LAG Nürnberg, Beschluss vom 07.03.2012 - 2 TaBV 60/10
Fundstelle
openJur 2012, 121768
  • Rkr:
Tenor

1. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Würzburg vom 12.05.2010, Az.: 7 BV 22/09, wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

A.

Die Beteiligten streiten, soweit in der Beschwerdeinstanz noch von Interesse, darüber, ob die zu 2) beteiligte Arbeitgeberin verpflichtet ist, die Zustimmung des zu 1) beteiligten Betriebsrats einzuholen oder durch eine Entscheidung der Einigungsstelle ersetzen zu lassen, bevor sie von Arbeitnehmern des Betriebes Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen einfordert, die nicht länger als zwei Kalendertage arbeitsunfähig erkrankt sind.

Die Beteiligte zu 2) ist Mitglied im Landesverband des Bayerischen Einzelhandels. Sie wendet die Tarifverträge des Bayerischen Einzelhandels auch auf nicht tarifgebundene Arbeitnehmer an.

§ 15 des Manteltarifvertrags für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Einzelhandel in Bayern vom 5. August 2008, gültig ab 01.01.2007 (künftig: MTV), enthält folgende Regelung:

„§ 15Arbeitsversäumnis

1. Bei Arbeitsversäumnis ist dem Arbeitgeber unverzüglich unter Angabe der Gründe Mitteilung zu machen.

Im Falle der Erkrankung hat der/die Beschäftigte dem Arbeitgeber spätestens am dritten Kalendertag eine Bescheinigung des Arztes oder der Krankenkasse vorzulegen, aus der die Arbeitsunfähigkeit, ihr Beginn und die voraussichtliche Dauer ersichtlich sind. Fällt der letzte Tag der Frist auf einen Sonntag oder staatlich anerkannten Feiertag, tritt an die Stelle eines solchen Tages der folgende Werktag.

...

8. Im Übrigen gelten die gesetzlichen Bestimmungen.“

Inhaltlich wortgleiche Regelungen enthielt der Vorgängertarifvertrag in § 16 MTV.

Die Beteiligte zu 2) forderte im Jahr 2007 zwei Mitarbeiter jeweils einmal und im Jahre 2009 einen weiteren Mitarbeiter auf, vom ersten Tag einer Erkrankung an eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 4 bis 8 der Akten verwiesen.

Der Beteiligte zu 1) ist der Ansicht, dass die tarifliche Regelung abschließend sei. Nach § 15 Nr. 1 MTV könnten sich die Arbeitnehmer bis zum dritten Kalendertag einer Erkrankung Zeit lassen, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dem Arbeitgeber vorzulegen. Dies bedeute auch, dass der Arbeitnehmer bis längstens zum dritten Kalendertag einer Erkrankung zuwarten dürfe, um sich überhaupt eine ärztliche Bescheinigung zu besorgen.

Sollte die tarifliche Regelung nicht abschließend sein, sei ein Mitbestimmungsrecht bei der Frage, ob die Arbeitgeberin von ihrem Ermessen nach § 15 Abs. 1 Satz 3 MTV Gebrauch machen dürfe, gegeben. Es sei an der Arbeitgeberin darzulegen, dass die von ihr bisher aufgeforderten Arbeitnehmer jeweils Einzelfälle seien und ohne Bezug zu weiteren Arbeitnehmern eine herausgreifende Behandlung erführen.

Der Beteiligte zu 1) beantragte erstinstanzlich

festzustellen, dass die Arbeitgeberin nicht berechtigt ist, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von Arbeitnehmern des Betriebs einzufordern, auf denen die Arbeitsunfähigkeit ab dem ersten Krankheitstag bescheinigt wird.

Hilfsweise,

der Arbeitgeberin aufzugeben, es zu unterlassen, ohne Zustimmung des Betriebsrats Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von Arbeitnehmern des Betriebes einzufordern, auf denen die Arbeitsunfähigkeit ab dem ersten Krankheitstag bescheinigt werde.

Die Beteiligte zu 2) beantragte erstinstanzlich:

Die Anträge werden abgewiesen.

