BGH, Beschluss vom 09.10.2012 - EnVR 86/10
Fundstelle
openJur 2012, 129374
  • Rkr:
Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der am 21. Juli 2010 verkündete Beschluss des 3. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf aufgehoben.

Auf die Beschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der Bundesnetzagentur vom 27. Januar 2009 aufgehoben. Die Bundesnetzagentur wird verpflichtet, die Betroffene unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.

Die weitergehenden Rechtsmittel werden zurückgewiesen.

Von den Kosten und Auslagen des Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeverfahrens tragen die Betroffene drei Viertel und die Bundesnetzagentur ein Viertel.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5,6 Millionen Euro festgesetzt.

Gründe

I. Die Betroffene betreibt ein Elektrizitätsverteilernetz. Mit Schreiben vom 2. September 2008 eröffnete die Bundesnetzagentur gegen sie von Amts wegen das Verfahren zur Festlegung der Erlösobergrenzen für die Jahre 2009 bis 2013. Die Betroffene beantragte unter anderem die Einbeziehung eines Erweiterungsfaktors sowie die Anpassung der Erlösobergrenze wegen Vorliegens einer nicht zumutbaren Härte im Hinblick auf gestiegene Kosten für die Beschaffung von Verlustenergie.

Mit Beschluss vom 27. Januar 2009 legte die Bundesnetzagentur die Erlösobergrenzen niedriger als von der Betroffenen begehrt fest. Sie legte hierbei einen Effizienzwert von 92,8 % zugrunde. Bei der Ermittlung des Ausgangsniveaus nach § 6 ARegV nahm sie Kürzungen beim Zinssatz für Fremdkapital, beim zu berücksichtigenden Eigenkapital und bei der kalkulatorischen Gewerbesteuer vor. Abweichend vom Begehren der Betroffenen stellte sie in die Berechnung ferner den generellen sektoralen Produktivitätsfaktor nach § 9 ARegV ein. Die Anträge auf Berücksichtigung eines Erweiterungsfaktors im Sinne von § 10 ARegV und auf Anerkennung eines Härtefalls im Sinne von § 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ARegV lehnte sie ab.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Betroffenen hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Betroffene mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde, mit der sie ihr Begehren aus der Beschwerdeinstanz im Wesentlichen weiterverfolgt. Hinsichtlich der Kosten für die Beschaffung von Verlustenergie verfolgt sie nach Abgabe einer freiwilligen Selbstverpflichtung gemäß § 11 Abs. 2 Satz 4 ARegV nur noch den Antrag auf Anerkennung eines Härtefalls weiter. Hinsichtlich des generellen 1 sektoralen Produktivitätsfaktors haben die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt.

Die Bundesnetzagentur tritt dem Rechtsmittel entgegen.

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat nur zu einem Teil Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet.

1. Bestimmung des Ausgangsniveaus Begründet ist die Rechtsbeschwerde, soweit sie sich gegen die Bestimmung des Ausgangsniveaus für die Bestimmung der Erlösobergrenzen gemäß § 6 ARegV wendet.

a) Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, nach § 6 Abs. 2 ARegV sei für die erste Regulierungsperiode das Ergebnis der Kostenprüfung der letzten Genehmigung der Netzentgelte heranzuziehen. Für eine Anpassung an spätere Entwicklungen sei kein Raum. Eine Anpassung an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, nach der weitere Kostenpositionen hätten berücksichtigt werden müssen, und die Heranziehung anderer Preisindizes seien deshalb nicht möglich. Die Bundesnetzagentur sei auch nicht verpflichtet gewesen, die kalkulatorische Gewerbesteuer mit Blick auf die von ihr zu Gunsten der Betroffenen vorgenommene Anpassung der Eigenkapitalverzinsung zu aktualisieren.

b) Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

Nach der Rechtsprechung des Senats ist bei der Ermittlung des Ausgangsniveaus nach § 6 Abs. 2 ARegV - entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts - die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Auslegung und 4 Anwendung der Stromnetzentgeltverordnung zu berücksichtigen (BGH, Beschluss vom 28. Juni 2010 - EnVR 48/10, RdE 2011, 308 Rn. 7 ff. - EnBW Regional AG). Das Ergebnis der letzten Kostenprüfung darf nicht übernommen werden, soweit es zu dieser Rechtsprechung in Widerspruch steht.

