VG Ansbach, Beschluss vom 07.08.2012 - AN 8 P 12.00441
Fundstelle
openJur 2012, 123742
  • Rkr:
Tenor

Die Zustimmung des Beteiligten zu 1) zur außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist entsprechend der tarifvertraglichen Bestimmungen für eine ordentliche Kündigung der Beteiligten zu 2) wird ersetzt.

Im Übrigen wird der Antrag abgewiesen.

Gründe

I.

Der Antragsteller ist der Kreisgeschäftsführer des …, Kreisverband …, der Beteiligte zu 1) der Personalrat des Kreisverbandes und die Beteiligte zu 2) Beschäftigte im … und außerdem Mitglied des Beteiligten zu 1).

Der Antragsteller begehrt die Zustimmung des Beteiligten zu 1) zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 2) zu ersetzen.

Die Beteiligte zu 2) ist am …geboren, ledig und hat keine Kinder. Seit 1. Juni 1991 ist sie beim Antragsteller, zuletzt als …in Vollzeit beschäftigt.

Mit Schreiben vom 12. März 2012 hat der Antragsteller den Beteiligten zu 1) um Zustimmung der beabsichtigten außerordentlichen fristlosen Kündigung und vorsorglich um Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist des Arbeitsverhältnissen mit der Beteiligten zu 2) gebeten. Der Beteiligte zu 1) hat diese Zustimmungen mit Schreiben vom 15. März 2012 verweigert.

Der Antragsteller trägt vor, dass die Vorgesetzte der Beteiligten zu 2), Frau… sich am 2. März 2012 gegen 16.40 Uhr zur Beteiligten zu 2) begab, um diese zu unterstützen, weil sie erst am zweiten Tag im neuen Wohnbereich WB 3 tätig gewesen sei. Sie habe sie angetroffen, als die Beteiligte zu 2) gerade über der Pflegedokumentation gesessen sei und sie freundlich gefragt, ob sie zurecht komme oder ob sie Fragen habe. Daraufhin habe ihr die Beteiligte zu 2) in provozierendem Ton entgegnet, wann denn die Dokumentation fertig sein solle und dies doch bestimmt nicht in der nächsten Woche sein müsse. Dabei habe sie ihren Unterarm und ihre Hand zur eindeutigen „Stinkefinger“-Geste gegenüber Frau … gehoben. Im Anschluss daran habe Frau … diesen Vorfall der Heimleiterin Frau M. mitgeteilt.

Außerdem verweist der Antragsteller auf eine eidesstattliche Versicherung von Frau … vom 12. März 2002.

Das Verhalten der Beteiligten zu 2) stelle eine massive arbeitsvertragliche Pflichtverletzung und als ehrverletzenden Äußerung regelmäßig einen wichtigen Kündigungsgrund für eine außerordentliche Kündigung dar. Das Zeichen des „Stinkefingers“ gegenüber einem Vorgesetzten sei eine ehrverletzende Äußerung und für sich allein geeignet, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu begründen.

Diese Kündigung sei auch notwendig, ein milderes Mittel, insbesondere eine Abmahnung, sei nicht erforderlich. Die Beteiligte zu 2) sei bereits wegen gleichartiger Vorfälle viermal abgemahnt worden. Insoweit verweist der Antragsteller auf Abmahnungen vom 7. November 2008, 19. November 2009 (zweimal) und 15. März 2011.

Die Beteiligte zu 2) habe auf Grund der einschlägigen Abmahnungen gewusst, dass sie bei einem weiteren gleichgelagerten Fehlverhalten mit dem Ausspruch einer Kündigung rechnen müsse. Auf Grund der Intensität und Massivität des neuerlichen Pflichtverstoßes sei künftig keine Besserung des Verhaltens zu erwarten.

Bei der Anhörung am 12. März 2012 habe die Beteiligte zu 2) gesagt, sie könne sich an nichts erinnern. Sie habe keinen Gebrauch davon gemacht, sich zum Kündigungssachverhalt zu äußern. Die beabsichtigte Kündigung sei daher verhältnismäßig. Falls sie nicht verhältnismäßig sein sollte, sei sie als außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist verhältnismäßig.

Die Uneinsichtigkeit und Beharrlichkeit der Beteiligten zu 2) indiziere die Gefahr eines neuerlichen Fehlverhaltens.

