LG Siegen, Beschluss vom 27.09.2011 - 4 T 190/11
Fundstelle
openJur 2013, 6743
  • Rkr:

Zu der Frage, ob es sich für den als Verfahrenspfleger tätigen Rechtsanwalt gebührenrechtlich um eine Angelegenheit handelt, wenn das Betreuungsgericht in einem Beschluss sowohl die geschlossene Unterbringung als auch weitere freiheitsentziehende Maßnahme anordnet.

Tenor

Die Beschwerde wird nach einem Wert von bis zu 300,- € zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

Mit zwei Beschlüssen vom 07. April 2011 ordnete das Amtsgericht Siegen in dem der Verfahrenspflegerbestellung des Beteiligten zu 1) zugrundeliegenden Unterbringungsverfahren zum einen die zeitweilige geschlossene Unterbringung des an Demenz mit Weglauftendenz leidenden Betroffenen an und genehmigte zum anderen die zeitweise Beschränkung der Freiheit des Betroffenen durch Einsatz von Bettgitter, bis 5-Punkte-Gurt, Schutzdecke oder ähnliches zu den Bettruhezeiten, die Gabe sedierender Medikamente sowie die Isolierung zur Reizabschirmung. Gleichzeitig bestellte es in beiden Beschlüssen den Beteiligten zu 1) zum Verfahrenspfleger und bestimmte jeweils, dass die Verfahrenspflegschaft in Ausübung des Berufes geführt wird.

Nach einem Besuch bei dem Betroffenen im Klinikum berichtete der Beteiligte zu 1) dem Amtsgericht davon und äußerte keine Bedenken in Bezug auf die erlassenen Beschlüsse. Mit Schriftsatz vom 11. April 2011 beantragte der Beteiligte zu 1) die Festsetzung seiner einzeln aufgeschlüsselten Gebühren und Auslagen über einen Gesamtbetrag von 357,- €.

Mit dem angefochtenen Beschluss setzte das Amtsgericht unter konkludenter Zurückweisung des weitergehenden Festsetzungsantrages einen Betrag in Höhe von 228,48 € zugunsten des Beteiligten zu 1) fest. Zur Begründung der Kürzung führte es aus, dass zum einen die geltend gemachte Gebühr nach VV 6302 RVG schon dem Wortlaut nach nicht entstanden sei. Zum anderen handele es sich bei dem Gegenstand der zugrundeliegenden Beschlüssen gebührenrechtlich um eine Angelegenheit, da ein innerer Zusammenhang und einziger Auftrag, der alle Einzeltätigkeiten abdecke, vorliege. Die Anzahl der genehmigten Maßnahmen wie auch der vorliegenden Beschlüsse könne keine Auswirkung auf die Anzahl der Gebühren haben.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Beteiligten zu 1), mit der er geltend macht, dass es sich vorliegend um gebührenrechtlich zwei Angelegenheiten handele. Dies ergebe sich bereits daraus, dass es auch bei untergebrachten Betroffenen einer zusätzlichen Genehmigung für über die Unterbringung hinausgehende freiheitsbeschränkende Maßnahmen bedarf.

Mit eingeholter Stellungnahme der Beteiligten zu 2) beantragt diese die Zurückweisung der Beschwerde unter Berufung auf die bereits vom Amtsgericht aufgeführten Gründe.

Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) ist aufgrund der Zulassung durch das Amtsgericht zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.

Dem Beteiligten zu 1) steht im vorliegenden Verfahren lediglich die einfache Verfahrensgebühr nebst Auslagen und Mehrwertsteuer nach den Regeln des RVG zu.

Verfahrenspfleger erhalten im Unterbringungsverfahren Ersatz ihrer Aufwendungen gem. §§ 318, 277 FamFG. Danach ist es dem als Verfahrenspfleger bestellten Anwalt grundsätzlich versagt, seine Tätigkeit nach dem RVG abzurechnen. Gem. § 1 Abs. 2 S. 2 RVG bleibt allerdings § 1835 Abs. 3 BGB unberührt. Aus diesem Zusammenhang ist bereits für die frühere Vergütungsregelung für Verfahrenspfleger nach dem FGG der Schluss gezogen worden, dass der Rechtsanwalt, der als Verfahrenspfleger für den Betroffenen Dienste erbringt, für die ein nichtanwaltlicher Verfahrenspfleger einen Anwalt hinzugezogen hätte, nach dem RVG liquidieren kann. Durch das FamFG sind insoweit in § 277 FamFG keine inhaltlichen Änderungen erfolgt, so dass dieser Grundsatz weiterhin gilt (vgl. Budde in: Keidel, FamFG, 16. Aufl., § 277, Rz. 9 m.w.N.).

