Bayerischer VGH, Beschluss vom 13.11.2012 - 12 ZB 11.2051
Fundstelle
openJur 2012, 131019
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Beklagte hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 28. Juli 2011 ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 124a Abs. 4 VwGO).

Er ist aber unbegründet, weil die vom Beklagten geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung, der besonderen rechtlichen Schwierigkeit der Rechtssache und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO), nicht hinreichend dargelegt sind oder aber nicht greifen.

1.1 Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte für das Vorliegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Solche ernstlichen Zweifel bestehen etwa dann, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG vom 26.3.2007 BayVBl 2007, 624 und vom 23.6.2000 NVwZ 2000, 1363) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (so BVerwG vom 10.3.2004 DVBl 2004, 838). Das ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was der Beklagte innerhalb der Begründungsfrist für den Zulassungsantrag dargelegt hat (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).

Der Beklagte meint, solche Zweifel lägen deshalb vor, weil die Voraussetzungen für die Verpflichtung zur Zahlung eines bestimmten Stundensatzes für Schulbegleiter nicht vorgelegen hätten. Die Frage der Angemessenheit der Schulbildung gemäß § 35a Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) i.V.m. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) sei zwar gerichtlich voll überprüfbar, was auch für den von ihm „berechneten“ Stundensatzes gelte. Nicht gedeckt sei dadurch allerdings die Festlegung eines bestimmten Stundensatzes durch das Verwaltungsgericht. Das Verwaltungsgericht habe den dem Jugendhilfeträger zustehenden „Beurteilungs- und Ausgestaltungsspielraum“ verletzt. Nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII stehe es dem Jugendhilfeträger „frei“ wie er den Zugang zur angemessenen Schulbildung sicherstelle, die Vorschrift spreche nicht von einer „angemessenen Bezahlung“ des Schulbegleiters. Es werde bestritten, dass mit dem vom Beklagten gezahlten Stundensatz von 11,90 Euro die Beauftragung geeigneter Personen nicht möglich sei, weil das dem Beklagten „in der Vergangenheit in allen vergleichbaren Fällen“ möglich gewesen sei. Die vom Beigeladenen gezahlten 18,47 Euro seien nicht „die (einzig) angemessene Vergütungshöhe“, weil das Verfahren des Verwaltungsgerichts zur Ermittlung der Vergütungshöhe nicht brauchbar sei und „willkürlich“ der Stundensatz eines anderen Sozialhilfeträgers, der seine Leistungen auf anderer gesetzlicher Grundlage erbringe, herausgegriffen worden sei. Andere unterfränkische Jugendämter zahlten „fast ausschließlich Zeitstundensätze zwischen 12 und 13 Euro“, auch der Gesetzentwurf zur Umsetzung der UN-Behindertenkonvention gehe von nur 15 Euro aus.

Die Festlegung durch das Verwaltungsgericht „entbehre jeglicher brauchbaren Kalkulationsgrundlage“, der Stundensatz sei „willkürlich“ von einer anderen Behörde übernommen worden. Das Verwaltungsgericht nenne auch keinerlei Kriterien. Der Hinweis auf das Protokoll sei nicht ausreichend, weil der dortige mündliche Vortrag des Beigeladenen zur Ermittlung des Stundensatzes nicht nachvollziehbar gewesen sei. Dem Beklagten werde die Möglichkeit genommen, „andere Optionen zur Sicherstellung einer angemessenen Schulbildung durch die Inanspruchnahme einer Schulbegleitung zu wählen“. Zumindest hätte das Verwaltungsgericht „eindeutige Hinweise zur Ausfüllung“ des Gestaltungsspielraums geben müssen.

Das Verwaltungsgericht habe auch seine Begründungspflicht (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verletzt. Die Erwägungen, auf denen die Entscheidung beruhe, seien der Urteilsbegründung nicht zu entnehmen.

Diese Ausführungen sind nicht geeignet, die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts ernstlich in Frage zu stellen.

1.1.1 Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass beim Kläger im maßgeblichen Bewilligungszeitraum die Voraussetzungen des § 35a SGB VIII vorlagen und er grundsätzlich einen Anspruch auf die Hilfe „Schulbegleiter“ hat, weil das für ihn die angemessene Hilfe zur Schulbildung im Sinne des § 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII darstellt.

Von der angemessenen Hilfe als solcher ist die konkrete Leistungserbringung zu unterscheiden, die gemäß § 35a Abs. 2 SGB VIII nach dem Bedarf im Einzelfall erfolgt. Die Hilfeleistung muss danach konkret in der Lage sein, den Bedarf zu decken. Der Beklagte hat hier die Auswahl der Person, die die Hilfeleistung erbringt, dem Kläger überlassen. Vergleichbar ist das insoweit mit der Leistungsform „Persönliches Budget“ gemäß § 17 Abs. 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX), bei der der Hilfeempfänger selbst bestimmt, welche Hilfe er wann in Anspruch nimmt und - hier bedeutsam - wen er mit der Dienstleistung beauftragt. Dort ist aber ausdrücklich geregelt, dass der dafür vom Sozialleistungsträger erstattete Geldbetrag so zu bemessen ist, dass der individuell festgestellte Bedarf abgedeckt wird (vgl. § 17 Abs. 3 Satz 3 SGB IX).

