VG München, Urteil vom 17.08.2012 - M 22 K 10.31249
Fundstelle
openJur 2012, 128532
  • Rkr:
Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger, zugehörig zur Volksgruppe der Paschtunen, sunnitischen Glaubens und stammt aus der Provinz …, Distrikt …, Dorf …. Er reiste eigenen Angaben zufolge im Dezember 2009 mit dem Flugzeug in ein ihm unbekanntes Land und dann weiter mit dem Auto nach Deutschland. Hier stellte er am 29. Dezember 2009 einen Asylantrag.

Bei der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 23. Februar 2010 erklärte der Kläger, in seiner Heimat sei die Situation sehr gefährlich für ihn gewesen. Tagsüber sei dort die Regierung und nachts die Taliban die Machthaber, im Hintergrund würden sie zusammenarbeiten. Die Taliban seien nachts gekommen und hätten für den Krieg geworben. Man sei sozusagen gezwungen gewesen, mit ihnen mitzugehen, sie hätten jedes Mal gefragt, warum man nicht bereit sei mitzugehen.

Mit Bescheid vom 1. Dezember 2010, zugestellt am 13. Dezember 2010, lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers ab (Ziffer 1.), stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 2.) und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 Aufenthaltsgesetz - AufenthG - (Ziffer 3.) nicht vorliegen. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach Afghanistan oder in einen anderen Staat angedroht, in den der einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist (Ziffer 4.).

Mit Schriftsatz vom 17. Dezember 2012, eingegangen bei Gericht am selben Tag, erhob der Prozessbevollmächtigte des Klägers Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München mit dem Antrag,

die Beklagte unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheides vom 1. Dezember 2010 zu verpflichten festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG, hilfsweise Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.

Gleichzeitig beantragte der Bevollmächtigte des Klägers die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers wurde vorgelegt.

Zur Begründung der Klage wurde insbesondere ausgeführt, dass der Kläger Schlafstörungen habe, die Folge von Alpträumen seien, deren Ursache die Erlebnisse des Klägers in seiner Heimat wären. Ein fachärztliches Attest werde nachgereicht, sobald der Kläger einen Facharzt aufgesucht habe.

Das Protokoll der Anhörung vor dem Bundesamt habe die Angaben des Klägers unvollständig und nicht in allen Punkten richtig wiedergegeben. So hätten die Taliban den Kläger nicht persönlich befragt, sondern nachts Briefe im Dorf verteilt und eines Tages alle männlichen Einwohner in die Dorfmoschee eingeladen und aufgefordert, sich den Taliban anzuschließen, andernfalls man sie umbringen würde.

Der Kläger habe seit seiner Flucht nach Deutschland keinen Kontakt mehr zu seinem Onkel und seiner Schwester in Afghanistan, in dem Dorf habe es auch kein Handy gegeben.

Die Beklagte beantragte,

die Klage abzuweisen.

Mit Beschluss vom 27. Juni 2012 wurde der Rechtsstreit gemäß § 76 Abs. 1 AsylVfG auf den Einzelrichter übertragen.

In der mündlichen Verhandlung vom 9. August 2012 erläuterte der Kläger sein bisheriges Vorbringen näher. Ärztliche Atteste wurden nicht eingereicht.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der sonstigen Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen, insbesondere auf den Sachvortrag des Klägers und die Begründung des streitgegenständlichen Bescheides sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 9. August 2012 entschieden werden, obwohl die Beklagte nicht erschienen ist. Denn in der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden könne (§ 102 Abs. 2 VwGO). Die Beklagte ist form- und fristgerecht geladen worden.

Die Klage ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 und 5 VwGO).

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG oder auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Auch die vom Bundesamt nach Maßgabe des § 34 AsylVfG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung ist nicht zu beanstanden.

1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG und damit auf seine Anerkennung als Flüchtling (§ 3 Abs. 1 AsylVfG).

Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer in Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist.

Nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, Art. 4 Abs. 4 sowie die Art. 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie -QualRL-) ergänzend anzuwenden.

Verfolgung i.S. des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann - anders als im Rahmen von Art. 16 a Abs. 1 GG, der grundsätzlich nur Schutz vor staatlicher Verfolgung gewährt - nach § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG ausgehen von (Buchst. a) dem Staat, (Buchst. b) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen, oder (Buchst. c) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die unter den Buchstaben a) und b) genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht Willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. In allen drei Fällen ist aber eine Verfolgung in diesem Sinn ausgeschlossen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht.

