Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 27.09.2012 - 5 K 99/12
Fundstelle
openJur 2012, 129022
  • Rkr:
Tenor

Der Bescheid des Finanzamts vom 9. November 2007 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 25. Mai 2010 werden dahingehend geändert, dass bei den Werbungskosten des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit weitere Werbungskosten in Höhe von 1.100,00 € berücksichtigt werden und dementsprechend die Einkommensteuer niedriger festgesetzt wird. Dem Beklagten wird aufgegeben, die geänderte Steuerfestsetzung nach Maßgabe der Urteilsgründe zu errechnen, und dem Kläger das Ergebnis dieser Berechnung unverzüglich mitzuteilen und den Bescheid mit dem geänderten Inhalt nach Rechtskraft dieses Urteils neu bekanntzugeben.

Die Kosten des Verfahrens tragen der Beklagte zu 3/4 und der Kläger zu 1/4.

Das Urteil ist - soweit der Klage stattgegeben wurde - wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit Übernachtungsaufwendungen als Werbungskosten zu berücksichtigen sind.

Der Kläger war im Streitjahr als Kraftfahrer im internationalen Fernverkehr tätig. Er übte seine Tätigkeit in Deutschland, Dänemark, Schweden, Belgien, Niederlande, Luxemburg, Frankreich und Spanien aus. Der Kläger hatte die Möglichkeit, in der Schlafkabine des von ihm gefahrenen LKW zu übernachten.

In seiner Einkommensteuererklärung für 2007 machte der Kläger bei der Ermittlung seiner Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit unter anderem Übernachtungspauschalen in Höhe von 5,00 € für 220 Tage = 1.100,00 € sowie ab Mai 2007 wöchentliche Fahrten zum LKW-Wechselplatz nach .../Dänemark als Reisekosten (8 Monate x 4 Fahrten x 132 km x 2 x 0,30 € = 2.534,40 €) geltend.

Mit Einkommensteuerbescheid für 2007 vom 9. November 2009 wurde die Einkommen-steuer auf 2.901,00 € festgesetzt. Die geltend gemachten Übernachtungskosten wurden nicht berücksichtigt; die Fahrten zum LKW-Wechselplatz wurden als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte berücksichtigt.

Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein, der mit Einspruchsentscheidung vom 25. Mai 2010 als unbegründet zurückgewiesen wurde. Auf die Einspruchsentscheidung wird Bezug genommen.

Am 10. Juni 2010 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben und zunächst beantragt, die Übernachtungskosten und Fahrten zur Arbeitsstätte als Reisekosten anzuerkennen.

Bezüglich des Punktes Reisekosten (Fahrten zu Wechselplätzen) nahm der Kläger mit Schriftsatz vom 2. August 2010 die Klage zurück.

