, ob der Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalls - insbesondere angesichts der Art, Schwere und Begehungsweise der dem Betroffenen im strafrechtlichen Anlassverfahren zur Last gelegten Straftaten, seiner Persönlichkeit sowie unter Berücksichtigung des Zeitraums, währenddessen er strafrechtlich nicht (mehr) in Erscheinung getreten ist - Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene künftig oder anderwärts gegenwärtig mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an einer noch aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen - den Betroffenen schließlich überführend oder entlastend - fördern könnten (BVerwG, Urt. v. 19.10.1982 - BVerwG 1 C 29.79 -, BVerwGE 66, 192 = NJW 1983, 772; Urt. v. 23.11.2005 - BVerwG 6 C 2.05 -, a.a.O.). Notwendig für Zwecke des Erkennungsdienstes ist die Erhebung von solchen erkennungsdienstlichen Unterlagen, die für zukünftige Ermittlungen geeignet sind und diese fördern könnten. Für die Beurteilung der Notwendigkeit erkennungsdienstlicher Maßnahmen ist nicht (nur) auf den Zeitpunkt des Erlasses der Anordnung, sondern auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Vornahme dieser Maßnahmen abzustellen. Im Rahmen der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle kommt es deshalb insoweit auf die Sachlage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz - hier also auf den Zeitpunkt der Berufungsverhandlung - an (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.10.1982 - BVerwG 1 C 29.79 -, a.a.O.).

Nach diesen Maßstäben ist die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung durch die Beklagte rechtmäßig.

Im Zeitpunkt der streitigen Anordnung vom 12. Juli 2010 war der Kläger Beschuldigter im Sinne von § 81 b 2. Alt. StPO. Gegen ihn wurde ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Betruges geführt. Dass der Kläger inzwischen u.a. wegen der ihm im Anlassverfahren vorgeworfenen Tat verurteilt worden ist, führt nicht zur Rechtswidrigkeit der angefochtenen Maßnahme. Für die Bejahung der Beschuldigteneigenschaft im Rahmen der Anordnung der erkennungsdienstlichen Maßnahme ist allein maßgeblich, ob gegen den Betroffenen im Zeitpunkt des Erlasses der Anordnung zu Recht ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist. Dass dieser vor dem Vollzug des Verwaltungsaktes durch Freispruch, Verurteilung oder Einstellung des Verfahrens die Beschuldigteneigenschaft verliert, ändert nichts an der Rechtmäßigkeit der Anordnung (vgl. dazu näher BVerwG, Urt. v. 23.11.2005 - BVerwG 6 C 2.05 -, a.a.O., u. Urt. v. 19.10.1982 - BVerwG 1 C 29.79 -, a.a.O.; Senatsurt. v. 28.6.2007 - 11 LC 372/06 -, a.a.O., u. Senatsbeschl. v. 7.1.2010 - 11 ME 439/09 -).

Die Anordnung der erkennungsdienstlichen Maßnahmen ist auch notwendig. Denn die Einschätzung der Beklagten, nach der hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Kläger künftig als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an einer noch aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden könnte, ist nicht zu beanstanden.

Für die Annahme, dass eine erkennungsdienstliche Behandlung i.S.d. § 81 b 2. Alt. StPO "notwendig" ist, bedarf es einer auch auf der sog. Anlasstat beruhenden Wiederholungsgefahr (vgl. Senatsbeschl. v. 31.8.2010 - 11 ME 288/10 - u. v. 20.11.2008 - 11 ME 297/08 -, juris, m.w.N.). Dabei ist aufgrund einer Gesamtschau unter Berücksichtigung aller Umstände der Anlasstat sowie ggf. weiterer in der Vergangenheit geführter strafrechtlicher Ermittlungsverfahren zu prüfen, ob hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, dass der Betroffene künftig als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an einer noch aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden und die erkennungsdienstliche Behandlung die dann zu führenden Ermittlungen - den Betroffenen überführend oder entlastend - fördern könnte.

Nach diesen Maßstäben ist die Einschätzung der Beklagten, bei dem Kläger bestehe mit Blick auf künftige Straftaten eine hinreichende, die Anfertigung und Aufbewahrung erkennungsdienstlicher Unterlagen rechtfertigende Wiederholungsgefahr, nicht zu beanstanden.

