OLG Nürnberg, Beschluss vom 07.03.2012 - 11 WF 195/12
Fundstelle
openJur 2013, 3355
  • Rkr:
Tenor

1. Die Beschwerde der Stadt S. - Amt für Jugend und Soziales - gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht - Schwabach  vom 31.10.2011 (52 F 443/11) wird zurückgewiesen.   

2. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000.- Euro festgesetzt.

3. Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Ansbach hatte mit Beschluss vom 3.1.2007 (1 F 553/06) den sorgeberechtigten Eltern J. K. und V. R. des Kindes L. R., geb …, gemäß § 1666 BGB entzogen und damals die Stadt Ansbach - Stadtjugendamt - zum Vormund bestimmt. Mit Urteil des Amtsgerichts Ansbach vom 11.12.2006, rechtskräftig seit 13.2.2007, wurde festgestellt, dass V. R. nicht der Vater des Kindes ist. Die Vaterschaft hat H. P. J., geb. Z., zur Urkunde des Jugendamts in Bad Oeynhausen am 3.3.2008 anerkannt. Das Kind, das jetzt den Nachnamen "K." tragen darf (Genehmigungsbeschluss des Amtsgerichts Schwabach vom 9.12.2011, Az.: 52 F 878/11), befindet sich bereits seit 12.9.2006 in Dauerpflege bei der Familie B. und W. K. im Zuständigkeitsbereich des Stadtjugendamts Schwabach. Frau K. ist von Beruf Diplom-Juristin, ihr Ehemann technischer Wirtschaftsingenieur. In der Familie leben noch drei leibliche Söhne.

Mit Beschluss vom 10.4.2008 (VII 4/07) hat das Amtsgericht Schwabach das Stadtjugendamt Ansbach als Vormund entlassen und als neuen Vormund das Stadtjugendamt Schwabach bestellt. Des Weiteren hat das Amtsgericht Schwabach mit Beschluss vom 16.8.2010 den mit Beschluss des Amtsgerichts Ansbach vom 3.1.2007 angeordneten Entzug der elterlichen Sorge und die Anordnung von Vormundschaft aufrechterhalten (1 F 468/10).  

Die Pflegeeltern haben mit Schriftsatz ihres anwaltlichen Vertreters vom 10.5.2011, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, den Antrag gestellt, das Jugendamt der Stadt Schwabach als Amtsvormund für das Kind zu entlassen und sie als ehrenamtliche Einzelvormünder zu bestellen.

Diesem Antrag hat das Amtsgericht Schwabach mit Beschluss vom 31.10.2011 (52 F 443/11) entsprochen und die sofortige Wirksamkeit der Entlassung des Amtsvormunds und der Neubestellung der Pflegeeltern angeordnet.  

Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 21.11.2011 eingegangene Beschwerde des Amtes für Jugend und Soziales der Stadt Schwabach, der das Amtsgericht Schwabach mit Beschluss vom 2.2.2012 nicht abgeholfen hat. Das Stadtjugendamt stellt mit seiner Beschwerde nicht die Eignung der Pflegeltern als Vormünder in Abrede (Stellungnahme vom 27.2.2012), wirft aber die Frage auf, ob es dem Wohl des Kindes entspreche, wenn auch die rechtliche Vertretung ausschließlich in der Verantwortung der Pflegeeltern liege.  

Hintergrund der Bedenken des Jugendamts sind Meinungsverschiedenheiten des Amtsvormunds und der Pflegeeltern über die vorschulische Förderung des Kindes. Aufgrund negativer Erfahrungen der Unterbringung des Kindes im Heilpädagogischen Kinderzentrum - Außengruppe K. - von September 2009 bis Februar 2010 - das Kind sei kotverschmiert nach Hause gekommen und habe im Winter bei der Rückkehr keine Strumpfhose angehabt - lehnten die Pflegeeltern die weitere Betreuung in einer Einrichtung ab und stellten die Förderung des Kindes zuhause sicher, insbesondere durch eine ambulante intensive ergotherapeutische Behandlung zweimal pro Woche, wodurch  deutliche Verbesserungen in der motorischen und kognitiven Entwicklung erzielt werden konnten (Jugendamtsbericht vom 5.7.2010). Seitens des Pflegevaters wurde im Hilfegespräch die Ansicht vertreten, dass L. im "kommenden Jahr" (- also 2011 -) noch im beschützenden Familienverband gefördert wird. Es sei mit Unterstützung von Frau K. Mutter, die von Beruf Lehrerin ist, und der behandelnden Ergotherapeutin (Frau M.) ein entsprechendes Förderprogramm ausgearbeitet worden. Die Pflegeeltern haben damals auch noch die Ansicht vertreten, es sei vor Schuleintritt der Besuch der "SVE" (schulvorbereitende Einrichtung) am Sonderpädagogischen Förderzentrum in S……. sinnvoll. Das Jugendamt hatte vorgeschlagen, den Förderbedarf des Kindes mit der Frühförderungsstelle - dort wurde L. bereits in der Vergangenheit vorgestellt - abzuklären. Die Pflegeeltern möchten das Kind im häuslichen, geschützten und überschaubaren Bereich fördern und wollten den Besuch von L. in der SVE noch zurückstellen (Schriftsatz vom 5.7.2011). Sie planen auch bezüglich ihrer leiblichen Kinder keinen Kindergartenbesuch. Dennoch haben die Pflegeeltern jedenfalls seit 13.9.2011 dem Wunsch des Amtsvormunds entsprochen, L. in die schulvorbereitende Einrichtung (SVE) am Sozialpädagogischen Förderzentrum S. aufnehmen zu lassen, wo sie sich in der Zeit vom 13.9. bis 30.9.2011 befand (Schreiben des Jugendamts vom 2.12.2011) Der kontinuierliche Besuch dieser Einrichtung war allerdings wegen eines berufsbedingten Aufenthalts der Pflegeeltern auf Mallorca von Ende September 2011 bis Dezember 2011 unterbrochen. L………. habe lt. Angaben der Pflegeeltern in der SVE während des kurzen Besuchs der Einrichtung ein abwehrendes Verhalten gezeigt, Grenzen ausgetestet, andere Kinder attackiert, habe "geschimpft", zuhause das "Frühstück verweigert" und bereits kurz nach Beginn des Besuchs der Einrichtung im September 2011 ein entsprechendes Protestverhalten an den Tag gelegt und begonnen, zuhause wieder "rund um die Uhr einzunässen."  

