VG Berlin, Urteil vom 25.09.2012 - 27 A 248.08
Fundstelle
openJur 2012, 131048
  • Rkr:
Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 4. August 2008 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin ist Veranstalterin des von der Beklagten medienrechtlich zugelassenen Fernseh-Vollprogramms „…". Sie wendet sich gegen die Beanstandung der Ausstrahlung der Folge „Teuflisch“ der Serie „Desperate Housewives“ am 29. September 2007 um 17:00 Uhr in diesem Programm und gegen die Erhebung von Gebühren in Höhe von 500,00 Euro für die Bearbeitung.

Die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft e.V. (FSK) gab die DVD mit dieser Folge („Laufzeit: 43 Min.“) für die Altersstufe ab zwölf Jahren frei (Freigabebescheinigung der FSK vom 9. Juli 2007).

Die Klägerin strahlte die Folge am Samstag, den 29. September 2007, um circa 17:00 Uhr – nach „Grey’s Anatomy“ und vor „Earth TV“ sowie „Newstime“ – in dem erwähnten Fernsehprogramm aus.

Ein Prüfausschuss der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF), der diese Ausstrahlung aufgrund einer Zuschauerbeschwerde prüfte, entschied am 15. November 2007 (mit 3:2 Stimmen), dass eine Ausstrahlung der Folge im Tagesprogramm ab 6:00 Uhr zulässig sei. Die Folge – dem Prüfausschuss lag eine ungeschnittene Fassung mit einer Länge von 45 Minuten vor – sei nicht geeignet, Kinder unter zwölf Jahren nachhaltig zu ängstigen oder Gewalt befürwortende oder sozialethisch desorientierende Einstellungen oder Verhaltensmuster zu fördern. Andere Momente, die gemäß § 5 Abs. 1 des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages – JMStV – die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit beeinträchtigen könnten, seien nicht zu erkennen. Die Minderheit des Ausschusses lehnte zukünftige Ausstrahlungen im Tagesprogramm ab, da sie das Wohl jüngerer Kinder bei einer Platzierung der Folge zu dieser Sendezeit berührt sah. Nach Auffassung dieser Minderheit seien die bedrohlich und gewaltbetont inszenierten Momente für unter 12-jährige – die aufgrund ihrer Wahrnehmungs- und Verarbeitungsmöglichkeiten nicht in der Lage seien, die Szeneninhalte in den Genrekontext zu stellen – übermäßig Angst erzeugend. Wegen des weiteren Inhalts der Prüfentscheidung der FSF vom 15. November 2007 wird auf diese Entscheidung (Abdruck Blatt 21 bis 29 des in einem blauen Hefter befindlichen Verwaltungsvorgangs) Bezug genommen.

Aus Anlass einer Zuschauerbeschwerde befasste die Beklagte die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) mit der in Rede stehenden Ausstrahlung. Die Prüfgruppe der KJM kam nach einer Präsenzprüfung am 28. Februar 2008 einstimmig zu der Einschätzung, dass die Ausstrahlung der Folge im Tagesprogramm gegen die Jugendschutzbestimmungen des JMStV verstoße. Der zumeist überzeichnete und schräge Humor der Protagonisten erschließe sich den jüngeren Zuschauern noch nicht. Aus diesem Grund sei auch nicht davon auszugehen, dass die Gewaltszenen der Folge von Kindern unter zwölf Jahren kognitiv eingeordnet werden könnten. Als besonders belastend habe die Prüfgruppe die Schlussszene gewertet, in der die bewusstlose Bree in die Badewanne gelegt und mit einem Messer bedroht sowie anschließend ein drastisch inszenierter Zweikampf zwischen Orson und seiner Mutter gezeigt werde.

Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 9. April 2008 mit, dass die Prüfgruppe der KJM in der betreffenden Fernsehsendung einen möglichen Verstoß gegen § 5 Abs. 1 in Verbindung mit – i.V.m. – Abs. 4 Satz 3 JMStV sehe, führte die Begründung der Prüfgruppe für diese Bewertung an und gab der Klägerin Gelegenheit, zum Sachverhalt, zu der Bewertung und zu einer nach § 58 MStV möglichen Beanstandung besagten Verstoßes Stellung zu nehmen. Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom 6. Mai 2008 u. a., das Verfahren einzustellen, und begründete dies damit, dass ein Verstoß gegen § 5 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 3 JMStV nicht vorliege. Sie mache sich das FSF-Gutachten vom 15. November 2007 zu eigen. Es entfalte auch rückwirkend Schutzwirkung.

In einer Vorlage vom 30. Juni 2008 empfahl die Beklagte der KJM, zu beschließen, dass die in Rede stehende Ausstrahlung einen Verstoß gegen § 5 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 3 JMStV darstelle und dass die Beklagte gebeten werde, diesen Verstoß zu beanstanden. Diese Empfehlung wurde in der genannten Vorlage u. a. wie folgt begründet: Das FSF-Gutachten vom 15. November 2007 entfalte nach § 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV keine Sperrwirkung für die Entscheidung der KJM, da es erst nach der betreffenden Ausstrahlung erstellt worden sei. Verschärfend komme hinzu, dass die Begutachtung der FSF im vorliegenden Fall nicht „auf Vorlage“ des Veranstalters durchgeführt worden sei. Die Folge zeichne in Einzelfällen in realistischen Szenen ein zerrüttetes und durch Erniedrigungen geprägtes Familien- und Erwachsenenbild, durch das Kinder unter zwölf Jahren sozialethisch desorientiert werden könnten und das ein hohes ängstigendes Potenzial in sich trage. Nach Auffassung der Beklagten setze die FSF für die Bewertung der Folge hinsichtlich dieser Altersgruppe ein zu großes Dramaturgie- und Serienverlaufsverständnis voraus. Wegen des weiteren Inhalts der Vorlage vom 30. Juni 2008 wird auf diese Vorlage, die in den Verwaltungsvorgängen enthalten ist, verwiesen. Der Vorlage waren als Anlagen das vom 13. März 2008 datierende Protokoll der KJM-Prüfgruppe, das Schreiben der Beklagten vom 9. April 2008 und das Schreiben der Klägerin vom 6. Mai 2008 nebst der Prüfentscheidung der FSF vom 15. November 2007 beigefügt. Die Vorlage, ihre Anlagen, ein Mitschnitt der betreffenden Sendung und ein Faxantwortblatt wurden den Mitgliedern des 4. Prüfausschusses der KJM (2. Amtsperiode) zu Rundfunkfällen nach § 14 Abs. 5 JMStV mit Schreiben der KJM-Geschäftsstelle vom 10. Juli 2008 zur Entscheidung zugeleitet. Alle Mitglieder dieses Prüfausschusses übersandten besagter Geschäftsstelle im Juli 2008 unterzeichnete Faxantworten, in denen jeweils der vorgedruckte Text „Ich stimme der Beschlussempfehlung für den Prüfausschuss der zuständigen LMA unter Beachtung der Prüfempfehlung der Prüfgruppe zu“ angekreuzt war.

