VG Freiburg, Urteil vom 19.03.2002 - A 6 K 10067/02
Fundstelle
openJur 2013, 12064
  • Rkr:

Auslandschinesen unterliegen nicht der chinesischen Familienplanung und müssen schon deshalb im Falle ihrer Heimkehr nicht mit Nachteilen wegen "überzähliger" Kinder rechnen. Verstöße gegen die Familienplanung sind unpolitischer Natur und ziehen heute regelmäßig auch keine Maßnahmen mehr nach sich, die nach Intensität, Art und Schwere Asylrelevanz erreichen.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Prozessbevollmächtigten wird abgelehnt.  

Tatbestand

Die am 13.03.2001 in Bad Säckingen in Deutschland geborene Klägerin chinesischer Staatsangehörigkeit stellte als Tochter der Kläger des rechtskräftig negativ abgeschlossenen Asylklageverfahrens - A 8 K 14150/97 - des Verwaltungsgerichts Stuttgart und des mit Bescheid vom 18.12.2001 bestandskräftig abgelehnten Folgeantrags (2 722 955 - 479) mit Schriftsatz vom 13.11.2001Antrag auf Gewährung von Asyl und Abschiebungsschutz nach §§ 51 Abs. 1 oder 53 AuslG mit der Begründung, sie seien inzwischen 3 Geschwister und überschritten damit die in China zulässige Kinderzahl von 1 so erheblich, dass sie im Falle einer Rückkehr wegen dieses groben Verstoßes alle unter erheblichen - asylrelevanten und existentiellen - staatlichen Repressionen der Familienplanungsbehörde zu leiden hätten. Insbesondere sei sie bislang noch nicht in einem chinesischen Melderegister erfasst, werde dort als "illegales Kind" bei ihrer Rückkehr voraussichtlich auch nicht aufgenommen, so dass sie zeitlebens von allen staatlichen Leistungen und Fördermaßnahmen, beginnend mit dem Schulbesuch, weitgehend ausgeschlossen bleibe. Da ihre Eltern aus Peking stammten, müsse sie sogar mit besonderer - Abschiebungsschutz erfordernder - "Härte" rechnen, weil die Familienplanung in der bevölkerungsreichen Hauptstadt besonders streng gehandhabt werde. Das gelte erst recht für sie als - aus dem Ausland zurückkehrende - Christin und weil sie ein Mädchen sei. 

Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte den Asylantrag mit Bescheid vom 20.12.2001in der Sache als unbegründet ab und stellte weiter fest, dass auch die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse im Sinne des § 53 AuslG nicht vorliegen. Des weiteren drohte es die Abschiebung in das Heimatland an, falls das Bundesgebiet nicht innerhalb eines Monats nach Unanfechtbarkeit dieser Entscheidung verlassen werde. Dieser Bescheid ging an die Klägerin mit der Post am 02.01. 2002 ab.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Bescheids des Bundesamts und seiner Akten verwiesen.

Am 11.01.2002 hat die Klägerin Klage erhoben, zu deren Begründung sie weiter ausführen ließ, dass sie sogar noch ein weiteres Geschwister, nämlich einen - bei einer anderen Familie in China lebenden - 11 Jahre alten Bruder habe, folglich als viertes Kindvoraussichtlich noch stärkeren Repressionen der chinesischen Behörden ausgesetzt sei.

Die Klägerin beantragt,

unter Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten den oben genannten Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen sowie festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG,hilfsweise, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung nimmt sie auf den ergangenen Bescheid Bezug.

Der beteiligte Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat keinen Antrag gestellt.

Dem Gericht liegen die Akten des Bundesamts - ein Heft und 2 Hefte Akten des Erst- und Folgeverfahrens der Eltern der Klägerin - sowie die Erkenntnismittel zu China mit Stand 2/2002 vor. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. 

Gründe

Der Einzelrichter konnte - worauf in den ordnungsgemäß zugegangenen Ladungen hingewiesen worden war - gemäß § 102 Abs. 2 VwGO über die Klage verhandeln und entscheiden, obwohl nicht alle Beteiligten zur mündlichen Verhandlung erschienen waren.

