Bayerischer VGH, Urteil vom 26.06.2012 - 10 BV 11.2118
Fundstelle
openJur 2012, 128253
  • Rkr:
Tenor

I. Unter Abänderung des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 21. Juli 2011 wird der Bescheid des Beklagten vom 10. November 2010 aufgehoben.

II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin, eine Aktiengesellschaft, veranstaltete in ihrer Betriebsstätte M. Str. 1 in D. Pferdewetten und betrieb zudem eine Spielhalle. Für diese Tätigkeiten besaß sie sowohl eine gewerberechtliche Erlaubnis als auch eine Buchmachererlaubnis. In dem Erlaubnisbescheid für das Betreiben eines Buchmachergewerbes vom 11. November 2009 wies das zuständige Landratsamt die Klägerin in dessen Nr. 1.1 ausdrücklich darauf hin, dass diese Erlaubnis nicht für die Veranstaltung oder Vermittlung von Sportwetten oder sonstiger Wetten gelte. Unter Nr. 1.2 dieses Bescheids wurde für den Fall, dass die Klägerin in ihrer Betriebsstätte entgegen Nr. 1.1 andere Sportwetten oder sonstige Wetten vermittle bzw. veranstalte, ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000 Euro angedroht.

Bei einer Kontrolle der Betriebsräume der Klägerin in D. im Oktober 2010 wurden Wettscheine für die Abgabe von Sportwetten an den Wetthalter IBA Entertainment Ltd. in Malta vorgefunden. Die Klägerin äußerte sich hierzu in ihrer Stellungnahme vom 20. Oktober 2010 dahingehend, dass nach den Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union vom September 2010 keine Erlaubnis für die Vermittlung von Sportwetten durch private Veranstalter erforderlich sei.

Mit Bescheid vom 10. November 2010 untersagte das Landratsamt D. der Klägerin die Vermittlung von Sportwetten in ihrem Betrieb in D., M. Str. 1 (Nr. 1 des Bescheids). Dabei beziehe sich die Untersagung auf bestimmte Tätigkeiten zur Vermittlung von Sportwetten (Nr. 2), gelte aber nicht für die Veranstaltung von Pferdewetten (Nr. 3). Die Tätigkeit der Vermittlung von Sportwetten sei spätestens am dritten Tag nach Zustellung dieses Bescheids einzustellen (Nr. 4). Für den Fall, dass die Klägerin die untersagte Tätigkeit nicht fristgemäß unterlasse, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000 Euro angedroht (Nr. 5).

Zur Begründung des Bescheids berief sich der Beklagte auf § 9 GlüStV, wonach die Veranstaltung, Durchführung und Vermittlung unerlaubter Glücksspiele untersagt werden könne. Weder die Klägerin noch die IBA Ltd., an die die Sportwetten vermittelt würden, verfügten über eine in Bayern gültige Erlaubnis. Die Vermittlung von Sportwetten sei somit bereits wegen der formellen Illegalität zu untersagen. Unabhängig davon sei die Vermittlung von Sportwetten durch private Veranstalter auch weiterhin nicht erlaubnisfähig, denn dies liefe den Zielen des § 1 GlüStV zuwider. Der Glücksspielstaatsvertrag mit dem Staatsmonopol trage in ganz erheblichem Maße zur Suchtprävention und effektiven Suchtbekämpfung bei. Die Untersagung der weiteren Vermittlung von Sportwetten entspreche auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Es seien keine anderen zulässigen und geeigneten Möglichkeiten gegeben, die verbotene Tätigkeit des Vermittelns von Sportwetten an einen Veranstalter, der keine in Bayern gültige behördliche Erlaubnis besitze, zu unterbinden als die Untersagung der Vermittlung. Eine weitere Duldung der Sportwettenvermittlung hätte zur Folge, dass sich entgegen der gesetzgeberischen Absicht private Sportwettangebote entwickeln und in ihren Strukturen verfestigen könnten.

Anlässlich einer Kontrolle im Dezember 2010 wurde festgestellt, dass nach wie vor Wettscheine der IBA Ltd. zur Abgabe von Sportwetten in der Betriebsstätte der Klägerin auslagen. Auf den Bildschirmen seien Wettquoten von Fußballspielen zu sehen gewesen (vgl. Kontrollbericht vom 21.12.2010 Bl. 220 der Behördenakte). Der Beklagte stellte daraufhin das im Bescheid vom 10. November 2010 angedrohte Zwangsgeld fällig.

