VG Würzburg, Urteil vom 02.11.2011 - W 6 K 10.30140
Fundstelle
openJur 2012, 118867
  • Rkr:
Tenor

I. Die Nrn. 2 bis 4 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19. April 2010 werden aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

Die nach eigenen Angaben am … 1989 geborene Klägerin, iranische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit, reiste am 20. März 2008 mit einem Lkw auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 2. April 2008 ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Auf den 25 bzw. 27-Fragenkatalog zur Identitätsklärung der Regierung von Mittelfranken vom 10. April 2008 und die Niederschrift über die Anhörung gemäß § 25 AsylVfG am 16. April 2008 wird Bezug genommen. Zur Begründung des Asylantrags gab die Klägerin bei ihrer persönlichen Anhörung am 16. April 2008 im Wesentlichen an, sie habe keine Probleme mit den iranischen Behörden gehabt. Ihr Mann habe wegen seiner politischen Aktivitäten Probleme bekommen. Sein Leben sei in Gefahr gewesen und er habe den Iran verlassen müssen. Als seine Frau habe sie ihn begleiten müssen. Über die politischen Aktivitäten ihres Mannes wisse sie nichts Genaues. Ihr Mann habe zusammen mit einem Cousin einen CD-Laden betrieben, CDs kopiert und weiter verkauft. Eines Tages seien um 5:00 Uhr früh vier Männer ins Haus gekommen, hätten nach ihrem Mann gefragt und das Haus durchsucht. Sie hätten gesagt, wenn ihr Mann zurückkomme, solle er sich beim Sicherheitsdienst melden. Sie hätten ein paar Fragen. Der Cousin ihres Mannes sei verhaftet worden. Sie sei nicht in Griechenland gewesen. Sie seien direkt von Izmir nach Deutschland gekommen. Mit wiederholt zugestellten Bescheiden vom 30. Juli 2008, 15. September 2008 und 22. September 2008 wurde der Asylantrag der Klägerin abgelehnt und die Abschiebung nach Griechenland angeordnet. Mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 3. und 5. November 2008 ließ die Klägerin auf humanitäre Gründe hinweisen. Durch Gewaltanwendung habe sie eine Fehlgeburt erlitten und befinde sich in ärztlicher Behandlung. Sie habe sich von ihrem Ehemann getrennt.

Mit Bescheid vom 19. April 2010 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Antrag der Klägerin auf Anerkennung als Asylberechtigte ab (Nr. 1) und stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vorliegen (Nr. 2) sowie dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 3). Die Klägerin wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung, im Falle der Klageerhebung innerhalb eines Monats nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens, zu verlassen. Die Abschiebung in den Iran oder in einen anderen Staat wurde angedroht (Nr. 4). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin sei über den Landweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Die Klägerin habe falsche Angaben zum Reiseweg gemacht. Sie sei erwiesenermaßen bereits am 20. September 2007 in Griechenland gewesen, wo sie in Simi erkennungsdienstlich behandelt worden sei. Aus dem gesamten Vorbringen der Klägerin ergäben sich weiterhin keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass sie sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb ihres Herkunftsstaates aufhalte oder bei Rückkehr mit politischen Verfolgungsmaßnahmen rechnen müsse. Bei Würdigung des Vorbringens seien dem Sachverhalt auch nicht ansatzweise Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass die Heimatbehörden der Klägerin Veranlassung gehabt hätten, gegen diese aufgrund regimefeindlicher Verhaltensweisen vorzugehen, bzw. dass dies in der Zukunft zu erwarten stehe. Ebenso wenig sei erkennbar, dass man nach ihren Mann wegen asylrechtlicher Erwägungen suchte. Es stehe zu vermuten, dass die Klägerin wegen einer angestrebten Ausbildung hierher gekommen sei. Auf die Begründung des Bescheides wird im Einzelnen verwiesen. Der Bescheid wurde, adressiert an die Bevollmächtigte der Klägerin, am 20. April 2010 als Einschreiben zur Post gegeben.

II.

1.

