ArbG Regensburg, Urteil vom 21.03.2012 - 6 Ca 2438/11
Fundstelle
openJur 2012, 121780
  • Rkr:
Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 905,22 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen etwaigen auf die Klägerin übergegangenen Anspruch auf Entgeltfortzahlung sowie auf Kosten- und Auslagenersatz nach einem zuvor durchgeführten Mahnverfahren.

Die Klägerin ist eine gesetzliche Krankenversicherung, bei der Herr S. versichert ist. Herr S. war ab dem 13.03.2006 bei der Beklagten, die eine Berufsdetektei betreibt, beschäftigt.

Ab dem 11.07.2011 war Herr S. arbeitsunfähig krank. Herr S. und die Beklagte schlossen einen Aufhebungsvertrag, wonach das Arbeitsverhältnis mit Wirkung zum 18.07.2011 ohne Zahlung einer Abfindung endete. Dieser Aufhebungsvertrag wurde Herrn S. von der Beklagten am 18.07.2011 zugeschickt. Herr S. unterzeichnete den Aufhebungsvertrag und schickte ihn am 27.07.2011 an die Beklagte zurück.

Die Klägerin leistete an Herrn S. von 19.07.2011 bis 21.08.2011 Krankengeld i.H.v. insgesamt 895,22 €.

Die Klägerin behauptet, der Aufhebungsvertrag sei auf Veranlassung der Beklagten geschlossen worden. Der Geschäftsführer der Beklagten habe auf die Mitteilung von Herrn S., wonach er nur noch 6 Stunden am Tag arbeiten könne, geantwortet, dass er in diesem Umfang nicht arbeiten könne und daher kündigen solle. Da Herr S. dies abgelehnt habe, sei ihm der Aufhebungsvertrag zugeschickt worden. Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Verpflichtung der Beklagten zur Entgeltfortzahlung an Herrn S. vom Aufhebungsvertrag unberührt blieb. Dieser Anspruch sei auf sie kraft Gesetzes übergegangen.

Die Klägerin hat vor dem Klageverfahren den Erlass eines Mahnbescheides beantragt, in dem die Hauptforderung mit 895,22 €, eine Nebenforderung mit 5,00 € und die Kosten für das Mahnverfahren ebenfalls mit 5,00 € angegeben worden sind. Dieser Mahnbescheid ist der Beklagten am 19.10.2011 zugestellt worden. Der Widerspruch der Beklagten hiergegen ist am 20.10.2011 beim Arbeitsgericht in Regensburg eingegangen.

Die Klägerin beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 895,22 € zuzüglich 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 20.09.2011 sowie weitere Kosten und Auslagen in Höhe von € 10 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beklagte behauptet, der Aufhebungsvertrag sei nicht auf ihre Veranlassung geschlossen worden. Vielmehr sei Herr S. unter Vorlage eines ärztlichen Attests mit der Bitte, das Arbeitsverhältnis zu beenden, an die Beklagte herangetreten. Die Beklagte ist der Ansicht, dass bei einer Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch einen Aufhebungsvertrag nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses generell keine Verpflichtung des ehemaligen Arbeitgebers zur Entgeltfortzahlung bestehe.

Die Klägerin hat zum Beweis der streitigen Behauptung, der Aufhebungsvertrag sei auf Veranlassung der Beklagten geschlossen worden, die Einvernahme von Herrn S. als Zeugen angeboten.

Im Übrigen wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Parteien und die Niederschriften über die öffentlichen Sitzungen am 19.12.2011 und am 07.03.2012.

Gründe

Die Klage ist zulässig aber unbegründet und hat daher keinen Erfolg.

I.

A) Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist nach §§ 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a), 3 ArbGG eröffnet.

Das Arbeitsgericht Regensburg, Gerichtstag Straubing, ist gem. §§ 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG, 29 ZPO örtlich zuständig, da der Erfüllungsort im Verhältnis zwischen Herrn S. und der Beklagten in Ascha (Landkreis Straubing-Bogen) lag, weswegen auch die Klägerin als Rechtsnachfolgerin von Herrn S. diesen Gerichtsstand wählen konnte (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 29. Aufl., § 29 Rn. 7).