Mit Schriftsatz vom 8. Dezember 2010 ließ die Klägerin Klage gegen den Bescheid des Landratsamts D. vom 10. November 2010 erheben, die sie im Wesentlichen damit begründete, dass die Untersagungsverfügung sowohl gegen Verfassungsrecht als auch gegen den Vorrang des Europäischen Gemeinschaftsrechts verstoße. Wegen des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts müsse die Ermächtigungsgrundlage für die streitgegenständliche Verfügung unangewendet bleiben. Die Untersagung dürfe auch nicht allein auf das formale Fehlen einer Erlaubnis gestützt werden.

Der Beklagte trat dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

Zum 31. März 2011 hat die Klägerin den Betrieb der Wettannahme in der M. Str. 1 in D. eingestellt und an ein neues Unternehmen übergeben. Sie führte dazu aus, dass wegen der Beitreibung des Zwangsgeldes keine Erledigung des Verfahrens eingetreten sei. Zudem sei es ihr zumindest theoretisch jederzeit möglich, auf die Betriebsstätte wieder zuzugreifen.

Mit Urteil vom 21. Juli 2011 wies das Bayerische Verwaltungsgericht Regensburg die Klage der Klägerin ab. Zwar schließe sich die Kammer der Rechtsauffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs insoweit an, als eine Inkohärenz des staatlichen Sportwettenmonopols jedenfalls mit Blick auf die derzeit tatsächliche Praxis auf dem Sektor der sog. gewerblichen Geldspielautomaten zu sehen sei. Allerdings bestehe der Erlaubnisvorbehalt für die Vermittlung von Sportwetten unabhängig von der Wirksamkeit des staatlichen Sportwettenmonopols fort. § 9 GlüStV könne weiterhin als Grundlage einer Untersagungsverfügung herangezogen werden. Der Beklagte habe die weitere Vermittlung von Sportwetten durch die Klägerin deshalb untersagen dürfen, weil diese nicht über die erforderliche Erlaubnis verfüge. Die Vorschriften über die Erlaubnispflicht seien verfassungskonform und nicht unionsrechtswidrig. Es sei weder dargelegt noch ersichtlich, dass die Klägerin die Anforderungen an die Erteilung einer Erlaubnis offensichtlich erfülle.

Mit Schriftsatz vom 30. August 2011 ließ die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung einlegen. Zur Begründung der Berufung führte sie im Wesentlichen aus, sowohl der Beklagte im angefochtenen Bescheid als auch das Verwaltungsgericht Regensburg stützten ihre Entscheidung auf das bloße Fehlen einer Erlaubnis. Dies sei jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kein tragender Grund einer vollständigen Untersagung der Vermittlung von Sportwetten an ein EU-konzessioniertes Unternehmen. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur vermeintlichen Erlaubnisfähigkeit gingen vollständig am konkreten Fall vorbei. Alle Gesichtspunkte, die das Verwaltungsgericht aufgezählt habe, seien nicht Gegenstand der Verfügung. Die hier streitgegenständliche Untersagungsverfügung stütze sich allein auf die Durchsetzung des Monopols und das Fehlen einer Erlaubnis und führe ausdrücklich aus, dass die Erteilung einer Erlaubnis grundsätzlich ausgeschlossen sei, soweit sie von einem Privaten beantragt werde. Eine Ergänzung dieser Begründung sei ausgeschlossen, denn § 114 VwGO lasse nur die Ergänzung von Ermessensentscheidungen zu, nicht aber die vollständige Nachholung oder gar die Auswechslung der das Ermessen tragenden Gründe. § 114 VwGO regle insbesondere nicht das Nachholen oder Nachbessern einer fehlenden oder unvollständigen Begründung. Im streitgegenständlichen Fall wäre das Stützen der Verfügung auf das Fehlen einer Erlaubnis in Verbindung mit der Frage der materiellen Erlaubnisfähigkeit in einem fiktiven Erlaubnisverfahren unzweifelhaft eine unzulässige Neubegründung. Unabhängig von § 114 VwGO sei festzustellen, dass auch die These der Teilanwendbarkeit, sei es in Bezug auf den Erlaubnisvorbehalt oder in Bezug auf die Teilanwendung sonstiger Normen, weder mit Verfassungs- noch mit Gemeinschaftsrecht vereinbar sei. Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 21. Juli 2011 den Bescheid des Beklagten vom 10. November 2010 mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Bescheid des Landratsamts D. vom 10. November 2010 sei rechtmäßig. Das Landratsamt habe sein Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Die vollständige Untersagung der Vermittlungstätigkeit der Klägerin unter Berufung auf den Erlaubnisvorbehalt sei nach wie vor gerechtfertigt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Behördenakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen und der Sitzungsniederschrift vom 25. Juni 2012 verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet. Das angefochtene Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 21. Juli 2011 ist abzuändern und der Bescheid des Beklagten vom 10. November 2010 mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben.

1. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die von der Klägerin erhobene Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO), mit der sie die Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 10. November 2010 mit Wirkung für die Vergangenheit begehrt.

2. Die Anfechtungsklage ist zulässig, denn der Bescheid hat sich nicht erledigt.

Bei der mit der Klage angegriffenen Untersagungsverfügung einschließlich der mit ihr verbundenen Einstellungsverfügung, der insoweit aber kein eigenständiger Regelungsgehalt zukommt (Nrn. 1, 2 und 4 des Bescheids vom 10.11.2010) handelt es sich um einen Dauerverwaltungsakt. Das in der Untersagungsverfügung enthaltene Unterlassungsgebot weist insofern Dauerwirkung auf, als es wirkt, wie wenn es fortwährend neu erlassen würde und das die Unterlassungspflicht begründende Verwaltungsrechtsverhältnis für den jeweils aktuellen Zeitpunkt konkretisierte. Dies hat zur Folge, dass der in der Untersagungsverfügung liegende Dauerverwaltungsakt sich fortlaufend für den jeweils vergangenen Zeitraum durch Zeitablauf erledigt, soweit von ihm für die jeweils vergangenen Zeiträume für die Klägerin keine nachteiligen Wirkungen mehr ausgehen (vgl. BayVGH vom 26.6.2012 Az. 10 BV 11.1936 m.w.N.).

Wegen der fortlaufenden Erledigung eines solchen Dauerverwaltungsakts für die Vergangenheit erweist sich die Anfechtungsklage regelmäßig nur noch für die Zukunft als zulässig, während der Kläger für vergangene Zeiträume zu einer Fortsetzungsfeststellungsklage übergehen kann. Im vorliegenden Fall dagegen hat die Klägerin zu Recht ihre Anfechtungsklage nicht durch eine Fortsetzungsfeststellungsklage ersetzt, sondern ist insoweit zulässigerweise bei ihrer Anfechtungsklage geblieben. Denn die hier angefochtene Untersagungsverfügung hat sich für den jeweils vergangenen Zeitraum nicht durch Zeitablauf erledigt, da von ihr für die Vergangenheit noch nachteilige Wirkungen für die Klägerin ausgehen und diese deshalb insoweit noch beschwert ist.

Eine Beschwer für die Klägerin liegt darin, dass das mit dem angefochtenen Bescheid vom 10. November 2010 für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die in Nr. 1 des Bescheids enthaltene Untersagungsanordnung angedrohte Zwangsgeld in Höhe von 5.000,- Euro für fällig erklärt und auch beigetrieben worden ist. Damit hat aber die Untersagungsverfügung für die Klägerin, soweit sie sich auf die Vergangenheit bezieht, weiterhin nachteilige Wirkungen. Denn sie bildet die rechtliche Grundlage für die auf sie bezogene Zwangsgeldandrohung, die ihrerseits als Leistungsbescheid im Sinne von Art. 23 Abs. 1 VwZVG (Art. 31 Abs. 3 Satz 2 VwZVG) den Rechtsgrund für das von der Klägerin entrichtete Zwangsgeld darstellt. Im Hinblick darauf, dass sie der Rechtsgrund für die Zwangsgeldzahlung durch die Klägerin ist, hat sich schließlich auch die Zwangsgeldandrohung ihrerseits nicht erledigt. Denn solange sie Bestand hat, kann die Klägerin das von ihr entrichtete Zwangsgeld von der Beklagten nicht zurückerhalten.