Sie ist der Auffassung, dass sie ohne Beteiligung des Betriebsrats in begründeten Einzelfällen den Nachweis einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit verlangen könne. Es müsse klar getrennt werden zwischen dem Zeitpunkt der Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und dem Zeitraum, auf den sich diese erstrecke. Gestritten werde hier über den Beginn der Nachweispflicht und nicht über den Zeitpunkt der Vorlage.

Mit § 15 Nr. 1 MTV hätten die Tarifvertragsparteien keine abschließende Regelung getroffen. Deshalb könne der Arbeitgeber bereits zu einem früheren Zeitpunkt, also schon für den ersten Krankheitstag den Nachweis der Arbeitsunfähigkeit verlangen. Denn nach § 15 Nr. 8 MTV sei ergänzend auch die gesetzliche Vorschrift des § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG heranzuziehen.

Im Zeitraum 2007 bis 2009 habe sie, die Beteiligte zu 2), lediglich in Einzelfällen eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab dem ersten Tag verlangt. Die Einführung einer generellen Regelung sei von ihr nicht beabsichtigt gewesen. Sie habe bei den jeweiligen Anordnungen nach § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG keinerlei abstrakte Kriterien zugrunde gelegt.

Zur näheren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird in entsprechender Anwendung des § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen auf den tatbestandlichen Teil des angefochtenen Beschlusses (dort unter I Seiten 2 bis 4, Bl. 67 bis 69 d. A.).

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 12.05.2010 die Anträge zurückgewiesen.

Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass die Regelung in § 15 Abs. 1 MTV zwar nicht abschließend, jedoch ein kollektiver Bezug nicht erkennbar sei. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats sei daher nicht eröffnet. Wegen der weiteren Einzelheiten der arbeitsgerichtlichen Begründung wird auf Seiten 5 bis 7 des angegriffenen Beschlusses verwiesen (Bl. 70 bis 72 d. A.).

Gegen diesen zur Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts am 12.10.2010 gelangten und dem Beteiligten zu 1) am 21.10.2010 zugestellten Beschluss hat der Beteiligte zu 1) mit Schriftsatz vom 05.11.2010, beim Landesarbeitsgericht Nürnberg am 05.11.2010 eingegangen, Beschwerde eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 11.01.2011, beim Landesarbeitsgericht Nürnberg am selben Tage eingegangen, innerhalb der bis zum 13.01.2011 verlängerten Beschwerdebegründungsfrist begründet.

Der Beteiligte zu 1) hält an seiner erstinstanzlich geäußerten Rechtsauffassung fest. Die Tarifvertragsparteien hätten in § 15 Abs. 1 MTV eine abschließende Regelung getroffen. Sie hätten einerseits den regelmäßigen Vorlagezeitraum für den Arbeitnehmer um einen Tag verkürzt. Der Preis dieser Verkürzung sei die Berechtigung des Arbeitnehmers, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht vorher vorlegen zu müssen. Dies zeige auch ein Blick in die Tariflandschaft des Einzelhandels in Deutschland, in dem jeweils unterschiedliche Regelungen enthalten seien.

Sofern in § 15 MTV keine abschließende Regelung gesehen werde, sei das Mitbestimmungsrecht eröffnet. Der kollektive Bezug ergebe sich aus einem Schreiben der Beteiligten zu 2) vom 01.04.2010. Wegen der Einzelheiten dieses Schreibens wird auf Blatt 112 der Akten verwiesen.

Nach Hinweis des Gerichts in der mündlichen Verhandlung vom 30.11.2011, wonach der Betriebsrat nicht das Recht habe einen Verstoß gegen einen Tarifvertrag gerichtlich durchzusetzen, da hier keine Rechte des Betriebsrats verletzt seien, stellte der Beteiligte zu 1) im Beschwerdeverfahren noch folgende Anträge:

1.Der Beschluss des Arbeitsgerichts Würzburg, Kammer Aschaffenburg, vom 12.05.2010, 7 BV 22/09, wird abgeändert.2.Der Arbeitgeberin wird aufgegeben, es zu unterlassen, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von Arbeitnehmern des Betriebes einzufordern, wenn die Arbeitnehmer nicht länger als zwei Kalendertage arbeitsunfähig erkrankt sind, ohne dass die Zustimmung des Betriebsrats vorliegt oder durch eine Entscheidung der Einigungsstelle ersetzt ist.Die Beteiligte zu 2) beantragt:

die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Beteiligte zu 2) hält unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages an ihrer Ansicht fest, dass § 15 Abs. 1 MTV keine abschließende Regelung enthalte. Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG sei nicht eröffnet, da es an einem kollektiven Tatbestand fehle. Die Beteiligte zu 2) habe keinerlei internen Kriterienkatalog aufgestellt, mit dem sie eine generelle Regelung treffe, unter welchen Voraussetzungen welche Arbeitnehmer abweichend von dem tarifvertraglichen Grundsatz des § 15 MTV eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung früher vorzulegen hätten. Auch wenn die Beteiligte zu 2) für die in den drei Fällen getroffenen Anordnungen einen bestimmten Grund gehabt haben mag, könne daraus nicht ohne Weiteres geschlossen werden, sie wolle nun in gleich gelagerten Fällen nach denselben Gesichtspunkten vorgehen. Auch aus dem Schreiben der Prozessbevollmächtigen vom 01.04.2010 in erster Instanz (Bl. 112 d. A.) ergebe sich nichts Anderes. Es habe sich hierbei lediglich um einen Vergleichsvorschlag an den Betriebsrat gehandelt in Orientierung an einem Modell der H… Betriebsvereinbarung der Beteiligten zu 2).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten in der Beschwerdeinstanz wird auf die Beschwerdebegründung vom 11.01.2011 (Bl. 104 bis 112 d. A.) sowie auf die Beschwerdeerwiderung vom 15.03.2011 (Bl. 121 bis 124 d. A.) verwiesen.

Das Landesarbeitsgericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 30.11.2011 darauf hingewiesen, dass es sich auch bei dem zuletzt in der mündlichen Anhörung gestellten Antrag möglicherweise um einen zu weit gehenden Globalantrag handeln könnte (Bl 135 d. A.). Im Nachgang zur mündlichen Verhandlung sind zwischen den Parteien noch Gespräche mit dem Ziel einer Einigung geführt worden; sie führten trotz Hinausschiebens des Verkündungstermins jedoch nicht zu einer einvernehmlichen Regelung.

Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden.

B.

I. Die Beschwerde ist zulässig.

Die Beschwerde ist statthaft, § 87 Abs. 1 ArbGG, und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 87 Abs. 2, 89, 66 ArbGG.

II. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.

Das Arbeitsgericht hat zu Recht konkrete Anhaltspunkte dafür verneint, dass aus den Anordnungen gegenüber drei Mitarbeitern, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bereits ab dem ersten Tag der Erkrankung vorzulegen, oder aus sonstigen Umständen, auf einen kollektiver Bezug und damit auf die Eröffnung eines Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG geschlossen werden könnte. Der Antrag ist aber auch als zu umfassend gestellter Globalantrag abzuweisen.

1. Der Antrag in der zuletzt gestellten Fassung ist zulässig.

Der besonderen Prüfung eines Rechtsschutzinteresses bedarf es nicht, da es sich bei dem zuletzt gestellten Antrag um einen Leistungsantrag, gerichtet auf Unterlassung handelt, für den ein Rechtsschutzbedürfnis regelmäßig gegeben ist.

Der Antrag ist auch bestimmt genug. Dem Beteiligten zu 1) geht es darum, der Beteiligten zu 2) in jedem Falle untersagen zu lassen, bei Erkrankungen von weniger als drei Kalendertagen eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu verlangen, wenn nicht der Betriebsrat vorher zugestimmt oder die Einigungsstelle die Zustimmung ersetzt hat. Würde dem gestellten Antrag stattgegeben, so wäre eindeutig klar, welche Handlung die Beteiligte zu 2) zu unterlassen hat.