Am 3. Mai 2010 ließ die Klägerin beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage erheben und beantragen:

1. Der Bescheid des Bundesamtes vom 19. April 2010, zugestellt am 21. April 2010, Geschäftszeichen: …, wird in den Ziffern 2 bis 4 aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass bei der Klägerin die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich Irans vorliegen.

3. Hilfsweise wird die Beklagte verpflichtet festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG entsprechend Art. 15c Qualifikationsrichtlinie hinsichtlich Irans vorliegen.

4. Weiter hilfsweise wird die Beklagte verpflichtet festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Irans vorliegen.

Mit Beschluss des VG München vom 14. Mai 2010 erklärte sich das Verwaltungsgericht München für nicht örtlich zuständig und verwies den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Verwaltungsgericht Würzburg (Az.: M 2 K 10.30326). Das Verfahren ging am 2. Juli 2010 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg ein.

Mit Schriftsatz vom 11. August 2010 ließ die Klägerin zur Klagebegründung im Wesentlichen vortragen, ihr Ehemann, der mit der Klägerin geflohen sei, sei vor der Ausreise aus dem Iran von den iranischen Sicherheitskräften wegen seiner politischen Betätigung gesucht worden. Er sei im Iran seit 2006 für die Democratic Party of Iranian Kurdistan (DPKI) aktiv gewesen und habe regelmäßig u.a. Flugblätter für diese verteilt. Der Ehemann der Klägerin sei durch die Verhaftung seines Cousins gewarnt worden. Sicherheitskräfte hätten das Haus der Klägerin durchsucht. Aus Furcht, wegen einer gelebten politischen Überzeugung verhaftet und gefoltert zu werden, sei der Ehemann der Klägerin mit ihr zusammen schnellstmöglich geflohen. Die Kurdenparteien (z.B. DPKI) gehört zu den verbotenen Organisationen. Eine Mitgliedschaft führe zu staatlichen Zwangsmaßnahmen. Die Regierung gehe wieder verschärft gegen kurdische Organisationen vor, die aus staatlicher Sicht separatistische Ziele verfolgten. Die Ladungen zur Anhörung beim Geheimdienst ergingen grundsätzlich nur mündlich. Dies zeige auch der vorliegende Lagebericht des Auswärtigen Amtes. Da auch Familienmitglieder von Asylbewerbern von den Sicherheitskräften vorgeladen würden, müsse auch davon ausgegangen werden, dass auch der Klägerin als Ehefrau Verfolgung i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG schon wegen der stattgefundenen Geschehnisse im Iran drohe. Weiterhin seien die Klägerin und ihr Ehemann bei der DPKI aktiv. Die Klägerin ließ eine Bestätigung des Deutschlandkomitees der DPKI vorlegen. Die Klägerin und ihr Ehemann müssten schon wegen der der Fortsetzung der politischen Aktivitäten in Deutschland mit asylrelevanter Verfolgung rechnen.

Mit Schriftsatz vom 24. Oktober 2011 teilte der neue Bevollmächtigte der Klägerin mit, die Klägerin sei am 06. Oktober 2011 in der Gemeinschaftsunterkunft Opfer häuslicher Gewalt durch den Ehemann geworden. Sie sei in ein Krankenhaus gebracht und sodann zusammen mit ihrem Sohn anderweitig untergebracht worden. Bei der Polizei sei Strafantrag gegen den Ehemann gestellt worden. Es habe wohl auch schon früher tätliche Angriffe des Ehemannes gegeben. Die Familien der Klägerin und des Ehemannes stünden in Verbindung. Der Ehemann habe mehrfach angedroht, die Klägerin umzubringen und ihr den Sohn wegzunehmen, sobald sie wieder im Iran zurück sei. Auch die Familie der Klägerin drohe, sie bei einer Rückkehr umzubringen bzw. umbringen zu lassen. In der Familie des Ehemannes gebe es genügend Verwandte und Freunde sowie ehemalige Arbeitskollegen, die sie überall im Iran aufspüren und umbringen könnten. Beide Familien hätten weitverzweigte Kontakte im Iran. Außerdem sei es für eine allein stehende Frau unmöglich, im Iran Arbeit zu finden und den Sohn zu versorgen. Gemäß islamischem Recht würden ihr die Behörden den Sohn wegnehmen und der Familie des Kindsvaters übergeben. Im Fall der Trennung/Scheidung stehe dem Vater bzw. dessen Familie das „Recht am Kind“ zu. Insgesamt ergebe sich hieraus, dass der Klägerin eine Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure drohe.