Das Jugendamt befürwortet weiterhin eine Aufnahme von L. in die SVE. Es müsse eine Förderung des Kindes im sozialen Bereich, insbesondere der Erwerb einer altersentsprechenden sozialen Kompetenz durch regelmäßigen Kontakt zu Gleichaltrigen sichergestellt sein. Es stuft "aus sozialpädagogischer Sicht die Übertragung der Vormundschaft auf die Pflegeeltern als sehr kritisch" ein, führt aber andererseits im Schreiben vom 2.12.2011 aus, die Pflegeeltern würden den besonderen Förderbedarf des Kindes erkennen und "engagiert" zuhause versuchen, z.B. durch entsprechende Lernprogramme L. kognitiv auf den anstehenden Schulbesuch im Schuljahr 2012/13 vorzubereiten.

Im Übrigen wird seitens des Jugendamts auch "die Haltung der Pflegeeltern der leiblichen Mutter gegenüber" kritisiert.  

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schreiben des Stadtjugendamts vom 2.12.2011, 10.1.2012, 30.1.2012 und 27.2.2012 Bezug genommen.

Die Pflegeeltern haben die Zurückweisung der Beschwerde beantragt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze ihres Bevollmächtigten vom 22.12.2011, 2.2.2012 und 6.2.2012 verwiesen.

Der Senatsvorsitzende hat am 7.2.2012 in Bezug auf eine ergänzende Beschwerdebegründung den Hinweis erteilt, dass insbesondere auf den in § 1791 b BGB normierten Vorrang natürlicher Personen und die im Schreiben des Jugendamts vom 2.12.2011 ausdrücklich bestätigte Eignung der Pflegeeltern eingegangen werden möge.

Das beteiligte Jugendamt und die Pflegeeltern hatten wechselseitig Gelegenheit zur Stellungnahme.

II.

Die statthafte (§§ 111 Nr. 2, 151 Nr. 4, 58 FamFG) und form- und fristgerecht (§ 63 Abs. 2 Nr. 1 FamFG) eingelegte Beschwerde des Amtes für Jugend und Soziales der Stadt Schwabach hat keinen Erfolg.

Die Entlassung des Amtsvormundes und die Bestellung der Pflegeeltern K. als geeignete Einzelvormünder dient dem Kindeswohl.

Das Jugendamt ist am 3.1.2007 nur deshalb als Amtsvormund bestellt worden, weil damals eine als ehrenamtlicher Vormund geeignete Person nicht vorhanden war (§ 1791b BGB). Gemäß § 1887 Abs. 1 BGB hat das Familiengericht das Jugendamt als Vormund zu entlassen, wenn dies dem Wohl des Mündels dient und eine andere als Vormund geeignete Person vorhanden ist. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist die Entscheidung des Gerichts zur Entlassung des Amtsvormunds zwingend. Ein Ermessen besteht nicht.