Die Beklagte hat bei der Einschätzung der Wiederholungsgefahr zu Recht berücksichtigt, dass der Kläger nicht nur wegen der Anlasstat polizeilich in Erscheinung getreten ist, sondern dass gegen ihn zum Zeitpunkt der Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung bereits zwei weitere Ermittlungsverfahren wegen Betruges bei der Staatsanwaltschaft C. und dem Polizeirevier D. eingeleitet waren und auch in der Vergangenheit gegen den Kläger wiederholt u.a. wegen Betruges und Unterschlagung strafrechtlich ermittelt worden ist. Angesichts der Vielzahl der gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren im Bereich der Vermögensdelikte sowie des Umstandes, dass der Kläger 2008 die eidesstattliche Versicherung abgegeben hat und keine Anhaltspunkte für eine Verbesserung seiner finanziellen Situation erkennbar gewesen sind, ist die Prognose, dass der Kläger auch künftig als Tatverdächtiger in Betracht kommen wird, nicht zu beanstanden.

Dabei kommt es auch nicht darauf an, ob für die Aufklärung der Anlasstat erkennungsdienstliche Unterlagen erforderlich waren. Denn die erkennungsdienstliche Behandlung nach § 81 b 2. Alt. StPO dient nicht der konkreten Aufklärung einer Straftat, sondern im Sinne präventiv-polizeilicher Tätigkeit der vorsorgenden Bereitstellung von Hilfsmitteln für die künftige Erforschung und Aufklärung von Straftaten. Angesichts der gegen den Kläger bisher geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ist es jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass in künftigen Verfahren erkennungsdienstliche Unterlagen wie Fotos oder Fingerabdrücke nützlich sein können, um zur Aufklärung beizutragen.

Die erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers erweist sich auch als verhältnismäßig. Wegen der Begrenzung der erkennungsdienstlichen Maßnahmen auf das notwendige Maß darf im konkreten Einzelfall die Schwere des mit der konkreten erkennungsdienstlichen Maßnahme verbundenen Grundrechtseingriffs nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht des mit der Maßnahme verfolgten öffentlichen Interesses namentlich an der Aufklärung künftiger Straftaten stehen (vgl. Senatsurt. v. 28.6.2007 - 11 LC 372/06 -, juris, Rn. 36, und v. 28.9.2006 - 11 LB 53/06 -, Nds.VBl. 2007, 42). Das Gewicht des öffentlichen Interesses an der Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen bemisst sich wiederum weniger nach der Schwere der in der Vergangenheit erfolgten Anlasstat als vielmehr nach dem Gewicht und der Wahrscheinlichkeit derjenigen Straftaten, bei denen der Betroffene zukünftig zum Kreis der potentiellen Beteiligten gehören kann und zu deren Aufklärung die anzufertigenden Unterlagen dienen sollen.

Hieran gemessen erweist sich die angeordnete erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers als verhältnismäßig. Sie ist nach den vorherigen Ausführungen zur Strafverfolgungsvorsorge geeignet und erforderlich. Die erkennungsdienstliche Behandlung ist auch im engeren Sinne verhältnismäßig, da der Kläger wiederholt insbesondere wegen Betruges strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, es sich dabei nicht lediglich um Bagatelldelikte handelt und angesichts seiner finanziellen Situation und Persönlichkeit zu befürchten ist, dass er zukünftig erneut in ähnlicher Weise straffällig werden wird. Die anzufertigenden Unterlagen können dann notwendige Ermittlungen fördern.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist der angefochtene Bescheid auch nicht deshalb rechtswidrig, weil die für die Beklagte handelnde Polizeiinspektion kein Ermessen ausgeübt hat.