Eine an den Merkmalen des § 60 Abs. 1 AufenthG ausgerichtete Verfolgung durch die Taliban hat der Kläger selbst bei Wahrunterstellung seines Vorbringens nicht erlitten und auch bei einer Rückkehr nicht zu befürchten. Die angeblich drohende Zwangsrekrutierung stellt kriminelles Unrecht dar. Im Übrigen ist das klägerische Vorbringen nicht glaubhaft (siehe unten 2.)

2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die hilfsweise begehrte Zuerkennung von subsidiärem Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, Abs. 3, Abs. 7 Satz 2 AufenthG.

Der Antrag auf Feststellung eines sogenannten europarechtlichen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG bildet einen eigenständigen, vorrangig vor sonstigen herkunftslandbezogenen ausländerrechtlichen (nationalen) Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu prüfenden Streitgegenstand (vgl. ausführlich BVerwG v. 24.06.2008, Az.: 10 C 43/07, BVerwGE 131, 198 = NVwZ 2008, 1241 = InfAuslR 2008, 474, Juris).

a) Ein Ausländer darf gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG nicht in seinen Herkunftsstaat abgeschoben werden, wenn ihm dort Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht. Dies gilt gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 6 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (QualRL) auch dann, wenn die Gefahr von nichtstaatlichen Akteuren ausgeht und kein ausreichender staatlicher oder quasistaatlicher Schutz zur Verfügung steht. Zudem ist gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 QualRL zu unterscheiden, ob der Ausländer der Gefahr im Herkunftsland bereits ausgesetzt war bzw. ihm entsprechende Misshandlung unmittelbar bevorstanden oder, ob er ohne derartige Bedrohung ausgereist ist. Es müssen konkrete Anhaltspunkte oder stichhaltige Gründe dafür glaubhaft gemacht werden, dass der Ausländer im Fall seiner Abschiebung einem echten Risiko oder einer ernsthaften Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wäre (Hailbronner, Ausländerrecht § 60 AufenthG RdNr. 124).

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Das Vorbringen des Klägers hinsichtlich der geltend gemachten Verfolgungsgefahr ist nicht glaubwürdig.

Das Gericht muss sowohl von der Wahrheit - und nicht nur von der Wahrscheinlichkeit - des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals als auch von der Richtigkeit der Prognose drohender politischer Verfolgung bzw. Gefährdung die volle Überzeugung gewinnen. Auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und Glaubwürdigkeit seiner Person kommt es entscheidend an. Seinem persönlichen Vorbringen und dessen Würdigung ist daher gesteigerte Bedeutung beizumessen. Der Asylbewerber muss die persönlichen Umstände seiner Verfolgung und Furcht vor einer Rückkehr hinreichend substantiiert, detailliert und widerspruchsfrei vortragen, er muss kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben machen (vgl. nunmehr auch Art. 4 der Richtlinie 2004/83/EG sowie bereits bislang BVerfG vom 07.04.1998, Az.: 2 BvR 253/96; BVerwG vom 26.10.1989, Az.: 9 B 405.98). Auch unter Berücksichtigung des Herkommens, Bildungsstands und Alters muss der Asylbewerber im Wesentlichen gleichbleibende möglichst detaillierte und konkrete Angaben zu seinem behaupteten Verfolgungsschicksal machen.

Das Gericht ist nach der Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht von der Wahrheit seines Vorbringens überzeugt.