In einem Gespräch mit der Heimleiterin am 3. März 2012 habe sie sich in vorgebeugter Haltung mit erhobenem Zeigefinger und zusammengekniffenen Augen über den Schreibtisch der Heimleiterin gebeugt und gesagt, sie lasse sich von ihr und…nicht weiter gefallen, dass über sie Unwahrheiten verbreitet würden, sie würde zu ihrem Anwalt gehen und Verleumdungsklage einreichen. Als die Heimleiterin sie daraufhin fragte, was sie denn gesagt haben solle, habe die Beteiligte zu 2) in süffisantem Ton entgegnet, dass sie wohl nicht mehr wisse, was sie gesagt habe. Als die Heimleiterin sie auf die Angelegenheit mit dem „Stinkefinger“ angesprochen habe, habe sie in derselben Tonlage wie zuvor gefragt, ob diese denn Zeugen dafür habe.

Bereits am 6. April 2011 habe die Beteiligte zu 2) die Heimleiterin mit den Worten angeschrien: „Sie übertreten hier Gesetz und wissen nicht, was sie dürfen“ … „ich habe Sie bei der Polizei heute angezeigt“. Nachdem das Gespräch sehr laut gewesen sei, sei es von mehreren Bewohnern und Mitarbeitern sowie Angehörigen von Bewohnern gehört worden. Als die Mitarbeiterin Frau… die Beteiligte zu 2) darauf angesprochen habe und ihr gesagt habe, sie könne das doch nicht tun, habe ihr die Beteiligte zu 2) erwidert, dass sie das wohl könne. Auf den Vorhalt, dass man ihr doch kündigen würde, habe sie entgegnet, dass sie unkündbar sei, über 20 Jahre im Haus und im Personalrat.

Außerdem habe die Beteiligte zu 2) Frau … bereits zum wiederholten Male den „Stinkefinger“ gezeigt.

Der Antragsteller habe ein berechtigtes elementares Interesse daran, den Betriebsfrieden innerhalb der Belegschaft gewahrt zu wissen. Es brauche sich kein Arbeitnehmer und schon gar kein Vorgesetzter gefallen lassen, von einem Kollegen den „Stinkefinger“ gezeigt zu bekommen. Erst recht stelle die Wahrung der persönlichen Integrität eines jeden Arbeitnehmers ein unabdingbares Tabu dar. Diese Tabu-Grenze habe die Beteiligte zu 2) überschritten. Die Belegschaft würde kein Verständnis dafür aufbringen, wenn ein solches Fehlverhalten gegenüber einem Vorgesetzten seitens des Arbeitgebers arbeitsrechtlich sanktionslos bliebe. Ein wichtiger Grund für eine außerordentliche fristlose Kündigung liege damit vor. Die Zusammenarbeit mit der Pflegedienstleitung, der Heimleitung und auch mit den anderen Mitarbeitern müsse reibungslos funktionieren.

Der zum Ausspruch der Kündigung berechtigte Kreisgeschäftsführer habe am 6. März 2012 Kenntnis vom Kündigungssachverhalt erlangt.

Der Antragsteller beantragt,

die Zustimmungen des Beteiligten zu 1) zu der beabsichtigten außerordentlichen fristlosen Kündigung der Beteiligten zu 2) zu ersetzen,

hilfsweise, die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist der Beteiligten zu 2) zu ersetzen,

hilfsweise, die Beteiligte zu 2) aus dem beim Antragsteller gebildeten Personalrat auszuschließen.

Der Beteiligte zu 1) beantragt,

die Anträge abzuweisen.

Er lässt ausführen, dass die Beteiligte zu 2) keinen „Stinkefinger“ gezeigt habe. Es sei nicht auszuschließen, dass Frau … eine Arm- bzw. Handbewegung in diesem Sinne gedeutet habe. Die Beteiligte zu 2) sei nämlich tatsächlich über der Pflegedokumentation gesessen, als Frau … ihr über die Schulter sah und gefragt habe, ob sie zurecht komme. Die Beteiligte zu 2) habe dabei einen Stift und die Visitenkarte eines Angehörigen in der rechten Hand gehalten und sich zu Frau … nach rechts umgedreht. Dabei habe sie naturgemäß den rechten Ellenbogen vom Tisch gehoben. Keinesfalls könne sie dabei den Stinkefinger gezeigt haben, sonst hätte sie zuvor die Gegenstände auf den Tisch legen müssen.