Deshalb ist die vom Beklagten intern pauschal getroffene „Entscheidung, den Betrag von 11,90 Euro als Stundensatz zur Verfügung zu stellen“, schon vom Ansatz her nicht geeignet, dem Erfordernis der Bedarfsdeckung zu genügen. Der Beklagte hat nicht hinreichend substantiiert dargelegt, in welchen vergleichbaren Fällen er im hier maßgeblichen Bewilligungszeitraum zu dem von ihm genannten Stundensatz tatsächlich Schulbegleiter beschäftigt hat bzw. Hilfeempfänger selbst Schulbegleiter beschäftigen konnten. Er hat auch nicht dargelegt, wie er zu diesem Stundensatz gelangt ist, ob er diesen etwa durch eine Kalkulation oder nachvollziehbare Vergleichsberechnungen ermittelt oder einfach gegriffen hat. Vielmehr hat er vorgetragen, der Stundensatz beruhe auf der „durch interne Leitlinien geregelten Verwaltungsübung“. Ansonsten hat er lediglich darauf hingewiesen, dass andere - konkret nicht benannte - Jugendhilfeträger in Unterfranken „fast ausschließlich“ Stundensätze zwischen 12 und 13 Euro zahlten, womit aber nicht dargelegt ist, dass diese Stundensätze dort bedarfsdeckend sind. Auch am Gesetzentwurf zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, der von einem Stundensatz von 15 Euro ausgeht, wie der Beklagte selbst vorträgt, hat er sich ersichtlich nicht orientiert.

Es erschließt sich nach all dem nicht, wie der Beklagte mit einem in der Höhe nicht nachvollziehbaren und nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung beim Verwaltungsgericht auch nicht zur Bedarfsdeckung geeigneten Stundensatz „den Zugang zu einer angemessenen Schulbildung sicherstellen möchte“. Sein „Beurteilungs- und Ausgestaltungsspielraum“, wenn man einen solchen annehmen wollte, erschöpft sich im zur Verfügung stellen der zur Deckung des Bedarf durch die geleistete Hilfe Schulbegleiter im Einzelfall benötigten finanziellen Mittel. Nicht nachvollziehbar ist der Hinweis des Klägers, § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII spreche nicht von einer „angemessenen Bezahlung des Schulbegleiters“. Kaum jemand dürfte bereit sein, ohne angemessene Entlohnung diese Arbeit zu leisten, wodurch die Bedarfsdeckung, die der Beklagte sicherzustellen hat, gefährdet wäre. Sollte der Beklagte damit etwa gemeint haben, er könne auf diese Weise zu Lasten des Hilfeempfängers sparen, obwohl er an sich auch selbst für die Hilfeerbringung zuständig ist, widerspräche das eklatant seiner Verpflichtung zur Bedarfsdeckung im Einzelfall aus § 35a Abs. 2 SGB VIII (siehe bereits oben).

Der Beklagte verkennt auch, dass er hier die Auswahl derjenigen Person, die die Hilfe erbringt, dem Kläger überlassen hat, der vorgetragen hat, dass nur eine Person überhaupt bereit gewesen sei, zu einem allerdings noch höheren (19,80 Euro) als vom Verwaltungsgericht zugesprochenen Stundensatz die Leistung im maßgeblichen Zeitraum zu erbringen. Zur Darlegung ernstlicher Zweifel durch den Beklagten reicht es insoweit unter der Maßgabe des Darlegungsgebots aus § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO nicht aus, dies lediglich mit „Nichtwissen“ zu bestreiten, zumal der Beklagte dem Vortrag des Klägers und der darauf gestützten Annahme des Verwaltungsgerichts nicht widersprochen hat, selbst nie einen Schulbegleiter benannt zu haben, der bereit gewesen wäre, für 11,90 Euro tätig zu sein.

1.1.2 Ernstliche Zweifel bestehen aber auch nicht hinsichtlich der Höhe des vom Verwaltungsgericht zugesprochenen Stundensatzes. Soweit der Beklagte insoweit eine Kalkulation vom Verwaltungsgericht fordert, verlangt er etwas, was er selbst bisher nicht nachvollziehbar geleistet hat. Eine solche Kalkulation durch das Verwaltungsgericht ist aber aus Rechtsgründen hier auch nicht erforderlich. Der Kläger hat nachvollziehbar vorgetragen, er habe nur einen Stundenbegleiter zu einem Stundensatz von über 19 Euro gefunden. Dem ist der Beklagte nicht substantiiert entgegengetreten, insbesondere hat er keine konkreten Einzelfälle benannt, in denen er etwa selbst zu einem niedrigeren Stundensatz damals einen Schulbegleiter beschäftigt hätte. Das Verwaltungsgericht hat dann den vom Kläger gezahlten Stundensatz unter Berücksichtigung der Ausführungen des Beigeladenen etwas reduziert.

