LG Essen, Urteil vom 10.09.2012 - 25 KLs 10/12
Fundstelle
openJur 2012, 129536
  • Rkr:
Tenor

Der Angeklagte wird freigesprochen.

Die Landeskasse trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Nebenklägerin trägt die Nebenklagekosten selbst.

Gründe

I.

Mit der zugelassenen Anklage v. 20.02.2012 hat die Staatsanwalt F dem Angeklagten vorgeworfen,

Ende Juli 2009

in N

eine andere Person unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist, genötigt zu haben, sexuelle Handlungen des Täters an sich zu dulden,

wobei der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzog (Vergewaltigung).

Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten Nachstehendes zur Last gelegt:

An einem nicht mehr genau bestimmbaren Tag Ende Juli 2009 befand sich die am 15.12.1993 und damit zur Tatzeit 15-jährige T in der damaligen Wohnung des Angeklagten I-Str.  in N. Ebenfalls anwesend waren die Zeuginnen C und L. Der Angeklagte hatte bereits den gesamten Abend sehr viel getrunken und gekifft. Irgendwann legten sich dann die drei Erwachsenen und die Jugendliche zum Schlafen. Alle befanden sich dazu im Wohnzimmer; während die drei Frauen auf einer Matratze auf dem Boden lagen, legte sich der Angeklagte zunächst auf die Couch. Noch vor dem Einschlafen forderte der Angeklagte plötzlich die beiden Zeuginnen C und L auf, die Wohnung zu verlassen und in den Keller zu gehen. Die beiden Zeuginnen kamen der Aufforderung nach, ohne nach dem Grund zu fragen oder sich der Aufforderung zunächst zu widersetzen. Beide wussten, dass der Angeklagte immer dann, wenn man seinen Aufforderungen nicht nachkommt, äußerst aggressiv reagiert.

Noch am selben Abend kam es zu massiven Körperverletzungshandlungen zum Nachteil der C, die jedoch Gegenstand eines anderen Ermittlungsverfahrens waren.

Der Angeklagte kam dann zu der durch die gesamte Situation verängstigten 15 jährigen T auf die Matratze und forderte sie auf, sich auszuziehen. Er beabsichtigte nun, mit der Jugendlichen den Geschlechtsverkehr durchzuführen. Die Geschädigte T weigerte sich jedoch zunächst, sich auszuziehen und sagte deutlich: „Nein“. Daraufhin zog der Angeklagte jedoch der Zeugin einfach ihre Boxershorts und den Tanga selbst herunter. Ihre Oberbekleidung ließ er der Zeugin an. Dies ging für die Geschädigte T alles sehr schnell und sie sah sich nicht in der Lage, sich den Handlungen des Angeklagten zu entziehen. Dieser war ihr aufgrund seines durchtrainierten Körpers körperlich überlegen und für die Zeugin aufgrund seines vorangegangenen Drogen- und Alkoholkonsums unberechenbar. Ihr war auch bewusst, dass die beiden Zeuginnen C und L genau wussten, was der Angeklagte nun mit ihr beabsichtigte und sie keinerlei Hilfe von den beiden Frauen, die dem Angeklagten absolut hörig waren, erwarten konnte. Daher wagte die Zeugin keinerlei körperliche Gegenwehr, so dass der Angeklagte ihre Beine hochheben konnte, während die Zeugin auf dem Rücken lag. Dann drang er mit seinem Glied in die Scheide der Zeugin ein und führte den Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss durch, obwohl ihm bewusst war, dass die Zeugin keinesfalls mit ihm schlafen wollte. Nach Einschätzung der Zeugin dauerte dies mindestens 10 bis 15 Minuten, in denen sie sich nicht traute, sich zu bewegen. Sie sah für sich keinerlei Möglichkeit, sich den sexuellen Handlungen zu entziehen. Erst nachdem der Angeklagte den Geschlechtsverkehr beendet hatte, konnte sie wieder aufstehen und begab sich ins Badezimmer, um sich dort zu waschen. Erst jetzt kamen die beiden Zeuginnen L und C zurück in die Wohnung und verhielten sich so, als sei nichts geschehen.

Verbrechen, strafbar gem. §§ 177 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 1 StGB.

