VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 22.10.1991 - 5 S 189/90
Fundstelle
openJur 2013, 7922
  • Rkr:

1. Eine Entscheidung durch den Vorsitzenden bzw den Berichterstatter nach § 87a VwGO ist nicht mehr zulässig, wenn bereits eine mündliche Verhandlung vor dem Senat stattgefunden hat.

2. Wenn ein von der Allgemeinheit als Fußweg benutzter Weg zugleich als Zufahrtsweg für die anliegenden Grundstücke diente und daher die Anlieger den Weg in einem für Fahrzeuge benutzbaren Zustand unterhielten, kann für die Annahme eines öffentlichen Fußwegs ausnahmsweise auf einen Wegeunterhalt durch die Gemeinde verzichtet werden.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob der K-weg in der klagenden Gemeinde ... ein öffentlicher Weg oder ein Privatweg ist.

Der K-weg führt von der D-straße in ... über das im Eigentum der Beigeladenen Ziff. 4 stehende Grundstück Flst. Nr. 9 sowie die Grundstücke Nr. 8 und 10 zur Kirche. Das Grundstück Nr. 8 gehörte bis zum 15.12.1988 den Beigeladenen Ziff. 1 und 2, die es dann der Beigeladenen Ziff. 3 übereigneten. Die Beigeladenen Ziff. 1 und 2 sind weiterhin Eigentümer des Grundstücks Flst. Nr. 10. Der K-weg ist im Bereich des Grundstücks Flst.Nr. 9 mit Kies befestigt, im Bereich der Grundstücke Nr. 8 und 10 ist er Teil der gepflasterten Hoffläche, anschließend wird er als Trampelpfad fortgeführt.

Die Beigeladenen Ziff. 1 und 2 sperrten im Jahr 1986 den Weg an der südlichen Grenze des Grundstücks Nr. 8 mit einem 80 cm hohen Latten-Holztor. Der Bürgermeister der Klägerin gab den Beigeladenen Ziff. 1 und 2 mit einer ortspolizeilichen Anordnung vom 31.12.1987 die Entfernung des Tores auf, weil es sich bei dem K-weg um einen öffentlichen Weg handele. Der Weg sei im Gemarkungsatlas von 1887 ausgewiesen und werde seit über 80 Jahren als Zugang zur Kirche benutzt. Er weise auch mit Ausnahme des Hofs der Beigeladenen eine erkennbare Wegeanlage auf. Die Beigeladenen Ziff. 1 und 2 legten hiergegen Widerspruch ein und brachten vor, eine erkennbare Wegeanlage sei im Bereich ihres Grundstücks nicht vorhanden. Ein öffentlicher Weg könne schon deswegen nicht angenommen werden, weil auf ihrem Grundstück zugunsten benachbarter Grundstücke ein privates Geh- und Fahrrecht eingetragen sei. Der Weg sei entgegen der Behauptung der Klägerin nicht im Gemarkungsatlas eingetragen. Die Unterhaltung des Wegs und die Räum- und Streupflicht werde von den Anliegern und nicht etwa von der Gemeinde wahrgenommen.

Das Landratsamt B hob mit Widerspruchsbescheid vom 28.6.1988 den Bescheid der Klägerin vom 31.12.1987 auf. Das Landratsamt führte dabei aus, die Voraussetzungen für eine Widmung des Wegs durch unvordenkliche Verjährung seien nicht nachweisbar. Es fehle insbesondere an einer Beziehung zu der Gemeinde als wegebaupflichtigem Verband.

Die Klägerin hat am 19.7.1988 beim Verwaltungsgericht Freiburg Klage erhoben, mit der sie die Aufhebung des Widerspruchsbescheids vom 28.6.1988 begehrt hat. Sie hat zur Begründung ausgeführt, der Widerspruchsbescheid verletze sie in ihren Rechten als Trägerin der Planungshoheit und der Straßenbaulast für den K-weg. Es könne durch zahlreiche ältere Bewohner der Gemeinde bestätigt werden, daß der Weg seit altersher als öffentlicher Weg benutzt worden sei. Es treffe zwar zu, daß der Weg im Bereich der bebauten Grundstücke von den Anliegern unterhalten worden sei. Sie selbst habe aber im Bereich des ausgetretenen Fußwegs den Weg mit Sand bestreut und im Winter von Schnee räumen lassen. Eine weitergehende Unterhaltung sei nicht erforderlich gewesen. Die Eintragung des privaten Geh- und Fahrrechts sei erst nach Inkrafttreten des Straßengesetzes erfolgt.