Mit Bescheid vom 4. August 2008 beanstandete die Beklagte gegenüber der Klägerin die Ausstrahlung der vorstehend bezeichneten Folge am 29. September 2007 um circa 17:00 Uhr und erhob für die Bearbeitung Gebühren in Höhe von 500,00 Euro. Wegen der Begründung dieses Bescheides wird auf denselben (vgl. Kopie Blatt 12 bis 17 der Streitakte) Bezug genommen.

Die Klägerin trägt mit ihrer gegen den Bescheid erhobenen Klage vor: Der Bescheid sei formell rechtswidrig. Denn der Beschluss des Prüfausschusses der KJM, den der Bescheid nachvollziehe, sei selbst aufgrund der Unzulässigkeit des Umlaufverfahrens und der verfassungswidrigen Zusammensetzung des Prüfausschusses verfahrensfehlerhaft; insoweit werde auf die Argumentation in den Verfahren gleichen Rubrums vor der Kammer mit den Aktenzeichen VG 27 A 70.08 und VG 27 A 71.08 Bezug genommen. Darüber hinaus verstoße der genannte Beschluss gegen die in § 17 Abs. 1 JMStV normierte Begründungspflicht. Der Beschluss enthalte keine eigene Begründung des Prüfausschusses. In jedem Fall sei die Bezugnahme auf die dem Prüfausschuss vorgelegten Vorlagen hier nicht so genau, dass sich daraus eindeutig der Inhalt der Begründung ergebe. Unabhängig davon sei der Bescheid auch deshalb verfahrensfehlerhaft, weil er in seiner Begründung tragende Argumente enthalte, die in der Vorlage vom 30. Juni 2008, über die der Prüfausschuss entschieden habe, so nicht enthalten seien. So wichen die Ausführungen unter Nr. 10 der Begründung des Bescheides von denjenigen in dieser Vorlage hinsichtlich des Aspekts der sog. Sperrwirkung des FSF-Gutachtens bzw. etwaiger Beurteilungsfehler ab. Ferner werde im Bescheid auf Seite 2 hinsichtlich des Aspekts der (angeblichen) Entwicklungsbeeinträchtigung besonders die „grausame Schlussszene“ – was offenbar auf die Stelle bezogen werde, wo Orson seine querschnittsgelähmte Mutter im Krankenhaus besuche und verlasse – hervorgehoben; diese Szene spiele hingegen in der Vorlage nur in der Aufzählung verschiedener Einzelszenen ohne besondere Kommentierung eine Rolle. Die zuständige Landesmedienanstalt habe nicht die notwendige Kompetenz für ein Abändern oder ein Auswechseln einer Begründung der KJM, da diese Anstalt an die Entscheidung der KJM gebunden sei.

Der Bescheid sei auch materiell rechtswidrig. Es habe bereits ein Verfahrenshindernis nach § 20 Abs. 3 JMStV bestanden. Denn die FSF-Prüfentscheidung entfalte auch rückwirkend Schutzwirkung für die vorangegangene Ausstrahlung und sperre damit das Beanstandungsverfahren, zumindest wenn – wie hier – die FSF-Prüfentscheidung vor der Beanstandungsentscheidung der KJM ergangen sei und keine Überschreitung des Beurteilungsspielraums seitens der FSF vorgelegen habe. Betrachte man sowohl den Sinn und Zweck des § 20 Abs. 3 JMStV – insbesondere das dort zentral verankerte Konzept der regulierten Selbstregulierung – als auch die Konsequenzen einer Nichtanwendung dieser Vorschrift in einem Fall wie dem vorliegenden, werde deutlich, dass sich eine extensive Auslegung des § 20 Abs. 3 JMStV förmlich aufdränge bzw. zumindest eine analoge Anwendung der Vorschrift geboten sei. Eine teleologische Auslegung der Norm ergebe gerade keine Beschränkung ihres Anwendungsbereichs „auf die der Ausstrahlung vorangegangene Begutachtung“. Es entspreche vielmehr dem Sinn und Zweck des vom JMStV-Gesetzgeber gewählten und bei der Auslegung der Normen des Staatsvertrages zu beachtenden Konzepts der regulierten Selbstregulierung, die privaten Selbstkontrolleinrichtungen zu stärken. Wenn der Staat mit diesem Konzept als Grundsatz das Element der Selbstregulierung vor die staatliche Regulierung stelle, binde er sich durch den Rückzug auf eine Gewährleistungsverantwortung daran, lediglich einzuschreiten, wenn das private System der Selbstregulierung offensichtlich nicht funktioniere – wobei Maßstab allein der in der konkreten Situation gewährte Jugendschutz sein könne. Dann aber könne es keinen Unterschied machen, ob es sich um eine Vorabvorlage oder „nur“ um eine nachträgliche (aber vor der KJM-Entscheidung) erfolgte Kontrolle der Sendung gehandelt habe. Entscheidend könne vielmehr nur sein, ob die jugendschutzrechtliche Bewertung im Einklang mit den materiell-rechtlichen Vorgaben gestanden habe, was nur dann nicht der Fall sei, wenn die Selbstkontrolleinrichtung „die rechtlichen Grenzen des Beurteilungsspielraumes“ überschreite.

Würde man dies anders sehen, führte dies zu unüberbrückbaren Wertungswidersprüchen. Zum Einen wäre aufgrund der FSF-Prüfentscheidung zumindest jede künftige Ausstrahlung der streitigen Folge im Tagesprogramm möglich. Auf eine solche zukünftige Sperrwirkung könne sich im Übrigen nicht nur die Klägerin, sondern auch jeder Dritte berufen. Zum anderen berge die unterschiedliche Behandlung ein und derselben Sendung im Fall der (beurteilungsfehlerfreien) FSF-Vorab- bzw. ihrer Nachkontrolle auch die Gefahr, die Glaubwürdigkeit und Akzeptanz der FSF und damit des Konzepts der regulierten Selbstregulierung in Frage zu stellen.