Ein Widerspruch in diesem Sinne setzt allerdings voraus, dass der Netzbetreiber im Entgeltgenehmigungsverfahren Kostenpositionen geltend gemacht hat, deren Anerkennung die Regulierungsbehörde zu Unrecht abgelehnt hat. Soweit der Netzbetreiber bestimmte Kostenpositionen im Entgeltgenehmigungsverfahren nicht geltend gemacht hat, muss er sich daran auch im Zusammenhang mit § 6 Abs. 2 ARegV festhalten lassen (BGH, Beschluss vom 31. Januar 2012 - EnVR 16/10, RdE 2012, 203 Rn. 13 - Gemeindewerke Schutterwald).

aa) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts hätte die Bundesnetzagentur danach einen Risikozuschlag bei den Fremdkapitalzinsen (hierzu BGH, Beschluss vom 14. August 2008 - KVR 42/07, WuW/E DE-R 2395 Rn. 54 ff. - Rheinhessische Energie) berücksichtigen müssen. Dies wird sie nachzuholen haben.

Dem steht nicht entgegen, dass die Betroffene auf eine Beschwerde gegen die letzte Genehmigung der Netzentgelte verzichtet hat. Für die Einbeziehung von zu Unrecht nicht berücksichtigten Kostenpositionen ist erforderlich und ausreichend, dass der Netzbetreiber diese im Entgeltgenehmigungsverfahren vor der Regulierungsbehörde geltend gemacht hat. Unerheblich ist demgegenüber, ob er die mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Widerspruch stehende Entgeltgenehmigung angefochten hat.

bb) Zu berücksichtigen sind auch geleistete Anzahlungen und Kosten für Anlagen im Bau (hierzu BGH, Beschluss vom 14. August 2008 - KVR 39/07, 11 RdE 2008, 323 Rn. 32 ff. - Vattenfall). Diese Kostenpositionen hat die Betroffene im Entgeltgenehmigungsverfahren in hinreichender Weise geltend gemacht.

Dem steht nicht entgegen, dass die Betroffene im Entgeltgenehmigungsverfahren in der Aufstellung des kalkulatorischen Eigenkapitals entsprechend den damaligen Vorgaben der Bundesnetzagentur keine entsprechende Position ausgewiesen hat. Die Betroffene hat, wie sich aus den von der Bundesnetzagentur beigezogenen Akten des letzten Entgeltgenehmigungsverfahrens (BK8-07/179, Blatt 78) ergibt, in ihrer zusammen mit dem Antrag auf Genehmigung der Netzentgelte eingereichten Bilanz zum 31. Dezember 2006 für geleistete Anzahlungen und Anlagen im Bau einen Betrag von 360.573,29 Euro ausgewiesen. Hieraus hätte die Bundesnetzagentur bei zutreffender rechtlicher Beurteilung folgern können und müssen, dass diese Position auch beim kalkulatorischen Eigenkapital zu berücksichtigen ist. Die Betroffene war nicht gehalten, den Betrag in weitere Formulare, Aufstellungen oder sonstige Anlagen zum Entgeltgenehmigungsantrag zu übernehmen, weil dort ohnehin keine entsprechende Rubrik vorgesehen war.

cc) Anzupassen ist ferner die kalkulatorische Gewerbesteuer im Hinblick auf die von der Bundesnetzagentur vorgenommenen Änderungen bei der Eigenkapitalverzinsung wegen der Neufestlegung der Zinssätze vom 7. Juli 2008.

Wie der Senat bereits entschieden hat, folgt aus der in § 8 StromNEV vorgeschriebenen Anbindung der kalkulatorischen Gewerbesteuer an die Bemessungsgrundlage der kalkulatorischen Eigenkapitalverzinsung, dass bei einer Veränderung der Bemessungsgrundlage auch die Gewerbesteuer anzupassen ist. Aus § 7 Abs. 6 StromNEV ergibt sich entgegen der Auffassung der Bundesnetzagentur nichts anderes (BGH RdE 2012, 203 Rn. 10 - Gemeindewerke Schutterwald). 15 Ob die Betroffene eine entsprechende Anpassung bereits im - vor der Neufestlegung der Zinssätze abgeschlossenen - Entgeltgenehmigungsverfahren beantragt hat, ist unerheblich. Die Anpassung der kalkulatorischen Gewerbesteuer ergibt sich als rechnerische Folge aus der Änderung der Bemessungsgrundlage und bedarf, anders als die oben behandelten Kostenpositionen, keines zusätzlichen tatsächlichen Vorbringens seitens des Netzbetreibers.