Der Beklagte hat Klagabweisung beantragt und ausgeführt, die Klage sei unzulässig, weil die Klägerin durch eine Aufhebung einer auf das Polizeirecht gestützten Maßnahme nicht in ihren Rechten verletzt werde.

Die Beigeladenen Ziff. 1 bis 3 haben ebenfalls Klageabweisung beantragt. Sie haben ausgeführt, die Klage sei unzulässig, weil die Klägerin unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in ihren Rechten verletzt sein könne. Sie sei ferner unbegründet, denn es sei weder eine erkennbare Wegeanlage vorhanden noch eine Widmung kraft unvordenklicher Verjährung nachweisbar, noch habe eine rechtliche Beziehung zu einem wegebaupflichtigen Verband bestanden.

Die Beigeladene Ziff. 4 hat die Aufhebung des Widerspruchsbescheids des Landratsamts B vom 28.7.1988 beantragt. Sie hat ausgeführt, der K-weg sei nachweislich seit über 100 Jahren von der Allgemeinheit benutzt worden, hierin liege eine stillschweigende Widmung. Die zur Schule oder zum Kindergarten gehenden Kinder seien auf die Benutzung des Wegs angewiesen, weil sie andernfalls über die vielbefahrene und damit gefährliche L 122 gehen müßten. Für die Öffentlichkeit des Wegs spreche auch, daß ein Straßenschild "K-weg" aufgestellt worden sei und im Jahr 1965 zur Abkürzung des Wegs ein Durchgang durch die ehemalige Klostermauer gebrochen worden sei.

Das Verwaltungsgericht hat den Widerspruchsbescheid des Landratsamts B vom 28.6.1988 durch Urteil vom 30.11.1989 aufgehoben. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die Klage sei zulässig, denn die Klägerin könne geltend machen, durch den Widerspruchsbescheid in ihrer Planungshoheit verletzt zu werden. Wenn die Sperrung des K-wegs nämlich bestehen bleibe, könne sie diesen nicht mehr in ihre Planungskonzeption einbeziehen. Die Klage sei auch begründet, denn die Beweisaufnahme habe ergeben, daß der Weg ein öffentlicher Weg sei. Er werde zumindest seit 1924 von den Bewohnern des Unter- und Hinterdorfs ständig als Verbindungsweg zur Post, Kirche und zur Bäckerei benutzt, ferner habe er auch als Schulweg gedient. Der Weg sei zwar von der Gemeinde nicht unterhalten worden, dies sei aber auch nicht notwendig, weil es sich lediglich um einen Fußweg gehandelt habe, der auf dem Land gewöhnlich in seinem natürlichen Zustand belassen worden sei. Für die Öffentlichkeit des Wegs spreche auch die Aufstellung eines Straßennamensschildes. Das Urteil wurde den Beigeladenen Ziff. 1 bis 3 am 23.12.1989, dem Beklagten am 27.12.1989 zugestellt.

Der Beklagte hat am 12.1.1990, die Beigeladenen Ziff. 1 bis 3 haben am 19.1.1990 gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berufung eingelegt.

Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 30. November 1989 -- 5 K 188/88 -- zu ändern und die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt der Beklagte aus, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht die Klagebefugnis bejaht. Die Klägerin habe nämlich in bezug auf den K-weg keinerlei planerische Konzeption. Der Widerspruchsbescheid wirke sich allenfalls mittelbar auf die Planungshoheit aus. Das Urteil des Verwaltungsgerichts leide ferner daran, daß es unterlassen worden sei, die übrigen angebotenen Zeugen zu vernehmen. Zahlreiche Bewohner hätten schriftlich bestätigt, daß der K-weg damals allgemein als Privatweg angesehen worden sei. Ferner habe es an jeglicher Unterhaltsmaßnahme seitens der Klägerin gefehlt; der Weg sei auch nicht in offiziellen Karten eingezeichnet worden. Schließlich habe das Verwaltungsgericht unberücksichtigt gelassen, daß der Bescheid vom 31.12.1987 keinerlei Ermessensbetätigung erkennen lasse. Er verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, denn es hätte ausgereicht, den Beigeladenen aufzugeben, das Tor offen zu halten.