2. Der Antrag ist unbegründet.

Das Arbeitsgericht hat zu Recht, wenn auch im Rahmen des erstinstanzlich noch gestellten Feststellungsantrages, die Verletzung oder die drohende Verletzung eines Mitbestimmungsrechts des Beteiligten zu 1) verneint. Dabei kann letztlich offenbleiben, ob § 15 MTV dem Arbeitgeber einen Gestaltungsspielraum belässt, da der Antrag bereits als zu weit gehender Globalantrag als unbegründet abzuweisen war.

a.. Nach der Hauptbegründung der Beteiligten zu 2) wäre der gestellte Antrag ohnehin von vornherein abzuweisen, da ein Mitbestimmungsrecht des Beteiligten zu 1) nicht gegeben wäre. Der Beteiligte zu 1) sieht in § 15 MTV eine abschließende wirksame tarifliche Regelung, die dem Arbeitgeber untersage, bei Arbeitsunfähigkeitszeiten von weniger als drei Kalendertagen eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu verlangen. Damit werde in zulässiger Weise von § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG abgewichen.

Wenn dem so wäre, wäre das vom Beteiligten zu 1) reklamierte Mitbestimmungsrecht auf Grund der Tarifbindung der Beteiligten zu 2) nach § 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG ohnehin ausgeschlossen, da eine die Mitbestimmung ausschließende tarifliche Regelung bestünde.

Dabei kann an dieser Stelle auch offenbleiben, ob die Beteiligte zu 2) mit der Anordnung der Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ab dem ersten oder zweiten Tag der Arbeitsunfähigkeit überhaupt gegen § 15 Abs. 1 MTV verstoßen hat. Denn hieraus folgt allenfalls ein Verstoß gegen tarif- oder arbeitsvertragliche Rechte der Arbeitnehmer, nicht jedoch eine Verletzung des Betriebsverfassungsrechts. Die Erfüllung von Ansprüchen der Arbeitnehmer, die sich aus einzelnen Rechtsnormen zu ihren Gunsten ergeben, kann der Betriebsrat nicht kraft eigenen Rechts im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren durchsetzen. Auch aus der Überwachungsaufgabe nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG folgt kein eigener Anspruch des Betriebsrats gegen den Arbeitgeber auf Einhaltung und Durchführung einer Rechtsvorschrift (HWK, 4. Aufl. 2010, § 80 BetrVG RdNr. 19 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

b. Auch die Hilfsbegründung des Beteiligten zu 1), nämlich dass dann, wenn § 15 MTV keine abschießende Regelung treffe, in jedem Fall ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG eröffnet sei, trägt nicht. Auch in diesem Zusammenhang kann offenbleiben, ob § 15 MTV eine abschließende und damit das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ausschließende Regelung enthält. Denn auch dann wäre der Antrag als zu weit gehender Globalantrag unbegründet. Auch wäre eine Verletzung des Mitbestimmungsrechts nicht ersichtlich.

Allerdings weist das Beschwerdegericht daraufhin, dass § 15 Nr. 1, 2. Abs. MTV auch dahingehend ausgelegt werden könnte, dass für jeden Fall der Erkrankung, also auch für Erkrankungen von nur einem oder zwei Tagen, spätestens am dritten Kalendertag eine Bescheinigung des Arztes vorzulegen sei (so Rösch in Zachert/Helm/Steffen Tarifverträge für den Einzelhandel in Bayern, 1999 § 16 RdNr. 4; Aigner-Mayer, Kommentar zum Manteltarifvertrag für den Bayerischen Einzelhandel, § 15 Rdnr. 13; andere Ansicht Nies, MTV für den Einzelhandel in Bayern, 2006, § 15 MTV RdNr. 7).

aa. Der Antrag ist bereits unbegründet, da er Fälle erfasst, bei denen ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht besteht und daher auch Fallgestaltungen erfasst, in denen sich der Antrag als unbegründet erweist (vgl BAG vom 29.06.2011 – 7 ABR 135/09, Rn 18, zitiert nach juris; BAG vom 10.03.2009 – 1 ABR 87/07). Denn unter den Antrag fallen auch Anordnungen der Beteiligten zu 2) gegenüber einzelnen Arbeitnehmern, denen keine kollektive Regelung zugrunde liegt.