Der Angeklagte war von diesem Vorwurf aus tatsächlichen Gründen freizusprechen.

II.

Zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten hat die Kammer nachstehende Feststellungen getroffen:

Der Angeklagte wurde am ... in N geboren. Sein Vater arbeitet als Hoch- und Tiefbaumaschinist, seine Mutter ist Hausfrau. Die Eltern des Angeklagten sind verheiratet. Der Angeklagte hat eine jüngere Schwester.

Seine Schullaufbahn beendete der Angeklagte mit dem Abgangszeugnis der Sonderschule nach der zehnten Klasse. In der Schule kam der Angeklagte nicht gut klar. Mit etwa acht Jahren wurde bei dem Angeklagten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie (Marl/Haltern) ein ADHS diagnostiziert. Im Anschluss an die Sonderschule kam der Angeklagte mit zwölf Jahren in ein Kinderheim. Der Angeklagte hatte Angst vor seinem Vater, der ihn - gelegentlich - schlug. In dem Heim verblieb der Angeklagte für unter ein Jahr. Wegen seiner ständigen Fluchtversuche konnte er in dem Kinderheim nicht verbleiben. Für ein Jahr war der Angeklagte in einer pädagogischen Auslandsmaßnahme an der B (Q). Dort wurde der Angeklagte tagsüber mit der Reparatur von Autos beschäftigt. Vor Ort entwendete er das Kraftfahrzeug seines Betreuers. In Q begann der Angeklagte Alkohol und Haschisch zu konsumieren. In Q hatte der Angeklagte auch zum ersten Mal Sex und zwar auf einer Wiese mit einer Partnerin, die ebenfalls dort in der pädagogischen Maßnahme untergebracht war. Nach der Rückkehr aus Q kam der Angeklagte mit etwa 14 Jahren in eine Pflegefamilie im N1-Kreis. In der Familie waren auch andere Pflegekinder untergebracht. Bei der Pflegefamilie ging es dem Angeklagten nach eigenem Empfinden gut. Er trank aber in dieser Zeit viel Alkohol und nahm Drogen, was er aus seinem Taschengeld und Diebstählen finanzierte. An Alkohol trank der Angeklagte überwiegend Bier und Jägermeister. Nachdem das Pflegeverhältnis beendet war, wurde der Angeklagte für ein bis eineinhalb Jahre in einer betreuten Wohneinrichtung untergebracht. Als diese Maßnahme beendet wurde, bemühte sich der Angeklagte selbst um eine Wohnung, was ihm indes nicht gelang. Für ca. 16 Monate war der Angeklagte obdachlos, er schlief in Marl unter Balkonen oder in einem Anhänger unter einer Plane, gelegentlich schlief er auch in verschiedenen Wohnungen bei Bekannten.  Auf Grund der unsteten Lebensverhältnisse, konsumierte der Angeklagte zunehmend auch Amphetamine. Weiter probierte er Ecstasy und psychedelische Pilze aus. In seiner Zeit in I1 bei Q1, wo der Angeklagte zu Erziehungszwecken untergebracht war, versuchte er eine Ausbildung zum Schweißer, die er jedoch nicht beendete. Mit ungefähr 20 Jahren erhielt der Angeklagte eine eigene Wohnung. Frühstück und Mittagessen erhielt er bei der D.

Der Angeklagte unterhielt zahlreiche Beziehungen zu Frauen. Seit rd. 14 Jahren ist er mit Frau L liiert, es handelt sich - aus seiner Sicht - um eine „offene Beziehung“. Frau L unterhielt auch Kontakte zu einem Jugoslawen, was dem Angeklagten allerdings nicht genehm war. Frau L hat ein Kind mit einem anderen Mann und dazu zwei Kinder mit dem Angeklagten, nämlich einen 11-12jährigen Sohn und eine 4jährige Tochter. Beide gemeinsamen Kinder leben in Pflegefamilien.

Neben seiner Beziehung zu Frau L unterhielt der Angeklagte eine weitere auch sexuelle Beziehung zu Frau C. Beide Frauen hatten sich in einem Mutter-Kind Heim kennen gelernt. Beide Frauen arbeiteten als Prostituierte. Tätig waren sie unter anderem in den Etablissements „I2“ und „C1 Club“ in/bei N. Der Angeklagte war nicht ihr Zuhälter.