Beigeladenen Ziff. 1 bis 3 beantragen,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 30. November 1989 -- 5 K 188/88 -- zu ändern und die Klage abzuweisen.

Sie tragen zur Begründung vor, die Klage sei unzulässig, weil die Klägerin durch eine Aufhebung einer ortspolizeilichen Anordnung nicht in ihren Rechten verletzt werde. Die Planungshoheit der Klägerin werde nicht berührt, denn sie habe keine konkreten planerischen Vorstellungen hinsichtlich des Wegs gehabt. Ein öffentlicher Weg könne schon deswegen nicht angenommen werden, weil im Bereich ihres Hofs die Wegeanlage nicht zu erkennen sei. Es liege auch kein Nachweis dafür vor, daß der Weg als öffentlicher Weg benutzt worden sei. Er sei weder in offizielle Flurkarten eingezeichnet noch in das Kataster eingetragen worden. Gegen die Öffentlichkeit spreche, daß die Wegefläche mit einem privatrechtlichen Geh- und Fahrrecht belastet sei. Außerdem habe an der Einmündung des K-wegs in die D-straße seit 1949 ein Schild gestanden mit der Aufschrift "Privatweg, Betreten und Befahren auf eigene Gefahr". Im Einmündungsbereich sei lediglich die Gehwegkante abgesenkt worden, so daß auch optisch der Eindruck einer privaten Zufahrt vermittelt werde. Schließlich habe der Zeuge ... ausdrücklich erklärt, daß es sich um einen Privatweg gehandelt habe.

Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Verwaltungsgerichts für zutreffend und führt ergänzend aus, der Widerspruchsbescheid greife schon deswegen in ihr Selbstverwaltungsrecht ein, weil sie die Straßenbaulast für die Gemeindewege habe. Auf eine planerische Konzeption komme es dabei nicht an. Die Beweisaufnahme habe ergeben, daß es sich bei dem K-weg um einen öffentlichen Fußgängerweg handle. Dabei sei es nicht von Bedeutung, daß der Zeuge ... den Weg als Privatweg bezeichnet habe, denn eine rechtliche Einordnung komme ihm als Zeugen nicht zu. Unterhaltsmaßnahmen seien bei einem Fußweg nicht erforderlich. Auch wenn der Weg nicht in offizielle Karten eingetragen worden sei, zeige doch das Aufstellen eines Straßennamensschildes, daß er als öffentlicher Weg angesehen worden sei. Der Bescheid vom 31.12.1987 leide schließlich auch nicht an einem Ermessensfehler, denn eine andere Ermessensbetätigung als die Beseitigung der Sperre sei nicht in Betracht gekommen.

Beigeladene Ziff. 4 beantragt ebenfalls,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie führt zur Begründung aus, für die Zulässigkeit der Klage sei es bereits ausreichend, daß die Klägerin in ihrem Selbstverwaltungsrecht verletzt sein könne. Der K-weg sei seit altersher ein öffentlicher Weg; außerdem habe die Klägerin ihn mit der Anordnung der Entfernung der Schranke erneut gewidmet. Das Verwaltungsgericht habe aus den Aussagen der Zeugen ... und ... zu Recht den Schluß gezogen, daß der Weg seit unvordenklicher Zeit als öffentlicher Weg benutzt worden sei.

Der Senat hat Beweis erhoben durch die Vernehmung von 8 Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf die Niederschriften vom 13.6.1991 (AS 205 ff.) und 19.9.1991 (AS 309 ff.).