Zu Recht hat die Klägerin die Aufhebung des streitbefangenen Bescheids klarstellend nur mit Wirkung für die Vergangenheit beantragt. Denn der Bevollmächtigte der Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung am 25. Juni 2012 ausdrücklich erklärt, die Klägerin werde in der streitgegenständlichen Betriebsstätte M. Straße 1 in D. den Sportwettenbetrieb endgültig nicht mehr aufnehmen. Für die Zukunft hätte die Klägerin deshalb kein Rechtsschutzbedürfnis für ein Aufhebungsbegehren mehr. Sie durfte daher dementsprechend die Klage auf Aufhebung des Bescheids mit Wirkung für die Vergangenheit beschränken.

3. Die Anfechtungsklage ist begründet, weil der Bescheid vom 10. November 2010 sowohl hinsichtlich der Untersagungsverfügung (einschließlich der Einstellungsverfügung) als auch hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung rechtswidrig ist. Die Untersagungsverfügung hat zwar in § 9 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 Nr. 3 GlüStV eine Rechtsgrundlage (3.1.), erweist sich aber als ermessensfehlerhaft (3.2.).

3.1. § 9 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 Nr. 3 GlüStV kann zunächst weiterhin als Rechtsgrundlage für glücksspielrechtliche Untersagungsverfügungen herangezogen werden. Der Glücksspielstaatsvertrag ist zwar gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 GlüStV mit Ablauf des vierten Jahres nach seinem Inkrafttreten und damit zum 31. Dezember 2011 außer Kraft getreten. Mit Ausnahme der §§ 26, 28 und 29 GlüStV bleiben seine Regelungen aber gemäß Art. 10 Abs. 2 AGGlüStV bis zum Inkrafttreten eines neuen Staatsvertrages (des zum 1. Juli 2012 in Kraft tretenden Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrags, GVBl S. 318) als Landesgesetz in Kraft.

Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 GlüStV hat die Glücksspielaufsicht die Aufgabe, die Erfüllung der nach dem Glücksspielstaatsvertrag bestehenden oder auf seiner Grundlage begründeten öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen zu überwachen sowie darauf hinzuwirken, dass unerlaubtes Glücksspiel und die Werbung hierfür unterbleiben. Das Landratsamt als die nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 AGGlüStV zuständige Behörde kann nach § 9 Abs. 1 Satz 2 GlüStV die zur Erfüllung dieser Aufgabe erforderlichen Anordnungen im Einzelfall erlassen. Insbesondere kann es nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV die Veranstaltung, Durchführung und Vermittlung unerlaubter Glücksspiele untersagen. Die Untersagungsvoraussetzungen waren erfüllt.

Die Klägerin vermittelte in ihrer Betriebsstätte in D., M. Str. 1, Sportwetten. Diese sind nach § 3 Abs. 1 Satz 3 GlüStV Glücksspiele (vgl. etwa BayVGH vom 12.01.2012 Az. 10 BV 10.2271 <juris> RdNr. 21; BayVGH vom 12.01.2012 Az. 10 BV 10.2505 <juris> RdNr. 29). Da bei einem grundsätzlich jedermann zugänglichen Wettbüro, wie die Klägerin es betrieb, eine Teilnahmemöglichkeit für einen größeren, nicht geschlossenen Personenkreis besteht, lag bei den dort vermittelten Sportwetten nach § 3 Abs. 2 GlüStV außerdem öffentliches Glücksspiel vor (vgl. BayVGH vom 27.01.2012 Az. 10 CS 11.2158 <juris> RdNr. 21; BayVGH vom 27.03.2012 Az. 10 CS 11.2406 <juris> RdNr. 22).