Der Angeklagte und Frau L wohnten gemeinsam, Frau C wohnte in eigener Wohnung, hielt sich aber sehr häufig bei dem Angeklagten und Frau L auf. Der Angeklagte bezog staatliche Transferleistungen. Frau C ließ dem Angeklagten zudem Geld zukommen, das sie aus ihrer Tätigkeit als Prostituierte bekam. Mit dem Geld finanzierte der Angeklagte seinen Betäubungsmittel- und Alkoholkonsum.

Der Angeklagte hat Unterhaltsschulden, Schulden beim Jugendamt und Schulden resultierend aus von ihm begangenen Diebstählen. Die Schulden belaufen sich auf bestimmt 10.000,- bis 20.000,- EUR.

In der Strafhaft hat der Angeklagte ein Anti Gewalt Training absolviert. Gesundheitliche Beschwerden des Angeklagten rühren aus seinem Alkohol- und Betäubungsmittelkonsum her, sie werden medikamentös behandelt.

Der Angeklagte ist bislang strafrechtlich wie folgt in Erscheinung getreten:

Mit Entscheidung v. 24.10.1995 (Az. ...) sah die Staatsanwaltschaft F in einem Diebstahlsverfahren, §§ 242, 248a StGB, gem. § 45 Abs. 2 JGG von der Verfolgung ab.

Mit Entscheidung v. 31.10.1995 (Az. ...) sah die Staatsanwaltschaft F in einem Verfahren wegen Diebstahls und Hausfriedensbruches, §§ 123, 242, 248a, 53 StGB, gem. § 45 Abs. 2 JGG von der Verfolgung ab.

Mit Entscheidung v. 17.04.1997 (Az. ...) stellte das Amtsgericht N das Verfahren, das den Diebstahl (geringwertiger Sachen) in zwei Fällen und Hausfriedensbruch zum Gegenstand hatte, gem. § 47 JGG ein.

Mit Entscheidung v. 09.07.1998 (Az. ...) verwarnte das Amtsgericht N den Angeklagten, verhängte einen Freizeit Jugendarrest und gab ihm die Erbringung von Arbeitsleistungen wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall auf.

Mit Entscheidung v. 01.09.1998 (Az. ...) sah die Staatsanwaltschaft F in einem Verfahren wegen Diebstahls oder Hehlerei von der Verfolgung gem. § 45 Abs. 2 JGG ab.

Mit Entscheidung v. 28.09.1998 (Az. ...) sah die Staatsanwaltschaft F in einem Verfahren wegen Beförderungserschleichung gem. § 45 Abs. 2 StGB von der Strafverfolgung ab.

Mit Entscheidung v. 04.04.2001 (Az. ...) verurteilte das Amtsgericht N den Angeklagten wegen teilweise gemeinschaftlich verwirklichten Diebstahls in fünf Fällen, davon je einmal in Tateinheit mit Urkundenfälschung und Sachbeschädigung sowie zweimal in Tateinheit mit Fahrens ohne Fahrerlaubnis, versuchten Diebstahls Fahrens ohne Fahrerlaubnis in vier Fällen, davon zweimal in Tateinheit mit Fahren eines Kraftfahrzeugs ohne den erforderlichen Haftpflichtversicherungsvertrag sowie wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln zu  einer Jugendfreiheitsstrafe von einem Jahr. Die Strafvollstreckung wurde zur Bewährung ausgesetzt. Weiter erhielt er eine Sperre für die Fahrerlaubnis bis zum 11.01.2002.

Mit Entscheidung v. 17.07.2002 (Az. ...) verurteilte das Amtsgericht N den Angeklagten unter Einbeziehung der Entscheidung v. 04.04.2001 wegen Diebstahls, Körperverletzung, Diebstahls in einem besonders schweren Fall, falsche Verdächtigung sowie Fahrens ohne Fahrerlaubnis, teilweise gemeinschaftlich handelnd zu einer Jugendfreiheitsstrafe von zwei Jahren. Die Vollstreckung wurde zur Bewährung ausgesetzt, die bis zum 16.07.2004 bestimmte Bewährungszeit wurde bis zum 16.07.2006 verlängert. Mit Wirkung v. 07.11.2006 wurde die Jugendstrafe erlassen.