Diese Festlegung durch das Verwaltungsgericht ist auch keineswegs willkürlich, wie der Beklagte in Verkennung der Rechtslage behauptet, sondern ersichtlich am gesetzlichen Erfordernis der Bedarfsdeckung orientiert.

1.1.3 Ernstliche Zweifel bestehen auch nicht im Hinblick auf § 5 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII (vgl. auch § 9 Abs. 2 Sätze 1 und 3 SGB XII), da „unverhältnismäßige Mehrkosten“ im Sinne dieser Vorschrift hier nicht dargelegt sind. Es fehlt bereits an einem Vortrag des Beklagten, der einen Vergleich zwischen dem „Wunsch“ der Eltern für einen bestimmten Schulbegleiter mit einem bestimmten Stundensatz zu dem Stundensatz, für den der Beklagte selbst einen solchen hätte zur Verfügung stellen können, im Einzelfall ermöglichen würde. Zudem genügten insoweit bloße Mehrkosten nicht, vielmehr müssten diese unverhältnismäßig sein, was sich nur im Einzelfall konkret belegen lässt (vgl. zu § 9 SGB XII: Adolph in Linhart/Adolph, SGB II und SGB XII, Stand: August 2012, § 9 SGB XII, RdNr. 30). Dazu gibt der Vortrag des Beklagten nichts her.

1.1.4 Ernstliche Zweifel an der Ergebnisrichtigkeit bestehen auch nicht hinsichtlich der Begründungspflicht (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die maßgeblichen Erwägungen des Verwaltungsgerichts sind der Urteilsbegründung entgegen der Behauptung des Beklagten ohne Weiteres zu entnehmen. Das Verwaltungsgericht hat sich ersichtlich am Grundsatz der Bedarfsdeckung orientiert.

1.2 Die Rechtssache weist auch keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) auf.

Die hier zu entscheidenden Rechtsfragen lassen sich (vgl. oben) ohne weiteres aus dem Gesetz und dem Sinn und Zweck der Jugendhilfeleistung, den Bedarf im Einzelfall durch die Hilfe auch tatsächlich abzudecken, beantworten. Es geht nicht um das „Wie“ der Hilfeleistung „Schulbegleiter“, sondern um die tatsächliche Bedarfsdeckung. Dabei erschließt sich auch an dieser Stelle nicht, welche „anderen Gestaltungsmodelle“ der Beklagte meint, nachdem er als geeignete und erforderliche Hilfe einen Schulbegleiter bewilligt hat, es sei denn der Weg über eine vom Gesetzgeber nicht nur nicht gewollte, sondern auch nicht zulässige Teilfinanzierung des Schulbegleiters durch den Kläger selbst.

1.3 Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache dient in erster Linie der Rechtseinheit und der Fortentwicklung des Rechts. Er erfordert deshalb, dass die im Zulassungsantrag dargelegte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wird, bisher höchstrichterlich oder durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichtes nicht geklärt ist und eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung aufweist (vgl. dazu Happ in Eyermann, VwGO, 13. Auflage 2010, § 124 RdNr. 35 f.).

Hier fehlt es bereits daran, dass der Beklagte eine vom Erstgericht aufgeworfene Rechts- oder Tatsachenfrage substantiiert in Frage stellt, die für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre, und damit seiner Darlegungslast nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht gerecht wird.

Das Verwaltungsgericht hat dem Beklagten schon keine Hilfeform vorgeschrieben, wie dieser meint, sondern ihn zur (finanziellen) Deckung des von ihm selbst anerkannten Bedarfs verpflichtet. Im Übrigen sind Fragen der „Modalitäten der Hilfegewährung“, die sich hier lediglich auf die Frage der Höhe des Stundensatzes verengen, Einzelfallfragen, die einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich sind. Das Erfordernis der Bedarfsdeckung ist gesetzlich vorgegeben (siehe oben) und bedarf insoweit keiner grundsätzlichen Klärung. Ebenfalls muss nicht geklärt werden, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Senats zwar die von Fachkräften des Jugendamtes getroffene Entscheidung über die notwendige und geeignete Hilfe gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist (vgl. etwa BayVGH vom 21.1.2009 JAmt 2009, 317), das sich das aber nicht auf die Frage der zwingend vorgegebenen Bedarfsdeckung und deren Finanzierung durch den Jugendhilfeträger bezieht. Die Einhaltung dieser Verpflichtung des Jugendhilfeträgers ist gerichtlich voll nachprüfbar.

1.4 Da andere Zulassungsgründe schon nicht geltend gemacht worden sind, hat der Zulassungsantrag mithin insgesamt keinen Erfolg.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3, § 188 Satz 2 VwGO.

3. Gegen diesen Beschluss gibt es kein Rechtsmittel (§ 152 Abs. 1, § 158 Abs. 1 VwGO).

4. Mit diesem Beschluss wird das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 28. Juli 2011 gemäß § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO rechtskräftig.