Hinsichtlich des noch streitigen Ansatzes der Übernachtungspauschalen trägt der Kläger zur Begründung wie folgt vor: Er übernachte als Berufskraftfahrer in seinem LKW und habe hierzu 1.100,00 € angesetzt. Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz habe mit Urteil vom 24. März 2005 - 6 K 1664/04 als obiter dictum den Ansatz von 5,00 € pro Übernachtung als angemessen eingeschätzt. In dieser Höhe tätigten Berufsfahrer Aufwendungen für Toilettenbesuche, Duschen, Stromverbrauch etc. Bereits das Finanzgericht München habe mit Urteil vom 10. April 1997 - 11 K 1826/94 - eine pauschale Anerkennung von Übernachtungskosten als angemessen berücksichtigt. Es handele sich folglich nicht um eine Übernachtungskostenpauschale für Auslandsdienstreisen nach den üblichen Reisekostentabellen. LKW-Fahrern entstünden bei ihren Aufenthalten auf Raststätten entlang der Autobahn Kosten, die in anderen Berufen gewöhnlich von den Verpflegungsmehraufwendungen für Übernachtungskosten abgegolten würden. Bspw. beinhalteten die Annehmlichkeiten bei einer Hotelübernachtung die Wasch- und Toilettengelegenheiten. Eine Umfrage bei 30 Raststätten - überwiegend in Norddeutschland - durchgeführt von einer Mitarbeiterin des Prozessbevollmächtigten des Klägers habe ergeben, dass grundsätzlich für die Duschmöglichkeit 2,00 € gezahlt werden müssten. Der Gang zur Toilette koste 0,50 €. Gehe man davon aus, dass sich Fahrer morgens und abends waschen, entstünden hier bereits 4,00 €. Für mehrere Toilettengänge seien daher weitere 2,00 - 3,00 € hinzuzurechnen. Wo bei anderen Berufen die frische Bettwäsche durch die Übernachtungspauschale abgegolten werde, stünden stattdessen bei den Fahrern die Reinigungskosten zu Buche. Denn der Schlafsack oder die Bettwäsche würden am Wochenende stets gereinigt. Nach alldem erscheine die Ausgabe von 5,00 € pro Tag als lebensnah und realistisch. Die Umfrage stamme zwar aus dem Jahr 2011, jedoch hätten sich die Kosten nicht wesentlich verändert. Vielmehr koste der Toilettengang nun sogar 0,70 € und lediglich 0,50 € könnten wieder als Wertbon eingelöst werden. An weiteren Rastplätzen werde außerdem noch eine Parkgebühr über 5,00 € erhoben, die oft als Gutschein eingelöst werden könne. Fraglich sei, ob die Gutscheine auch regelmäßig eingelöst werden könnten. Auch hierdurch entstünden den Fahrern Zusatzkosten, die nicht in jedem Fall wieder per Gutschein eingelöst würden. Eine Berücksichtigung von 5,00 € pro Übernachtung im LKW würde daher gerade die notwendigen Kosten der Fahrer steuerlich anerkennen, ohne dass es hier zu einer Bereicherung der Fahrer komme. Darüber hinaus werde die Pauschale über 5,00 € bereits von den allermeisten Finanzämtern vorbehaltlos anerkannt. Dies seien bspw. alle Finanzämter in Rheinland-Pfalz, darüber hinaus noch in den Finanzämtern Saarlouis, Ludwigshafen, Leipzig, Bonn, St. Wendel, Siegen, Stuttgart und Weimar.

Es komme nicht darauf an, dass hier der Vollbeweis geführt werde, denn die Glaubhaftmachung genüge. Letztendlich könne auch jeder Polizist eine Pauschale für die Reinigung seiner Uniform geltend machen, selbst wenn er sie nicht reinige. Denn hier sei tatsächlich eine solche Pauschale per Erlass gewährt worden. Es dürfe nicht mit zweierlei Maßstab bei verschiedenen Berufsgruppen gemessen werden. Die Pauschale solle auch dazu dienen, das Verwaltungsverfahren zu vereinfachen. Es könne weder von der Finanzverwaltung noch von der Rechtsprechung gewollt sein, mehrere hundert Einzelbelege im Wert von 0,70 € oder 2,00 € zu prüfen.

Der Kläger reichte zwei Parkscheine mit einer Parkgebühr von 5,00 € sowie entsprechende Gutscheine von 5,00 € für Einkauf im Bistro sowie zwei Belege über Duscheinnahmen in Höhe von jeweils 2,50 € sowie entsprechende Wertbons ein. Alle Belege stammten aus dem Jahre 2008.