Mit Entscheidung v. 08.03.2004 (Az. ...) verurteilte das Amtsgericht N den Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit vorsätzlichem Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz in zwei Fällen, Sachbeschädigung und Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Strafvollstreckung wurde zur Bewährung ausgesetzt.

Mit Urteil v. 12.12.2005 (Az. ...) verurteilte das Amtsgericht N unter Einbeziehung der Entscheidung v. 08.03.2004 den Angeklagten wegen Diebstahls. Zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr sowie Diebstahls in zwei Fällen in Tateinheit Körperverletzung zu einer weiteren Gesamtfreiheitstrafe von sechs Monaten. Die Strafvollstreckung wurde zur Bewährung ausgesetzt, die Bewährungszeit bis zum 19.12.2008 bestimmt. Die Strafaussetzung wurde widerrufen.

Mit Entscheidung v. 07.05.2009 (Az. ...) verurteilte das Amtsgericht N den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung, unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in zwei Fällen und vorsätzlichen Verstoßes gegen das Waffengesetz zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. Die Tat beging der Angeklagte auf Grund Betäubungsmittelabhängigkeit.

Mit Entscheidung v. 10.12.2009 (Az. ...) hat das Amtsgericht N den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen sowie Körperverletzung und Raub in einem minder schweren Fall unter Einbeziehung der Entscheidung v. 07.05.2009 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

III.

In der Sache hat die Kammer folgende Feststellungen getroffen:

Die Zeugin T lebte zum  Zeitpunkt der angeklagten Tat bei ihrer Oma. Die Mutter der Zeugin, T1, die  drogen- und alkoholabhängig war, ist an einer Leberzirrhose und an einem Nierenleiden verstorben. Der Vater der Zeugin verbüßte eine Strafhaft.

Die verstorbene Mutter der Zeugin T war mit Frau L und dem Angeklagten bekannt. Auf diese Weise hatte die Zeugin T auch Frau L kennengelernt, ohne dass eine engere Beziehung zwischen ihnen bestand. Auch den Angeklagten kannte sie flüchtig.

Die Zeugin T traf in der N Innenstadt zufällig auf Frau L, die die Zeugin im Verlauf des Gesprächs fragte, ob sie denn nicht Lust hätte, sie mal zu besuchen.

Einige Tage später begab sich die damals 15jährige Zeugin zu der Wohnung der Frau L in der I-Str. ... in N. Die Wohnung lag in einem Mehrfamilienhaus, mit insgesamt sechs Wohnungen, drei unten und drei oben. Die Zeugin T ging davon aus, dass diese Wohnungen auch bewohnt waren.  In der Wohnung traf sie auf Frau L, Frau C und den Angeklagten. Die Frauen redeten miteinander und schauten Fernsehen. Dabei trank die Zeugin Limonade, der Angeklagte hielt sich im Hintergrund, trank Alkohol und kiffte. Er rauchte sein letztes Cannabis.

Von Frau L hatte die Zeugin T erfahren, dass der Angeklagte aggressiv reagieren kann, wenn er über keine Drogen mehr verfügte. Sie selbst  kannte den Angeklagten nur flüchtig und hatte noch keine Erfahrungen mit dem Verhalten des Angeklagten gemacht. Konkrete Befürchtungen im Umgang mit dem Angeklagten hatte die Zeugin zu diesem Zeitpunkt nicht. Da es spät geworden war und sie nicht im Dunklen den Heimweg antreten wollte, entschloss sich die Zeugin T in der Wohnung zu übernachten. Die drei Frauen nächtigten auf einer Matratze im Wohnzimmer, der Angeklagte lag auf der Couch.

Der Angeklagte sagte im weiteren Verlauf des Abends zu L und C, dass sie die Wohnung nunmehr verlassen sollten. Frau L und Frau C taten was der Angeklagte von ihnen wollte und gingen aus der Wohnung.

Auch aus Wahrnehmung der Zeugin T befanden sich Frau L und Frau C im Bereich des Treppenhauses. Die Zeugin hatte den Eindruck gewonnen, dass die Wohnungstür nur angelehnt war.