Auf Frage des Gerichtes nach seinem angeblichen Verfolgungsschicksal wiederholte der Kläger zunächst floskelhaft seinen Vortrag in der Anhörung vor dem Bundesamt, wonach die Taliban nachts gekommen seien und für den Krieg geworben hätten. Erst nach expliziten Hinweis auf den Vortrag seines Bevollmächtigten in der Klagebegründung erklärte der Kläger, die Taliban hätten im Dorf Flugblätter verteilt. Den Widerspruch zwischen seiner Aussage vor dem Bundesamt, wonach die Taliban „jedes Mal gefragt“ hätten, warum man nicht bereit sei mitzugehen, und dem Vorbringen seines Bevollmächtigten in der Klageschrift, wonach die Taliban den Kläger „überhaupt nicht persönlich befragt“ hätten, konnte der Kläger nicht überzeugend aufklären. Auf Vorhalt erklärte er dazu lediglich, die Taliban seien persönlich ins Dorf gekommen, hätten ihn allerdings nicht persönlich angesprochen. Auf die Nachfrage des Gerichtes nach dem von seinem Bevollmächtigten in der Klageschrift beschriebenen Vorfall in der Dorfmoschee reagierte der Kläger zunächst höchst verwundert. Der Kläger erweckte den Eindruck, diesen Vorfall gar nicht zu kennen. Erst auf weitere Nachfrage erklärte er, dass die Taliban dort mit Vätern von jungen Männern gesprochen hätten. Erstmals erklärte der Kläger in der mündlichen Verhandlung, dass kurz vor seiner Flucht ein Dorfbewohner verschwunden sei. Angesichts dessen, dass der Kläger dies im weiteren Verlauf der mündlichen Verhandlung sogar als auslösendes Ereignis seiner Flucht beschrieb, verwundert, dass er von diesem Geschehnis in der Anhörung vor dem Bundesamt nicht berichtete.

Letztlich gelang es dem Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht, Unstimmigkeiten und Widersprüche bezüglich seines angeblichen Verfolgungsschicksals auszuräumen. Solche wurden zum Teil vielmehr noch verstärkt. Aufgrund dessen wie auch aufgrund des Gesamteindrucks, der vom Kläger gewonnen wurde, ist das Gericht davon überzeugt, dass die Verfolgungsgeschichte vom Kläger erfunden wurde, um ein Aufenthaltsrecht zu erreichen.

Zur Unglaubwürdigkeit des Klägers tragen auch die teils gravierenden Widersprüche in der Schilderung der Umstände seiner Flucht bei. So erklärte der Kläger in der mündlichen Verhandlung, sich von seinem Onkel in Afghanistan verabschiedet zu haben und von einem Schleuser nach Pakistan gebracht worden zu sein. In der Anhörung vor dem Bundesamt sagte er hingegen noch aus, zusammen mit seinem Onkel nach Pakistan gereist zu sein. Weiter behauptete der Kläger in der mündlichen Verhandlung, vor und während seiner Reise nach Deutschland keinerlei Kontakt zu seinen in … lebenden Stiefbrüdern gehabt zu haben. In der Befragung durch die Regierung von … am 11. Januar 2010 erklärte er hingegen auf die Frage nach seiner Reiseroute, nach seiner Ankunft in … von seinem Bruder „irgendwo abgeholt“ worden zu sein. Auf Vorhalt des Gerichtes hin erklärte der Kläger schließlich, er sei zunächst in einer Gemeinschaftsunterkunft gewesen und habe dann erst telefonisch Kontakt zu seinem Bruder aufgenommen. Die Telefonnummer des Bruders will der Kläger von seinem Onkel bekommen haben, der jedoch - ebenfalls Angaben des Klägers zufolge - seinerseits keinen Kontakt zu den Brüdern in … gehabt haben soll. Dieser Vortrag wirkt konstruiert und ist unglaubhaft. Schließlich widerspricht der Vortrag des Klägerbevollmächtigten in der Klageschrift, wonach der Kläger seit seiner Flucht keinen Kontakt mehr zu seinem Onkel in Afghanistan habe, dem Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung, wonach der telefonische Kontakt zu seinem Onkel erst vor einem Jahr abgebrochen sei, weil die Telefonnummer „nicht mehr funktioniert“ habe.

Der Kläger hat auch deshalb keinen Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 AufenthG, weil ihm inländische Fluchtalternativen offen stehen.

Nach Art. 8 Abs. 1 QualRL benötigt ein Drittausländer keinen internationalen Schutz, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und vom Drittausländer vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Dabei sind nach Abs. 2 die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und persönlichen Umstände (vgl. Art. 4 Abs. 3 c Qualifikationsrichtlinie) des Drittausländers zu berücksichtigen. Der Drittausländer muss am Zufluchtsort aber eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinden, d.h. es muss zumindest (in faktischer Hinsicht) das Existenzminimum gewährleistet sein, was er unter persönlich zumutbaren Bemühungen sichern können muss. Dies gilt auch dann, wenn im Herkunftsgebiet die Lebensverhältnisse gleichermaßen schlecht sind. Unerheblich ist, ob eine Gefährdung am Herkunftsort in gleicher Weise besteht. Darüber hinaus ist daher erforderlich, dass das Zufluchtsgebiet für den Drittausländer erreichbar ist (BVerwG vom 29.05.2008, Az.: 10 C 11/07).

