LG Traunstein, Urteil vom 08.02.2012 - 5 O 3021/11
Fundstelle
openJur 2012, 120767
  • Rkr:
Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

Die Klägerin macht als partielle Gesamtrechtsnachfolgerin der ... bank O. eG gegen den Beklagten einen Anspruch auf Darlehensrückzahlung geltend.

Mit Darlehensvertrag vom 02.11./28.11.1997 hatte die ... bank O. dem Beklagten, der seinerzeit in Rosenheim wohnte, ein Darlehen über 35.000,00 DM zur Finanzierung einer Beteiligung an der ... GbR gewährt. Der Beklagte verlegte seinen Wohnsitz in der Folgezeit in die Schweiz.

Die Klägerin kündigte mit Schreiben vom 04.05.2010 das Darlehen wegen Zahlungsverzugs.

Sie erwirkte zunächst einen am 19.01.2011 erlassenen Mahnbescheid. Nach Widerspruchseinlegung durch den Beklagten wurde das Verfahren auf Antrag der Klägerin an das Landgericht Traunstein abgegeben (Akteneingang 29.07.2011).

Im Termin zur mündlichen Verhandlung beantragte die Klägerin,

den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 24.473,58 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten p. a. über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit 03.06.2010 zu bezahlen,

und beantragte

Erlass eines Versäumnisurteils

gegen den im Termin nicht erschienen und nicht vertretenen Beklagten.

Gründe

I.

Die Klage ist trotz der Säumnis des Beklagten im Verhandlungstermin durch Endurteil als unzulässig abzuweisen, weil den deutschen Gerichten zur Entscheidung in der Sache die internationale Zuständigkeit fehlt.

Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte beurteilt sich hier nach dem Lugano Übereinkommen vom 30.10.2007 (LugÜ II), das im Wesentlichen der EuGVVO entspricht und im Verhältnis der EU-Länder und der Schweiz seit 01.01.2011 gilt (siehe Zöller-Geimer, ZPO, 29. Aufl., Rn. 16 zu Art. 1 EuGVVO). Nach dessen Art. 15 I c, 16 II besteht hier die ausschließliche internationale Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte.

1. Bei der Klage der Klägerin handelt es sich nach Art. 15 I c um eine Verbrauchersache im Sinne des Abschnitts 4 des LugÜ II. Danach bestimmt sich die Zuständigkeit unbeschadet des Art. 4 und des Art. 5 Nr. 5 (die hier nicht einschlägig sind) nach dem 4. Abschnitt "Zuständigkeit bei Verbrauchersachen", wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag, den eine Person, der Verbraucher, zu einem Zweck geschlossen hat, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Person zugerechnet werden kann, den Gegenstand des Verfahrens bilden, und wenn der andere Vertragspartner in dem Mitgliedsstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt, und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt.

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

Der Klage liegt ein Darlehensvertrag gemäß Verbraucherkreditgesetz zugrunde, an der Verbrauchereigenschaft des Beklagten i. S. d. Art. 15 I LugÜ II besteht deshalb kein Zweifel.

15Da bei Vertragsschluss sowohl der Beklagte seinen Wohnsitz in Deutschland hatte, als auch die Klägerin bzw. ihre Rechtvorgängerin hier ihre gewerbliche Tätigkeit ausübte, sind auch die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 15 I c LugÜ II erfüllt (zur Anwendbarkeit der Art. 15 I c LugÜ II auf reine Kreditverträge, vgl. Thomas-Putzo/Hüßtege, ZPO, 30. Aufl., Rn. 5 zu Art. 15 EuGVVO). Dass zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses beide Parteien ihren (Wohn-)Sitz in Deutschland hatten und somit bei Vertragsschluss das LugÜ II (auch wenn es damals gegolten hätte) mangels Auslandsbezugs nicht anwendbar gewesen wäre, ist unerheblich. Maßgebend ist, dass nunmehr ein Fall mit Auslandsbezug vorliegt, darauf zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit das LugÜ II anzuwenden ist und die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 15 I c, für die auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen ist, vorliegen.

Es entspricht allgemeiner Meinung, dass das Tatbestandsmerkmal des "Ausrichtens" in Art. 15 I c EuGVVO voraussetzt, dass dem Vertragsschluss ein ausdrückliches Angebot oder eine Werbung im Wohnsitzstaat des Verbrauchers vorausgegangen sein muss, und dass dieses "Ausrichten" für den Vertragsschluss kausal geworden sein muss (s. Staudinger – Hausmann, BGB, Neubearbeitung 2011, IntVertrVerfR, Rdnrn. 139, 139 a). Wegen des erforderlichen Kausalzusammenhangs mit dem Vertragsschluss kann bei Prüfung der Voraussetzungen des Art. 15 I c EuGVVO bzw. LugÜ II nur auf den Wohnsitz des Verbrauchers zur Zeit des Vertragsschlusses abgestellt werden, und kann ein möglicherweise abweichender Wohnsitz des Verbrauchers bei Klageeinreichung insoweit keine Rolle spielen.

Der Ansicht der Klägerin, dass für das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 15 I c LugÜ II wie bei Art. 16 II LugÜ II (siehe hierzu unter 2)) auf die Verhältnisse zur Zeit der Klageeinreichung abzustellen sei und sich dies aus der Verwendung des Präsens ("Mitgliedsstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat") ergebe, erachtet das erkennende Gericht nicht für durchschlagend. Auch im Einleitungssatz des Art. 15 I LugÜ II heißt es – wie bereits zitiert –:

"Bilden ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag, den eine Person, der Verbraucher, zu einem Zweck geschlossen hat, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Person zugerechnet werden kann ..."