Dann sprach der Angeklagte mit der Zeugin T und ging zu ihr herüber. Er begab sich zu der Zeugin auf die Matratze. Der Angeklagte legte sich zu der Zeugin. Die Zeugin war oben herum mit einem Top, darunter einem Büstenhalter und unten herum mit Boxer Shorts, darunter einem Tanga Slip bekleidet. Der Angeklagte forderte die - sexuell nicht unerfahrene - Zeugin T auf, sich auszuziehen. Sie sagte zunächst: „Nein, mache ich nicht.“

Was dann im Einzelnen geschah, konnte die Kammer nicht in allen Einzelheiten aufklären. Es konnte nicht ausgeschlossen werden, dass die Zeugin ihre zunächst abwehrende Haltung aufgab und sich freiwillig und selbständig und ohne weitere Einflussnahme des Angeklagten entkleidete.

Anschließend legte sie sich rücklings auf die Matratze und hob ihre Beine hoch, um dem Angeklagten ein Eindringen seines Penis in ihre Scheide zu ermöglichen. Der Angeklagte vollzog dann mit ihr den vaginalen Geschlechtsverkehr. Er ejakulierte in der Zeugin. Den Geschlechtsakt selbst erlebte die Zeugin als unbefriedigend und sie wollte ihn nicht. Während des Geschlechtsverkehrs verhielt sich die Zeugin allerdings für den Angeklagten nicht erkennbar abwehrend, sondern ließ den Geschlechtsverkehr über sich ergehen. Den Geschlechtsakt empfand sie als Übergriff. Sie widersetzte sich dem Angeklagten aber weder verbal noch tätlich. Dass der Angeklagte Kenntnis von dem entgegenstehenden Willen der Zeugin erlangte, ließ sich nicht feststellen.

Die Zeugin T ging davon aus, dass sich noch weitere Bewohner in dem Haus befanden, sie verhielt sich während des Geschlechtsakts leise, weil sie nicht wollte, dass Nachbarn durch Geräusche auf den Geschlechtsverkehr aufmerksam wurden.

Nach dem Geschlechtsverkehr zog sich die Zeugin T wortlos wieder an. Dann kamen Frau L und Frau C zurück in die Wohnung. Bei der Rückkehr mussten die Damen L und C nicht die Tür aufschließen, da die Wohnungseingangstür nicht abgeschlossen war. Mit den beiden Frauen sprach die Zeugin nicht über das, was in deren Abwesenheit geschehen war.

Die Zeugin T blieb in der Wohnung, obwohl sie diese auch hätte verlassen können. Die Zeugin hatte zu keiner Zeit die Erwartung, dass sie die Wohnung nicht auf ihren Wunsch verlassen konnte.

Im weiteren Verlauf des Abends gerieten Frau C und der Angeklagte heftig in Streit. Der Angeklagte schlug mit einem Staubsaugerrohr auf Frau C ein. Frau L und Frau C baten die Zeugin T, deshalb die Polizei zu rufen. Die Zeugin T lief in das Badezimmer und rief von dort mit ihrem Mobiltelefon die Polizei. Die Beamten kamen zum Tatort und nahmen die Ermittlungen auf. Hinweise auf ein Sexualdelikt erhielten sie nicht. Die Zeugin T machte ihnen gegenüber keine dementsprechenden Angaben.

Der Angeklagte wurde am 18.12.2009 u. a. wegen der von ihm an Frau C begangenen Körperverletzung unter Einbeziehung einer weiteren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt, die er derzeit verbüßt.

Die Zeugin T überlegte lange, ob sie über den von ihr nicht gewollten Beischlaf mit dem Angeklagten berichten sollte. Die schlechte Erfahrung, die sie mit dem Angeklagten gemacht hatte, lastete auf ihr. Sie entschloss sich deshalb, gegenüber der Familienhilfe Angaben zu machen, um sich bei der Verarbeitung des Erlebten Hilfe zu holen. Von dort wandte sich die Zeugin an die Polizei, was zur Anzeige führte.