B) Die Klage ist zulässig.

II.

Die Klage ist unbegründet.

1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 8 Abs. 1 S. 1 EFZG i.V.m. § 115 SGB X, da § 8 Abs. 1 S. 1 EFZG vorliegend weder unmittelbar noch analog anwendbar ist.

Nach § 8 Abs. 1 S. 1 EFZG wird der Anspruch des Arbeitnehmers auf Entgeltfortzahlung nicht dadurch berührt, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit kündigt. Umstritten ist, ob diese Zahlungsverpflichtung den Arbeitgeber auch dann trifft, wenn das Arbeitsverhältnis zwar aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers aber aufgrund eines anderen Beendigungstatbestandes als einer Arbeitgeberkündigung endet, etwa aufgrund eines Aufhebungsvertrages.

a) Das Bundesarbeitsgericht hat in einer Entscheidung vom 20.08.1980 die Vorgängervorschrift des § 8 EFZG, den § 6 Abs. 1 LohnFG, bei einem Aufhebungsvertrag auf Veranlassung eines Arbeitgebers aus Anlass einer Arbeitsunfähigkeit analog angewandt. Begründet wurde dies damit, dass andernfalls dem gesetzgeberischen Ziel, welches darin bestehe, dem Arbeitgeber die Möglichkeit zu nehmen, sich der Lohnfortzahlungspflicht zu entziehen, nur unvollkommen entsprochen würde (BAG, Urt. v. 20.08.1980 – 5 AZR 589/79). Gestützt auf diese Entscheidung wird im Schrifttum derzeit wohl überwiegend die Auffassung vertreten, bei einem Aufhebungsvertrag auf Veranlassung eines Arbeitgebers aus Anlass einer Arbeitsunfähigkeit sei § 8 Abs. 1 S. 1 EFZG analog anzuwenden (Fiebig in: Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath, Arbeitsrecht, 2. Aufl., § 8 EFZG, Rn. 9; Feichtinger/Malkmus, P. Feichtinger, EFZG, 2. Aufl., § 8, Rn. 49; Dunkl in: Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge, 5. Aufl., § 8 EFZG, Rn. 9; Schmitt EFZG, 6. Aufl., § 8, Rn. 20 ff.). Diese Ansicht hat auch das Landesarbeitsgericht Hessen in einer Entscheidung aus dem Jahr 2006 ohne weitergehende Begründung vertreten (LAG Hessen, Urt. v. 29.03.2006 - 6/8/1 Sa 1612/05). Andere Autoren lehnen dagegen eine (analoge) Anwendung des § 8 Abs. 1 S. 1 EFZG in diesen Fällen ab (Ricken in: Beck’scher Online Kommentar Arbeitsrecht, § 8 EFZG, Rn. 3; MünchKommBGB/Müller-Glögge 5. Aufl., § 8 EFZG, Rn. 17). Schließlich wird eine vermittelnde Meinung vertreten. Danach soll § 8 Abs. 1 S. 1 EFZG bei Abwicklungsverträgen im Wege einer erweiternden Auslegung anzuwenden sein, wohingegen bei Aufhebungsverträgen mangels Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers § 8 Abs. 1 S. 1 EFZG nicht zur Anwendung komme (ErfK/Dörner, § 8 EFZG, 12. Aufl., Rn. 15 ff. ; Sievers in: Hümmerich/Boecken/Düwell, Arbeitsrecht, 2. Aufl., § 8 EFZG, Rn. 9 ff.).

b) Ob § 8 Abs. 1 S. 1 EFZG bei Abwicklungsverträgen anwendbar ist, bedarf vorliegend keiner Entscheidung, da die Beklagte vor der streitgegenständlichen Vereinbarung keine Kündigung ausgesprochen hat. Bei Aufhebungsverträgen findet § 8 Abs. 1 S. 1 EFZG nach Auffassung des Gerichts weder unmittelbar noch analog Anwendung, weswegen die zwischen den Parteien streitige Frage, auf wessen Veranlassung der Aufhebungsvertrag geschlossen wurde, nicht entscheidungserheblich war.

c) Eine erweiternde Auslegung des § 8 Abs. 1 EFZG auf Aufhebungsverträge scheidet aus, da der Wortlaut des § 8 Abs. 1 S. 1 EFZG eine Kündigung des Arbeitgebers voraussetzt. Es verbietet sich daher, im Wege der Auslegung von § 8 Abs. 1 S. 1 EFZG Fallgestaltungen ohne jegliche Arbeitgeberkündigung erfasst zu sehen.