Die Gesetzessystematik, insbesondere § 20 Abs. 3 Satz 2 JMStV, schließe nicht aus, dass der Gesetzgeber die Problematik, die entstehe, wenn vorlagefähige Sendungen erst nachträglich, wenngleich vor der KJM-Entscheidung geprüft würden, übersehen habe. Schließlich sei auch die nachträgliche Kontrolle durch Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle aufgrund eines anerkannten Hotlineverfahrens ein Element der regulierten Selbstregulierung, ohne dass es darauf ankommen könne, von welcher Seite die Prüfanregung komme. Die Beklagte verkenne, dass das Element der Selbstkontrolle entscheidend bereits auf einer früheren Ebene ansetze – nämlich bei der Mitgliedschaft in der Selbstkontrolleinrichtung. Die Klägerin habe sich bereits mit ihrer (Gründungs-) Mitgliedschaft der FSF angeschlossen.

Zumindest sei die vorliegend getroffene Beanstandung keine erforderliche Maßnahme im Sinne von § 20 Abs. 1 JMStV. Dem Jugendschutz könne diese Beanstandung nicht mehr dienlich sein. Die Ausstrahlung sei bereits erfolgt, eine erneute Ausstrahlung könne aufgrund des die Entwicklungsbeeinträchtigung verneinenden und insoweit (zumindest zukünftige) Sperrwirkung entfaltenden FSF-Gutachtens nicht mehr untersagt werden. Die Beanstandung erscheine wie eine Sanktionierung sog. unbotmäßigen Verhaltens (nämlich der Nichtvorlage); dies sei allerdings nicht Zielsetzung des Jugendschutzes.

Darüber hinaus liege auch kein Verstoß gegen die Bestimmungen des JMStV, namentlich § 5 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 3 JMStV vor. Denn die im Streit stehende Episode sei bereits nicht zur Entwicklungsbeeinträchtigung von Kindern unter zwölf Jahren geeignet. Die Beklagte habe die entsprechende, zutreffende Wertung der FSF nicht durch ihre eigene Auffassung ersetzen dürfen. Denn es gebe im JMStV keinen Anhaltspunkt für einen Vorrang der KJM vor der FSF. Die KJM habe das FSF-Gutachten auch nicht substantiiert und dezidiert widerlegt. In jedem Fall sei die KJM-Entscheidung durch das FSF-Ergebnis ernsthaft erschüttert. Die FSF, die bereits seit August 2003 eine staatlich anerkannte Einrichtung der Selbstkontrolle sei, entscheide – ob nun auf Vorabvorlage oder wie hier aufgrund einer nachträglichen Beschwerde im Hotlineverfahren – objektiv. Sie erfülle die Voraussetzungen, die an ein Sachverständigengremium zu stellen seien. Die Struktur bzw. der Sachverstand und die plurale Zusammensetzung einer anerkannten Selbstkontrolleinrichtung blieben bestehen, egal ob die Einrichtung vorab oder nachträglich entscheide.

Davon unabhängig sei hier auch den Fernsehgewohnheiten jüngerer Kinder Rechnung getragen worden. § 5 Abs. 4 Satz 3 JMStV gebe im Falle der FSK-Kennzeichnung „Freigegeben ab 12 Jahren“ eine starre Sendezeit nicht vor, vielmehr gehe es „nur“ um eine Risikoabwägung, in deren Rahmen dem jeweiligen Anbieter ein – hier nicht überschrittener – (behörden-/gerichtsfreier) Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum zustehe. Denn dieser Spielraum sei zur Wahrung einer aus der Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG fließenden Programmautonomie des Veranstalters von Rundfunkprogrammen erforderlich, weil die Rundfunkfreiheit im Kern Programmgestaltungsfreiheit sei. Daneben stehe dem jeweiligen Anbieter ein derartiger Spielraum beim Einsatz von „FSK-12-Filmen“ im Tagesprogramm auch deshalb zu, weil der Gesetzgeber insoweit keinen absolut sicheren Ausschluss der relevanten Altersstufen verlange, wie die Formulierung „üblicherweise“ zeige.

Sie sei zur Ausfüllung eines solchen Spielraums schon deshalb (ohne Gefährdung jugendschutzrechtlicher Ziele) in der Lage, weil sie als Veranstalter nach § 7 JMStV verpflichtet sei, einen Jugendschutzbeauftragten zu bestellen, der den Anbieter nach § 7 Abs. 3 JMStV in Fragen des Jugendschutzes berate. Durch die Einbindung des Jugendschutzbeauftragten gewährleiste der Gesetzgeber – unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlich garantierten Programmgestaltungsfreiheit –, dass die Entscheidungen der Veranstalter durch eine die entsprechende Fachkunde besitzende und weisungsfreie Instanz (vgl. § 7 Abs. 4 JMStV) noch einmal überprüft und zusätzlicher Sachverstand in die Entscheidungen der Veranstalter mit einfließe.

Der hier streitige Sendetermin genüge den Anforderungen des § 5 Abs. 4 Satz 3 JMStV. Zunächst sei zu berücksichtigen, dass die Folge von der FSF nicht beanstandet worden sei. Zudem habe der Jugendschutzbeauftragte die streitige Ausstrahlung als unbedenklich eingestuft. Auch müsse die Verantwortung des Erziehungs- bzw. Aufsichtsberechtigten und der „Parental-Guidance“-Gedanke, der mit der Wertung von § 11 Abs. 2 JuSchG korrespondiere, zugunsten der Klägerin Berücksichtigung finden. Bei einem Fernsehkonsum der entsprechenden Altersgruppe am späten Samstagnachmittag müsse von der Anwesenheit zumindest eines Elternteils bzw. einer entsprechenden Aufsichtsperson und insoweit von einem gemeinsamen und insoweit beaufsichtigten Fernsehkonsum ausgegangen werden. Gegenteiliges folge auch nicht aus Ziffer 3.2.4 der Gemeinsamen Richtlinien der Landesmedienanstalten zur Gewährleistung des Schutzes der Menschenwürde und des Jugendschutzes – JuSchRiL –. Zum einen sei diese Regelung schon ihrem Wortlaut nach nicht abschließend. Zum anderen könnten die JuSchRiL allenfalls als norminterpretierende Verwaltungsvorschriften eingeordnet werden, weswegen sie lediglich als Ansätze für eine Selbstbindung der Landesmedienanstalten dienen könnten.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 4. August 2008 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, zum Vortrag der Klägerin wegen des Umlaufverfahrens und der Zusammensetzung der Prüfausschüsse werde auf die Entscheidung der Kammer mit dem Aktenzeichen VG 27 A 61.07 verwiesen.