Aufgrund ihrer schwierigen persönlichen Entwicklung wurde die Zeugin T zunächst in der Kinderklinik in E behandelt. Anschließend wurde sie in dem „Q2“ für eineinhalb Jahre in Q3 und dann noch für drei Monate in T1 betreut.

Mittlerweile ist die Zeugin verheiratet und  zog mit ihrem Ehemann  nach D, wo ihre Oma und ihr leiblicher Vater, der die Freiheitsstrafe mittlerweise verbüßt hatte, leben.

IV.

Die Feststellungen zur Person des Angeklagten hat die Kammer auf dessen eigene Angaben sowie den Auszug aus dem Bundeszentralregister vom 15.06.2012 gestützt. Die Kammer hatte keine Veranlassung, an seinen Angaben zu zweifeln.

Zur Sache hat sich der Angeklagte nicht eingelassen sondern von seinem Recht zu Schweigen Gebrauch gemacht.

Die Feststellungen zur Sache stützt die Kammer auf die, in nicht öffentlicher Sitzung gewonnene,  Aussage der Zeugin T.

Die Kammer hat die Angaben der Zeugin, bezüglich der Feststellungen zu ihrer Person und zu dem hier in Rede stehenden Rand- und Kerngeschehen zu Grunde gelegt. Veranlassung an der Richtigkeit ihrer Aussage zu zweifeln, hatte die Kammer nicht. Die Zeugin hat  zur Überzeugin der Kammer ihre Aussage offen und ehrlich und ohne eine Belastungstendenz zum Nachteil des Angeklagten gemacht. Sie hat den Verlauf des hier in Rede stehenden Vorfalls - soweit er ihr noch in Erinnerung war - flüssig und glaubhaft geschildert.

Hierbei hat sie Grenzen ihrer Erinnerung deutlich gemacht. Bereits zu Beginn ihrer Aussage hat sie bekundet, dass sie kaum noch Erinnerungen an das Ereignis hat, das bereits mehrere Jahre zurück liegt. Sie hat bekundet, dass sie nur noch eine vage und rudimentäre Erinnerung an den Abend hat. Dies hat sie damit begründet, dass sie zwischenzeitlich viel erlebt hat, sich im Ausland befand und geheiratet hat. Sie hat nachvollziehbar geschildet, dass ihre Erinnerung  hinsichtlich des angeklagten Tatgeschehens mittlerweile in den Hintergrund gerückt ist. Auch eine weitere intensive Befragung durch die Kammer hat keine weiter gehenden Erinnerungen der Zeugin wecken können.

Entgegen den Angaben die die Zeugin zunächst gegenüber den Ermittlungsbeamten gemacht hat, hat sie bei ihrer Vernehmung vor der Kammer nicht mehr bekundet, dass der Angeklagte, nach ihrer zunächst ausgesprochenen Weigerung, sich auszuziehen, einfach ihre Boxershorts und ihren Tanga heruntergezogen hat. Vielmehr hat die Zeugin ausgesagt, dass sie nicht ausschließen könne, dass sie sich selbst entkleidet habe und ihren Widerstand aufgegeben habe. Auch auf mehrfache Nachfrage durch die Kammer blieb sie bei dieser Aussage. Von weiteren Einwirkungen des Angeklagten auf ihren Willen hat die Zeugin ebenfalls nichts bekunden können. Sie hat lediglich ausgesagt, dass sie den sich anschließenden Geschlechtsverkehr innerlich nicht gewollt habe und dass sie sich „überrumpelt“ gefühlt habe. Den Geschlechtsakt „habe sie dann über sich ergehen lassen. Es sei alles sehr schnell gegangen“.

Dass der Angeklagte vor dem Eindringen in die Scheide, die Beine auseinander- oder in die Luft gedrückt habe, um ihren entgegenstehenden Willen zu brechen, hat die Zeugin ebenfalls nicht bekundet. Sie hat dies auch auf  Nachfrage ausdrücklich verneint. Vielmehr hat sie bei der Vernehmung durch die Kammer ausgesagt, dass sie die Beine in die Luft gehoben habe, um dem Angeklagten das Eindringen in ihre Scheide zu ermöglichen. Sie ist, auch auf Vorhalt, bei dieser Darstellung geblieben.