Eine Auseinandersetzung zwischen ihr und der Pflegedienstleitung habe stattgefunden, allerdings über die hygienischen Zustände auf den der Beteiligten zu 2) neu überantworteten Wohnbereich. Sie habe daher auf die Frage von Frau … gesagt, dass man dieser wegen der hygienischen Zustände auf der Station eigentlich den „Stinkefinger“ zeigen müsse. Deshalb könne es sein, dass Frau … aus dieser Wortwahl heraus, den erhobenen Unterarm missinterpretiert habe. Im Übrigen habe die Beteiligte zu 2) zu sämtlichen von dem Antragsteller genannten Abmahnungen Gegendarstellungen erhoben. Auch seien die Abmahnungen nicht einschlägig, nachdem es dabei um ganz andere Sachverhalte gegangen sei.

Im Übrigen hätte die Beteiligte zu 2) das Recht gehabt, dass ein Personalratsmitglied ihres Vertrauens zu den Anhörungen hinzugezogen worden wäre.

Die Beteiligte zu 2) beantragt ebenfalls,

die Anträge und Hilfsanträge abzuweisen.

Zur Begründung wird im Wesentlichen das Gleiche wie im Vortrag des Beteiligten zu 1) vorgetragen.

Im Übrigen wird auf sämtliche gewechselten Schriftsätze und wegen der mündlichen Anhörung und der Zeugeneinvernahmen auf die Sitzungsniederschrift vom 7. August 2012 verwiesen.

II.

Der zulässige Antrag ist im Hilfsantrag begründet, im Übrigen unbegründet.

Die Zustimmung des Personalrats zur beabsichtigten Kündigung mit sozialer Auslauffrist war zu ersetzen, weil sie gerechtfertigt ist (Art. 47 Abs. 2 Satz 2 BayPVG).

Die Beteiligte zu 2) genießt den Kündigungsschutz des § 15 Abs. 2 Satz 1 KSchG (Art. 47 Abs. 1 BayPVG), weshalb ihr nur gekündigt werden kann, wenn Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen würden (vgl. § 626 Abs. 1 BGB). Bei der Entscheidung, ob ein derart wichtiger Grund für eine Kündigung vorliegt, sind alle Umstände zu berücksichtigen und die Interessen beider Vertragsteile gegeneinander abzuwägen. Eine außerordentliche Kündigung ist nur zulässig, wenn alle anderen, nach den jeweiligen Umständen des konkreten Falles möglichen und angemessenen Mittel erschöpft sind und die Kündigung die unausweichlich letzte Maßnahme für die Kündigungsberechtigten ist. Ein verhaltensbedingter in der Person des Arbeitnehmers liegender Kündigungsgrund liegt nur bei schuldhaftem, vorwerfbarem Verhalten vor. Bei der Überprüfung, ob eine außerordentliche Kündigung notwendig und erforderlich ist, hat auch eine Interessenabwägung stattzufinden. Stets zu beachten im Rahmen einer Interessenabwägung ist auch die Dauer der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers. Auch ist eine derartige Kündigung nur dann verhältnismäßig, wenn alle anderen, nach den jeweiligen Umständen des konkreten Falles möglichen und angemessenen milderen Mittel erschöpft sind.

Dass das Zeichen des Stinkefingers gegenüber einem Vorgesetzten eine Beleidigung desselben darstellt, ist allgemein anerkannt (vgl. dazu nur ArbG Frankfurt vom 4.6.2003, Az. 6 Ca 11145/02 <juris>).

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts können grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter oder Repräsentanten, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten, einen erheblichen Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis darstellen und eine außerordentliche fristlose Kündigung an sich rechtfertigen (BAG vom 10.10.2002, Az. 2 AZR 418/01; LAG Schleswig-Holstein vom 21.10.2009, Az. 3 Sa 224/09; LAG Rheinland-Pfalz vom 9.2.2012, Az. 10 Sa 342/11 [alle juris]).

Dass die Beteiligte zu 2) der Pflegedienstleiterin und Zeugin Frau … den Stinkefinger gezeigt hat, besteht auf Grund der überzeugenden und nicht in Zweifel zu ziehenden Aussage dieser Zeugin zur Überzeugung der Kammer fest. Die von der Beteiligten zu 2) und dem Beteiligten zu 1) im Verfahren vorgetragenen Entgegnungen zu diesem Sachverhalt erweisen sich nach der überzeugenden Zeugenaussage als bloße und unwahre Schutzbehauptung der Beteiligten zu 2).