Soweit die Begründung des Bescheides nicht wortidentisch mit der Begründung der KJM-Entscheidung sei, handele es sich nicht um ein Auswechseln oder Abweichen, sondern nur um eine jeweils ausführlichere Darlegung der identischen Begründungssubstanz. Jeweils handele es sich nicht um neue sachliche Aspekte. Zudem seien genau diese Punkte in der Prüfgruppensitzung tatsächlich so ausgeführt worden.

Die FSF-Entscheidung nach Ausstrahlung habe keine Sperrwirkung nach § 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV. Die Ansicht der Klägerin, auch die nachträgliche Befassung einer anerkannten Selbstkontrolleinrichtung hindere ein Einschreiten der Landesmedienanstalt, liege außerhalb der Grenze der zulässigen Norminterpretation. Schon rein sprachlich besage die Norm gerade das Gegenteil.

In den Gesetzesmaterialien werde außerdem eindeutig klargestellt, dass es sich bei § 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV um eine Vorabkontrolle handele. Die Einrichtungen der freiwilligen Selbstkontrolle hätten gerade dadurch gestärkt werden sollen, dass ein Anreiz zu ihrer Inanspruchnahme als Vorab-Kontrollinstanz gesetzt worden sei.

Auch systematische Erwägungen stützten diese Auslegung. Folge man der Ansicht der Klägerin und ließe man die in § 20 Abs. 3 Satz 2 JMStV bei nicht vorlagefähigen Sendungen vorgesehene nachträgliche Befassung einer Selbstkontrolleinrichtung auch bei vorlagefähigen Sendungen zu, so wäre die differenzierende Regelung des § 20 Abs. 3 Sätze 1 und 2 des JMStV überflüssig, da die Unterscheidung zwischen vorlagefähigen und nicht vorlagefähigen Sendungen aufgehoben würde. Die in § 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV vorgesehene Grundkonstellation würde zum seltenen Ausnahmefall und der in § 20 Abs. 3 Satz 2 JMStV normierte Ausnahmetatbestand für Sendungen, die aufgrund ihres aktuellen Charakters nicht vorlagefähig seien, zur Regel.

Ein solches Verständnis der Norm wäre ferner nicht verfassungskonform. Die von der Klägerin vertretene Auffassung würde dazu führen, dass nahezu alle jugendschutzrelevanten Fernsehsendungen einer nur nachträglichen Kontrolle durch eine Selbstkontrolleinrichtung zugeführt werden könnten. Es bestünde für die Veranstalter nicht der geringste Anreiz, sich an eine Selbstkontrolleinrichtung zu wenden, bevor die KJM an sie herantrete. Ein effektiver Jugendmedienschutz wäre nicht mehr gewährleistet. Der staatliche Auftrag zu einem derartigen Schutz folge aus Art. 6 Abs. 2 GG. Der Verfassungsrang des Jugendschutzes werde auch durch die Erwähnung in Art. 5 Abs. 2 GG deutlich.

Die Voraussetzungen einer teleologischen Reduktion der Norm lägen hier nicht vor. Aufgrund des ambivalenten Charakters des Normzwecks sei eine solche hier schon grundsätzlich kaum denkbar. Jedenfalls stelle die klägerische Argumentation einseitig Interessen von Veranstaltern in den Vordergrund, ohne dabei dem Aspekt der Gewährleistung eines effektiven Jugendmedienschutzes ausreichend Rechnung zu tragen.

Ziel des § 30 Abs. 3 JMStV sei die Gewährleistung eines funktionierenden Systems der Co-Regulierung bzw. der regulierten Selbstregulierung. Jugendschutzbestimmungen sollten auf eine für die Veranstalter möglichst schonende und gleichwohl effektive Weise durchgesetzt werden. Insofern handele es sich um zwei Gesetzeszwecke, die miteinander zu einem Ausgleich gebracht werden müssten. Ein einseitiges Abstellen auf die Schonung des Veranstalters sei deshalb nicht möglich. Die Rechtsansicht der Klägerin lasse den Gesichtspunkt des effektiven Jugendschutzes völlig außer Acht.

Die Beanstandung des von der Klägerin begangenen Verstoßes sei auch erforderlich gewesen. Die Beanstandung sei die gebotene Form, in der Rechtsverstöße festgestellt werden könnten.

Die klägerische Annahme eines weder durch Aufsichtsbehörden noch durch Gerichte kontrollierbaren Handelns Privater sei in höchstem Maße begründungsbedürftig. Die von der Klägerin genannte Kommentarstelle begründe keine Möglichkeit dieser Beteiligten, hinsichtlich ihrer Verpflichtungen aus § 5 Abs. 4 Satz 3 JMStV völlig unkontrolliert zu agieren.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Streitakte und der Verwaltungsvorgänge (in einem blauen Hefter und auf einem Heftstreifen) der Beklagten, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.

Gründe

Die zulässige Anfechtungsklage, vor deren Erhebung es einer Nachprüfung des angefochtenen Bescheides in einem Widerspruchsverfahren nicht bedurft hat (vgl. § 68 Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz VwGO, § 7 Abs. 3 1. Halbsatz des Staatsvertrags über die Zusammenarbeit zwischen Berlin und Brandenburg im Bereich des Rundfunks vom 29. Februar 1992 [in Berlin mit Zustimmungsgesetz vom 22. April 1992 veröffentlicht in GVBl. S. 150; in Brandenburg mit Zustimmungsgesetz vom 29. April 1992 veröffentlicht in GVBl. S. 142], und zwar nach allen hinsichtlich der betreffenden Zulässigkeitsvoraussetzung als maßgeblich in Betracht kommenden Fassungen letzterer Vorschrift, nämlich sowohl nach der im Zeitpunkt der Klageerhebung geltenden Fassung des Dritten Änderungsstaatsvertrags vom 4. Dezember 2006 und vom 10. Januar 2007 [in Berlin mit Zustimmungsgesetz vom 29. März 2007 veröffentlicht in GVBl. S. 131; in Brandenburg mit Zustimmungsgesetz vom 26. März 2007 veröffentlicht in GVBl. S. 75] als auch nach der im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltenden Fassung des Vierten Änderungsstaatsvertrags vom 6. und 22. Januar 2009 [in Berlin mit Zustimmungsgesetz vom 14. Mai 2009 veröffentlicht in GVBl. S. 251; in Brandenburg mit Zustimmungsgesetz vom 15. April 2009 veröffentlicht in GVBl. S. 67]), ist begründet. Der Bescheid, mit dem die Ausstrahlung der Folge „Teuflisch“ der Serie „Desperate Housewives“ am 29. September 2007 um 17:00 Uhr beanstandet wurde und Gebühren in Höhe von 500,00 Euro für die Bearbeitung erhoben wurden, ist rechtwidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Es kann dahinstehen, ob die Beanstandung mit dem genannten Inhalt formell- rechtlich fehlerhaft ist. Denn diese Beanstandung leidet jedenfalls an einem materiell-rechtlichen Mangel.