Zur Persönlichkeit des Angeklagten und seiner Aggressivität, hat die Zeugin keine konkreten Angaben gemacht. Vielmehr hat die Zeugin nur ausgesagt, lediglich von Frau L gehört zu haben, dass der Angeklagte, wenn er über keine Betäubungsmittel mehr verfügt, aggressiv reagieren kann. Die Zeugin selbst kannte den Angeklagten vor dem hier in Rede stehenden Geschehnis nur flüchtig. Sie hat angegeben keine eigenen Erfahrungen zuvor mit ihm gemacht zu haben. Auch in diesem Zusammenhang hat sie wiederholend ausgesagt, von dem Angeklagten „überrumpelt“ worden zu sein.

Zwar hat die Zeugin glaubhaft geschildet, den Geschlechtsverkehr nicht gewollt zu haben. Ihre innerliche Befindlichkeit  hat sie gegenüber der Kammer nachvollziehbar deutlich machen können. Sie hat aber keine Äußerung dazu gemacht, wie sie diesen entgegenstehenden Willen gegenüber dem Angeklagten kundgetan hat. Sie hat lediglich ausgesagt, dass alles „sehr schnell“ gegangen sei. Sie hat die Frage, ob sie dem Angeklagten gesagt habe,  dass sie den Geschlechtsverkehr nicht will, verneint. Auch von einem ablehnenden Verhalten hat sie nicht berichten können.

Die Zeugin vermochte allerdings zu schildern, dass Frau L und Frau C bei ihrer Rückkehr in die Wohnung die Wohnungseingangstür nicht aufschließen mussten, weil die Tür nicht abgeschlossen war.

Weitere direkte Tatzeugen standen nicht zur Verfügung, weil sich der Vorfall ereignete, nachdem Frau L und Frau C, nach der auch insoweit überzeugenden Schilderung der Zeugin T, die Wohnung verlassen hatten. Da diese bei dem hier angeklagten Geschehen selbst nicht zugegen gewesen sind, konnte ihre Vernehmung unterbleiben. Eine weitere Sachaufklärung ist mit ihrer Hilfe nicht möglich, weshalb im allseitigen Einverständnis auf die Vernehmung weiterer Zeugen verzichtet wurde.

V.

Der Angeklagte war aus tatsächlichen Gründen von dem Anklagevorwurf freizusprechen.

1.

Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen ist der Tatbestand hinsichtlich des dem Angeklagten mit der Anklage angelasteten § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht erfüllt. § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB verwirklicht, wer eine andere Person unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist, nötigt, sexuelle Handlungen des Täters oder eines Dritten an sich zu dulden oder an dem Täter oder einem Dritten vorzunehmen.

Die Voraussetzungen einer schutzlosen Lage sind nicht erfüllt. Dieses Tatbestandsmerkmal ist dann erfüllt, wenn aufgrund objektiver Umstände die Möglichkeit des Tatopfers, sich der Gewalteinwirkung des Täters zur Erzwingung sexueller Handlungen zu entziehen, im Vergleich zur durchschnittlichen Lage wesentlich herabgesetzt ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Täter diese Lage herbeiführt, oder ob er sie als bestehend vorfindet. Derartige objektive Umstände können z. B. in der Einsamkeit des Ortes, im Fehlen von Fluchtmöglichkeiten, in der Abwesenheit schutzbereiter Dritter, im Alter und in der psychischen Disposition des Opfers bestehen (Herrmann, in Roggenwallner, Herrmann, Jansen; Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, 2011, Kap. B. I. Rdnr. 55). Abzustellen ist auf eine Gesamtwürdigung aller tatbestandsspezifischen Umstände, die ergeben müssen, dass das Opfer den Einwirkungen des Täters weder mit Aussicht auf Erfolg körperlichen Widerstand entgegenzusetzen, noch sich ihm durch Flucht entziehen noch auf die Hilfe Dritter hoffen konnte (BGH, Beschl. v. 12.01.2011, Az.1 StR 580/10, NStZ 2011, 274; BGH, Beschl. v. 20.03.2012, Az. 4 StR 561/11, amtl. Umdr. Seite 6; Laubenthal, Handbuch Sexualstraftaten, 2012, Kap. 3.1, Rdnr. 210). Im vorliegenden Fall liegt eine schutzlose Lage bei Gesamtbetrachtung der Umstände nicht vor. Allein aus der Tatsache, dass sich zum Vorfallzeitpunkt der Angeklagte mit der Zeugin T allein in der Wohnung befand, lässt sich eine Schutzlosigkeit nicht herleiten. Gleiches gilt für die Tatsache, dass sich die Zeugin in einer ihr fremden Umgebung befand und sich unvermittelt einer sexuellen Annäherung ausgesetzt sah (BGH, Beschl. v. 01.12.2009, Az. 3 StR 479/09, NStZ 2010, 273 [274]). Im Fall vermochte die Kammer das Vorliegen der Fluchtmöglichkeit nicht auszuschließen, da die Wohnungstür nicht abgeschlossen war (auch den Schließzustand von Türen betrachtend BGH, Beschl. v. 20.03.2012, Az. 4 StR 561/11, amtl. Umdr. Seite 7). Der Zeugin T war sich auch der Fluchtmöglichkeit bewusst. Sie kannte alle relevanten Umstände.