Denkbar wäre daher allenfalls eine analoge Anwendung des § 8 Abs. 1 S. 1 EFZG auf Aufhebungsverträge auf Veranlassung des Arbeitgebers. Allerdings liegt nach Auffassung des Gerichts keine der für eine Analogie notwendigen Voraussetzungen vor.

Die analoge Anwendung einer Vorschrift setzt eine planwidrige Regelungslücke und die Vergleichbarkeit der Sachverhalte voraus (Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 354 ff.).

aa) Richtigerweise liegt bereits keine Regelungslücke vor, da Aufhebungsverträge unter § 8 Abs. 2 EFZG fallen. Danach endet der Anspruch auf Entgeltfortzahlung in den Fällen, in denen das Arbeitsverhältnis endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf, mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Hiervon sind – entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung – nicht nur die Fälle erfasst, in denen das Arbeitsverhältnis ohne Rücksicht auf die Arbeitsunfähigkeit ohnehin enden würde (so aber: P. Feichtinger, EFZG, 2. Aufl. 2010, § 8 Rn. 23), sondern auch die Fälle, in denen das Arbeitsverhältnis aufgrund eines Aufhebungsvertrages endet (wie hier etwa: MünchKommBGB/Müller-Glögge 5. Aufl., § 8 EFZG, Rn. 17). Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 8 Abs. 2 EFZG, denn auch bei einem Aufhebungsvertrag endet das Arbeitsverhältnis, ohne dass es einer Kündigung bedarf. Zwar ist zuzugeben, dass die in § 8 Abs. 2 EFZG verwandte Terminologie in Arbeits- und Tarifverträgen häufig nur den Fall der Befristung meint. Zwingend ist aber auch das nicht, wofür etwa § 33 Abs. 1 TVöD spricht, wonach:

„das Arbeitsverhältnis endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf,a) mit Ablauf des Monats, in dem die/der Beschäftigte das gesetzlich festgelegte Alter zum Erreichen der Regelaltersrente vollendet hat,b) jederzeit im gegenseitigen Einvernehmen (Auflösungsvertrag).“.

Schließlich handelt es sich bei der Formulierung auch um keine Terminologie, die unmittelbar dem Teilzeit- und Befristungsgesetz entnommen ist. Hätte der Gesetzgeber von § 8 Abs. 2 EFZG nur Befristungen und auflösende Bedingungen erfasst sehen wollen, so hätte er dies ganz einfach zum Ausdruck bringen können, indem er diese zwei Beendigungstatbestände nennt.

bb) Selbst wenn man entgegen der hier vertretenen Auffassung annähme, es liege eine Regelungslücke vor, so wäre diese nicht planwidrig. Schließlich hat es der Gesetzgeber bei der Normierung des EFZG im Jahr 1994 – trotz der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 20.08.1980 – unterlassen, diesen Fall zu regeln. Dass dies auf einem Versehen beruht, lässt sich wohl kaum annehmen, zumal § 8 Abs. 1 S. 2 EFZG explizit einen anderen Fall, in dem keine Arbeitgeberkündigung vorliegt, den Fällen der Anlasskündigung des Arbeitgebers gleichstellt. Der Gesetzgeber hat offensichtlich gesehen, dass es vergleichbare Konstellationen gibt, die von § 8 Abs. 1 S. 1 EFZG nicht erfasst sind, und entschieden, welche ebenso behandelt werden sollen.

cc) Überdies ist eine Anlasskündigung nicht mit dem Abschluss eines Aufhebungsvertrages vergleichbar. Bei einer Kündigung handelt es sich um eine einseitige Willenserklärung. Hier besteht die Gefahr, dass sich der Arbeitgeber einseitig der Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung entzieht. Schließt der Arbeitnehmer einen Aufhebungsvertrag, so ist das seine privatautonome Entscheidung, vor deren Rechtsfolgen er nicht geschützt werden muss. Beruht die Willenserklärung des Arbeitnehmers auf einem rechtlich relevanten Irrtum oder auf einer arglistigen Täuschung oder einer widerrechtlichen Drohung des Arbeitgebers, kann der Arbeitnehmer seine Willenserklärung anfechten.