Rechtsgrundlage der Beanstandung ist § 20 Abs. 1 und 2 des Staatsvertrags über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien vom 10. bis 27. September 2002 (in Berlin mit Zustimmungsgesetz vom 11. Februar 2003 veröffentlicht in GVBl. 2003 S. 69; in Brandenburg mit Zustimmungsgesetz vom 13. Februar 2003 veröffentlicht in GVBl. S. 21) in der insoweit maßgeblichen, nämlich sowohl im Zeitpunkt der beanstandeten Ausstrahlung als auch im Zeitpunkt der Bekanntgabe des angefochtenen Bescheides, dem 5. August 2008, gültig gewesenen Fassung des Neunten Rundfunkänderungsstaatsvertrages vom 31. Juli bis zum 10. Oktober 2006 (in Berlin mit Zustimmungsgesetz vom 25. Januar 2007 veröffentlicht in GVBl. 2007 S. 10; in Brandenburg mit Zustimmungsgesetz vom 8. Januar 2007 veröffentlicht in GVBl. S. 26) – JMStV – i.V.m. § 58 Abs. 1 des Staatsvertrags über die Zusammenarbeit zwischen Berlin und Brandenburg im Bereich des Rundfunks vom 29. Februar 1992 in der insoweit maßgeblichen, nämlich zu den beiden zuletzt genannten Zeitpunkten gültig gewesenen Fassung des Dritten Änderungsstaatsvertrags vom 4. Dezember 2006 und vom 10. Januar 2007 – im Folgenden: MStV –. Stellt die zuständige Landesmedienanstalt fest, dass ein Anbieter (vgl. dazu § 3 Abs. 2 Nr. 2 JMStV) gegen die Bestimmungen des JMStV verstoßen hat, trifft sie die erforderlichen Maßnahmen gegenüber dem Anbieter (§ 20 Abs. 1 JMStV). Für Veranstalter von – privatem (vgl. dazu nur die amtliche Überschrift des fünften Abschnitts des JMStV [„Vollzug für Anbieter mit Ausnahme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“], in dem § 20 JMStV sich findet) – Rundfunk trifft gemäß § 20 Abs. 2 JMStV die zuständige Landesmedienanstalt durch die Kommission für Jugendmedienschutz – KJM (§ 14 Abs. 2 Satz 1 JMStV) – entsprechend den landesrechtlichen Regelungen die jeweilige Entscheidung. Die landesrechtliche Regelung, entsprechend der die Entscheidung im vorliegenden Fall zu treffen gewesen ist, ist § 58 Abs. 1 MStV. Unter landesrechtlichen Regelungen im Sinne von § 20 Abs. 2 JMStV sind die jeweiligen Landesmediengesetze und -staatsverträge zu verstehen (Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Kommentar, 53. Aktualisierung [April 2012], § 20 JMStV Rn. 7; Schulz/Held, in: Hahn/Vesting, Beck‘scher Kommentar zum Rundfunkrecht, 3. Auflage, § 20 JMStV, Rn. 11 und 15). Welches Landesmedienrecht einschlägig ist, richtet sich nach der örtlichen Zuständigkeit der Landesmedienanstalten, die sich aus § 20 Abs. 6 JMStV ergibt (Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, a.a.O., § 20 JMStV Fn. 11). Nach § 20 Abs. 6 Satz 1 JMStV ist zuständig u.a. die Landesmedienanstalt des Landes, in dem die Zulassung des Rundfunkveranstalters erteilt wurde. Dies ist hier die Beklagte, die gemeinsame Medienanstalt der Bundesländer Berlin und Brandenburg, von der die Sendeerlaubnis der Klägerin erteilt, mit anderen Worten die Klägerin zugelassen wurde. Der Staatsvertrag über die Zusammenarbeit zwischen Berlin und Brandenburg im Bereich des Rundfunks ist das einschlägige Landesmedienrecht dieser Länder. In § 58 Abs. 1 MStV ist vorgesehen, dass die Beklagte den Verstoß eines Veranstalters gegen die rechtlichen Bindungen nach letzterem Staatsvertrag oder einer auf der Grundlage dieses Staatsvertrages ergangenen Entscheidung beanstandet und den Veranstalter unter Hinweis auf die möglichen Folgen einer Nichtbeachtung der Anordnung auffordert, den Verstoß zu beheben und künftig zu unterlassen, wenn sie feststellt, dass ein Veranstalter diese Bindungen nicht beachtet. Stellt die Beklagte als nach dem JMStV zuständige Landesmedienanstalt – wie im vorliegenden Fall geschehen – fest, dass ein Veranstalter von privatem Rundfunk – wie hier die Klägerin, die Rundfunk in Form von Fernsehen veranstaltet – gegen die Bestimmungen des JMStV verstoßen hat, so beanstandet sie nach § 20 Abs. 2 JMStV und entsprechend § 58 Abs. 1 MStV den Verstoß gegenüber dem Veranstalter und fordert den Veranstalter (unter besagtem Hinweis) auf, den Verstoß zu beheben und künftig zu unterlassen. Diese Entscheidung trifft die Beklagte nach § 20 Abs. 2 JMStV durch die KJM, die ihr als Organ bei der Erfüllung ihrer Aufgaben nach § 14 Abs. 1 JMStV (Überprüfung der Einhaltung der für die Anbieter geltenden Bestimmungen nach dem JMStV, Treffen der jeweiligen Entscheidungen entsprechend den Bestimmungen des JMStV) dient (vgl. § 14 Abs. 2 Satz 2 JMStV) und als solches für das Treffen der Entscheidung funktionell zuständig ist. Das Treffen einer Entscheidung besagten Inhalts steht nach § 20 Abs. 2 JMStV i.V.m. § 58 Abs. 1 MStV nicht im Ermessen der Beklagten, sondern ist in diesen Vorschriften zwingend vorgeschrieben. Dasselbe gilt für den Erlass eines der Entscheidung entsprechenden, diese dem Veranstalter gegenüber umsetzenden Verwaltungsakts, für den der Direktor der Beklagten, das Organ der Beklagten, das diese gerichtlich und außergerichtlich vertritt (§§ 7 Abs. 2 Satz 1, 14 Abs. 1 MStV), funktionell zuständig ist.