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der angegriffene Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Klägerin hat aus mehrfachen Gründen keinen Anspruch auf ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Auch liegen weder die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG noch Abschiebungshindernisse im Sinne von § 53 AuslG vor. Dem gemäß ist auch die Abschiebungsandrohung rechtlich nicht zu beanstanden.

Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat mit seinem mit der Klage angefochtenen Bescheid den Asylantrag der Klägerin in der Sache zutreffend und unter rechtlich richtiger Darstellung der maßgeblichen Rechtsgrundlagen abgelehnt. Es besteht nämlich kein ernst zu nehmender Anhaltspunkt dafür, dass die in Deutschland geborene Klägerin asylerhebliche oder ansonsten existentiell nachteilige Nachstellungen im Falle ihrer Rückkehr in die Heimat wegen Verstoßes ihrer Eltern gegen die sog.Familienplanungzu gewärtigen hat. Auf die Begründung des Bundesamts, die sich das Gericht insoweit zu eigen macht, wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylVfG zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

Ergänzend dazu ist zum Vorbringen im Klageverfahren nur noch auf Folgendes einzugehen:

16Der Klägerin steht kein eigener Anspruchnach Art. 16a Abs. 1 GG auf ihre Anerkennung als Asylberechtigte oder auf die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG zu, weil sie - falls das Vorbringen der Eltern insoweit überhaupt zutreffen sollte - auch als nicht registriertes "schwarzes" oder -Mehr-Kind- nicht "politisch verfolgt" wird. Denn es handelt sich bei den von ihr angeführten nachteiligen administrativen Maßnahmen, die auf ihrer - eventuellen - bloßen melderechtlichen Nicht-Erfassung beruhen, mag diese auch auf eine Geburt, die unter Verstoß gegen die sog.Ein-Kind-Regelerfolgte, zurückgehen, nicht um eine "politische Verfolgung" i.S. von Art. 16a Abs. 1 GG oder § 51 Abs. 1 AuslG. Es geht dabei nämlich weder hinsichtlich der Eltern noch der "überzähligen" Kinder um eine (politische) "Ausgrenzung", wie etwa im Falle "missliebiger" Bevölkerungsteile (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 15.07.1998 - A 6 S 669/97 -). Das ist inzwischen ausweislich der Erkenntnismittel zu China verbreitete und nahezu einhellige Auffassung (AA, Auskunft v. 22.05.2000 an VG Augsburg: "Nur Administrativstrafen"; v. 04.07.2000 an Verwaltungsgericht Trier: "Taten gegen die Familienplanung nicht als politisch motiviert angesehen"; Dr. Th. Sch. v. 25.03.1999 an VG Leipzig: "Verwaltungsrechtsschutz gegen Maßnahmen der Geburtenkontrolle seit 1998 möglich; keine strafrechtliche Verfolgung "ungenehmigter Geburten" oder "unterlassener Sterilisierung"; Dr. R. Heuser an VG Leipzig v. 29.07.1999: "allenfalls Geldbuße; keine politische Tat"). Die verbleibenden Auswirkungen verwaltungstechnischer Art und/oder finanzieller Natur (vgl. ai, Auskunft v. 15.01.1996 an VG Köln: "Mehr-Kind-Steuer" oder hohe Geldstrafe, Nachteile bei der Verteilung sozialer Leistungen oder Berechtigungen) sind zudem auch nach ihrer Intensität, Art und Schwere - insbesondere zu Lasten des Kindes wie hier der Klägerin - regelmäßig nicht von asylerheblicher Bedeutung. Das Gericht vermag daher der aus dem Jahre 1995 stammenden gegenteiligen Entscheidung des VG Magdeburg vom 05.12.1995 - 7 A 2319/94 - (AUAS 1996, 163), welche der Missachtung der Familienplanung die Bedeutung eines "konterrevolutionären Aktes" für die chinesischen Behörden beimisst, keineswegs zu folgen.