2. Effizienzwert Zu Recht hat das Beschwerdegericht eine Verpflichtung der Bundesnetzagentur zur Bereinigung des Effizienzwerts gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 ARegV verneint.

a) Das Beschwerdegericht hat offengelassen, ob die von der Betroffenen angeführten Gesichtspunkte eine Besonderheit im Sinne der genannten Vorschrift darstellen. Eine Bereinigung des Effizienzwerts sei jedenfalls deshalb ausgeschlossen, weil die Betroffene nicht nachgewiesen habe, dass diese Umstände zu einer Erhöhung der relevanten Kosten um mindestens drei Prozent geführt hätten. Zur Führung des in § 15 Abs. 1 Satz 1 ARegV vorgeschriebenen Nachweises sei erforderlich, dass die Mehrkosten nach den gleichen Maßstäben berechnet würden wie die Ausgangskostenbasis. Dem sei die Betroffene nicht nachgekommen. Insbesondere habe sie keine Berechnung der kalkulatorischen Abschreibungen gemäß § 6 StromNEV und der kalkulatorischen Eigenkapitalverzinsung gemäß § 7 StromNEV vorgenommen. Auch aus dem ergänzenden Vorbringen nach Erteilung eines gerichtlichen Hinweises ergebe sich nicht, welche Mehrkosten durch die höhere Anzahl von Zählpunkten verursacht worden seien und in welcher Höhe diese in die Kostenpositionen des Jahres 2006 eingeflossen seien, die die Aufwandsparameter des Effizienzvergleichs bildeten. 18 b) Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand. Die Betroffene hat eine Erhöhung der relevanten Kosten um mindestens drei Prozent nicht dargelegt.

aa) Durch das Erfordernis einer Erhöhung der nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 und 2 ARegV ermittelten Kosten um mindestens drei Prozent soll gewährleistet werden, dass die Prüfung struktureller Besonderheiten grundsätzlich nur in wirtschaftlich bedeutsamen Einzelfällen den allgemeinen Effizienzvergleich nach den §§ 12 bis 14 ARegV ergänzt (BR-Drucks. 417/07, S. 60). Um dem Ausnahmecharakter der Vorschrift Rechnung zu tragen, wurde der dafür maßgebliche Schwellenwert im Laufe des Normsetzungsverfahrens von einem auf drei Prozent erhöht. Ausschlaggebend dafür war die Erwägung, dass grundsätzlich bei jedem Netzbetreiber mit Besonderheiten der Versorgungsaufgabe zu rechnen ist, die teils kostenerhöhend, teils kostenreduzierend wirken und sich deshalb häufig ausgleichen werden. Eine Bereinigung soll nur in Ausnahmefällen erfolgen, d.h. wenn Besonderheiten bestehen, die deutlich höhere Kosten zur Folge haben (BR-Drucks. 417/07 (Beschluss), S. 11 f.).

Daraus ergibt sich, dass Mehrkosten nur insoweit berücksichtigt werden können, als sie durch die in Rede stehende Besonderheit der Versorgungsaufgabe verursacht werden. Besteht die Besonderheit darin, dass eine mit Kosten verbundene Leistung - hier die Einrichtung und der Betrieb von Zählpunkten - überdurchschnittlich häufig erbracht werden muss, genügt es deshalb nicht, die Mehrkosten allein anhand der Zahl der Leistungseinheiten und der für eine Leistungseinheit durchschnittlich anfallenden Kosten zu berechnen.

Das Vorbringen der Betroffenen, die lediglich die Differenz zwischen der Anzahl der in ihrem Netz vorhandenen Zählpunkte und der theoretischen Anzahl, die sich bei einem durchschnittlichen Verhältnis zwischen Anschluss- und Zählpunkten ergäbe, ermittelt und mit dem im letzten Entgeltgenehmigungsverfahren genehmigten Preis für Messung, Messstellenbetrieb und Abrechnung 22 mulitpliziert hat, genügt deshalb zum Nachweis der in § 15 Abs. 1 Satz 1 ARegV normierten Voraussetzungen nicht. Die Betroffene hätte vielmehr darlegen und unter Beweis stellen müssen, in welchem Umfang die Kosten für die Zählpunkte gerade dadurch angestiegen sind, dass pro Anschlusspunkt mehr Zählpunkte vorhanden sind, als dies dem Durchschnitt entspricht. Der Ansatz der genehmigten Preise ist dafür selbst dann ungeeignet, wenn diese die durchschnittlichen Kosten eines Zählpunktes widerspiegeln. Aus dieser Berechnungsweise ergibt sich nämlich nicht, ob die Kosten eines Zählpunktes an einem Anschlusspunkt, dem weitere Zählpunkte zugeordnet sind, diesen durchschnittlichen Kosten entsprechen oder ob sie - zum Beispiel im Hinblick auf die mit der Zuordnung zu einem gemeinsamen Anschlusspunkt zu erwartende räumliche Nähe der Zählpunkte oder wegen anderer Besonderheiten - deutlich geringer sind. Erforderlich wäre daher ein Nachweis der Mehrkosten, die gerade dadurch entstehen, dass die Anzahl von Zählpunkten pro Anschlusspunkt über dem Durchschnitt liegt. Dies hat das Beschwerdegericht zutreffend erkannt.