a) § 58 Abs. 1 MStV sieht neben der Beanstandung des Verstoßes – wie sich schon aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut dieser Vorschrift („und“) ergibt – auch die (mit dem genannten Hinweis zu versehende) Aufforderung zur Behebung und künftigen Unterlassung des Verstoßes vor. Nach Auffassung der Kammer handelt es sich bei dieser Beanstandung und jener Aufforderung nicht um zwei verschiedene, rechtlich eigenständige Maßnahmen, sondern um rechtlich unselbständige Teile einer einheitlichen (Aufsichts-)Maßnahme. Der Gebrauch des Begriffes „Beanstandung“ in der amtlichen Überschrift des § 58 MStV und – vor diesem Hintergrund – auch der Passus „Beanstandungen nach Absatz 1“ in § 58 Abs. 2 MStV legen diese Auslegung des § 58 Abs. 1 MStV, der nicht nur eine den Verstoß feststellende Beanstandung, sondern auch eine Aufforderung besagten Inhalts vorschreibt, nahe. Auch der Sinn des § 58 Abs. 1 MStV spricht für besagte Interpretation. Diese Vorschrift bezweckt, der Beklagten, der die Aufgabe zugewiesen ist, die Einhaltung der für die Anbieter geltenden Bestimmungen nach dem JMStV zu überprüfen und die jeweiligen Entscheidungen entsprechend den Bestimmungen dieses Staatsvertrages zu treffen (§ 14 Abs. 1 Satz 1 JMStV) bzw. über die Einhaltung der Bestimmungen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages zu wachen und für deren Durchführung zu sorgen (§ 8 Abs. 1 Satz 1 MStV), die in der Vorschrift aufgeführten Mittel zur Erfüllung dieser Aufgabe zur Verfügung zu stellen. Diesem Zweck entspricht es, die Norm dahin zu verstehen, dass von den genannten Mitteln möglichst wirkungsvoll Gebrauch zu machen ist, mithin alle nach § 58 Abs. 1 MStV zu Gebote stehenden (Aufsichts-) Mittel einzusetzen sind. Dadurch wird der Gesetzeszweck am besten erfüllt, zumal die rechtsaufsichtlichen Befugnisse der Beklagten als zuständiger Landesmedienanstalt sich im Rahmen des § 20 Abs. 2 JMStV darauf beschränken, mit den in §§ 58 und 59 MStV zur Verfügung gestellten Aufsichtsmitteln gegen einschlägige Rechtsverstöße der der Aufsicht der Beklagten unterstellten Rundfunkveranstalter vorzugehen (vgl. OVG Berlin, Urteil vom 26. November 2002 – 8 B 13.00 –, juris Rn. 38 ff. m.w.N.). Darüber hinaus ist das genannte Verständnis des § 58 Abs. 1 MStV im Zusammenhang mit § 20 Abs. 2 JMStV auch deswegen geboten, weil der Einsatz der in ersterer Vorschrift vorgesehenen Aufsichtsmittel in Fällen wie dem vorliegenden der Erfüllung der sich aus Verfassungsrecht, insbesondere aus dem in Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten Recht der Kinder und Jugendlichen auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit sowie aus dem in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verbrieften Erziehungsrecht der Eltern ergebenden Verpflichtung des Staates zur Gewährung effektiven Jugend(medien)schutzes (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Dezember 2011 – 1 BvR 2007/10 –, juris Rn. 21 und 34, Beschluss vom 27. November 1990 – 1 BvR 402/87 –, juris Rn. 32 ff., Beschluss vom 12. Oktober 1988 – 1 BvR 818/88 –, juris Rn. 39, und Beschluss vom 23. März 1971 – 1 BvL 25/61, 1 BvL 3/62 –, juris Rn. 34 ff. insbesondere Rn. 37) dient.

b) Der Rechtscharakter der feststellenden Beanstandung sowie der Behebens- und Unterlassensaufforderung als unselbständige Bestandteile einer rechtlich einheitlichen, vom Gesetzgeber als „Beanstandung“ bezeichneten Aufsichtsmaßnahme hat zur Folge, dass beide Teile dieser Maßnahme lediglich zusammen, insbesondere nur zugleich – wie in § 11 Abs. 3 Niedersächsisches Mediengesetz und § 27 Abs. 1 Landesmediengesetz Rheinland-Pfalz, die § 58 Abs. 1 MStV ähnlich sind, ausdrücklich bestimmt – erlassen werden dürfen. Dementsprechend führt das – rechtswidrige – Unterlassen eines Teils der Maßnahme zur Rechtswidrigkeit des – allein erlassenen – anderen Teils. So verhält es sich hier. Es ist unerheblich, dass eine Aufforderung, den von der Beklagten in der genannten Ausstrahlung gesehenen Verstoß (gegen § 5 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 3 JMStV) zu beheben, im vorliegenden Fall von vornherein deswegen ausgeschieden ist, weil die Behebung dieses Verstoßes nicht mehr möglich gewesen ist, die Ausstrahlung nicht mehr hat ungeschehen gemacht werden können. Denn die Beklagte, die den Verstoß gegenüber der Klägerin mit dem angefochtenen Bescheid lediglich beanstandet hat, hat es hier jedenfalls zu Unrecht unterlassen, die Klägerin unter besagtem Hinweis zur künftigen Unterlassung des Verstoßes aufzufordern.