Der Kläger kann in der Hauptstadt … verbleiben, wohin primär die Abschiebung erfolgt. Dort ist auch sein Existenzminimum gesichert (siehe unten zu 3.). eine Gefährdung durch die Taliban hat der Kläger hier nicht zu befürchten, die in der Anhörung vor dem Bundesamt bzw. der Klagebegründung geschilderte Gefahr ist nur lokal auf seinen Heimatbezirk begrenzt. Der Kläger ist keine herausgehobene Person, die in der Öffentlichkeit steht. Es besteht keine Gefahr, dass ihn die Taliban etwa in … suchen.

Der vom Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag, Beweis darüber zu erheben, dass im Heimatdorf des Klägers die Taliban ohne Probleme durch das Militär am Abend in den Ort kommen und die Familien wegen der Rekrutierung der Jugendlichen unter Druck setzen können und dies sogar in der örtlichen Moschee verkünden, war auch deshalb abzulehnen, weil das Vorbringen des Klägers sein Verfolgungsschicksal betreffend unglaubhaft ist. Dies ist als tatrichterliche Wertung dem Beweis nicht zugänglich. Ferner kommt es auf den unter Beweis gestellten Sachverhalt auch nicht an, weil dem Kläger jedenfalls eine inländische Fluchtalternative offen steht.

b) Nach § 60 Abs. 3 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, wenn dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht. Für die Feststellung auch dieses Abschiebungsverbots gelten nach Abs. 11 auch hier die Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 1 und 2 und Art. 6 bis 8 QualRL. Damit werden auch hier die dortigen Bestimmungen über den Vorverfolgungsmaßstab, Nachfluchtgründe, Verfolgungs- und Schutzakteure und internen Schutz auf dieses Abschiebungsverbot für anwendbar erklärt. Hierzu müssen ernsthafte Anhaltspunkte vorliegen, dass der Ausländer wegen einer Straftat konkret gesucht wird, deretwegen individuell die Todesstrafe verhängt werden kann (Hailbronner, Ausländerrecht § 60 AufenthG RdNr. 137).

Diese Voraussetzungen liegen offensichtlich nicht vor.

c) Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Danach ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Die Vorschrift setzt die sich aus Art. 18 i.V.m. Art. 15 Buchst. c QualRL ergebenden Verpflichtungen auf Gewährung eines „subsidiären Schutzstatus“ bzw. „subsidiären Schutzes“ in nationales Recht um.

Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen (vgl. BVerwG vom 24.06.2008, Az.: 10 C 43/07, a.a.O.). Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie u. a. für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind, und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts i.S. von Art. 15 Buchst. c QualRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind. Ein solcher „innerstaatlicher bewaffneter Konflikt“ kann überdies landesweit oder regional (z.B. in der Herkunftsregion des Ausländers) bestehen, er muss sich mithin nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken (vgl. BVerwG vom 24.06.2008, Az.: 10 C 43/07, a.a.O.).

Dabei ist zu überprüfen, ob sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende - und damit allgemeine - Gefahr in der Person des Klägers so verdichtet hat, dass sie eine erhebliche individuelle Gefahr i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG darstellt. Eine allgemeine Gefahr kann sich insbesondere durch individuelle gefahrerhöhende Umstände zuspitzen. Solche Umstände können sich auch aus einer Gruppenzugehörigkeit ergeben. Der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt muss ein so hohes Niveau erreichen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson würde bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr laufen, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH vom 17.02.2009, C-465/07).

Die Frage, ob die in Afghanistan oder Teilen von Afghanistan stattfindenden gewalttätigen Auseinandersetzungen nach Intensität und Größenordnung als vereinzelt auftretende Gewalttaten i.S. von Art. 1 Nr. 2 des Zusatzprotokolls vom 8. Juni 1977 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (BGBl. 1990 II S. 1637) - ZP II - oder aber als anhaltende Kampfhandlungen bewaffneter Gruppen im Sinne von Art. 1 Nr. 1 ZP II zu qualifizieren sind, kann dahinstehen, weil nach der Überzeugung des Gerichts der Kläger keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wäre. Bezüglich der Gefahrendichte ist zunächst auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die ein Kläger typischerweise zurückkehren wird (BVerwG vom 14.07.2009 BVerwGE 134, 188 = NVwZ 2010, 196). Zur Feststellung der Gefahrendichte ist eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung erforderlich (BVerwG vom 27.04.2010 NVwZ 2011, 51).

