SG Aachen, Beschluss vom 25.09.2012 - S 6 U 210/12
Fundstelle
openJur 2012, 125010
  • Rkr:
Tenor

1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche gegen die Beitragsbescheide vom 22.05.2012 wird abgelehnt. 2. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens. 3. Der Streitwert wird endgültig auf 663,32 Euro festgesetzt.

Gründe

I. Die Antragsteller begehren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Widersprüche gegen von der Antragsgegnerin erlassene Beitragsbescheide.

Die Antragsteller führten in Eigenregie umfangreiche Umbauarbeiten an ihrem Einfamilienhaus im U-weg 33 in 0000 T. durch. Die von der Antragsgegnerin veranlasste Bauherrenauskunft weist den 01.04.2009 als Datum des Baubeginns sowie u.a. die Durchführung von Elektroarbeiten, Estrich- und Fliesenarbeiten sowie den Innenausbau und die Durchführung von Malerarbeiten als Eigenbauarbeiten unter Mitwirkung von zwei Bauhelfern, nämlich des Schwiegervaters und des Schwiegersohnes des Antragstellers zu 2), aus. Vom Baubeginn bis 31.07.2009 gaben die Antragsteller 195 Helferstunden durch den Schwiegersohn und Schwiegervater des Antragstellers zu 2) an. Vom 01.08.2009 bis 30.11.2009 weitere 130 Helferstunden (unter Berücksichtigung eines Ruhens der Baumaßnahme vom 02. bis 30.11.2009). Für die Zeit vom 01.12. bis 31.12.2009 wurden 56 Helferstunden, für die Zeit vom 01.01. bis 31.03.2010 insgesamt 196 Helferstunden, für die Zeit vom 01.04. bis 31.07.2010 insgesamt 204 Helferstunden, für die Zeit vom 01.08. bis 30.11.2010 insgesamt 146 Helferstunden, für die Zeit vom 01.12. bis 31.12.2010 rund 28 Helferstunden, für die Zeit vom 01.01. bis 31.03.2011 insgesamt 124 Helferstunden, für die Zeit vom 01.04. bis 31.07.2011 rund 102 Helferstunden und für die Zeit vom 01.08. bis 30.11.2011 insgesamt 180 Helferstunden gemeldet. Mit Bescheiden vom 22.05.2012 setzte die Beklagte die Beiträge für nicht gewerbsmäßige Bauarbeiten für die Zeit vom 01.04. bis 31.07.2009 auf 359,32 Euro, für die Zeit vom 01.08. bis 30.11.2009 auf 239,55 Euro, für die Zeit vom 01.12. bis 31.12.2009 auf 103,19 Euro, für die Zeit vom 01.01. bis 31.03.2010 auf 388,35 Euro, für die Zeit vom 01.04. bis 31.07.2010 auf 404,21 Euro, für die Zeit vom 01.08. bis 30.11.2010 auf 289,28 Euro, für die Zeit vom 01.12. bis 31.12.2010 auf 55,48 Euro, für die Zeit vom 01.01. bis 31.03.2011 auf 248,58 Euro, für die Zeit vom 01.04. bis 31.07.2011 auf 204,48 Euro und für die Zeit vom 01.08. bis 30.11.2011 auf 360,84 Euro fest. Die Antragsteller legten am 09.07.2012 Widerspruch ein und begehrten die Aussetzung der Vollziehung der Beitragsbescheide. Zur Begründung führten sie aus, bei den Bauhelfern handele es sich um Familienangehörige und damit um unentgeltliche Mitarbeit von Verwandten, welche nicht zu einer Versicherungs- und Beitragspflicht in der Gesetzlichen Unfallversicherung führe. Die Antragsgegnerin führte aus, grundsätzlich bestehe eine Versicherungspflicht auch für unentgeltlich tätige Bauhelfer. Lediglich in Fällen unversicherter Gefälligkeitsleistungen unter Verwandten entfalle eine Versicherungspflicht. Eine Abgrenzung sei anhand sämtlicher Umstände wie Art, Umfang und Zeitdauer der Helfertä-tigkeit zu treffen. Angesichts der insgesamt nachgewiesenen 1.361 Helferstunden, welche von lediglich zwei Bauhelfern geleistet wurden, sei nicht mehr von einer unversicherten Gefälligkeitsleistung auszugehen. Mit Schreiben vom 13.07.2012 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung der Beitragsbescheide vom 22.05.2012 ab. Zur Begründung führte sie aus, es bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Bescheide.