Sie erscheint zudem jedenfalls heutevon der tatsächlichen Entwicklung in China überholt. Denn schon der Begriff "konterrevolutionären" Verhaltens ist aus dem Strafgesetz (und Behördenvokabular) verschwunden (Bad. Ztg. v. 16.03.1999). Des Weiteren haben sich auch die tatsächlichen Verhältnissebei der Familienplanung geändert: Nicht einmal mehr die obengenannten lediglich administrativen Zwangsmaßnahmen der chinesischen Regierung sollen auf diesem Gebiet - was bereits zur Zeit der Ausreise der Eltern der Klägerin absehbar war - durchgeführt werden (so Südd.Ztg. v. 22.06.1998: "Kein Zwang mehr bei Geburtenkontrolle"; erneut v. 08.07.1999: Aufruf der chin. Regierung zum "Absehen von Zwangsmaßnahmen"; Die Welt v. 01.02.2000: "Abschied von Ein-Kind-Politik"). Insbesondere ist inzwischen auch die vielfach angeführte Behördenwillkürdurch eine gesetzliche Normierung der Familienplanung, die unter anderem die Bestrafung von (kriminellem) "Übereifer" einerseits und die Abschaffung von Bußgeldernandererseits vorsieht, beseitigt worden (Südd. Ztg. v. 01.01.2002). Dass das nicht nur Absichtserklärungen sind, beweist die in China derzeit umgekehrt sogar wachsende Angst vor einer Überalterung wegen zu geringer Kinderzahl(Frkfter Rdschau v. 16.10.2000: "Angst vor 400 Millionen Rentnern"). Dementsprechend sind in China auf dem Landeschon seit Längerem -drei Kinder üblich- (und zulässig)(Economist v. 10.02.1996). Mit der völligen Entspannung auf diesem Gebiet stimmt schließlich überein, dass ai (auch) im jüngsten Jahresbericht 2001 (S. 154 ff.) die Familienplanung nicht mehr erwähnt.

Davon profitiert hier in jedem Falle auch die Klägerin, weil ihre Mutter - wie sie einräumen musste - "Landbürgerin", d.h. auf dem Lande gemeldet ist (VG-Protokoll-Anlage, S. 3). Entgegen ihrer in der Klagebegründung vertretenen Auffassung werden ihren Eltern auch nicht vier, sondern - allenfalls - drei Kinder zugerechnet, da das vierte Kind schon nach dem eigenen Vortrag bei ihrer Anhörung in eine "andere Familie räumlich weit entfernt in Tianjin (gänzlich) weggegeben" und dort adoptiertworden ist (VG-Protokoll-Anlage, S. 1). Diese Handhabung der Familienplanung insbesondere auf dem Lande besteht erst recht, wenn - wie hier - zunächst nur ein  Mädchen geboren wurde oder auch wenn die Eltern selbst Einzelkinder waren.

19All dies bedarf letztlich aber auch deshalb keiner weiteren Vertiefung, weil die Klägerin...- was für den vorliegenden Fall ebenso wesentlich ist - als sog.Auslandschinesinnicht unter die Ein-Kind-Regel bzw. die Familienplanung fällt. Aus diesem Grunde wird die Kinderzahl bei aus dem Ausland heimkehrenden Chinesen bei der Einreise nicht einmal geprüft und erwachsen auch am Heimatort "mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Nachteile aus einer zu hohen Kinderzahl" (so Dr. Th. Sch. an VG Leipzig v. 28.10.1999 und AA, Auskunft v. 04.05.1999 an VG Leipzig: "Bevorzugte Behandlung nach Geburten im Ausland").

Nach alldem kommt es erkennbar nicht darauf an, dass die Klägerin - wie sie weiter vortragen lässt - "ein besonders benachteiligtes Mädchen" ist und dass in Peking"strikt nur ein Kind" zulässig ist und dies dort (besonders) "streng" überwacht bzw. sanktioniert wird. Denn die Klägerin könnte hiernach sowohl an der Botschaft im Ausland als auch notfalls in China ohne Weiteres (zumindest) am Wohnsitz ihrer Mutter auf dem Lande "angemeldet" werden. Sie wird von der Pekinger Regelung - sollte sie so überhaupt (noch) bestehen - folglich nicht betroffen, zumal sie dort auch kein Wohnrecht beanspruchen könnte, weil (auch) ihr Vater entgegen seinen Angaben nicht von dort stammt, wie das Gericht schon anhand seines "Südakzentes" mit Hilfe der Dolmetscherin zweifelsfrei feststellte ... (VG-Protokoll-Anlage, S. 2: Seine Aussprache - ohne "Sch" - und seine Betonung habe "mit Peking nichts zu tun"). Auch seine eher geringe Ortskenntnis ging nicht über dasjenige hinaus, was er sich anlässlich eines vorübergehenden Aufenthalts dort erworben haben mochte. Das zeigte eindeutig die Tatsache, dass er den Namen der (durchaus nicht gänzlich unbekannten) Strasse "Tayuan " in dem bekannten Viertel "Haidian ", in welcher er sogar (jahrelang) gewohnt haben wollte, so falsch betonte, dass ihn die in Peking kundige Dolmetscherin nicht verstehen konnte und es der schriftlichen Niederlegung des Namens bedurfte (VG-Protokoll-Anlage, S. 5). All das beweist dem Gericht, dass seine Behauptung, "Stadtbürger" von Peking zu sein, schlichtem Wunschdenken entspringt.