bb) Die Bundesnetzagentur war nicht gehalten, die entstandenen Mehrkosten von Amts wegen zu ermitteln.

Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 ARegV kommt eine Bereinigung des Effizienzwerts nur dann in Betracht, wenn der Netzbetreiber nachweist, dass die dort genannten Voraussetzungen vorliegen. Die der Regulierungsbehörde grundsätzlich obliegende Pflicht zur Ermittlung von Amts wegen, die sich gemäß § 27 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 ARegV auch auf die erforderlichen Tatsachen zur Ermittlung der bereinigten Effizienzwerte bezieht, ist insoweit eingeschränkt. Die Regulierungsbehörde ist deshalb grundsätzlich nicht gehalten, den Sachverhalt nach Besonderheiten zu erforschen, die zur Bereinigung des Effizienzwerts führen können. Vielmehr obliegt es dem Netzbetreiber, solche Besonderheiten aufzuzeigen und erforderlichenfalls nachzuweisen. Die Regulierungsbehörde hat aber relevantes Vorbringen des Netzbetreibers zu berücksichtigen, diesen bei 26 Bedarf zu Ergänzungen desselben zu veranlassen und für die Beurteilung zusätzlich erforderliche Tatsachen - zum Beispiel Daten anderer Netzbetreiber, soweit diese für die Beurteilung relevant sind - gegebenenfalls von Amts wegen zu ermitteln.

Im Streitfall lag es damit an der Betroffenen, die relevanten Kosten darzulegen und unter Beweis zu stellen. Dies ist auch nach dem vom Beschwerdegericht erteilten Hinweis nicht geschehen. Das Beschwerdegericht hat das Rechtsmittel insoweit deshalb zu Recht als unbegründet angesehen.

cc) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde war die Bundesnetzagentur nicht gehalten, die Frage, ob sich die Kostenbelastung mit steigender Anzahl von Zählpunkten proportional entwickelt, durch Heranziehung der Daten von anderen Netzbetreibern durch Ermittlungen von Amts wegen zu klären.

Für die Frage, ob eine nach § 15 Abs. 1 Satz 1 ARegV relevante Kostenerhöhung vorliegt, ist lediglich die Kostensituation des betroffenen Netzbetreibers von Bedeutung. Es obliegt deshalb diesem, darzulegen und unter Beweis zu stellen, welche Mehrkosten ihm aufgrund der in Rede stehenden Besonderheit der Versorgungsaufgabe entstehen. Diesen Anforderungen wird auch der auf den Hinweis des Beschwerdegerichts ergänzte Vortrag der Betroffenen nicht gerecht. Die Betroffene hat ihr Vorbringen damit zwar insoweit modifiziert, als sie nicht das zuletzt genehmigte Messentgelt, sondern die auf die Zählpunkte entfallenden Kosten angegeben hat. Auch dabei hat sie jedoch für die Kosten jedes Zählpunkts einen anhand der gesamten Messkosten ermittelten Durchschnittswert angesetzt. Entsprechendes gilt für die nochmals modifizierten Berechnungen, die als Anlage zur Rechtsbeschwerdebegründung vorgelegt worden sind. 28 Dass die Betroffene die konkreten Mehrkosten nach ihrem Vorbringen nicht ermitteln kann, weil sie nicht über das dafür erforderliche Datenmaterial verfügt, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Der Nachweis einer relevanten Kostensteigerung obliegt nach § 15 Abs. 1 Satz 1 ARegV dem Netzbetreiber. Er trägt deshalb das Risiko der Nichterweislichkeit. Dass die Betroffene aufgrund der allgemeinen handels- und steuerrechtlichen Vorschriften nicht mehr gehalten war, die zur ordnungsgemäßen Darlegung erforderlichen Unterlagen aufzubewahren, oder dass solche Unterlagen aus unternehmensinternen Gründen nicht zur Verfügung stehen, führt nicht zu einer Verlagerung dieses Risikos.