Nach dem Schreiben des Antragstellers vom 12. März 2012, mit dem er den Beteiligten zu 1) um Zustimmung zur Kündigung bittet, ist offen, ob der Kündigungssachverhalt nicht nur das zweimalige Zeichen des Stinkefingers gegenüber Frau …, sondern ebenfalls den Vorwurf der Beteiligten zu 2) gegenüber der Heimleiterin und Zeugin Frau M., diese habe die Unwahrheit über sei verbreitet und sie werde deshalb Verleumdungsklage einreichen vom 3. März 2012 sowie den Vorfall vom 6. April 2011, als sie die Heimleiterin Frau M. anschrie, sie übertrete die Gesetze und wisse nicht was sie dürfe, beinhaltet.

Die Kammer behandelt lediglich das Zeigen des Stinkefingers als eigentlichen Grund, der den Entschluss zur beabsichtigten Kündigung auslöste und die anderen Verhalten lediglich als Vorfälle, die zur Untermauerung der Kündigung dienen sollen.

Auch diese beiden Vorfälle bestehen fest auf Grund der äußerst glaubwürdigen Aussagen der Zeugin Frau … und der Zeugin Frau … Gerade auch die Zeugin E. hat einen äußerst glaubwürdigen Eindruck beim Gericht hinterlassen.

Auch der Sachverhalt vom 12. April 2011 könnte sogar in eine Kündigung einbezogen werden und unterläge nicht der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB, da der kündigungsberechtigte Kreisgeschäftsführer erst am 6. März 2012 auch von diesem Sachverhalt offenbar erfahren hat. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt nämlich erst mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von dem für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Kündigungsberechtigt ist diejenige natürliche Person, der im gegebenen Fall das Recht zur Erklärung der außerordentlichen Kündigung zusteht. Dies ist nicht die Heimleiterin oder Personalsachbearbeiterin, sondern nur der Kreisgeschäftsführer. Die Heimleiterin ist als Dritte anzusehen, deren Kenntnis vom Kündigungssachverhalt der Arbeitgeber nur dann zurechnen lassen muss, wenn dessen Stellung im Betrieb nach den Umständen erwarten lässt, er werde den Kündigungsberechtigten über den Kündigungssachverhalt unterrichten. Außerdem muss diese Person nicht nur eine herausgehobene Position und Funktion im Betrieb oder der Verwaltung haben, sondern auch tatsächlich sowie rechtlich in der Lage sein, einen Sachverhalt, der Anhaltspunkte für eine außerordentliche Kündigung bietet, so umfassend klären zu können, dass mit der Meldung dieser Person der Kündigungsberechtigte ohne weitere Erhebungen und Ermittlungen seine Kündigungsentscheidung treffen kann. Dementsprechend muss ein Mitarbeiter in ähnlich selbständiger Stellung sein, wie ein gesetzlicher oder rechtsgeschäftlicher Stellvertreter des Arbeitgebers. Hinzu kommen muss, dass die verspätetet erlangte Kenntnis des Kündigungsberechtigten auf einer unsachgemäßen Organisation des Betriebs oder Verwaltung beruht, obwohl eine andere betriebliche Organisation sachgemäß und zumutbar gewesen wäre (vgl. Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 10. Aufl., RdNrn. 205 und 206 zu § 626 BGB).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Frau M. ist zwar Heimleiterin und ausgebildete Altenpflegerin, sie hat aber keinerlei kaufmännische oder ähnliche verwaltungsmäßige Ausbildung, die sie in die Lage versetzen würde, einen Kündigungssachverhalt tatsächlich sowie rechtlich so zu überblicken, und umfassend klären zu können, dass der eigentliche Kündigungsberechtigte ohne weitere Erhebungen und Ermittlungen seine Kündigungsentscheidung treffen kann. Dies ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass Frau M. auch auf Grund des Vorfalls mit dem Stinkefinger am 2. März 2012 nach ihren Aussagen abwarten wollte, was ihre Vorgesetzten ihr sagen und was sie tun solle. Außerdem wäre es für den Arbeitgeber und dessen eigentlich kündigungsberechtigten Kreisgeschäftsführer unschädlich, wenn Frau …. über den Vorfall am 6. April 2011 hinweggegangen ist, und die Beteiligte zu 2) deshalb noch nicht weiter zur Verantwortung ziehen wollte.

Jedenfalls sind beide Vorfälle in die bei einer personen- und verhaltensbedingten Kündigung zu treffende Prognose einzubeziehen.