Ob einer Behörde bei ihrer Entscheidung Ermessen zusteht, muss aus dem anzuwendenden Gesetz durch Auslegung ermittelt werden. Nach der hier maßgeblichen Vorschrift des § 81 b 2. Alt. StPO dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden, soweit es für Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist. Aus der Formulierung “dürfen“ wird deutlich, dass der Behörde eine Befugnis zur Ermessensausübung sowohl hinsichtlich ihres Tätigwerdens überhaupt (Entschließungsermessen) als auch hinsichtlich der Auswahl der möglichen Maßnahmen (Auswahlermessen) eingeräumt wird. Die Ermächtigung zur Ermessensausübung enthält zugleich die Verpflichtung hierzu. Macht die Behörde von einem ihr eingeräumten Ermessen keinen Gebrauch, ist der Bescheid rechtswidrig. Ein solcher Fehler kann auch nicht durch nachträgliche Erklärungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geheilt werden. Vom Anwendungsbereich des § 114 Satz 2 VwGO sind nur die Fälle umfasst, in denen unvollständige Ermessenserwägungen ergänzt werden, nicht aber diejenigen, in denen das Ermessen bisher zu Unrecht gar nicht ausgeübt worden ist und es daher an Ermessenserwägungen fehlt. Ein solcher Ermessensnichtgebrauch liegt hier nicht vor.

Von einem Ermessensnichtgebrauch ist auch dann nicht auszugehen, wenn mit dem Verwaltungsgericht angenommen wird, der angefochtene Bescheid enthalte hinsichtlich des Entschließungsermessens keine Ermessenserwägungen. Denn im vorliegenden Fall sind die Besonderheiten zu beachten, die sich aus der Anwendung der Grundsätze über das sog. intendierte Ermessen ergeben.

Von einem intendierten Ermessen wird gesprochen, wenn die Auslegung eines Gesetzes ergibt, dass nach dem maßgeblichen Fachrecht für den Regelfall eine bestimmte Entscheidung gewollt ist und davon nur in besonders begründeten Ausnahmefällen abgewichen werden soll (Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 18. Auflage, § 114 Rn. 21 b). Hier besteht zwar auch im Regelfall Ermessen, dieses ist jedoch gebunden. Folgt die Behörde der gesetzlichen Intention, bedarf es daher keiner weiteren Erwägungen (vgl. BVerwG, Urt. v. 5.7.1985 - BVerwG 8 C 22.83 -, BVerwGE 72, 1, juris, Rn. 22, u. Urt. v. 16.6.1997 - BVerwG 3 C 22.96 -, BVerwGE 105, 55; Rennert in: Eyermann, VwGO, Kommentar, 13. Auflage, § 114 Rn. 15 m.w.N.). Lediglich dann, wenn die Behörde außergewöhnliche Umstände des Einzelfalls nicht berücksichtigt, die eine andere Entscheidung möglich erscheinen lassen, kann ein Ermessensfehler vorliegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 5.7.1985 - BVerwG 8 C 22.83 -, a.a.O., u. Urt. v. 16.6.1997 - BVerwG 3 C 22.96 -, a.a.O.).

Bei dem der Polizei bei der Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 81 b Alt. 2 StPO eingeräumten Entschließungsermessen handelt es sich um ein intendiertes Ermessen. Dies ergibt sich aus der Auslegung der Vorschrift nach ihrem Sinn und Zweck sowie der Gesetzessystematik.

Die erkennungsdienstliche Behandlung nach § 81 b Alt. 2 StPO dient, wie bereits ausgeführt, der Strafverfolgungsvorsorge. Ihr Zweck ist auf die Erfüllung der der Polizei nach § 163 StPO obliegenden Aufgabe der Erforschung und Aufklärung von Straftaten gerichtet. Aus dieser Zweckbestimmung folgt, dass bei Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 81 b Alt. 2 StPO im Regelfall die Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen gewollt ist und davon nur ausnahmsweise abgesehen werden soll. So setzt die erkennungsdienstliche Behandlung nach § 81 b Alt. 2 StPO tatbestandlich voraus, dass sie für Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist. Wenn aber die Notwendigkeit in diesem Sinne festgestellt wird, sind im Regelfall keine Gesichtspunkte mehr denkbar, die dafür sprechen könnten, trotz Notwendigkeit für Zwecke der Strafverfolgungsvorsorge von der Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen abzusehen. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick darauf, dass individuelle Belange des von der Maßnahme Betroffenen bereits im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen sind. Bei Erfüllung sämtlicher Tatbestandsvoraussetzungen des § 81 b Alt. 2 StPO bleibt daher regelmäßig für eine für Ermessensentscheidungen typische Abwägung zwischen gegenläufigen Interessen nichts mehr übrig, da alle Belange, aus denen sich Besonderheiten ergeben und die daher bei einer solchen Abwägung eine Rolle spielen könnten, schon in die Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen eingeflossen sind. Beispielsweise ist auch der Umstand, dass ein Beschuldigter in der Vergangenheit schon einmal oder wiederholt erkennungsdienstlich behandelt worden ist, nicht erst bei der Ermessensausübung (so aber ohne Begründung OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 18.8.2010 - 3 L 372/09 -, juris), sondern bereits bei dem Tatbestandsmerkmal der Notwendigkeit der Maßnahme und der Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu berücksichtigen (vgl. Senatsurt. v. 21.2.2008 - 11 LB 417/07 -, Nds.VBl. 2008, 174).