Dem Senat liegen zwei Bände Akten der Klägerin sowie die Akten des VG Freiburg -- 5 K 188/88 -- vor. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Gründe

Der Senat entscheidet in seiner Besetzung gemäß § 9 Abs. 3 VwGO, auch wenn die Klägerin eine Entscheidung durch den Berichterstatter gemäß § 87 a Abs. 2 und 3 VwGO angeregt hat und die übrigen Beteiligten dem zugestimmt haben. Eine Entscheidung durch den Berichterstatter ist nämlich nur im vorbereitenden Verfahren, also nur bis zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Senat zulässig; im vorliegenden Rechtsstreit hat jedoch bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden. § 87 a Abs. 2 VwGO, wonach der Vorsitzende (bzw. der Berichterstatter nach § 87 a Abs. 3 VwGO) auch sonst an Stelle der Kammer oder des Senats entscheidet, ist nach Ansicht des Senats so zu verstehen, daß damit eine Entscheidung des Vorsitzenden über die in § 87 a Abs. 1 Ziff. 1 bis 5 VwGO genannten Fälle hinaus ermöglicht werden soll, es aber im übrigen ebenso wie bei § 87 a Abs. 1 VwGO sich um eine Entscheidung im vorbereitenden Verfahren handeln muß. Hierfür spricht zum einen, daß der mit § 87 a Abs. 2 VwGO bezweckte Beschleunigungs- und Vereinfachungseffekt jedenfalls im wesentlichen entfällt, wenn bereits eine mündliche Verhandlung vor der Kammer bzw. dem Senat stattgefunden hat. Außerdem wäre es jedenfalls im Ergebnis bedenklich, wenn der Vorsitzende bzw. der Berichterstatter bei einer Einzelrichterentscheidung von der zuvor von der Mehrheit des Spruchkörpers in einer Vorberatung oder in der mündlichen Verhandlung vertretenen Rechtsansicht abweichen könnte. Die Ansicht des Senats, daß eine Entscheidung durch den Vorsitzenden (Berichterstatter) nicht mehr zulässig ist, wenn bereits eine mündliche Verhandlung vor dem Senat stattgefunden hat, stimmt auch überein mit der Regelung des § 348 Abs. 4 S. 2 ZPO, wonach eine erneute Übertragung auf den Einzelrichter ausgeschlossen ist, wenn dieser den Rechtsstreit auf die Zivilkammer zurückübertragen hat.

Der Senat konnte ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hierauf verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die zulässigen Berufungen sind nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, daß der Widerspruchsbescheid des Landratsamts B vom 28.6.1988 rechtswidrig ist, weil es sich bei dem K-weg in ... um einen öffentlichen Weg handelt.

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die Klage für zulässig erachtet; insbesondere ist die Klägerin klagebefugt. Sie wird nämlich durch den Widerspruchsbescheid in ihrer Rechtsstellung als Trägerin der Wegehoheit für die Gemeindewege betroffen.

Das Verwaltungsgericht hat in materiell-rechtlicher Hinsicht zutreffend entschieden, daß der K-weg ein öffentlicher Weg ist und daher die Klägerin berechtigt war, den Beigeladenen Ziff. 1 und 2 die Beseitigung der von diesen errichteten Sperre aufzugeben.

Zu den öffentlichen Wegen i.S. des § 2 Abs. 1 StrG zählen neben den nach Inkrafttreten des Straßengesetzes gewidmeten Wegen auch solche Wege, die bei Inkrafttreten des Straßengesetzes am 1.7.1964 bereits vorhanden waren (§ 57 StrG a.F.). Daß § 57 StrG a.F. bei der Neufassung des Straßengesetzes durch das Gesetz vom 26.9.1987 (GBl. S. 478) ersatzlos gestrichen worden ist, bedeutet nicht, daß damit diese Straßen ihre Eigenschaft als öffentliche Straße verlieren sollten. Vielmehr ist die Streichung lediglich erfolgt, weil eine Übergangsregelung für alte Straßen als nicht mehr erforderlich angesehen wurde.

Bis zum Inkrafttreten des Straßengesetzes war es in Baden Voraussetzung für einen öffentlichen Weg, daß eine erkennbare Wegeanlage vorhanden war, der Weg für den Gemeingebrauch gewidmet und auch in dieser Weise benutzt wurde sowie in einer rechtlichen Beziehung zu einem wegebaupflichtigen Verband stand (VGH Bad.-Württ., Urt.v. 17.4.1980 -- V 3260/78 --, BWGZ 1981, 186). Soweit eine Widmung nicht nachweisbar war, wurde eine Widmung durch unvordenkliche Verjährung vermutet, sofern der Weg nachweislich seit 40 Jahren vor Inkrafttreten des Straßengesetzes als öffentlicher Weg benutzt wurde und für die vorausgegangen 40 Jahre eine gegenteilige Erinnerung nicht feststellbar ist. Nach diesen Grundsätzen ist der K-weg in ... ein öffentlicher Weg.