Der Kläger beantragt, den Einkommensteuerbescheid 2007 vom 9. November 2009 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. Mai 2010 dahingehend abzuändern, dass bei den Werbungskosten des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit weitere Werbungskosten in Höhe von 1.100,00 € steuermindernd berücksichtigt werden und dementsprechend die Einkommensteuer niedriger festzusetzen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Auffassung, dass ein pauschaler Werbungskostenabzug nicht in Betracht komme. Der Kläger habe das Vorliegen derartiger Aufwendungen weder nachgewiesen noch ausreichend glaubhaft gemacht. Soweit er sich auf das Urteil des Finanzgerichtes Rheinland-Pfalz vom 24. März 2005 6 K 1664/04 berufe, sei anzumerken, dass in dem dort entschiedenen Fall die Besteuerungsgrundlagen im Wesentlichen geschätzt worden seien. In diesem Zusammenhang sei es auch zu einer Schätzung von Aufwendungen für die Benutzung von Sanitäreinrichtungen gekommen. Übernachtungskosten könnten grundsätzlich nur in Höhe nachgewiesener bzw. glaubhaft gemachter Beträge berücksichtigt werden. Die vom Kläger eingereichten Belege beträfen im Wesentlichen das Jahr 2008 und könnten damit nicht als Nachweis für im Jahr 2007 angefallenen Aufwendungen angesehen werden. Da sie auch keinen repräsentativen Zeitraum von beispielsweise drei Monaten abdeckten, seien diese Belege außerdem nicht geeignet, die geltend gemachten Aufwendungen glaubhaft zu machen und die Schätzung des Klägers zu verifizieren. Auch durch die Aufstellung über die an 30 ausgewählten Raststätten bei Inanspruchnahme der sanitären Einrichtungen anfallenden Kosten würden derartige Aufwendungen weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht. Die Aufstellung lasse nicht erkennen, zu welchem Zeitpunkt und in welchem Umfang im hier zu entscheidenden Fall konkret entsprechende Aufwendungen angefallen sein sollen. Zudem würden Entgelte für die Nutzung sanitärer Einrichtungen teilweise mit Wertgutscheinen in zumeist betragsmäßig identischer Höhe vergütet werden. Damit würden derartige Aufwendungen gleichsam kostenneutral ausgeglichen; der Kläger sei in einem solchen Fall wirtschaftlich nicht belastet. Es verblieben somit lediglich Aufwendungen für die Nutzung der Waschräume/Duschen, die – in geschätzter Höhe – als Übernachtungskosten berücksichtigt werden könnten. Auf eine abweichende rechtliche Beurteilung in anderen Finanzämtern bzw. in anderen Bundesländern könne sich der Kläger nicht berufen.

Mit Urteil vom 28. März 2012 (VI R 48/11, BFH/NV 2012, 1234) hat der Bundesfinanzhof das die Klage abweisende Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 30. Juni 2011 (5 K 108/10, EFG 2012, 31) aufgehoben und die Sache an das Schleswig-Holsteinische Finanzgericht zurückverwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die Gerichtsakte 5 K 191/08 sowie je 1 Band Rechtsbehelfsakten 2006 und 2007 und 1 Band BFH-Akten VI R 48/11 Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Einkommensteuerbescheid für 2007 vom 9. November 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. Mai 2010 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten; er ist wie beantragt zu ändern (§ 100 Abs. 2 Satz 1 FGO). Dem Kläger stehen die geltend gemachten Übernachtungskosten als zusätzliche Werbungskosten (§ 9 EStG) bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) zu.

Bei der Ermittlung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sind als Werbungskosten im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG auch beruflich veranlasste Reisekosten abzuziehen. Hierzu zählen auch Aufwendungen für Übernachtungen (BFH-Urteil vom 11. Mai 1990 VI R 140/86, BFHE 160, 546, BStBl II 1990, 777).

Ein Ansatz der von der Finanzverwaltung in den einschlägigen Verwaltungsanweisungen festgelegten Pauschbeträge (H 40 des Lohnsteuer-Handbuchs "Übernachtungen im Ausland") kommt im Streitfall nicht in Betracht. Voraussetzung für die Anerkennung pauschaler Auslandsübernachtungskosten ist, dass die Unterkunft nicht unentgeltlich zur Verfügung gestellt wurde. Eine solche unentgeltliche Unterkunft stellt auch die Kabine im LKW dar. Die Pauschbeträge für Auslandsdienstreisen sind dann nicht der Besteuerung zugrunde zu legen, wenn sie zu einer offensichtlich unzutreffenden Steuerfestsetzung führen würden, weil die tatsächlich angefallenen Übernachtungskosten die Pauschbeträge in nicht unbeträchtlichem Umfang unterschreiten (BFH-Urteil in BFHE 160, 546, BStBl II 1990, 777; BFH-Beschlüsse vom 9. Mai 2005 VI B 3/05, BFH/NV 2005, 1550; vom 12. November 2009 VI B 66/09, BFH/NV 2010, 884). Das ist hier der Fall, da der Kläger in der Schlafkabine des LKW übernachtet und die ihm tatsächlich entstandenen Übernachtungsnebenkosten für Dusche, Toilette, Reinigung der Schlafgelegenheit die Pauschbeträge daher in nicht unbeträchtlichem Umfang unterschreiten (vgl. BFH, Beschluss vom 17. März 2004 I B 158/03, Juris, und BFH, Urteil vom 15. Oktober 1992 V R 81/87, BStBl II 1993, 207).