Weiter bestand nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die Hoffnung auf eine Hilfe durch Dritte. Der Beischlaf fand in einer Wohnung in einem Mehrfamilienhaus mit fünf weiteren Wohnungen statt. Die Zeugin T rief nicht um Hilfe, gerade weil sie nicht wollte, dass die Nachbarn von dem Vorkommen Kenntnis erhielten. Die Befürchtung aber, etwa durch die Erregung von Aufmerksamkeit und nachgehend Herbeiführung von Öffentlichkeit einen Ansehensverlust zu erfahren, rechtfertigt die Annahme einer schutzlosen Lage nicht (vgl. dazu: BGH, Beschl. v. 07.07.2009, Az. 3 StR 223/09, NStZ 2010, 149 [150]).

Darüber hinaus steht einer Strafbarkeit gem. § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB auch entgegen, dass auf subjektiver Tatbestandsseite Vergewaltigungsvorsatz des Angeklagten nicht festgestellt werden konnte. Hinsichtlich des subjektiven Tatbestandes ist es erforderlich, dass für den Täter der entgegenstehende Opferwille erkennbar war und er zumindest billigend in Kauf nahm, dass das Opfer gerade wegen seiner Schutzlosigkeit auf den grundsätzlich möglichen Widerstand verzichtet und die sexuellen Handlungen vornimmt bzw. geschehen lässt. Dies ist ebenfalls nicht gegeben. Die äußeren von der Zeugin geschilderten Tatumstände erlauben nicht den Rückschluss darauf, dass dem Angeklagten bewusst war, dass die Zeugin T den Beischlaf nicht wollte.

Dass die Zeugin auf die Aufforderung, sich auszuziehen, zunächst „Nein, mache ich nicht.“ gesagt hat, rechtfertigt keine andere Beurteilung, weil nicht auszuschließen ist, dass sich die Zeugin selbst entkleidet hat und ihr zuvor geäußertes „Nein“  zum Zeitpunkt des Beischlafs aus Sicht des Angeklagten überholt war. Weitere ablehnende Äußerungen  hat sie dann dem Angeklagten nicht mehr entgegen gesetzt.

2.

Die Feststellungen tragen auch eine Verurteilung gem. § 177 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 StGB nicht. Der Angeklagte hat den Beischlaf nicht durch Gewalt oder eine Drohung im Sinne dieser Vorschrift erzwungen.

Eine Strafbarkeit gem. §§ 176, 176a StGB scheidet bereits aus, da das Alter der Zeugin T zur Zeit des Beischlafs mit 15 Jahren oberhalb der Schutzaltersgrenze von unter vierzehn Jahren lag.

Eine Strafbarkeit gem. § 179 StGB scheidet aus, da die Zeugin T keine widerstandsunfähige Person im Sinne der Vorschrift gewesen ist.

Eine Strafbarkeit gem. § 174 StGB scheidet aus, da der Angeklagte und die Zeugin in keinem der in Absatz 1 der Vorschrift aufgeführten Verhältnis zueinander standen.

VI.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 464 Abs. 1, 467 Abs. 1, 472 Abs. 1 StPO.

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