OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 08.11.2012 - 6 A 1459/12
Fundstelle
openJur 2012, 130529
  • Rkr:

Erfolgloser Zulassungsantrag einer Lehrerin im Beamtenverhältnis auf Probe, die sich gegen Anordnungen wendet, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen.

Tenor

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg; Zulassungsgründe im Sinne des § 124 Abs. 2 VwGO sind nicht dargelegt oder nicht gegeben.

Das Antragsvorbringen weckt zunächst keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Hinsichtlich dieses Zulassungsgrundes bedarf es einer auf schlüssige Gegenargumente gestützten Auseinandersetzung mit den entscheidungstragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts. Dabei ist innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO in substantiierter Weise darzulegen, dass und warum das vom Verwaltungsgericht gefundene Entscheidungsergebnis ernstlich zweifelhaft sein soll. Diese Voraussetzung ist nur dann erfüllt, wenn das Gericht schon auf Grund des Antragsvorbringens in die Lage versetzt wird zu beurteilen, ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen. Diesen Anforderungen genügt die Antragsschrift nicht.

Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, eine Weisung des Dienstherrn an den Beamten, sich ärztlich untersuchen zu lassen, sei (nur) dann gerechtfertigt, wenn sich die Zweifel des Dienstherrn an der gesundheitlichen Eignung auf konkrete Umstände stützten, die eine derartige Untersuchung rechtfertigten. Solche konkreten Umstände liegen entgegen der Auffassung der Klägerin angesichts des nicht unerheblichen Übergewichts, das sie in der Vergangenheit aufgewiesen hat, und der dabei festgestellten Gewichtsveränderungen indessen vor. Das Körpergewicht und folglich auch die damit in Zusammenhang stehenden Gegebenheiten sind von dem Betreffenden beeinflussbar und können binnen relativ kurzer Zeit auch deutlich schwanken. Das beklagte Land hat angesichts dessen Anlass, der Frage nachzugehen, ob bei der Klägerin heute wieder eine Adipositas, zumal eine solche höheren Grades - immerhin lag sie zum Zeitpunkt ihrer amtsärztlichen Untersuchung im Jahr 2006 mit einem Body-Mass-Index (BMI) von 34,6 bzw. 34,5 kg/m2 nahe der Grenze zur Adipositas Grad II -, sowie übergewichtsassoziierte Erkrankungen vorliegen.

Dagegen sprechen nicht die Feststellungen in den von der Klägerin angeführten Entscheidungen des Bayerischen VGH vom 13. April 2012 - 3 BV 08.405 -, IÖD 2012, 156, sowie OVG NRW vom 16. Mai 2011 - 1 B 477/11 -. Zunächst haben die genannten Entscheidungen die Frage der gesundheitlichen Eignung selbst zum Gegenstand. Im Streitfall geht es demgegenüber um die Vorbereitung dieser Entscheidung, nämlich um die nur durch ärztliche Begutachtung mögliche Aufklärung der für die Entscheidung maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse.

Überdies ist keinem der genannten Judikate zu entnehmen, dass jegliches Übergewicht ohne Aussagewert für die Frage der gesundheitlichen Eignung wäre. Das Gegenteil ist richtig. So ist in der gutachterlichen Untersuchung, die Grundlage der Entscheidung des Bayerischen VGH vom 13. April 2012 war und die von diesem auszugsweise wiedergegeben wird, zwar ausgeführt, allein das Vorliegen einer Adipositas Grad I (BMI 30 bis 34,9 kg/m2) rechtfertige die Prognose mangelnder gesundheitlicher Eignung bei der Entscheidung über die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit nicht (Hervorhebung durch den beschließenden Senat). Weiter heißt es jedoch, es sei bekannt, dass das Risiko für körpergewichtsassoziierte Erkrankungen mit dem Grad der Adipositas deutlich ansteige; bei ausgeprägter Adipositas Grad II (BMI 35 bis 39,9 kg/m2) und Grad III (BMI ab 40 kg/m2) wachse das Risiko für Erwerbsunfähigkeit bzw. das Mortalitätsrisiko exponentiell.

Vgl. dazu ausführlich und überzeugend zur Tauglichkeit jedenfalls eines BMI von mehr als 35 kg/m2 als Indikator für die mangelnde gesundheitliche Eignung eines Beamten auch Nds. OVG, Urteil vom 31. Juli 2012 - 5 LC 216/10 -, juris.

Ähnliches gilt für den Beschluss des OVG NRW vom 16. Mai 2011 - 1 B 477/11 -, in dem zwar ein BMI bis 30 kg/m2 als ungeeigneter Indikator für die Frage der gesundheitlichen Eignung angesehen wird, aber ferner ausgeführt ist, die Situation im Falle eines BMI über 30 kg/m2 stelle sich als problematischer dar, da dieser auch nach neueren Studien verglichen mit der Referenzgruppe der "Normalgewichtigen" durchschnittlich mit einem höheren Mortalitätsrisiko belastet sei. Aus Gründen des Einzelfalls hatte der Senat dem nicht weiter nachzugehen.