Dieses war schließlich auch unerlaubt. Öffentliche Glücksspiele dürfen nach § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV nur mit Erlaubnis der zuständigen Behörde des jeweiligen Landes veranstaltet oder vermittelt werden. Über eine Erlaubnis zur Vermittlung von Sportwetten verfügte die Klägerin jedoch nicht, so dass es sich bei den von ihr vermittelten Sportwetten nach der Legaldefinition des § 4 Abs. 1 Satz 2 GlüStV um unerlaubtes Glücksspiel handelte. Eine Erlaubnis, die dem Sportwettveranstalter, dessen Wetten die Klägerin vermittelte, in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erteilt worden war, änderte daran nichts. Denn sie konnte die nach § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV erforderliche Erlaubnis der bayerischen Behörden nicht ersetzen (vgl. BayVGH vom 12.01.2012 Az. 10 BV 10.2271 <juris> RdNr. 21; BayVGH vom 12.01.2012 Az. 10 BV 10.2505 <juris> RdNr. 29; BayVGH vom 27.01.2012 Az. 10 CS 11.2158 <juris> RdNr. 22; BayVGH vom 18.12.2008 Az. 10 BV 07.558 <juris> RdNrn. 30 ff.; BayVGH vom 21.03.2011 Az. 10 AS 10.2499 <juris> RdNr. 23; BVerwG vom 24.11.2010 Az. 8 C 15.09 <juris> RdNr. 21; EuGH vom 08.09.2010 Rs. C-316/07 u.a. – Markus Stoß u.a. – <juris> RdNrn. 110 ff.).

Die von der Klägerin vermittelten Sportwetten waren auch nicht deshalb kein unerlaubtes Glücksspiel, weil der in § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV geregelte Erlaubnisvorbehalt unionsrechtswidrig und deshalb wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts unanwendbar gewesen wäre.

Der Senat hat zwar entschieden, dass die das staatliche Sportwettenmonopol normierenden Bestimmungen (§ 10 Abs. 2 und 5 GlüStV) gegen die unionsrechtlichen Grundfreiheiten der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV und der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV verstoßen. Denn diese Regelungen genügen nicht den Anforderungen an eine zulässige Beschränkung dieser Grundfreiheiten, weil sie die Ziele, denen das Monopol dient, insbesondere die Verhinderung und Bekämpfung von Spiel- und Wettsucht (§ 1 GlüStV), nicht in kohärenter und systematischer Weise verfolgen und sich deshalb als unverhältnismäßig erweisen (vgl. BayVGH vom 12.01.2012 Az. 10 BV 10.2271 <juris> RdNrn. 25 ff.; BayVGH vom 12.01.2012 Az. 10 BV 10.2505 <juris> RdNrn. 33 ff.; BayVGH vom 24.01.2012 Az. 10 BV 10.2665 <juris> RdNr. 34; BayVGH vom 17.02.2012 Az. 10 BV 11.482 <juris> RdNrn. 35 ff.; BayVGH vom 17.02.2012 Az. 10 BV 11. 483 <juris> RdNrn. 34 ff.; BayVGH vom 21.03.2011 Az. 10 AS 10.2499 <juris> RdNrn. 25 ff.; BayVGH vom 23.03.2011 Az. 10 AS 10.2448 <juris> RdNrn. 24 ff.; BayVGH vom 01.04.2011 Az. 10 AS 10.2500 <juris> RdNr. 25; BayVGH vom 19.07.2011 Az. 10 CS 10.1923 <juris> RdNr. 39).

Wie der Senat ebenfalls entschieden hat, erfasst der unionsrechtliche Anwendungsvorrang aber nur das staatliche Sportwettenmonopol und nicht auch den in § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV geregelten Erlaubnisvorbehalt. Dieser besteht vielmehr unabhängig von der Wirksamkeit des Monopols (vgl. BVerwG vom 24.11.2010 Az. 8 C 13/09 <juris> RdNrn. 73 ff.; BayVGH vom 24.01.2012 Az. 10 BV 10.2665 <juris> RdNr. 35; BayVGH vom 12.01.2012 Az. 10 BV 10.2271 <juris> RdNr. 54; BayVGH vom 12.01.2012 Az. 10 BV 10.2505 <juris> RdNr. 62; BayVGH vom 20.09.2011 Az. 10 BV 10.2449 <juris> RdNr. 18; BayVGH vom 21.03.2011 Az. 10 AS 10.2499 <juris> RdNrn. 30 ff.).