Dass die Eltern bezüglich der Anmeldung ihres dritten Kindes entgegen ihrem Vorbringen in Wahrheit selbst nicht beunruhigt erscheinen und darin offenbar - trotz ihrer absehbar bevorstehenden Rückkehr - kein drängendes oder wesentliches Problem sehen, erhellt weiter der Umstand, dass sie diese Frage bei ihrer Botschaft auch gelegentlich ihrer (eigenen) Vorsprache bislang noch nicht einmal angesprochen haben, weil sie dies offensichtlich nicht für notwendig hielten (VG-Protokoll-Anlage, S. 2). Demgegenüber liegt es nahe und pflegt auch bei chinesischen Staatsangehörigen regelmäßig zu geschehen, dass Neugeborene (auch) bei der jeweiligen Heimatbotschaft angemeldet und mit Papieren versehen werden.

Das sog.Familienasylnach § 26 Abs. 2 AsylVfG aus einem abgeleitetem etwaigen Asylrecht ihrer Eltern steht der Klägerin hier schon deshalb nicht zu, weil die Eltern selbst kein solches Recht haben. Vielmehr wurde ihr Asylantrag - auch in seiner Wiederholung - (erneut) bestandskräftig abgelehnt. Damit steht fest, dass sie nicht politisch, aber auch nicht - wie sie als "Christen" behauptet hatten - religiös verfolgt sind. Letzteres gilt mittelbar auch zugleich für die im Alter von nunmehr einem Jahr noch kein eigenes Bekenntnis besitzende Klägerin.

Es kann deshalb abschließend dahinstehen, dass der Asylantrag der Klägerin nach § 26 Abs. 2 AsylVfG- eingegangen am 14.11.2001 - zudem verspätet, nämlich mehr als sieben Monate später als zwei Wochennach der Geburt (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.05.1997, AuAS 1997, 221; vgl. auch HessVGH, Urt. v. 20.07.1999, InfAuslR 2000, 132), gestellt worden wäre. Eine besondere Rechtfertigung dafür ist weder ersichtlich noch dargetan. 

Da feststeht, dass der Klägerin im Falle ihrer heutigen Rückkehr in die Heimat somit keinerlei asylerhebliche oder ansonsten humanitär unzumutbare existentielle Gefahren drohen, lassen sich ergänzend auch keine Abschiebungshindernisse i.S. des § 53 AuslGfeststellen. Auch eine in China etwa unbehandelbare Hauterkrankung, die der Abschiebung hier entgegengehalten wird, lässt sich bei der Klägerin nicht feststellen. Das gilt zumal angesichts des Umstands, dass die traditionelle chinesische Medizin gerade bei wenig fassbaren Erkrankungen - wie sie hier nach Aussage ihrer Eltern ("eigenartige Krankheit") gegeben erscheint - einen hohen Ruf genießt.    

Mithin ist auch die Abschiebungsandrohung, die das Bundesamt gemäß §§ 34 AsylVfG, 50 AuslG zu erlassen hatte, rechtmäßig.

Die Kostenentscheidungberuht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Es besteht keine Veranlassung, sie gemäß § 167 Abs. 2 VwGO für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Das Gericht hat auch keine Veranlassung, die außergerichtlichen Kosten des beteiligten Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten entsprechend § 162 Abs. 3 VwGO für erstattungsfähig zu erklären. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG  nicht erhoben.

Der nach §§ 166 VwGO, 114, 120 ZPO zulässige Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfeund Beiordnung des Prozessbevollmächtigten konnte mithin ebenfalls keinen Erfolg haben.