Eine vorrangige Bestellung des Jugendamts als Vormund sehen die gesetzlichen Vorschriften nicht vor, wie sich auch aus § 56 Abs. 4 SGB VIII ergibt, wonach das Jugendamt in der Regel jährlich zu prüfen hat, ob seine Entlassung und die Bestellung einer Einzelperson oder eines Vereins im Interesse des Kindes angezeigt ist (OLG Celle JAmt 2010, 257). Vielmehr hat die Bestellung geeigneter Einzelvormünder grundsätzlich Vorrang vor einer Amtsvormundschaft, da die Einzelvormünder dem Wohl des Kindes im Allgemeinen besser und individueller dienen können als ein Amtsvormund. Denn eine Vormundschaft erfüllt ihren Sinn dann am besten, wenn das Kind erlebt, dass die Person, die es täglich erzieht, auch rechtlich zu dieser Erziehung befugt ist. Stabilität und Verlässlichkeit können ihm vermittelt werden, wenn seine "sozialen Eltern" künftig auch in der Lage sind, die erzieherischen Entscheidungen eigenständig zu treffen (LG Wiesbaden FamRZ 2009, 2103; LG Hannover FamRZ 2007, 1909).

Vorliegend sind sämtliche Voraussetzungen für die Übertragung der Vormundschaft auf die Pflegeeltern gegeben.

Die Eignung des Ehepaars K., die an den in § 1779 Abs. 2 BGB genannten Kriterien zu messen ist, wie etwa Charakter, Kenntnisse und Erfahrungen sowie  persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse (Gesundheit, berufliche oder familiäre Belastungen usw.) vgl. Palandt-Diederichsen, BGB, 70. Aufl., § 1779 Rn. 5) stellt das Beschwerde führende Jugendamt nicht in Frage, wie sich aus der Stellungnahme vom 2.12.2011 ergibt. Danach sind Herr und Frau K. als Pflegeeltern "unbestritten engagiert und tun viel für die Entwicklung des Kindes". Der Amtsvormund teilte mit Schreiben vom 24.5.2011, dass L. "durch das Wirken der Pflegeeltern große Fortschritte gemacht hat".  

Die Entlassung des Amtsvormundes und die Bestellung der Pflegeeltern zu Einzelvormündern dient dem Wohl des betroffenen Kindes. Die mit der Übertragung der Vormundschaft einhergehende größere rechtliche Verbundenheit der Pflegeeltern zu den Kindern und die dadurch erhöhte Sicherheit, dass die Verbindung aufrechterhalten bleibt, spricht ganz entscheidend für eine Übertragung der Vormundschaft auf die Pflegeeltern. Es ist für die Betroffenen von erzieherischem Vorteil, wenn sie erleben, dass die emotionale Bezugsperson auch rechtliche Befugnisse hat (LG Frankfurt FamRZ 2009, 2103; KG FamRZ 2002, 267). L. lebt bereits seit fast 5 ½ Jahren in Vollzeitpflege bei "ihren sozialen Eltern", die nicht nur über angesehene Berufe und gesicherte wirtschaftliche Verhältnisse verfügen, sondern ein kindgerechtes Umfeld bieten können (Bericht vom 5.7.2010). Leonie ist fest im Familienverband der Pflegefamilie verankert und hat dort ihren Lebensmittelpunkt (Schreiben des Jugendamts vom 27.2.2012). Nach Auffassung des Senats entspricht es dem Kindeswohl, wenn die Pflegeeltern bei dieser Sachlage auch die rechtliche Verantwortung für L. übernehmen.

Die eingangs geschilderten Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Frühförderung des Kindes stellen als Einzelaspekt  bei einer Gesamtbetrachtung der bereits erfolgten Integration des Kindes in die Pflegefamilie und der bisher gezeigten Förderkompetenz der Pflegeeltern das Kindeswohl als solches generell nicht in Frage. Auch die Pflegeeltern wollen aus ihrer Sicht für das Kind "das Beste". Die durch das Jugendamt vorgebrachten Probleme mit der Zusammenarbeit betreffen indes das Verhältnis der Beteiligten selbst.

Was die vom Jugendamt kritisierte "Haltung der Pflegeeltern der leiblichen Mutter gegenüber" anbelangt, weist selbst der Jugendamtsbericht vom 5.7.2010 darauf hin, dass die Mutter bisher als verlässliche Bezugsperson für ihre Tochter nicht in Erscheinung getreten ist. L. habe keine persönliche Beziehung oder Bindung zur Mutter. Die Mutter könne sich wenig in die Lebenssituation und Bedürfnislage des Kindes einfühlen und habe sich nicht einmal an den Entzug ihres Sorgerechts erinnern können. Der Senat geht davon aus, dass die Pflegeeltern trotz dieser Umstände den Kontakt zur leiblichen Mutter wie in der Vergangenheit aufrecht erhalten. Hierzu können sie die Beratung und Unterstützung des Jugendamts in Anspruch nehmen (LG Hannover a.a.O.)

Die beteiligten Pflegeeltern stehen als ehrenamtliche Vormünder weiterhin unter der Überwachung des Jugendamts und des Familiengerichts, so dass die weitere Entwicklung von L. überwacht werden kann.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG. Die Festsetzung des Verfahrenswerts ergibt sich aus §§ 46 Abs. 2, 42 Abs. 2, 3 FamGKG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung einer Rechtsbeschwerde liegen nicht vor