Schließlich ist zu bedenken, dass sich eine analoge Anwendung des § 8 Abs. 1 S. 1 EFZG auf Aufhebungsverträge aus Anlass einer Arbeitsunfähigkeit auch nachteilig für den Arbeitnehmer auswirken kann. Denn regelmäßig wird ein Arbeitnehmer schon wegen der damit typischerweise verbundenen Nachteile beim Bezug von Arbeitslosengeld einen Aufhebungsvertrag nur dann schließen, wenn das für ihn günstiger ist, als eine Kündigung durch den Arbeitgeber, etwa wegen der Zahlung einer Abfindung oder Zugeständnissen bei der Formulierung des Zeugnisses. Zumindest bei Arbeitnehmern, die keinen Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz genießen, kann die analoge Anwendung des § 8 Abs. 1 S. 1 EFZG in der hier diskutierten Fallgestaltung dazu führen, dass ein Arbeitgeber eher geneigt ist, die relativ risikolose Kündigung auszusprechen, als von einem Arbeitnehmer durch Zugeständnisse die Zustimmung zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages zu erwirken.

dd) Schlussendlich spricht gegen eine analoge Anwendung des § 8 Abs. 1 S. 1 EFZG auf Fälle, in denen ein Aufhebungsvertrag aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers auf „Veranlassung“ des Arbeitgebers geschlossen wird, dass – entgegen der Intention der Befürworter einer Analogie – vergleichbare Sachverhalte unterschiedlich behandelt würden. Dies betrifft den Abschluss eines Aufhebungsvertrages auf Veranlassung des Arbeitgebers einerseits und der Abschluss eines Aufhebungsvertrages, der nicht auf Veranlassung eines Arbeitgebers beruht, andererseits. Das Kriterium der „Veranlassung“ des Aufhebungsvertrages ist ungeeignet, die Fälle, in denen das Arbeitsverhältnis durch Aufhebungsvertrag endet, den Fällen gleichzustellen, in denen das Arbeitsverhältnis durch Arbeitgeberkündigung endet. Wann eine entsprechende Veranlassung des Arbeitgebers zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages vorliegen soll, definieren auch die Befürworter einer Analogie nicht näher. Ein eindeutig feststellbares Kriterium läge vor, wenn man darauf abstellte, welche Partei das Angebot zum Abschluss des Aufhebungsvertrages abgegeben hat und welche Partei die Annahme erklärt hat. Jedoch ist dieses Kriterium nicht sachgerecht. Häufig wird es vom Zufall abhängen, wer das Angebot zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages abgibt. Außerdem lässt sich der zeitlichen Reihenfolge der Abgabe der Willenserklärungen nicht zwangsläufig entnehmen, welcher Seite mehr an dem Abschluss des Aufhebungsvertrages liegt. Letzteres Kriterium würde zwar eher geeignet sein, Aufhebungsverträge zu erfassen, die auf einer der Arbeitgeberkündigung vergleichbaren Interessenlage beruhen. Jedoch würde man dabei auf die Motive der Parteien abstellen, die in einem Gerichtsverfahren regelmäßig nicht zuverlässig ermittelt werden können und deren Relevanz willkürliche Ergebnisse befürchten ließe. Letztlich beruht ein Aufhebungsvertrag nun mal auf dem übereinstimmenden Willen beider Parteien.

2. Der Anspruch der Klägerin auf Ersatz ihrer im Zusammenhang mit dem Mahnverfahren entstandenen Kosten scheitert bereits ganz grundsätzlich daran, dass im arbeitsgerichtlichen Verfahren erster Instanz jede Partei ihre gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen hat (§ 12a Abs. 1 ArbGG).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG, 91 S. 1 ZPO.

IV.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 42 Abs. 3 S. 1 GkG, 3 ff. ZPO.