Am 08.08.2012 haben sich die Antragsteller an das Gericht gewandt und Eilrechtsschutz begehrt. Zur Begründung haben sie auf ein Urteil des SG Düsseldorf vom 09.12.2008 (Az. S 6 U 119/06) sowie auf ein Urteil des bayerischen LSG vom 28.05.2008 (L 2 U 28/08) verwiesen. Auch sei angesichts der engen verwandtschaftlichen Beziehungen zu den Bauhelfern von einer verwandtschaftlichen Gefälligkeitsleistung auszugehen, welche nicht zu einer Versicherungspflicht in der Gesetzlichen Unfallversicherung führe. Zudem habe sich der Antragsteller zu 2) einer stationären Behandlungsmaßnahme unterziehen müssen. Ohne diese Erkrankung des Bauherrn hätten sich die Hilfstätigkeiten lediglich auf jeweils etwa 300 Helferstunden summiert.

Die Antragsteller begehren ihrem schriftsätzlichen Vorbringen nach sinngemäß, die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche gegen die Beitragsbescheide vom 22.05.2012 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen.

Sie hält an ihrer Auffassung fest.

Hinsichtlich der weiteren wesentlichen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin verwiesen, die bei der Entscheidung vorgelegen hat.

II. Der Antrag ist nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Denn die Widersprüche der Antragsteller haben gemäß § 86a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 SGG keine aufschiebende Wirkung.

Der zulässige Antrag ist jedoch unbegründet.

Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Da der vom Gesetz vorgesehene Regelfall in diesen Konstellationen die sofortige Vollziehbarkeit der behördlichen Entscheidung ist, bedarf es gewichtiger Gründe, um durch gerichtliche Anordnung die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen. Maßstab hierfür sind die Kriterien des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG (vgl. nur LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11.09.2006 – L 5 (3) B 10/06 R ER; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 86b Rdnr. 12b).

Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs war der Antrag abzulehnen, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG nicht vorliegen. Denn weder bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verwaltungsakte (dazu unter 1.), noch ist ersichtlich, dass die Vollziehung eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (dazu unter 2.).

1. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verwaltungsentscheidung bestehen dann, wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs wahrscheinlicher ist, als der Misserfolg (vgl. nur Wehrhahn, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, § 86b Rdnr. 46 m.w.N.). Dies ist jedoch vorliegend nicht der Fall, denn die Entscheidungen der Antragsgegnerin sind nicht zu beanstanden.

Rechtsgrundlage für die angefochtenen Beitragsbescheide der Antragsgegnerin ist § 168 Abs. 1 und 4 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII).