3. Erweiterungsfaktor Erfolg hat die Rechtsbeschwerde, soweit die Betroffene die Berücksichtigung eines Erweiterungsfaktors für das erste Jahr der Regulierungsperiode begehrt.

a) Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, für das erste Jahr der Regulierungsperiode komme die Berücksichtigung eines Erweiterungsfaktors nach Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck der Regelung in § 10 ARegV nicht in Betracht.

b) Dies hält der rechtlichen Überprüfung im Ergebnis nicht stand.

Nach der Rechtsprechung des Senats ist § 10 Abs. 1 ARegV in der zu beurteilenden Konstellation zwar nicht unmittelbar, wohl aber entsprechend anzuwenden (BGH, RdE 2011, 308 Rn. 52 ff. - EnBW Regional AG). Die Bundesnetzagentur hätte deshalb dem Vorbringen der Betroffenen, wonach die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift für das Jahr 2009 erfüllt sind, nachgehen müssen. Dies wird sie nachzuholen haben. 31 4. Kosten für Verlustenergie Ohne Erfolg bleibt die Rechtsbeschwerde, soweit sie sich gegen die Behandlung der Kosten für Verlustenergie wendet.

a) Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, die Betroffene müsse zunächst die Anpassung der individuellen Effizienzvorgabe gemäß § 16 Abs. 2 ARegV anstreben. Nur wenn und soweit dies nicht ausreiche, komme nachrangig eine Anpassung nach § 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EnWG in Betracht. Für ein Begehren nach § 16 Abs. 2 ARegV habe die Betroffene noch nichts vorgetragen. Die Bundesnetzagentur sei deshalb nicht gehalten gewesen, die Voraussetzungen dieser Vorschrift im Einzelnen zu prüfen.

b) Dies hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.

aa) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts ist die Anwendung von § 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ARegV allerdings nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil die Betroffene nicht auf eine individuelle Anpassung der Effizienzvorgabe gemäß § 16 Abs. 2 ARegV hingewirkt hat.

Wie der Senat bereits entschieden hat, kommt die Anwendung der allgemeinen Regelung in § 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ARegV stets in Betracht, wenn eine unzumutbare Härte auf Ursachen beruht, die von anderen Regelungen, die wie § 16 ARegV nur einzelne Teilaspekte betreffen, nicht erfasst werden. Zwar darf die Anwendung der Härtefallregelung nicht zu einer allgemeinen Billigkeitskontrolle der sich aus den einzelnen Vorschriften der Anreizregulierungsverordnung ergebenden Erlösobergrenzen führen. Der Eintritt eines unvorhersehbaren Ereignisses ist deshalb zu verneinen, wenn der betreffende Umstand durch speziellere Anpassungs- und Korrekturregelungen abschließend geregelt oder dem Risikobereich des Netzbetreibers zugewiesen ist. Letzteres ist bei einem unvor-37 hergesehenen Anstieg der Kosten für die Beschaffung von Verlustenergie indes nicht der Fall (BGH, RdE 2011, 308 Rn. 70 ff. - EnBW Regional AG).

bb) Entgegen der Auffassung der Bundesnetzagentur stellt der von der Betroffenen geltend gemachte Anstieg der Kosten für die Beschaffung von Verlustenergie innerhalb eines Jahres um rund 50% ein unvorhersehbares Ereignis im Sinne von § 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ARegV dar.

Der Senat hat bereits mehrfach Kostensteigerungen in der Größenordnung von 50% oder 100% als unvorhersehbares Ereignis angesehen (BGH, RdE 2011, 308 Rn. 75 - EnBW Regional AG; Beschluss vom 18. Oktober 2011 - EnVR 13/10, N&R 2012, 94 Rn. 35 - PVU Energienetze GmbH; BGH, RdE 2012, 203 Rn. 41 - Gemeindewerke Schutterwald). Die hier vorgetragene Steigerung liegt in derselben Größenordnung.

cc) Das Beschwerdegericht hat jedoch das Begehren der Betroffenen im Ergebnis zu Recht als unbegründet angesehen, weil die Betroffene nicht dargelegt hat, dass der Anstieg der Kosten für sie zu einer unzumutbaren Härte geführt hat.