Wenn die Klägerin in diesem Zusammenhang vorbringt, selbst wenn sie heute einen BMI von (bis zu) 34,5 kg/m2 aufwiese, stellte das ihre gesundheitliche Eignung nicht in Frage, lässt sie aus dem Blick, dass es durchaus möglich (und daher aufzuklären) ist, dass ihr BMI - möglicherweise auch deutlich - höher liegt als 34,5 kg/m2, und andernfalls mindestens zu untersuchen ist, ob übergewichtsassoziierte Erkrankungen eingetreten sind oder einzutreten drohen.

Entgegen der Auffassung der Klägerin war insoweit auch eine Auseinandersetzung mit dem Zulassungsbeschluss des Senats vom 23. November 2009 im Verfahren 6 A 2421/07 nicht geboten. Denn auch diese Entscheidung betrifft nur die Frage der Verbeamtung (damals im Probebeamtenverhältnis) als solche, nicht hingegen eine - hier streitgegenständliche - Anordnung des beklagten Landes zur Aufklärung der dafür maßgeblichen Tatumstände. Im Übrigen ist schon nicht dargelegt, inwieweit dieser Beschluss einer weiteren Auswertung - zumal in für den Streitfall erheblicher Weise - zugänglich sein sollte, die das Verwaltungsgericht versäumt hätte.

Das Verwaltungsgericht ist ferner im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die auf der Grundlage des Gesundheitszeugnisses vom 13. April 2010 erfolgte Berufung der Klägerin in das Beamtenverhältnis auf Probe den verfahrensgegenständlichen Weisungen, sich einer erneuten amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen, nicht entgegensteht. Darin ist festgestellt, im Vergleich zur letzten Untersuchung habe eine deutliche Gewichtsreduzierung stattgefunden; in Verbindung mit der gesundheitlich günstigen Verteilung des Körperfetts bei der Klägerin sei mit einer vorzeitigen Beendigung der Dienstfähigkeit nicht zu rechnen. Damit ist eine erneute ärztliche Untersuchung vor der Berufung in ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit nicht ausgeschlossen. Die ärztliche Untersuchung bei der Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe muss als Maßstab zwar denjenigen zugrunde legen, der auch für die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit gilt. Gleichzeitig versteht sich von selbst, dass mit der Untersuchung hinsichtlich solcher Umstände, die - wie das Körpergewicht und die damit in Zusammenhang stehenden Gegebenheiten - von dem Betreffenden beeinflusst und binnen relativ kurzer Zeit auch nachhaltig verändert werden können, eine Aussage primär zu dem Zustand getroffen werden kann, der im Zeitpunkt der Untersuchung besteht. Es ist unter dieser Voraussetzung jedenfalls denkbar, dass sich bei dem Beamtenbewerber Risikofaktoren manifestiert haben, die noch nicht zu Dienstunfähigkeit während der Probezeit geführt haben, eine solche Entwicklung vor Erreichen der Altersgrenze aber befürchten lassen. Angesichts dessen lässt sich ohne ärztliche Untersuchung nicht sagen, dass die Klägerin sich hinsichtlich ihrer gesundheitlichen Eignung "bewährt" hätte, und kommt es insoweit auf "Erkenntnisse des Gerichts" zum Aussagegehalt der ärztlichen Untersuchung, die Stellungnahme der Frau Dr. C. oder die mit dem Zulassungsantrag hervorgehobenen Erfahrungen des Personalrats bzw. seines Vorsitzenden nicht an.

Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Sache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegen nicht vor. Dies ist zu verneinen, wenn - wie hier - im Hinblick auf die insoweit vorgetragenen Gründe ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung verneint worden sind.

Mit dem Zulassungsantrag wird ferner erfolglos das Vorliegen eines Verfahrensmangels im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO geltend gemacht.

Daraus, dass das Verwaltungsgericht nicht darauf hingewiesen hat, es gehe von einer Indizwirkung einer Adipositas für Folgeschäden am Bewegungsapparat oder beim Herzkreislaufsystem aus, ergibt sich keine Gehörsverletzung oder das Vorliegen einer Überraschungsentscheidung. Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör folgt keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Gerichts. Auch in der Ausprägung, die dieses Recht in § 86 Abs. 3 VwGO gefunden hat, wird dem Gericht keine umfassende Erörterung aller entscheidungserheblichen Gesichtspunkte abverlangt. Insbesondere muss ein Gericht die Beteiligten grundsätzlich nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinweisen. Nur wenn das Gericht an den Vortrag eines Beteiligten Anforderungen stellt, mit denen auch ein verständiger Prozessbeteiligter aufgrund des bisherigen Verlaufs des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte, ist es zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung verpflichtet, einen entsprechenden Hinweis zu geben.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. September 2010 - 5 B 44.10 -, juris.

So liegt es im Streitfall nicht. Die Frage der Bedeutung der Adipositas und damit selbstverständlich auch mit ihr assoziierter Erkrankungen für Zweifel an der gesundheitlichen Eignung stand hier vielmehr inmitten. Im Übrigen lässt es der Zulassungsantrag an einer Darlegung fehlen, was bei entsprechendem Hinweis des Gerichts vorgetragen worden wäre. Da es ferner, wie dargelegt, auf "Erkenntnisse des Gerichts" zum Aussagegehalt des Gesundheitszeugnisses nicht ankommt, liegt auch insoweit eine Gehörsverletzung nicht vor.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 40, 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).