c) Letztere Aufforderung hatte im vorliegenden Fall nicht im Hinblick auf § 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV zu unterbleiben. Nach dieser Vorschrift sind Maßnahmen durch die KJM – und damit auch entsprechende (Aufsichts-)Maßnahmen der Beklagten gegenüber dem Veranstalter wie die Maßnahme nach § 58 Abs. 1 MStV, die eine Unterlassensaufforderung zum Bestandteil hat – hier nicht, und zwar auch nicht in Bezug auf künftige Ausstrahlungen der in Rede stehenden Serienfolge, unzulässig gewesen. § 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV lautet: „Tritt die KJM an einen Rundfunkveranstalter mit dem Vorwurf heran, er habe gegen Bestimmungen des JMStV verstoßen, und weist der Veranstalter nach, dass er die Sendung vor ihrer Ausstrahlung einer anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle im Sinne des JMStV vorgelegt und deren Vorgaben beachtet hat, so sind Maßnahmen durch die KJM im Hinblick auf die Einhaltung der Bestimmungen zum Jugendschutz durch den Veranstalter nur dann zulässig, wenn die Entscheidung oder die Unterlassung der Entscheidung der Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle die rechtlichen Grenzen des Beurteilungsspielraums überschreitet.“

aa) Die Voraussetzungen, unter denen nach dieser Vorschrift die Zulässigkeit besagter Maßnahmen eingeschränkt ist, liegen hier nicht vor. Die Klägerin hat die betreffende Sendung – die erwähnte Folge – vor ihrer Ausstrahlung am 29. September 2007 einer anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle im Sinne des JMStV nicht vorgelegt, geschweige denn ist diese Sendung vor ihrer damaligen Ausstrahlung von einer solchen Einrichtung für die Ausstrahlung um 17:00 Uhr zugelassen worden. Vielmehr ist eine Ausstrahlung der Sendung im Tagesprogramm, d.h. in der Zeit von 6:00 Uhr bis 20:00 Uhr, von der FSF, einer Einrichtung der genannten Art, erst am 15. November 2007 zulässig erklärt worden, und zwar auf Beschwerde eines Zuschauers hin.

Die Sendung ist vorlagefähig gewesen; Anhaltspunkte dafür, dass die im Jahre 2006 produzierte Folge der Klägerin nicht mit dem für eine Vorlage erforderlichen zeitlichen Vorlauf vor der Ausstrahlung zur Verfügung stand, sind nicht vorhanden. § 20 Abs. 3 Satz 2 JMStV, der für nicht vorlagefähige Sendungen gilt, ist dementsprechend im vorliegenden Fall nicht anwendbar.

bb) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist § 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV weder dahin erweiternd auszulegen, dass Maßnahmen durch die KJM auch dann nicht zulässig sind, wenn – wie hier – eine anerkannte Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle im Sinne des JMStV nach der Ausstrahlung einer Sendung entscheidet, dass diese Ausstrahlung zulässig war, noch ist diese Vorschrift in dem genannten Fall analog anzuwenden. Der eindeutige Wortlaut und der Sinn des § 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV stehen einer solchen Erweiterung des Anwendungsbereichs besagter Norm entgegen.

§ 20 Abs. 3 JMStV stellt die praktische Umsetzung des mit dem JMStV erstmalig in der deutschen Medienlandschaft geregelten Konzeptes der „Regulierten Selbstregulierung“ dar. Dieses Konzept ist gekennzeichnet durch den Umstand, dass der Staat seine sich – wie oben ausgeführt – aus Verfassungsrecht verpflichtend ergebende Aufgabe zum Jugendschutz im Medienbereich der Steuerung durch gesellschaftliche Prozesse anvertraut, ohne seine Letztverantwortung aufzugeben. Es wertet die Selbstkontrolleinrichtungen, denen zuvor nur eine beratende Funktion zukam, auf und überträgt ihnen originär staatliche Aufgaben. Die Norm steht daher im Spannungsverhältnis zwischen der verfassungsrechtlich verankerten Verpflichtung zur Gewährung effektiven Jugendschutzes einerseits und der sich aus Rundfunk- wie Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 GG) ergebenden Notwendigkeit der möglichst staatsfernen und damit zugleich anbieterschonenden Gestaltung von Aufsichtsmechanismen. Sie trägt beiden Interessen Rechnung durch eine verringerte Kontrolldichte und damit weitgehenden Schutz vor staatlichen Sanktionen durch die KJM als Organ der die staatliche Aufsicht ausübenden Landesmedienanstalt einerseits bei Inanspruchnahme einer anerkannten Einrichtung der Selbstkontrolle für vorlagefähige Formate vor Ausstrahlung möglicherweise entwicklungsbeeinträchtigender Sendungen andererseits. Eine Erweiterung der Privilegierung auf Fälle, in denen eine Sendung trotz Vorlagefähigkeit erst nach ihrer Ausstrahlung von einer solchen Einrichtung begutachtet wird, würde das empfindliche Gleichgewicht der Norm zulasten eines effektiven Jugendschutzes verlagern und damit stören. Es fehlte zudem auch, worauf die Beklagte zutreffend hinweist, an einem Anreiz für die Anbieter, sich einer Selbstkontrolleinrichtung anzuschließen (und damit auch einen Teil der Finanzierungslast für den Jugendschutz zu übernehmen) und sich deren Aufsicht zu unterwerfen. Eine Ausweitung des Anwendungsbereichs der Norm auf nachträglich durch eine Selbstkontrolleinrichtung als zulässig bewertete Sendungen erscheint daher im Interesse effektiven Jugendschutzes nicht angezeigt. Soweit die Klägerin auf die große Menge zu überprüfender Filme und die dafür nicht ausreichende Kapazität der FSF sowie wirtschaftliche Erwägungen abstellt, ist mit der Beklagten darauf hinzuweisen, dass die Klägerin unproblematisch durch eine Programmierung zu zweifelsfreier Stunde – nach der Praxis der KJM für Kinder ab 12 Jahren freigegebene Filme ab 20:00 Uhr – ohne Bemühung von FSF und weiteren finanziellen Aufwand Abhilfe schaffen kann und außerdem das verfassungsrechtliche Gebot des Jugendschutzes nicht aus schlicht wirtschaftlichen Gründen aufgegeben werden kann. Auch mit der auf die beabsichtigte Weiterverwendung des Films abstellenden Argumentation der Klägerin gibt es aus den genannten Gründen keinen Spielraum für die von dieser Beteiligten vertretene Auslegung des § 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV (vgl. schon Urteile der Kammer vom 3. Mai 2012 – VG 27 A 341.06 und VG 27 A 19.07 –, 1. der jeweiligen Entscheidungsgründe, S. 8 ff. bzw. S. 10 ff. des amtlichen Umdrucks, juris Rn. 22 ff. bzw. 32 ff. m.w.N.). Überdies sind auch die Wertungswidersprüche, die nach Auffassung der Klägerin bei der von der Kammer für richtig gehaltenen Auslegung dieser Vorschrift auftreten, in Wirklichkeit nicht vorhanden. Denn eine Entscheidung einer anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle schränkt die Zulässigkeit von Maßnahmen durch die KJM bzw. entsprechender Maßnahmen der zuständigen Landesmedienanstalt nach dem eindeutigen Wortlaut des § 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV nur gegenüber demjenigen Veranstalter ein, der die Sendung vor ihrer Ausstrahlung der Einrichtung vorgelegt hat.