Der Erlaubnisvorbehalt genügt außerdem, wie der Senat bereits festgestellt hat, den unionsrechtlichen Anforderungen an eine derartige nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (jetzt: Gerichtshof der Europäischen Union) grundsätzlich zulässige Regelung (vgl. EuGH vom 08.09.2010 Rs. C-46/08 – Carmen Media – <juris> RdNrn. 82 ff., insbesondere 87 f.), weil das im Glücksspielstaatsvertrag normierte System der vorherigen Erlaubnis auf objektiven, nicht diskriminierenden und im voraus bekannten Erlaubniskriterien beruht (§ 4 GlüStV in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 und 2 AGGlüStV) und eine rechtsstaatlichen Anforderungen genügende effektive verwaltungsgerichtliche Kontrolle gewährleistet (vgl. BayVGH vom 24.01.2012 Az. 10 BV 10.2665 <juris> RdNr. 36; BayVGH vom 23.01.2012 Az. 10 CS 11.923 <juris> RdNr. 28; BayVGH vom 20.09.2011 Az. 10 BV 10.2449 <juris> RdNr. 18; BayVGH vom 21.03.2011 Az. 10 AS 10.2499 <juris> RdNr. 32; in diesem Sinne auch VGH BW vom 20.01.2011 Az. 1685/10 <juris> RdNr. 9; SächsOVG vom 04.01.2011 Az. 3 B 507/09 <juris> RdNr. 5 sowie NdsOVG vom 11.11.2010 11 MC 429/10 <juris> RdNr. 25).

Der in § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV enthaltene Erlaubnisvorbehalt und das damit verbundene Verbot des Vermittelns und der Veranstaltung von Glücksspielen ohne die erforderliche Erlaubnis gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 GlüStV stellen schließlich auch einen verfassungsrechtlich zulässigen, weil verhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) dar. Denn dieser Eingriff ist, wie das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden hat, geeignet und erforderlich, das Ziel der Verhinderung und Bekämpfung der Spielsucht (vgl. § 1 GlüStV) zu erreichen, und insoweit auch verhältnismäßig (vgl. BVerfG vom 14.10.2008 Az. 1 BvR 928/08 <juris> RdNrn. 11 ff.; BVerwG vom 24.11.2010 Az. 8 C 13.09 <juris> RdNrn. 28 ff.; BayVGH vom 24.01.2012 Az. 10 BV 10.2665 <juris> RdNr. 37; BayVGH vom 23.01.2012 Az. 10 CS 11.923 RdNr. 29).

3.2. Auch wenn die Klägerin damit Sportwetten ohne die erforderliche Erlaubnis vermittelt und damit die Tatbestandsvoraussetzungen von § 9 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 Nr. 3 GlüStV erfüllt hat, ist die vollständige Untersagung der Veranstaltung, Durchführung und Vermittlung von Sportwetten in der Betriebsstätte der Klägerin in D. durch die Nrn. 1 und 2 des Bescheids rechtswidrig. Denn sie ist ermessensfehlerhaft.

Zwar ist der Beklagte zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei der Untersagung der Annahme, Vermittlung und Veranstaltung von Sportwetten nach § 9 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 Nr. 3 GlüStV um eine Ermessensentscheidung handelt. Seine Ermessensausübung stellt jedoch einen Ermessensfehlgebrauch dar, weil der Beklagte ihr eine unzutreffende Rechtslage zugrunde gelegt hat.