(1) Das BAG unterscheidet im Rahmen des § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG in st. Rspr. zwischen mitbestimmungspflichtigen Maßnahmen, die sich auf das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer, d.h. die Sicherung des ungestörten Arbeitsablaufs und die Gestaltung des Zusammenlebens und Zusammenwirkens der Arbeitnehmer im Betrieb, beziehen, und mitbestimmungsfreien Maßnahmen, die das Verhalten des Arbeitnehmers ohne Bezug zur betrieblichen Ordnung betreffen, weil es sich entweder auf die Arbeitsleistung, d.h. das Arbeits- und Leistungsverhalten des Arbeitnehmers bezieht oder in sonstiger Weise lediglich das Verhältnis Arbeitnehmer/Arbeitgeber betrifft (GK-Wiese, BetrVG, 9.Aufl., 2010, § 87 BetrVG, Rn. 197 mit zahlreichen Nachweisen). Hieraus folgt eine zweistufige Prüfung: Zunächst ist festzustellen, dass nicht lediglich das Verhältnis des einzelnen Arbeitnehmers zum Arbeitgeber betroffen ist (kollektiver Bezug); erst wenn dieser kollektive Bezug bejaht wird, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob eine hierauf bezogene Maßnahme sich auf das Arbeits- und Leistungsverhalten oder das Ordnungsverhalten bezieht.

52Soweit danach ein Antrag auch nach Auslegung auch Maßnahmen ohne kollektiven Bezug umfasst, solche Maßnahmen nach den Umständen aber in Frage kommen und der Betriebsrat hierfür ein Mitbestimmungsrecht im Rahmen des § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG reklamiert, ist der Antrag daher als zu umfassender Globalantrag als unbegründet abzuweisen.

(2) Eine Auslegung des Antrags dahingehend, dass sich die begehrte Unterlassung nur auf die Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, denen eine generalisierende Regel des Arbeitgebers zugrunde liegt, beziehen soll, kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht. Denn zwischen den Beteiligten ist gerade streitig, ob eine generalisierende Regelung besteht. Nicht streitig ist hingegen, dass für den Fall einer generalisierenden Regelung ein Mitbestimmungsrecht besteht, sofern nicht der MTV ohnehin eine abschließende Regelung enthält.

54(3) Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Anordnung der Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ab dem ersten Tag im Einzelfall lediglich das Verhältnis Arbeitgeber-Arbeitnehmer betrifft. Darauf, dass damit nicht das Arbeitsverhalten des Arbeitnehmers betroffen ist, kommt es nach dem oben Gesagten nicht an. Die Anordnung hat ohne weitere Maßnahmen nämlich keinerlei Auswirkungen auf andere Arbeitnehmer. Dem Arbeitgeber ist es in jedem Einzelfall überlassen, eine entsprechende Anordnung zu treffen. Er muss hierfür keinerlei Voraussetzungen beachten. Die Anordnung ist anderen Arbeitnehmern auch nicht zur Kenntnis zu geben. Trifft daher der Arbeitgeber für jeden Einzelfall gesondert Anordnungen nach § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG, ohne hierbei nach einer bestimmten Regel vorzugehen, ist lediglich das Verhältnis des einzelnen Arbeitnehmers zum Arbeitgeber berührt (LAG Hessen vom 17.09.2008 – 8 Sa 1454/07; ArbG Hamburg vom 21.10.2008 – 19 BV 3/08). Mit dem gestellten Antrag will der Beteiligte zu 1 jedoch genau auch diese Einzelfälle erfasst haben und ein Mitbestimmungsrecht für sich reklamieren. Der Antrag ist deshalb als zu umfassend gestellter Globalantrag insgesamt unbegründet.

(4) Dies steht auch im Einklang mit dem Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 25.01.2000 - 1 ABR 3/99. Dort ging es nur um die generelle Anweisung des Arbeitgebers, Zeiten der Arbeitsunfähigkeit unabhängig von deren Dauer durch eine vor Ablauf des dritten Kalendertages nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit vorzulegende Bescheinigung nachzuweisen. Einzelfälle waren im dortigen Verfahren gerade nicht erfasst. Deshalb hat das BAG den dort vom Betriebsrat gestellten Antrag dahin ausgelegt, dass es dem Betriebsrat nur um die Unterlassung einer generellen Anordnung, „wie sie streitauslösend von der Arbeitgeberin am 02. Januar 1995 erlassen“ wurde, ging (BAG a.a.O., Rn 22). Eine solche Auslegung kommt im vorliegenden Fall jedoch nicht in Betracht (s.o.).