Der Kläger stammt aus der Provinz …, so dass hinsichtlich der Gefahrensituation primär darauf abzustellen ist.

Die Provinz … wird von der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA, Internet: www.unama.unmissions.org) der Ostregion Afghanistans (Provinzen: Nangarhar, Laghman, Kunar und Nuristan) zugeordnet. UNAMA hat für diese Region im Jahr 2009 242 zivile Tote bei einer Gesamteinwohnerzahl von 2,5 Millionen gezählt. Für das Jahr 2010 wurden 243 zivile Tote in der Ostregion ermittelt (UNAMA, Afghanistan Annual Report 2010 Protection of Civilians in Armed Conflict).

Für das Jahr 2009 wurden für Gesamtafghanistan 2.412 getötete und 3.566 verletzte Zivilisten ermittelt. Für das Jahr 2010 wird von 2.777 Toten und 4.343 Verletzten (gesamt: 7.120) ausgegangen. Das Verhältnis Tote/Verletzte beträgt für das Jahr 2009 1:1,5. Gleiches gilt für das Jahr 2010. Unter Berücksichtigung dieses Verhältnisses ist für das Jahr 2009 in der Ostregion von 363 Verletzten, insgesamt also von 605 toten und verletzten Zivilisten auszugehen. Für das Jahr 2010 ist von 365 Verletzten, insgesamt also von 608 toten und verletzten Zivilisten auszugehen. Für das Jahr 2009 ergibt sich bei einer Einwohnerzahl von 3,6 Millionen in der Ostregion und 605 Toten/Verletzten eine Wahrscheinlichkeit von 0,025 Prozent, Opfer eines Anschlages zu werden, für das Jahr 2010 mit 608 Toten/Verletzten liegt diese Wahrscheinlichkeit ebenfalls bei 0,025 Prozent.

Der Jahresbericht der UNAMA vom Februar 2012 (UNAMA, Afghanistan Annual Report 2011 Protection of Civilians in Armed Conflict) geht für das Jahr 2011 für ganz Afghanistan von 3.021 toten Zivilisten (gegenüber den 2.777 toten Zivilisten des Vorjahres eine Steigerung von 8 Prozent) und 4.507 Verletzten (im Vorjahr 4.368 Verletzte), somit von insgesamt 7.528 zivilen Opfern aus. Gegenüber der Gesamtzahl der Toten und Verletzten im Jahr 2010 (7.120) liegt somit für Afghanistan eine Steigerung von 6 Prozent vor. Eine nähere Aufschlüsselung nach Regionen erfolgt in diesem Bericht nicht. Der Bericht führt jedoch aus, dass die zivilen Opferzahlen sich regionsweise stark veränderten. Während in der Südregion die Opferzahlen annähernd gleich blieben, gab es insbesondere in der Südost- und Ostregion eine erhebliche Steigerung von 34 Prozent (UNAMA, a.a.O. S. 6).

Die regional unterschiedliche Veränderung der Opferzahlen lässt sich in Beziehung zu der Zahl der Angriffe bewaffneter Oppositionsgruppen in den einzelnen Provinzen im Jahr 2011 setzen. Nach dem Bericht des Afghanistan NGO Safety Office (ANSO, Internet: www.ngosafety.org) gab es im Jahr 2011 in Afghanistan insgesamt 14.577 Angriffe (ANSO Quarterly Data Report Q.4 2011). Bei einer Gesamtopferzahl von 7.528 entfallen damit rechnerisch auf jeden Angriff 0,5164 Opfer. Überträgt man dies auf die Ostregion, kann bei den dort gezählten 2.122 Angriffen im Jahr 2011 von etwa 1.096 toten/verletzten Zivilisten ausgegangen werden. Bei einer Einwohnerzahl von 2,5 Millionen in der Ostregion und 1.096 Toten/Verletzten ergibt sich eine Wahrscheinlichkeit von 0,044 Prozent, Opfer eines Anschlages zu werden. Bezogen auf die Herkunftsprovinz … ergibt sich bei 551 Angriffen eine geschätzte Opferzahl von 285. Bei einer Einwohnerzahl von 1,52 Millionen liegt die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Anschlages zu werden bei 0,019 Prozent.