Der K-weg weist eine erkennbare Wegeanlage auf, auch wenn er im Bereich des Hofs der Beigeladenen Ziff. 1 bis 3 über eine befestigte Fläche verläuft und somit nicht äußerlich erkennbar ist. Dies ist nach der Rechtsprechung des Senats unschädlich, soweit im übrigen eine äußerlich erkennbare Wegeanlage vorhanden ist (VGH Bad.-Württ., Urt.v. 15.1.1981 -- 5 S 1255/80 -- VBlBW 1982, 56).

Die Öffentlichkeit des K-wegs scheitert auch nicht daran, daß eine Verbindung zu einem wegebaupflichtigen Verband nicht erkennbar ist, insbesondere der Wegeunterhalt und das Räumen des Schnees nicht durch die Gemeinde, sondern durch die Anlieger erfolgt ist. Die Klägerin hat nach ihren eigenen Angaben, die von den Zeugen durchweg bestätigt wurden, lediglich im Bereich des Kirchengrundstücks den dort nur noch als Trampelpfad vorhandenen Weg im Winter geräumt und im Sommer gelegentlich Gras gemäht. Für den hier in Rede stehenden Teil des Wegs kann ausnahmsweise auf eine erkennbare Beziehung zu einem wegebaupflichtigen Verband verzichtet werden, weil es sich um eine atypische Fallgestaltung handelt. Der Weg diente nämlich neben seiner Funktion als Fußweg zugleich auch als Zufahrtsweg zu den anliegenden Grundstücken. Da die Anlieger den Weg somit in einem befahrbaren Zustand halten mußten, bestand für die Klägerin keine Notwendigkeit, Maßnahmen zum Unterhalt des Wegs zu ergreifen.

Der K-weg ist auch seit 1924 von der Allgemeinheit als öffentlicher Weg benutzt worden; eine gegenteilige Erinnerung für den davorliegenden Zeitraum ist nicht feststellbar. Dies hat die Beweisaufnahme zur Überzeugung des Senats ergeben. Die im Jahr 1911 geborene Zeugin Frau ... hat erklärt, sie habe den Kirchweg seit ihrer Jugend benutzt, der Weg sei nach ihrer Erinnerung für jedermann offen gewesen und habe der Gemeinde gehört. Die ebenfalls im Jahr 1911 geborene Zeugin Frau..., die im Eckhaus an der Einmündung des K-wegs in die D-straße aufgewachsen ist, hat ausgesagt, alle Leute seien über diesen Weg gelaufen und niemand habe ihn für einen Privatweg gehalten; die Eigentümer der betroffenen Grundstücke hätten die Benutzung des Wegs nicht untersagen können. Man sei auf dem K-weg wie auf einer Dorfstraße gegangen. Übereinstimmend damit hat die 1914 geborene Zeugin Frau ... angegeben, alle Leute seien vom Unterdorf über diesen Weg ins Oberdorf gegangen; als Kind habe man nicht gewußt, daß es sich um einen Privatweg gehandelt habe. Das gleiche Bild ergibt die Aussage des 83 Jahre alten Zeugen ..., der es als selbstverständlich bezeichnet hat, daß man den Weg benutzen konnte; er habe den Weg für einen Gemeindeweg gehalten. Diesen eindeutigen Angaben der genannten Zeugen stehen keine Aussagen entgegen, die Anlaß geben könnten, an der Richtigkeit der Zeugenaussagen zu zweifeln. Der Zeuge ... hat den K-weg erst seit 1930 benutzt, so daß er über den Zeitraum ab 1924 aus eigener Kenntnis keine vollständigen Angaben machen kann. Außerdem sind seine Aussagen in sich widersprüchlich, wenn er einerseits erklärt, der K-weg sei ein Privatweg gewesen und der Eigentümer hätte die Benutzung des Wegs verbieten können, andererseits aber ausführt, niemand hätte es verwehren können, den Weg beim Einkauf im Kaufladen ... zu benutzen. Der 66jährige Altbürgermeister ... hat in seiner Jugend den K-weg kaum benutzt, so daß auch seine Angaben nur einen Teil des relevanten Zeitraums von 1924 bis 1964 betreffen. Er hat einerseits angegeben, er habe den K-weg für einen Privatweg gehalten, andererseits aber auch erklärt, daß bis Mitte der 80iger Jahre sich niemand über die Benutzung des Wegs durch die Allgemeinheit beschwert habe, was ungewöhnlich wäre, wenn es sich um einen Privatweg handelt. Die 1907 geborene Zeugin Frau ... hat zunächst erklärt, sie habe den K-weg seit ihrer Jugend benutzt, jedermann habe den Weg ohne Erlaubnis benutzen können; es habe sich um einen Gemeindeweg gehandelt. Andererseits hat sie erklärt, sie habe den Weg erst seit ihrer Heirat im Jahr 1932, also in einem Alter von 25 Jahren benutzt, was in einem gewissen Widerspruch zu ihrer ersten Aussage steht. Eine Aufklärung dieses Widerspruchs war bei der Beweisaufnahme vom 19.9.1991 trotz mehrfachen Versuchs nicht möglich, weil die Verständigung mit der Zeugin durch ihre hochgradige Schwerhörigkeit stark eingeschränkt war.