bb. Der Antrag ist auch deswegen unbegründet, weil sich die Beteiligte zu 2) nicht betriebsverfassungswidrig verhalten hat. Bei der Anordnung zur Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (zweimal im Jahre 2007, einmal im Jahr 2009 gegenüber jeweils einem Mitarbeiter) hat die Beteiligte zu 2) nicht gegen ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG verstoßen. Es bestehen auch keinerlei Anhaltspunkte, dass dies künftig geschehen könnte. Daher kann ein Unterlassungsanspruch weder aus § 23 Abs. 3 BetrVG, noch als allgemeiner Unterlassungsanspruch aus § 87 BetrVG hergeleitet werden. Letzterem fehlte bereits das Rechtsschutzbedürfnis.

Es ist nicht erkennbar, dass den Anordnungen gegenüber den drei Mitarbeitern in den Jahren 2007 und 2009 eine kollektive Regelung zugrunde gelegen hätte. Es fehlt daher am kollektiven Bezug.

Die Beteiligte zu 2) hat in lediglich drei Einzelfällen einen Nachweis der Arbeitsunfähigkeit ab dem 1. Krankheitstag verlangt. Diese Anweisungen erfolgten zunächst einmal gegenüber den einzelnen Arbeitnehmern und die Auswirkungen einer solchen Anordnung beschränken sich auch ausschließlich auf den einzelnen Arbeitnehmer. Denn die Positionen anderer Arbeitnehmer werden weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht berührt. So ist etwa ein Bezug zu einer Auswahlentscheidung nicht herzustellen. Allein die Möglichkeit und Befürchtung anderer Arbeitnehmer, dass auch diese später von einer ähnlichen Anweisung betroffen sein könnten, begründet noch keinen kollektiven Bezug (LAG Hessen, Urteil vom 17.09.2008 - 8 Sa 1454/07). Im Übrigen wäre genau dieses der Zweck der Regelung in § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG.

Es sind keine Anhaltspunkte erkennbar, aus denen das Gericht schließen könnte, dass den drei erteilten Anordnungen irgendeine gemeinsame Regel zugrunde läge. Die Anordnungen wurden über einen Zeitraum von drei Jahren getroffen. Schon dies spricht gegen eine zugrunde liegende Regel. Auch der Beteiligte zu 1) hat eine entsprechende Regel oder zumindest Hinweise auf eine entsprechende Regel nicht aufzuzeigen vermocht. Es ist daher davon auszugehen, dass die Anordnungen jeweils nicht automatisch etwa nach einer bestimmten Anzahl oder Lage von Fehltagen erfolgte, sondern in jedem Fall abhängig vom individuellen Sachverhalt. Ein irgendwie gearteter interner „Kriterienkatalog“ ist nicht erkennbar und angesichts der nur wenigen Fälle, nämlich drei innerhalb von drei Jahren, auch nicht nahe liegend (vgl. hierzu ArbG Hamburg vom 21.10.2008 – 19 BV 3/08, zit. nach juris).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem vom Beteiligten zu 1) zitierten Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Beteiligten zu 2) in erster Instanz vom 01.04.2010 (Bl. 112 d. A.). Hierin hat die Prozessbevollmächtigte lediglich einen Vergleichsvorschlag zwecks einer gütlichen Einigung übermittelt. Ersichtlich bezog sich dieser Vergleichsvorschlag auf eine künftige Regelung und nicht darauf, wie in der Vergangenheit vorgegangen worden ist oder künftig ohne eine Vereinbarung mit dem Betriebsrat vorgegangen werden soll.

Dass konkret weitere entsprechende Anordnungen gegenüber anderen Arbeitnehmern erfolgen sollen, denen eine allgemeine Regel oder ein Kriterienkatalog zugrunde läge, ist ebenfalls nicht erkennbar. Deshalb scheidet auch ein vorbeugender Unterlassungsanspruch, der ebenfalls aus § 87 BetrVG abgeleitet werden könnte, aus.

C.

I. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 2 Abs. 2 GKG.

II. Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde bestand kein gesetzlicher Grund, §§ 82 a, 72 Abs. 2 ArbGG.