Nach der Rechtsprechung des Senats darf zur Beantwortung der Frage, ob für den Netzbetreiber durch den Eintritt des unvorhersehbaren Ereignisses eine nicht zumutbare Härte entstanden ist, nicht nur die gestiegene einzelne Kostenposition in den Blick genommen werden. Vielmehr ist eine Gesamtbetrachtung der Kosten- und Vermögenssituation des Netzbetreibers anzustellen. Die Unzumutbarkeit setzt voraus, dass die Entgeltbildung nach den Maßgaben der Anreizregulierungsverordnung zu einem für den Netzbetreiber wirtschaftlich untragbaren Ergebnis führt. Insbesondere muss dem Netzbetreiber eine angemessene und wettbewerbsfähige Verzinsung seines Eigenkapitals verbleiben. Eine "gesetzlich garantierte" Eigenkapitalverzinsung in einer bestimmten Höhe wird damit nicht gefordert. Treten die Kostensteigerungen von vornherein nur 43 für einen begrenzten Zeitraum auf, ist dem Netzbetreiber eher zuzumuten, vorübergehend eine geringere Verzinsung seines Eigenkapitals hinzunehmen, als dies bei dauerhaften, für einen erheblichen Teil der Regulierungsperiode zu erwartenden Kostensteigerungen der Fall ist. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob der Netzbetreiber die durch eine einzelne Kostensteigerung verursachte Gesamtbelastung seiner Kosten- und Vermögenssituation durch wirtschaftlich vertretbare Rationalisierungsmaßnahmen zumindest teilweise auffangen kann. Der Netzbetreiber hat daher - bezogen auf das gesamte Netz - darzulegen, wie sich die gestiegenen Kosten unter Berücksichtigung aller sonstiger Veränderungen in der Kosten- und Vermögenssituation auf die kalkulatorische Eigenkapitalverzinsung auswirken. Insoweit wird die Amtsaufklärungspflicht der Regulierungsbehörde (§ 68 Abs. 1 EnWG, § 27 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 ARegV) durch die Mitwirkungslast des Netzbetreibers begrenzt, dem es obliegt, bei der Ermittlung des Sachverhalts mitzuhelfen und insbesondere die ihm bekannten Tatsachen und Beweismittel anzugeben (BGH, RdE 2011, 308 Rn. 86 ff. - EnBW Regional AG).

Im vorliegenden Verfahren hat die Betroffene lediglich einen Anstieg der Kosten für die Beschaffung von Verlustenergie im Jahr 2007 geltend gemacht. Zu ihrer sonstigen Kosten- und Vermögenssituation hat sie nicht vorgetragen.

Die angefochtenen Entscheidungen bedürfen auch nicht deshalb der Aufhebung, um der Betroffenen insoweit Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben. Die Betroffene hatte spätestens nach dem vom Beschwerdegericht mit Beschluss vom 8. März 2010 erteilten Hinweis Anlass zu einer entsprechenden Ergänzung ihres Vortrags. Das Beschwerdegericht hat zwar auch in dem Hinweisbeschluss § 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ARegV schon deshalb für nicht anwendbar bezeichnet, weil die Möglichkeit einer Anpassung der Effizienzvorgabe nach § 16 Abs. 2 ARegV vorrangig sei. Auch nach dieser Vorschrift ist aber erforderlich, dass die Betroffene umfassend zu ihrer Kosten- und Vermögenssituation vorträgt. Die Rechtsbeschwerde zeigt nicht auf, dass die Betroffene ihren Vor-47 trag im Hinblick darauf ergänzt hat. Sie erhebt auch keine Verfahrensrüge, mit der eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes durch das Beschwerdegericht geltend gemacht und aufgezeigt wird, welche konkreten Ermittlungen das Beschwerdegericht unterlassen haben soll und zu welchem Ergebnis diese geführt hätten.

III. Der Senat verweist die Sache nicht an das Beschwerdegericht zurück. Die noch offenen Fragen können durch die Bundesnetzagentur in dem neu eröffneten Verwaltungsverfahren entschieden werden. Für die Neubescheidung ist der rechtliche Rahmen durch die Entscheidung des Senats vorgegeben.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 Satz 1 EnWG.

Tolksdorf Raum Strohn Grüneberg Bacher Vorinstanz:

OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 21.07.2010 - VI-3 Kart 182/09 (V) - 49