Auch wenn der Vergleich der Opferzahlen mit der Zahl der Angriffe nicht exakt auf die tatsächliche Opferzahl schließen lässt, gibt er doch eine realistische Basis für die erforderliche Risikoabschätzung. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Sicherheitslage in Gesamtafghanistan und auch in der Ostregion weiterhin angespannt bleibt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der diesen Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, das praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der unzureichenden medizinischen Versorgungslage in Afghanistan, die eine Notfallbehandlung Schwerverletzter nur eingeschränkt ermöglichen dürfte.

Hinsichtlich der Zentralregion, in der die Provinz … als inländische Fluchtalternative liegt, beträgt die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Anschlags zu werden 0,009 Prozent (956 Angriffe = 494 tote/verletzte Zivilisten bei 5,7 Millionen Einwohnern). Für die Provinz … liegt die Wahrscheinlichkeit bei 0,002 Prozent (115 Angriffe = 60 Tote/Verletzte bei 3,528 Millionen Einwohnern).

Es ist auch nicht anzunehmen, dass sich die allgemeine Gefahr bei dem Kläger durch individuelle gefahrerhöhende Umstände zuspitzt.

3. Der Abschiebung des Klägers steht auch kein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG entgegen.

a) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG liegt nicht vor. Eine Abschiebung ist gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG unzulässig, wenn sich dies aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt. Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (siehe Urteil vom 15.04.1997, BVerwGE 104, 265, Az.: 9 C 38/96) nur in Frage, wenn die umschriebenen Gefahren durch den Staat oder eine staatsähnliche Organisation drohen oder dem Staat zuzurechnen sind.

Schon diese letztere Voraussetzung ist hier nicht gegeben.

b) Der Abschiebung des Klägers steht auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG entgegen.

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen.

aa) Die befürchtete Verschlimmerung einer Krankheit kann die Voraussetzung einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben im Sinn des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG als Folge fehlender Behandlungsmöglichkeiten in Afghanistan begründen, wenn eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist. Das wäre der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand des Klägers wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde (BVerwG vom 24.05.2006, Az.: 1 B 118/05). Nicht gravierende oder nicht hinreichend wahrscheinliche Gefahren sind dabei nicht ausreichend. Eine konkrete Gefahr liegt dann vor, wenn die Verschlechterung alsbald nach der Rückkehr nach Afghanistan eintreten würde, weil der Ausländer auf die dort unzureichende Möglichkeit der Behandlung angewiesen wäre und anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte (vgl. hierzu auch BVerwG vom 29.07.1999, Az.: 9 C 2/99).

Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Trotz der bestehenden Amtsermittlungspflicht ergibt sich aus § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO die Pflicht des Beteiligten, an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken, was in besonderem Maße für Umstände gilt, die, wie etwa eine Erkrankung, in die eigene Sphäre des Beteiligten fallen. Den sich hieraus ergebenden Anforderungen an einen substantiierten Vortrag einer Erkrankung genügt die Mitteilung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, unter Kopfschmerzen sowie Schlafstörungen zu leiden, nicht. Zu seinen angeblich vor seiner Flucht in Afghanistan im Zuge eines Autounfalls erlittenen Verletzungen befragt, berichtete der Kläger dem Gericht lediglich, damals an Arm und Kopf verletzt und in einem Krankenhaus behandelt worden zu sein. Nähere Fragen dazu konnte der Kläger nicht beantworten. Entgegen den Ankündigungen seines Bevollmächtigten in der Klagebegründung hat der Kläger im Übrigen auch keinerlei ärztliche Atteste vorgelegt. Das Gericht geht mithin nicht davon aus, dass der Kläger krank wäre.

Soweit der vom Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag darauf gerichtet war, über das Vorliegen posttraumatischer Störungen beim Kläger Beweis zu erheben, war dieser deshalb abzulehnen, weil der diesbezügliche Vortrag des Klägerbevollmächtigten nicht den Anforderungen an einen substantiierten Vortrag einer Erkrankung an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) genügt.