Die Voraussetzungen der Rechtsgrundlage liegen vor. Die Antragsteller sind als Unternehmer nach §§ 150 Abs. 1 Satz 1, 136 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 1 SGB VII auch für die Versicherten beitragspflichtig, die für das Unternehmen nicht gewerbsmäßiger Bauarbeiten (§ 168 Abs. 4 SGB VII) tätig sind. Entgegen der Auffassung der Antragsteller ist der als Bauhelfer tätige Schwiegervater und auch der als Bauhelfer tätige Schwiegersohn des Antragstellers zu 2) in der Gesetzlichen Unfallversicherung versichert. Eine Versicherungspflicht dieser Bauhelfer folgt aus § 2 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII. Danach sind Personen in der Gesetzlichen Unfallversicherung versichert, die wie Beschäftigte tätig werden. Eine solche "Wie-Beschäftigung" setzt voraus, dass eine ernstliche, einem fremden Unternehmen dienende, dem Willen des Unternehmers entsprechende Tätigkeit vorliegt, die ungeachtet des Beweggrundes des Tätigwerdens ihrer Art nach sonst von einer Person verrichtet werden könnte, welche in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis steht (Bayerisches LSG, Urteil vom 28.05.2008 – L 2 U 28/08 = juris, m.w.N.). Unter Verwandten oder Freunden vorgenommene Gefälligkeitsdienste bzw. -handlungen schließen den Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII lediglich dann aus, wenn diese ihr gesamtes Gepräge durch die familiären Bindungen zwischen den Angehörigen erhalten. Je enger die verwandtschaftliche Beziehung ist, umso eher erscheint die Annahme gerechtfertigt, dass es sich um Gefälligkeitsdienste handelte, die ihr Gepräge allein durch die familiären Beziehungen erhalten und deshalb nicht mehr als arbeitnehmerähnlich angesehen werden können. Dabei sind die Stärke der tatsächlichen verwandtschaftlichen Beziehungen und die gesamten Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere Art, Umfang und Zeitdauer der vorgesehenen Tätigkeit (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 02.03.20007 – L 4 U 47/06 = juris Rndr. 31; BSG, Urteil vom 29.09.1992 – 2 RU 46/91 = juris; ähnlich Bayerisches LSG, a.a.O., Rdnr. 19 f.). Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben sind der Schwiegervater und auch der Schwiegersohn des Antragstellers zu 2) im Rahmen ihrer Tätigkeit für das Unternehmen der Antragsteller als versicherte Wie-Beschäftigte anzusehen. Die Kammer gründet ihre Überzeugung insbesondere auf den Umstand, dass diese beiden Bauhelfer insgesamt 1.361 Helferstunden absolviert haben. Dies spricht, zumal insgesamt lediglich zwei Helfer tätig waren, für eine umfangreiche Tätigkeit von längerer Dauer, welche über die unter Verwandten üblichen Gefälligkeits- oder Hilfsdienste deutlich hinausgeht. Hierbei verkennt das Gericht nicht, dass eine feste Stundengrenze, ab deren Erreichen nicht mehr von einer Gefälligkeitshandlung auszugehen ist, in der Rechtsprechung nicht existiert (Bayerisches LSG, a.a.O., Rdnr. 20). Im vorliegenden Fall indessen übersteigt der Umfang so deutlich den Umfang üblicher Verwandtschaftsdienste, dass – jedenfalls bei der im Rahmen eines Eilverfahrens allein zu leistenden summarischen Betrachtung – von einer Wie-Beschäftigung auszugehen ist. Soweit die Antragsteller demgegenüber meinen, dass sie sich gegen die Einzelbescheide wehren und deshalb die im Rahmen der einzelnen Beitragsbescheide zu Grunde gelegten Stundenanzahlen für die Beurteilung maßgeblich seien, verkennen sie, dass auf das Gesamtbild der Tätigkeit abzustellen ist. Diese Betrachtungsweise indessen verbietet die künstliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebenssachverhalts in mehrere Tätigkeitsabschnitte, welche jeweils für sich betrachtet nur einen geringen Umfang erreichen und damit gegen das Vorliegen einer Wie-Beschäftigung sprechen. Auch die von den Antragstellern angeführten Entscheidungen des SG Düsseldorf und des Bayerischen LSG zwingen nicht zu einer anderen Betrachtungsweise. Denn diesen Entscheidungen ist gemeinsam, dass die jeweiligen Helfertätigkeiten nicht annähernd den Umfang der Helfertätigkeiten erreicht haben, welcher im vorliegenden Fall gegeben ist. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass es sich bei dem Schwiegervater und Schwiegersohn des Antragstellers zu 2) um enge Verwandte handelt, so dass bezüglich des Umfangs von einem großzügigeren Maßstab auszugehen ist. Auch die von den Antragstellern geltend gemachte eingeschränkte körperliche Verfassung des Antragstellers zu 2) vermag an der Bewertung der Tätigkeit der Bauhelfer nichts zu ändern. Denn selbst wenn man den Ausführungen der Antragsteller Glauben schenkt, bei einem "normal geplanten Ablauf der Baustelle" (d.h. ohne Erkrankung des Bauherrn) sei pro Helfer von höchstens 300 Arbeitsstunden auszugehen, wäre der Umfang einer unter Verwandten üblichen Gefälligkeitsleistung deutlich überschritten.

Was die Höhe der Beiträge und die Berechnung angeht, so ist die Berechnung der Antragsgegnerin, gegen die die Antragsteller im Übrigen substantiierte Einwendungen nicht vorzubringen vermocht haben, zutreffend.

2. Es ist weiter nicht ersichtlich, dass die Vollziehung der Beitragsbescheide für die Antragsteller eine unbillige Härte bedeutet. Das Gesetz meint hiermit eine besondere Härte, die über die "allgemeine", mit jeder Beitragsforderung verbundene Härte hinausgeht - anderenfalls hätte § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG keine Bedeutung, weil die sofortige Vollziehbarkeit von Entscheidungen über Beitragspflichten postwendend wieder in Frage gestellt würde. Eine solche besondere Härte ist in Bezug auf die Antragsteller weder vorgetragen, noch ersichtlich, zumal die Beitragsforderung nicht exorbitant hoch ist, sondern sich auf insgesamt 2.653,28 Euro beläuft.

Die Kostenentscheidung beruht auf analoger Anwendung von § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 4 Gerichtskostengesetz (GKG). Die Kammer hat – da es sich um ein Eilverfahren handelt – im Einklang mit der obergerichtlichen Rechtsprechung ein Viertel des Wertes der streitigen Beitragsgesamtforderung (vgl. nur LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.02.2012 – L 13 R 4441/11 B = juris; Thüringer LSG, Beschluss vom 14.11.2006 – L 6 R 1015/06 ER = juris; ebenso Streitwertkatalog für die Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl. 2012, Abschnitt B. 11.1) angesetzt.

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