Die Verhaltensweisen am 3. März 2012 und 6. April 2011 gegenüber Frau M. stellen ebenfalls eine grobe und ehrverletzende (Vorwurf der Gesetzesübertretung und Vorwurf der Verleumdung) Herabwürdigung einer Vorgesetzten dar.

Auch wenn in der Rechtsprechung anerkannt ist, dass diffamierende und ehrverletzende Äußerungen über Vorgesetzte in vertraulichen Gesprächen unter Arbeitskollegen unter bestimmten Umständen eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht rechtfertigen können, weil der Arbeitnehmer regelmäßig darauf vertrauen dürfe, seine Äußerungen würden nicht nach außen getragen und der Betriebsfrieden nicht gestört bzw. das Vertrauensverhältnis der Arbeitsvertragsparteien nicht zerstört, so sprechen auch die Äußerungen der Beteiligten zu 2) über die Heimleiterin M. („Pferdearsch“) eine eindeutige Sprache.

Auch wenn es auf die Umstände des Einzelfalles und insbesondere die Umstände ankommt, die zu einer Beleidigung geführt haben, so sind die im Kündigungssachverhalt genannten Vorfälle doch als grobe Beleidigung zu werten. Dies selbst dann, wenn man den betrieblichen und branchenüblichen Umgangston, den Bildungsgrad und psychischen Zustand des betroffenen Arbeitnehmers sowie die Gesprächssituation berücksichtigt.

Bei dem Vorfall am 2. März 2012 gab es für die Beteiligte zu 2) überhaupt keinen Anlass, der Pflegedienstleiterin Frau … den Stinkefinger zu zeigen. Sie tat das aus einer ganz normalen Situation heraus, obwohl die Pflegedienstleiterin sie lediglich fürsorglich befragte, ob sie ihr bei ihrer Tätigkeit hilfreich sein könnte. Ähnlich war offenbar auch die Situation beim erstmaligen Zeigen des Stinkefingers.

Gleiches gilt für die Situation, als sie die Heimleiterin M. anbrüllte. Die Teamsitzung, um die es ging, war zu diesem Zeitpunkt schon lange beendet. Die Heimleiterin kam zur Zeugin E. ins Zimmer und es bestand überhaupt kein Anlass für die Beteiligte zu 2) sich vor dieses Zimmer hinzustellen und die Heimleiterin anzubrüllen und ihr Gesetzesübertretungen lautstark vorzuhalten.

Die Beteiligte zu 2) wurde in der Vergangenheit auch wegen vergleichbarer Pflichtverletzungen abgemahnt. Für die Relevanz einer Abmahnung reicht es aus, dass die Pflichtverletzungen unter sich eine Gleichartigkeit aufweisen. Identität der Pflichtverletzungen ist nicht erforderlich (EK, RdNr. 25 zu § 626 BGB). Gleichartige Pflichtverletzungen (Missachtung von Vorgesetzten) betreffen aber die Abmahnungen vom 19. November 2008, in denen der Beteiligten zu 2) erklärt wurde, dass das grundlose Beenden eines sachlich geführten Telefonats am 5. November 2009 gegenüber einer Vorgesetzten ein völlig inakzeptables Verhalten darstellt, das beim Wiederholungsfall gegebenenfalls eine Kündigung nach sich ziehen kann und dass das ebenso für das unangemessene Anschreien einer Pflegedienstleiterin am 4. November 2009 gilt. Beide Abmahnungen betreffen den respektvollen Umgang mit Dienstvorgesetzten. Diese Abmahnungen lagen im März 2012 zwar bereits drei Jahre und vier Monate zurück, sind auf Grund dieses Zeitablaufs jedoch noch nicht zwingend wirkungslos geworden (vgl. BAG vom 10.10.2010, a.a.O.). Die Beteiligte zu 2) konnte weder auf Grund des eingetretenen Zeitablaufs noch auf Grund neuer Umstände daran zweifeln, was der Arbeitgeber von ihr in Zukunft erwartet und wie er gegen weitere Pflichtverstöße vorgehen wird. Keinesfalls konnte die Beteiligte zu 2) in der Folgezeit vermuten, dass der Arbeitgeber solche Diffamierungen und Beschimpfungen von Vorgesetzten weiterhin ohne Sanktionen dulden würde. Von den Vorfällen bezüglich der Heimleiterin hat er schließlich zwischenzeitlich nichts erfahren (siehe oben).