Der Beklagte hat seine Ermessensentscheidung damit begründet, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Unterbindung der illegalen Tätigkeit das Interesse der Klägerin am weiteren Betrieb des Wettbüros überwiege. Die Vermittlung von Sportwetten sei nämlich bereits wegen der formellen Illegalität zu untersagen. Unabhängig von der nach wie vor bestehenden Erlaubnispflichtigkeit sei die Vermittlung von Sportwetten durch private Veranstalter aber weiterhin nicht erlaubnisfähig. Die Erlaubnis sei nämlich zu versagen, wenn das Veranstalten oder das Vermitteln von Glücksspielen den Zielen des § 1 GlüStV zuwiderlaufe. Der Glücksspielstaatsvertrag mit dem Staatsmonopol setze Rahmenbedingungen unter anderem im Bereich der Sportwetten und trage in ganz erheblichem Maße zur Suchtprävention und effektiven Suchtbekämpfung bei. Auch in der Spielverordnung seien Regelungen zum Spielerschutz enthalten. Diese seien bei den aktuellen Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union aber nicht berücksichtigt. Die Untersagung der weiteren Vermittlung von Sportwetten entspreche auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. In seinem Schriftsatz vom 1. Februar 2011 an das Verwaltungsgericht (Bl. 126 der VG-Akte) beruft sich der Beklagte darauf, dass der Erlaubnisvorbehalt ein wichtiges Instrument zur Verfolgung der Ziele des Glücksspielstaatsvertrages sei. Er diene nicht allein der Sicherung des Monopols, sondern solle gewährleisten, dass das angebotene Glücksspiel nur auf eine mit der gesellschaftlichen Ordnung im Einklang stehende Art und Weise durchgeführt werde. Zwar stelle die Untersagung einen erheblichen Eingriff in die Berufsfreiheit aus Art. 12 GG dar, jedoch überwiege das öffentliche Interesse, insbesondere der Schutz der Bevölkerung vor Suchtgefahren und der Jugendschutz.

Es bestehen danach bereits Zweifel, ob der Beklagte überhaupt eine Ermessensentscheidung getroffen hat. Er hat sich nämlich weder mit den Einzelheiten des Sachverhalts auseinandergesetzt noch eine tatsächliche Abwägung zwischen den öffentlichen und den privaten Interessen getroffen. Vielmehr ist er davon ausgegangen, dass die Vermittlung von Sportwetten bereits wegen der formellen Illegalität zu untersagen ist und die Vermittlung von Sportwetten durch private Veranstalter auch weiterhin nicht erlaubnisfähig ist. Weiter führt er aus, dass eine Erlaubnis zu versagen ist, wenn das Vermitteln des Glücksspiels den Zielen des § 1 zuwiderläuft. Nach Ansicht des Beklagten können diese Ziele nur über das Staatsmonopol verwirklicht werden. Damit stützt der Beklagte aber die Untersagungsverfügung maßgeblich auf das in § 10 Abs. 2 und 5 GlüStV verankerte Sportwettenmonopol und legt seiner Ermessensentscheidung damit eine unzutreffende Rechtsgrundlage zugrunde. Denn das Sportwettenmonopol war und ist wegen des Vorrangs des Unionsrechts unanwendbar.

Wie oben ausgeführt hat der Senat bereits entschieden, dass die das Monopol begründenden Regelungen in § 10 Abs. 2 und 5 GlüStV gegen die unionsrechtlichen Grundfreiheiten der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV und der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV verstoßen, weil sie die Ziele, denen das Monopol dient, insbesondere die Verhinderung und Bekämpfung von Spiel- und Wettsucht (§ 1 GlüStV), nicht in kohärenter und systematischer Weise verfolgen und sich deshalb als unverhältnismäßig erweisen. Daran hält der Senat weiter fest. Wie er in mehreren Berufungsurteilen ausführlich dargelegt hat, können die mit dem in § 10 Abs. 2 und 5 GlüStV enthaltenen staatlichen Sportwettenmonopol verbundenen Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV im Hinblick auf die Regelungen des Glücksspiels im Bereich der gewerblichen Geldspielautomaten und deren konkrete Anwendungsmodalitäten nicht mehr als gerechtfertigt angesehen werden (vgl. BayVGH vom 12.01.2012 Az. 10 BV 10.2271 <juris> RdNrn. 25 ff.; BayVGH vom 12.01.2012 Az. 10 BV 10.2505 <juris> RdNrn. 33 ff.; BayVGH vom 17.02.2012 Az. 10 BV 11.482 <juris> RdNrn. 35 ff.; BayVGH vom 17.02.2012 Az. 10 BV 11. 483 <juris> RdNrn. 34 ff.). Art. 56 AEUV ist dabei auch auf die Vermittlung von Sportwettangeboten durch die Klägerin als konkrete Einzelheit der grenzüberschreitenden Erbringung von Wettdienstleistungen bei Sportereignissen anwendbar (vgl. EuGH vom 08.09.2011 Rs. C-316/07 u.a. – Markus Stoß u.a. – <juris> RdNr. 56; EuGH vom 06.11.2003 Rs. C-243/01 – Gambelli – <juris> RdNr. 58; EuGH vom 24.03.1994 Rs. C-275/92 – Schindler – <juris> RdNr. 22).