Seit der Entscheidung des BGH vom 17. November 2010 (Az: XII ZB 244/10) steht zudem fest, dass die - auch hier erfolgte - gerichtliche Feststellung, dass eine anwaltsspezifische Tätigkeit erforderlich ist, für das Kostenfestsetzungsverfahren bindend ist. Folglich durfte der Beteiligte zu 1) vorliegend nach den Regelungen des RVG liquidieren.

Soweit der Beteiligte zu 1) mit seinem Antrag eine Gebühr gem. VV 6302 RVG geltend macht, ist - wohl unstreitig - bereits der Gebührentatbestand nicht erfüllt. Gegenteiliges wird auch von dem Beteiligten zu 1) nicht vorgetragen.

Soweit der Beteiligte zu 1) seinen Antrag hilfsweise darauf stützt, dass er vorliegend in zwei unterschiedlichen Angelegenheiten tätig geworden sei und jeweils eine Verfahrensgebühr verdient habe, bleibt dem ebenfalls aus den bereits vom Amtsgericht genannten Gründen der Erfolg versagt. Denn er ist in dem Verfahren in derselben Angelegenheit im Sinne von § 15 RVG für den Betroffenen tätig geworden, mit der Folge, dass er die Verfahrensgebühr nur einmal fordern kann.

Gem. § 15 Abs. 1 RVG entgelten die Gebühren, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts vom Auftrag bis zur Erledigung der Angelegenheit; nach § 15 Abs. 2 S. 1 RVG kann der Rechtsanwalt die Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern. Entscheidend für den Vergütungsanspruch des Rechtsanwalts ist daher, ob seine Dienste sich auf "dieselbe" Angelegenheit bezogen haben. Dieselbe Angelegenheit ist im Gesetz selbst nicht definiert; in den §§ 16-18 RVG aber Fälle abschließend aufgeführt, bei denen eine gemeinsame bzw. verschiedene Angelegenheit vorliegt. Der vorliegende Fall ist in diesen Regelungen nicht aufgeführt. Es verbleibt damit bei einer Wertung anhand der Grundsätze des § 15 RVG. Allgemein ist eine Angelegenheit ein einheitlicher Lebensvorgang. Es müssen ein Auftrag, ein Rahmen der Tätigkeit und ein innerer Zusammenhang vorliegen (vgl. Madert in: Gerold/Schmidt, RVG, 18. Aufl., § 15 Rz. 5, 7). Bezogen auf den vorliegenden Fall könnte insoweit nur die Frage des einheitlichen Auftrages fraglich sein, da die Beauftragung vorliegend in zwei Beschlüssen erfolgt ist. Ein einheitlicher Auftrag liegt aber auch dann vor, wenn der Rechtsanwalt zu verschiedenen Zeiten beauftragt worden ist, sofern Einigkeit besteht, dass die Ansprüche gemeinsam behandelt werden sollen (vgl. Madert in: Gerold/Schmidt, a.a.O., § 15, Rz. 7). So liegt es im vorliegenden Fall. Der zum Verfahrenspfleger bestellte Beteiligte zu 1) sollte den einheitlichen Lebenssachverhalt der Unterbringung des Betroffenen mit einhergehenden weiteren Beschränkungen seiner Freiheit überprüfen. Eine getrennte Behandlung war insoweit nicht erforderlich. Entsprechend hat der Beteiligte zu 1) den Betroffenen auch nur einmal aufgesucht und entsprechend einmal an das Gericht berichtet. Es wäre lebensfremd hieraus verschiedene Angelegenheiten im gebührenrechtlichen Sinne zu konstruieren. Dem widerspricht nicht, dass es sowohl für die Unterbringung sowie auch für die Genehmigung freiheitsbeschränkender Maßnahmen einer Entscheidung durch das Gericht bedarf. Dass dies aus Gründen im Zusammenhang mit der Verwendung des Programmes Betreutex in zwei Beschlüssen geschehen ist, rechtfertigt auch keine andere Beurteilung.

Die hier vertretene Ansicht wird nach diesseitigem Dafürhalten gestützt durch die Regelung in § 18 Nr. 2 RVG, wonach im Falle von einstweiligen Anordnungen mehrere Anordnungen in derselben Hauptsache eine Angelegenheit sind.

Lediglich am Rande sei darauf hingewiesen, dass die Abrechnung für den Fall der Geltendmachung zweier Verfahrensgebühren auch schon inkonsequent ist, da die Auslagenpauschale lediglich einfach angesetzt wird.

Zwecks Fortbildung des Rechts war die Rechtsbeschwerde zuzulassen (§ 70 Abs. 2 Nr. 2 FamFG).

Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 131 Abs. 2, 30 KostO.