Somit lag ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses vor, weil die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber unzumutbar ist. Das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und der Beteiligten zu 2) ist unwiderruflich zerstört. Das der Beteiligten zu 2) vorgeworfene Verhalten ist auch nicht entschuldbar. Dass sich die Beteiligte zu 2) gegenüber ihren Dienstvorgesetzten aggressiv und respektlos verhalten hat, steht auch für die Kammer außer Zweifel. Die Kammer stellt ausdrücklich klar, dass ein Arbeitgeber ein solches Verhalten nicht sanktionslos hinnehmen muss (vgl. so auch LAG Rheinland-Pfalz vom 9.2.2012, a.a.O., RdNr. 65). Es ist auch davon auszugehen, dass es künftig zu vergleichbaren Vorkommnissen kommen kann und wird. Auch eine Prognose in die Zukunft hinein lässt nicht den Schluss zu, dass die Beteiligte zu 2) in Zukunft einen angemessenen und respektvollen Umgang mit ihren Vorgesetzten pflegen wird. Sie ist offensichtlich nicht bereit, die Autorität ihrer Vorgesetzten in irgendeiner Weise anzuerkennen. Ein derartiges Verhalten braucht sich ein Arbeitgeber im Interesse des Betriebsfriedens nicht bieten zu lassen. Alle anderen, auf den jeweiligen Umständen des konkreten Falls möglichen und angemessenen milderen Mittel, wie zum Beispiel Abmahnungen, sind nach Auffassung der Kammer erschöpft. Insbesondere ist auch zu berücksichtigen, dass die Beteiligte zu 2) gerade als Wohnbereichsleiterin selbst eine gewisse Vorgesetztenfunktion hat und deshalb eine Vorbildfunktion wahrzunehmen hätte und sich nicht zu Beleidigungen und ehrverletzenden Verhalten und Herabwürdigung ihrer Dienstvorgesetzten hinreißen lassen darf.

Nicht tragfähig ist das Argument der Beteiligten zu 1) und 2), die beabsichtigte Kündigung leide unter formalen Fehlern, weil bei der Anhörung der Beteiligten zu 2) kein Mitglied des Personalrats hinzugezogen wurde. Entgegen dieser Auffassung ist in der Literatur und Rechtsprechung eindeutig anerkannt, dass das Recht auf Begleitung durch ein Personalratsmitglied auf die in den § 81 Abs. 1, § 82 Abs. 2, § 83 Abs. 1 und § 84 Abs. 1 BetrVG genannten Gesprächsanlässe beschränkt ist (vgl. Fitting, BetrVG, 26. Aufl. 2012, RdNr. 12 zu § 82).

Im Rahmen der Interessenabwägung war zu berücksichtigen, dass die Beteiligte zu 2) ledig ist und keine Kinder hat. Ebenso war zu berücksichtigen, dass sie in Kürze erst 54 Jahre alt wird und auf Grund der Arbeitsmarktsituation im Pflegesektor keine Schwierigkeiten haben wird, wieder eine Stelle zu bekommen. Auch ihre lange Betriebszugehörigkeit (seit 1.6.1991) konnte im Rahmen der Interessenabwägung nicht dazu führen, dass die beabsichtigte Kündigung als unzulässig eingestuft wird.

Die Tatsache der langen Betriebszugehörigkeit wurde von der Kammer aber dahingehend berücksichtigt, dass der Hauptantrag abgewiesen wurde und die Zustimmung des Beteiligten zu 1) zur außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist entsprechend der tarifvertraglichen Bestimmungen für eine ordentliche Kündigung ersetzt wurde. Der Antragsteller darf das Arbeitsverhältnis der Beteiligten deshalb nur mit einer sozialen Auslauffrist kündigen, die der Frist einer ordentlichen Kündigung unter Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit entspricht.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (Art. 81 Abs. 2 BayPVG; § 80 Abs. 1 ArbGG und § 2 Abs. 2 GKG).

Beschluss

Der Gegenstandswert beträgt 4.000,00 EUR (§ 33 Abs. 1 und 3, § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG).

Gründe

Auf Antrag war der Gegenstandswert festzusetzen (§ 33 Abs. 1 und 2 RVG). Der Gegenstandswert wird nach freiem Ermessen festgesetzt und beträgt in Ermangelung genügender tatsächlicher Anhaltspunkte in der Regel 4.000,00 EUR (§ 23 Abs. 3 Satz 2 RVG).

 

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