Eine Gesamtwürdigung der Beweisaufnahme ergibt somit zur Überzeugung des Senats, daß der K-weg seit 1924 von der Allgemeinheit als öffentlicher Weg angesehen und in dieser Weise benutzt wurde. Diese Erkenntnis wird durch die sonstigen dem Senat zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel nicht in Frage gestellt. In dem Gemarkungsatlas der Gemeinde ... aus dem Jahr 1887 ist allerdings nur im Bereich des Friedhofsgrundstücks sowie der sich daran anschließenden Freifläche ein Weg eingezeichnet, nicht aber im Bereich der bereits damals bebauten Grundstücke. Dies könnte zwar gegen einen öffentlichen Weg sprechen, läßt sich aber andererseits durch die besondere Fallkonstellation erklären, daß der Weg nämlich anschließend über eine private Hoffläche führt. Wenn der Weg damals nur in dem im Gemarkungsatlas eingetragenen Umfang vorhanden gewesen wäre, hätte er keine Funktion gehabt, was im Widerspruch zu den Angaben mehrerer Zeugen stehen würde, daß der K-weg vor dem Bau der H-straße die einzige Verbindung zwischen dem Oberdorf und dem Unterdorf (bzw. Hinterdorf und Vorderdorf) gewesen sei. Für die Öffentlichkeit des Weges spricht, daß er ein Schild mit einem Straßennamen aufweist; dagegen stellt das an der Einmündung des Wegs in die D-straße angebrachte Schild "Privatweg, Betreten und Befahren auf eigene Gefahr" sowie die eingetragenen Wegerechte ein Indiz für einen Privatweg dar. Das Schild "Privatweg" läßt sich freilich nach den Angaben der Zeugen ... auch damit erklären, daß die Anlieger dadurch eine Haftung bei der Benutzung der Zufahrt zu ihren Anwesen ausschließen wollten.

Da somit davon auszugehen ist, daß der K-weg ein öffentlicher Weg ist, beruht der Widerspruchsbescheid des Landratsamts B vom 28.6.1988 auf unrichtigen Voraussetzungen und ist somit rechtswidrig. Der Widerspruchsbescheid erweist sich auch nicht etwa deswegen als im Ergebnis rechtmäßig, weil der Bürgermeister der Klägerin bei Erlaß des Bescheids vom 31.12.1987 sein durch § 3 Abs. 1 PolG eröffnetes Ermessen nicht betätigt habe. Bei der Sperrung eines öffentlichen Weges durch einen Grundstückseigentümer kommt nämlich eine andere Ermessensentscheidung als die Beseitigung der Sperre nur in Ausnahmefällen in Betracht. Es ist nichts dafür ersichtlich, daß bei der von den Beigeladenen Ziff. 1 und 2 angebrachten Sperre ein solcher Ausnahmefall gegeben sein könnte.