Bei der Posttraumatischen Belastungsstörung handelt es sich um ein komplexes psychisches Krankheitsbild, bei dem nicht äußerlich feststellbare objektive Befundtatsachen, sondern innerpsychische Erlebnisse im Mittelpunkt stehen, so dass es entscheidend auf die Glaubhaftigkeit und Nachvollziehbarkeit des geschilderten inneren Erlebens und der zu Grunde liegenden faktischen äußeren Erlebnistatsachen ankommt. Aufgrund dieser Eigenart des Krankheitsbildes bestehen entsprechende Anforderungen an ärztliches Vorgehen und Diagnostik, die nur von Fachärzten und Fachärztinnen für Psychiatrie oder für Psychotherapeutische Medizin erfüllt werden können (VG München vom 4.12.2000 NVwZ-RR 2002, 230, 231). Angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes sowie seiner vielfältigen Symptomatik gehört zur Substantiierung des Vorbringens einer Erkrankung an PTBS nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG vom 11.09.2007 Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff AufenthG Nr. 31) regelmäßig die Vorlage eines, gewissen Mindestanforderungen genügenden, fachärztlichen Attests. Aus diesem muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist.

Ein diese Anforderungen erfüllendes Attest, geschweige denn überhaupt ein Attest wurde vom Kläger nicht vorgelegt.

bb) Der Kläger kann ein Abschiebungsverbot in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht erreichen.

Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die den Kläger in Afghanistan erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, kann er Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren.

Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungswegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde" (vgl. BVerwG vom 12.07.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115,1 <9 f.> m.w.N.). Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. etwa Urteil vom 12.07.2001 - BVerwG 1 C 5.01 - a.a.O.).

Hinsichtlich der unzureichenden Versorgungslage in Afghanistan kann eine landesweite extreme Gefahrenlage nur angenommen werden, wenn der Kläger nach seiner Rückkehr mangels ausreichender Existenzmöglichkeiten aus Hunger sterben würde (vgl. BVerwGE 99,324). Diese Voraussetzungen liegen jedoch nicht vor.

Zwar ist die Versorgungslage in Afghanistan weiterhin schlecht (vgl. Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand: Januar 2012, S. 26). Soziale Sicherungssysteme existieren praktisch nicht. Die soziale Absicherung liegt bei den Familien und Stammesverbänden. Der Kläger kann zu seinem Onkel in das Dorf … zurückkehren. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser den Kläger nach einer Rückkehr aus Deutschland nicht wieder aufnehmen würde. Aber auch ohne die Unterstützung durch diese Gemeinschaft droht dem volljährigen, gesunden arbeitsfähigen Kläger bei einer Abschiebung nach … keine extreme Gefahrenlage. Der Kläger kann hier unter Inanspruchnahme internationaler Hilfe und die Aufnahme von Gelegenheitsarbeiten zumindest ein kümmerliches Einkommen erzielen, um sein Überleben zu sichern (vgl. BayVGH vom 03.02.2011, Az.: 13a B 10.30394).

Das Gericht geht insbesondere davon aus, dass der Kläger gesund ist (siehe oben). Soweit der vom Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag darauf gerichtet war, darüber Beweis zu erheben, dass der Kläger nicht zum Personenkreis der volljährigen gesunden arbeitsfähigen Männer gehört, war dieser bereits deshalb abzulehnen, weil der Kläger diesbezüglich seiner Pflicht, an der Erforschung des Sachverhaltes mitzuwirken, § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO, nicht nachgekommen ist. Es wurden keinerlei ärztliche Atteste vorgelegt, der Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung beschränkte sich auf die bloße Behauptung, unter Kopfschmerzen und Schlafstörungen zu leiden.

4. Die nach Maßgabe der §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. §§ 59, 60 Abs. 10 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung nach Afghanistan ist in rechtlicher Hinsicht gleichfalls nicht zu beanstanden. Der Kläger besitzt keinen Aufenthaltstitel und ist auch nicht als Asylberechtigter anerkannt. Gemäß § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten dem Erlass der Androhung nicht entgegen. Nach § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zu bezeichnende Staaten, in die eine Abschiebung nicht erfolgen darf, sind nicht ersichtlich. Die Ausreisefrist von einem Monat ergibt sich unmittelbar aus § 38 Abs. 1 AsylVfG.

Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.