Für diese Auslegung spricht auch die Systematik des § 81 b StPO. Diese Vorschrift enthält eine einheitliche Rechtsgrundlage für zwei Alternativen der erkennungsdienstlichen Behandlung, von denen die Verwaltungsgerichte nur für die 2. Alternative, d.h. die erkennungsdienstliche Behandlung zur Strafverfolgungsvorsorge, zuständig sind, während die erkennungsdienstliche Behandlung für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens nach der 1. Alternative in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte fällt. Da der Tatbestand für beide Alternativen einheitlich die Formulierung „dürfen“ vorsieht und bei der 1. Alternative über die Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen, d.h. der Notwendigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung für die Durchführung des Strafverfahrens, hinaus keine Ermessenserwägungen angestellt werden, widerspräche es der Gesetzessystematik, bei der 2. Alternative von einer freien Ausübung des Entschließungsermessens auszugehen.

Ausgehend von den vorstehend dargelegten Grundsätzen bedurfte es hier nach positiver Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 81 b 2. Alt. StPO für die vom Gesetz vorgesehene Regelfolge der Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung keiner weiteren Abwägung durch die Beklagte. Denn von dem Kläger sind keine außergewöhnlichen Umstände des Einzelfalles geltend gemacht worden oder sonst ersichtlich, die im Rahmen des Entschließungsermessens zusätzlich hätten berücksichtigt werden müssen. Da somit ergänzende Ermessenserwägungen entbehrlich waren, kann aus ihrem Fehlen auch nicht auf einen Ermessensnichtgebrauch geschlossen werden.

Im Übrigen wäre die streitige Anordnung selbst dann nicht ermessensfehlerhaft, wenn nicht von einem intendierten Ermessen auszugehen wäre. In dem angefochtenen Bescheid der Beklagten wird als Rechtsgrundlage für die angeordnete erkennungsdienstliche Maßnahme die Vorschrift des § 81 b 2. Alt. StPO genannt und kurz begründet, warum im Falle des Klägers eine erkennungsdienstliche Behandlung als notwendig angesehen wird. Dazu werden bezogen auf den vorliegenden Einzelfall die Vorfälle angeführt, in denen der Kläger bisher strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, und es wird unter Berücksichtigung dieser Vorfälle und der finanziellen Situation des Klägers die Prognose einer Wiederholungsgefahr gestellt. Diese Erwägungen sind zwar äußerst knapp gehalten und wiederholen nicht einmal den Wortlaut des § 81b 2. Alt. StPO. Sie lassen aber gerade noch erkennen, dass die Beklagte ihr Ermessen erkannt und dieses auch ausgeübt hat. Dies gilt auch deshalb, weil nicht ersichtlich ist, welche weiteren Gesichtspunkte über die Darlegung der Notwendigkeit der erkennungsdienstlichen Maßnahme hinaus im Rahmen des Entschließungsermessens hätten angeführt werden sollen. Dabei ist weiter zu berücksichtigen, dass es nach den Erfahrungen des Senats der - nicht zu beanstandenden - Ermessenspraxis der Beklagten entspricht, beim Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 81b 2. Alt. StPO die erkennungsdienstliche Behandlung anzuordnen. Zudem zeigt die Beschränkung der gegenüber dem Kläger angeordneten erkennungsdienstlichen Maßnahmen auf die Abnahme von Fingerabdrücken, Handflächen- und Handkantenabdrücken sowie die Aufnahme von Lichtbildern bzw. Portraitaufnahmen, dass hier abgestellt auf den vorliegenden Einzelfall vom Auswahlermessen Gebrauch gemacht worden ist. Dies spricht ebenfalls dafür, dass die Beklagte auch ihr Entschließungsermessen ausgeübt hat.