An einem Ermessensfehler fehlt es auch nicht deshalb, weil das Ermessen auf Null reduziert und daher nur die im Bescheid vom 10. November 2010 enthaltene Untersagungsverfügung ermessensgerecht und damit rechtmäßig wäre. Auch ein Fall des sog. intendierten Ermessens liegt hier nicht vor. Die Grundsätze über das gelenkte bzw. intendierte Ermessen sind nur in den Fällen anwendbar, in denen eine ermessenseinräumende Vorschrift dahin auszulegen ist, dass sie für den Regelfall von einer Ermessensausübung in einem bestimmten Sinne ausgeht, so dass dann besondere Gründe vorliegen müssen, um eine gegenteilige Entscheidung zu rechtfertigen (vgl. BVerwG vom 16.6.1997 Az. 3 C 22/96 <juris> RdNr. 14). In diesen Fällen versteht sich das Ergebnis der Abwägung von selbst, so dass es insoweit keiner das Selbstverständliche darstellenden Begründung bedarf. Ein solcher Fall läge etwa dann vor, wenn die Monopolbestimmungen des § 10 Abs. 5 i.V.m. § 10 Abs. 2 GlüStV weiterhin anwendbar wären, wovon der Beklagte ganz offensichtlich nach wie vor ausgeht. Damit dreht sich aber seine Argumentation im Kreis, wenn er einerseits der Auffassung ist, die Untersagungsverfügung wäre auch ohne Weitergeltung des staatlichen Sportwettenmonopols rechtmäßig, zugleich aber mit Blick auf § 1 GlüStV offensichtlich im Rahmen seiner „Ermessenserwägungen“ immer zum Ergebnis gelangt, dass kein privater Wettanbieter Sportwetten ordnungsgemäß vermitteln und veranstalten kann und lediglich der Freistaat Bayern dazu in der Lage ist.

Unabhängig davon, dass sich der Beklagte in Wirklichkeit immer noch auf das staatliche Sportwettenmonopol stützt, um die streitbefangene Untersagungsverfügung zu begründen, findet auch eine ergebnisoffene Ermessensprüfung nicht statt. Zwar wird behauptet, es sei im Bescheid Ermessen fehlerfrei ausgeübt worden, das sich an § 1 GlüStV sowie an Art. 2 Abs. 3 AGGlüStV orientiert habe. Jedoch fand dort letztendlich weder eine zumindest rudimentäre Überprüfung der materiellen Erlaubnisvoraussetzungen statt noch ist in einer für den Verwaltungsgerichtshof auch nur ansatzweise nachvollziehbaren Weise (vgl. Art. 39 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 BayVwVfG) zu erkennen, von welchen Gesichtspunkten die Behörde bei der angeblichen Ermessensbetätigung ausgegangen ist, geschweige denn, dass sie sich mit den konkret in Rede stehenden Rechtspositionen und den widerstreitenden Interessen auseinander gesetzt hat. Im Übrigen hat der Senat bereits entschieden (vgl. u.a. BayVGH vom 12. Juni 2012 Az. 10 B 10.2959 RdNr. 41), dass der fortbestehende Erlaubnisvorbehalt eine vollständige Untersagung der Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten nur bei fehlender Erlaubnisfähigkeit rechtfertigt. Zudem kommen bei Zweifeln über die Beachtung von Vorschriften über die Art und Weise der Gewerbetätigkeit statt einer vollständigen Untersagung zunächst Nebenbestimmungen in Betracht (vgl. zuletzt BayVGH vom 12.6.2012 Az. 10 B 10.2959 unter Hinweis auf BayVGH vom 24.4.2012 Az. 10 BV 11.2770 <juris> RdNr. 75 m.w. Rspr.-Nachweisen).

Nach alledem war der Bescheid des Beklagten vom 10. November 2010 wie beantragt mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO); das Bundesverwaltungsgericht hat durch Beschlüsse vom 24. Mai 2012 (8 B 33.12, 8 B 28.12 und 8 B 29.12) in drei Parallelverfahren die Entscheidungen des Senats über die Nichtzulassung der Revision aufgehoben und die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 20.000,- Euro festgesetzt.

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