Daraus könnte geschlossen werden, dass auf die aktuelle Tätigkeit der Person abzustellen sei. Es ist aber ebenfalls ganz einhellige Meinung, dass insoweit auf die objektiven Verhältnisse bei Vertragsschluss abzustellen ist (siehe Zöller-Geimer, a. a. O., Rn. 5 zu Art. 15 – 17 EuGVVO).

Allerdings hat der BGH in einem Urteil vom 12.06.2007, Az. XI ZR 290/06, bei der Auslegung des Art. 15 II EuGVVO entscheidend auf die dortige Verwendung des Präsens abgestellt.

Daraus ergibt sich nach Ansicht des Gerichts aber nicht, dass bei Art. 15 I c EuGVVO bzw. LugÜ II auf den Wohnsitz des Verbrauchers im Zeitpunkt der Klageeinreichung abzustellen ist. In der zitierten Entscheidung hat sich der BGH nicht zur Anwendung von Art. 15 I c EuGVVO geäußert. Er gelangte vielmehr gar nicht zur Anwendung der EuGVVO, weil die dortige Beklagte entgegen Art. 4 I, 60 I EuGVVO zum Zeitpunkt der Einreichung der Klage keinen Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates hatte. (Nur) in diesem Zusammenhang führt der BGH aus, das Art. 15 II EuGVVO keine Sitzfiktion zu begründen vermag, wenn die Niederlassung vor Klageeinreichung aufgelöst wurde.

Das Abstellen auf den Zeitpunkt der Klageeinreichung bei der Frage der Anwendbarkeit der EuGVVO bzw. des LugÜ II kann nicht ohne Weiteres auf die Auslegung des Art. 15 I c übertragen werden. Einer Sache, die bei Vertragsschluss Verbrauchersache i. S. d. Art. 15 I c ist, kann nicht dadurch, dass der Verbraucher (oder sein Vertragspartner) später, aber noch vor Klageeinreichung, seinen (Wohn-)Sitz wechselt, die Eigenschaft als Verbrauchersache genommen werden.

Davon, dass bei Art. 15 I c EuGVVO bzw. LugÜ II trotz der Verwendung des Präsens auf die Verhältnisse des Vertragsschlusses abzustellen ist, geht auch das OLG Frankfurt in seinem Urteil vom 26.11.2008, Az: 7 U 251/07, aus. Diesem lag zwar nicht – wie hier – die Situation zugrunde, dass ein beklagter Verbraucher nach Vertragsschluss aus Deutschland verzogen ist, sondern die Situation, dass der beklagte Vertragspartner des in Deutschland wohnenden und unter Berufung auf Art. 16 I 2. Alternative EuGVVO klagenden Verbrauchers in Deutschland keinen Sitz hatte, sondern nur eine bei Klageeinreichung schon geschlossene, bei Vertragsschluss noch aktive Niederlassung. Das OLG Frankfurt bejahte die Anwendung von Art. 15 I c EuGVVO und begründete dies damit, dass eine Auslegung dahingehend, dass die Begründung des Gerichtsstands in Verbrauchersachen gemäß Art. 15 I c EuGVVO durch das dem Vertragsschluss nachfolgende Einstellen der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit im Mitgliedsstaat des Verbrauchers nicht berührt wird, im Sinne eines effektiven Verbraucherschutzes geboten sei.

Ebenso läßt sich in einem Fall wie hier argumentieren, dass im Sinne des durch Art 16 II EuGVVO bzw. LugÜ II gewährleisteten effektiven Verbraucherschutzes es nur darauf an, kommt, dass bei Abschluss des Vertrags die Voraussetzungen des Art. 15 I c EuGVVO bzw. LugÜ II vorlagen, und es nicht erforderlich ist, dass bei Übersiedlung des Verbrauchers in einen anderen Mitgliedstaat auch dort die Voraussetzungen des Art. 15 I c EuGVVO bzw. LugÜ II erfüllt sind.

Die Ansicht des Gerichts, dass für das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 15 I c LugÜ II auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen ist, und dass es unerheblich ist, wenn der Fall erst später durch Wegzug des Verbrauchers aus Deutschland zu einem Fall mit Auslandsbezug wird, wird schließlich auch durch die Regelung in Art. 17 Nr. 3 LugÜ II gestützt (siehe auch Hüßtege, a. a. O., Rn. 4 zu Art. 17 EuGVVO.

262. Die Regelungen über die Zuständigkeit für Verbrauchersachen nach Art. 15 – 17 LugÜ II verdrängen die Regelungen in Art. 2, 5 und Nr. 1 – 4 und 6 LugÜ II (vgl. Hüßtege, a. a. O., Vorbemerkung zu Art. 15 – 17 EuGVVO). Nach Art. 16 II LugÜ II kann die Klage des anderen Vertragspartners gegen den Verbraucher nur vor den Gerichten des Mitgliedstaates erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat; maßgeblich ist insoweit der Wohnsitz zur Zeit der Klageeinreichung, nicht derjenige zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses (vgl. Hüßtege, a. a. O., Rn. 6 zu Art. 16 EuGVVO).

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

III.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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