Übernachtungskosten können somit nur in Höhe des nachgewiesenen, bzw. glaubhaft gemachten Betrages berücksichtigt werden. In diesem Fall können nur die dem Steuerpflichtigen tatsächlich erwachsenen Aufwendungen für Übernachtungen im Ausland (ggf. in geschätzter Form) als Werbungskosten berücksichtigt werden (BFH, Beschluss vom 9. Mai 2005 VI B 3/05, BFH/NV, 2005, 1550; BFH, Urteil vom 28. März 2012 VI R 48/11, BFH/NV 2012, 1234).

Da der Kläger keine Belege für die geltend gemachten Aufwendungen eingereicht hat, sind die Werbungskosten zu schätzen. Denn es ist davon auszugehen, dass typischerweise bestimmte Kosten -hier für Dusche, Toilette, Reinigung der Schlafgelegenheit- entstehen. Der vom Kläger im Rahmen seiner eigenen Schätzung angesetzte Betrag erscheint in diesem Zusammenhang nicht überhöht (BFH, Urteil vom 28. März 2012 VI R 48/11, BFH/NV 2012, 1234). Der Senat schätzt die täglich anfallenden Kosten der Übernachtungsnebenkosten dementsprechend auf 5 € pro Tag. Dabei ist davon auszugehen, dass für jeden Duschgang im Durchschnitt 2 € anfallen und teilweise auch Toilettengänge sowohl im Inland als auch im Ausland kostenpflichtig sind. Darüber hinaus fallen bei der Benutzung der Schlafkabine im LKW zwangsläufig auch Kosten für die Reinigung der Bettwäsche bzw. der Schlafgelegenheit an. Insgesamt erscheint dem Senat ein durchschnittlicher Kostenaufwand des Klägers von zumindest 5 € glaubhaft. Das FG Rheinland-Pfalz hatte mit Urteil vom 24. März 2005 (6 K 1664/04, juris) den Aufwand eines klagenden Fernfahrers pro Übernachtung für die Jahre 1998 und 1999 des dortigen Streitfalls bereits auf 10 DM geschätzt. Für das vorliegende Streitjahr 2007 ist angesichts der zwischenzeitlichen Preissteigerungen ein Betrag von mindestens 5 € realistisch. Auf die Vorlage von Einzelnachweisen – auch für einen repräsentativen Zeitraum – kommt es insoweit nicht an (vgl. BFH, Urteil vom 28. März 2012 VI R 48/11, BFH/NV 2012, 1234). Mit der Vorlage von Einzelnachweisen für einen repräsentativen Zeitraum hätte der Kläger gegebenenfalls noch höhere Werbungskosten für Übernachtungsnebenkosten glaubhaft machen können. Der Senat hält auch die vom Kläger gemachten Angaben für glaubhaft, dass er im Streitjahr an 220 Tagen in Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit als Fernfahrer übernachtet hat. Dies ergibt sich aus der Aufstellung des Klägers (Bl. 14 – 26 der Rechtsbehelfsakten 2007), in denen er für alle Monate des Jahres 2007 die beruflichen Übernachtungstage aufgeführt hat. Demgemäß schätzt der Senat die anzusetzenden Werbungskosten auf 1.100 €.

Die ursprünglich geltend gemachten höheren Fahrtkosten zum LKW-Sammelplatz macht der Kläger ausdrücklich mit der Klage nicht mehr geltend und hat seinen Klageantrag diesbezüglich eingeschränkt. Die gerichtliche Entscheidung darf gemäß § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO über den nachträglich ermäßigten Antrag nicht hinausgehen (vgl. BFH, Urteil vom 13. November 1986 V R 26/76, juris; BFH, Urteil vom 16. Juli 1969 I R 81/66, BStBl II 1970, 15).

Die Berechnung des festzusetzenden Betrages konnte der Senat auf das Finanzamt übertragen, weil die Ermittlung dieses Betrages einen nicht unerheblichen Aufwand erfordert (§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 FGO. Es liegt kostenrechtlich ein Teilunterliegen des Klägers vor, denn er muss hinsichtlich des Steuerbetrages, um den er seinen Klageantrag eingeschränkt hat, die Kosten tragen (BFH, Urteil vom 16. Juli 1969 I R 81/66, BStBl II 1970, 15).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

Gründe zur Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO bestehen nicht.