cc) Entgegen der Auffassung der Beteiligten sind Maßnahmen durch die KJM bzw. entsprechende Maßnahmen der Beklagten im vorliegenden Fall auch nicht insoweit nach § 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV unzulässig gewesen, als solche Maßnahmen sich – wie die hier in Rede stehende (Unterlassens-)Aufforderung – auf künftige Ausstrahlungen der Folge im Tagesprogramm durch die Klägerin beziehen. Es ist unerheblich, dass die Entscheidung der FSF vom 15. November 2007 vor solchen Ausstrahlungen ergangen ist. Denn jedenfalls hat die Klägerin die Sendung vor einer etwaigen weiteren Ausstrahlung im Tagesprogramm nicht einer anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle, namentlich nicht der FSF, vorgelegt. Die FSF-Prüfentscheidung vom 15. November 2007 erging nicht auf eine Vorlage der Folge durch die Klägerin, sondern aufgrund einer Zuschauerbeschwerde. Es ist weder vorgetragen noch ansonsten ersichtlich, dass eine andere Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle die Folge auf Vorlage der Klägerin für eine Ausstrahlung im Tagesprogramm freigegeben hätte.

Die angefochtene Beanstandung verletzt die Klägerin zumindest in ihrem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, indem sie diese Beteiligte in dem durch dieses Grundrecht geschützten Bereich in unzulässiger, nämlich gesetzwidriger Art und Weise belastet und damit beeinträchtigt.

2. Rechtsgrundlage für die Erhebung von Gebühren in Höhe von 500,00 Euro „für die Bearbeitung“, d.h. – wie sich vor allem aus den Ausführungen unter „11.“ in der Begründung des Bescheids ergibt – für die Feststellung des von der Beklagten angenommenen Verstoßes der Klägerin gegen § 5 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 3 JMStV und/oder für die mit demselben Bescheid erfolgte Beanstandung dieses Verstoßes, ist die Satzung der Beklagten über die Erhebung von Gebühren und Auslagen der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) – KJM-Kostensatzung – vom 3. September 2004 (Amtsblatt für Berlin 2004 S. 3729, Amtsblatt für Brandenburg 2005 S. 70). Nach § 1 Abs. 1 KJM-Kostensatzung werden für eine Amtshandlung aufgrund des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages Kosten (Gebühren und Auslagen) nach den Bestimmungen dieser Satzung und dem anliegenden Gebührentarif, der Teil dieser Satzung ist, erhoben. Die Kosten werden auf der Grundlage einer Empfehlung der KJM durch die zuständige Landesmedienanstalt von Amts wegen festgesetzt (§ 6 Abs. 1 Satz 1 KJM-Kostensatzung). Die Entscheidung über die Kosten soll gemäß § 6 Abs. 1 Satz 3 KJM-Kostensatzung zusammen mit der Sachentscheidung ergehen. Aus der Kostenentscheidung muss insbesondere mindestens hervorgehen, wo, wann und wie die Gebühren zu zahlen sind (§ 6 Abs. 2 Nr. 5 dieser Satzung). Diesen Anforderungen an den Inhalt einer Kostenentscheidung genügt die angefochtene Kostenentscheidung jedenfalls nicht vollständig. Es ist bereits sehr zweifelhaft, mag aber letztlich auf sich beruhen, ob aufgrund der Angabe der Bankverbindung – der Beklagten – auf Seite 1 (unten) des Bescheides aus dieser Entscheidung (eindeutig) hervorgeht, wo und wie die festgesetzten Gebühren zu zahlen sind. Denn auf jeden Fall geht aus der Entscheidung nicht hervor, wann diese Gebühren zu zahlen sind. Diese Angabe ist im vorliegenden Fall auch nicht etwa ausnahmsweise entbehrlich gewesen. Es ist schon weder vorgetragen noch ansonsten ersichtlich, dass der Klägerin aus ähnlichen Bescheiden bekannt war, wann derartige Gebühren nach Auffassung der Beklagten – üblicherweise – zu zahlen sind. Im Übrigen enthält die KJM-Kostensatzung auch keine Regelung über die Fälligkeit von Kosten, die nach dieser Satzung erhoben werden sollen. In § 1 Abs. 2 KJM-Kostensatzung ist ein Verwaltungskostengesetz – etwa des Landes Berlin oder des Landes Brandenburg – oder eine Gebührensatzung – etwa diejenige der Beklagten –, die eine solche Regelung enthalten könnten, nicht, zumindest nicht mit der erforderlichen Bestimmt- und Klarheit (vgl. „bzw.“), für ergänzend anwendbar erklärt worden. Die zwingend erforderliche Angabe, wann die festgesetzten Gebühren zu zahlen sind, hat durch die Zahlungserinnerung der Beklagten vom 22. September 2008 auch nicht wirksam ergänzt werden sollen und können, zumal für die gerichtliche Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Kostentscheidung die Sach- und Rechtlage im Zeitpunkt der Bekanntgabe dieses belastenden Verwaltungsaktes maßgeblich ist.

Abgesehen davon dürfte auch der allein in Betracht kommende Gebührentatbestand Nr. 8 des genannten Tarifs – nach dieser Nummer werden für die Feststellung eines Verstoßes gegen die Bestimmungen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages und/oder die Anordnung einer Maßnahme auf der Grundlage des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages Gebühren von 100 bis 2.500 Euro erhoben – nicht (mehr) erfüllt sein, nachdem die Kammer die Beanstandung des von der Beklagten angenommenen Verstoßes der Klägerin gegen § 5 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 3 JMStV mit diesem Urteil aufgehoben hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO, § 709 Sätze 1 und 2 ZPO.