2.

Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 10. Mai 2010,

die Klage abzuweisen.

3.

Die Kammer übertrug den Rechtsstreit mit Beschluss vom 20. Juli 2011 dem Berichterstatter als Einzelrichter.

Mit Beschluss vom 27. Oktober 2011 wurde der Klägerin Prozesskostenhilfe bewilligt und ihr Prozessbevollmächtigter beigeordnet.

In der mündlichen Verhandlung am 2. November 2011, die zum Schutz des persönlichen Lebensbereichs der Klägerin auf deren Antrag unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, soweit über die persönliche Situation der Klägerin verhandelt wurde, wiederholte der Klägerbevollmächtigte die bereits schriftsätzlich gestellten Anträge. Die Klägerin wurde informatorisch angehört.

4.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die eingereichten Schriftsätze, die Gerichtsakten (einschließlich der Akten des Verfahrens W 6 K 10.30236), die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung am 2. November 2011 sowie die beigezogenen Bundesamtsakten einschließlich der Akten ihres Ehemannes und ihres Sohnes und die polizeiliche Ermittlungsakte gegen den Ehemann der Klägerin Bezug genommen.

Gründe

Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und begründet.

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19. April 2010 ist in seinen Nrn. 2 bis 4 rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Klägerin hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG. Aus diesem Grund war der streitgegenständliche Bescheid insoweit aufzuheben. Über die hilfsweise gestellten Anträge zum subsidiären Abschiebungsschutz (§ 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG) war nicht zu entscheiden.

Entscheidend ist, dass die Klägerin bei einer Rückkehr in den Iran mit hoher Wahrscheinlichkeit geschlechtsspezifische Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure zu erwarten hätte, und zwar im gesamten Staatsgebiet, ohne dass der Staat oder staatsähnliche bzw. internationale Organisationen sie davor schützen könnten (§ 60 Abs. 1 Sätze 1, 3 und 4c AufenthG).

Gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dabei kann eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe auch dann vorliegen, wenn die drohende Verletzung des Rechtsguts – neben Leben und Freiheit auch die körperliche Unversehrtheit – allein an das Geschlecht des Ausländers anknüpft (§ 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG). Eine Verfolgung i.S. des Satzes 1 kann nicht nur vom Staat oder ihn beherrschenden Parteien oder Organisationen ausgehen, sondern auch von nichtstaatlichen Akteuren, sofern der Staat oder ihn beherrschende Parteien oder Organisationen erwiesenermaßen weder in der Lage noch willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, ohne dass für den Ausländer eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht (§ 60 Abs. 1 Satz 4c AufenthG). Zu den nichtstaatlichen Akteuren i.S. von § 60 Abs. 1 Satz 4c AufenthG zählen auch private Personen (z.B. Familienmitglieder). Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass unter die zuletzt genannte Bestimmung schon ihrem Wortlaut nach einschränkungslos alle nichtstaatlichen Akteure, insbesondere also auch die Einzelpersonen, von denen Verfolgungshandlungen ausgehen, fallen (BVerwG, U.v. 18.07.2006, Az. 1 C 15/05, BVerwGE 126, 243). Ergänzend ist die Richtlinie 2004/93/EG des Rates vom 29. April 2004 anzuwenden. Nach Art. 4 Abs. 3 dieser Richtlinie ist im Rahmen der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung u.a. zu berücksichtigen, ob der Ausländer bereits verfolgt worden ist oder verfolgt werden konnte, wobei seine individuelle Lage und die persönlichen Umstände einschließlich seines familiären und sozialen Hintergrunds, Geschlechts und Alters zu betrachten sind. Des Weiteren sind Art. 7 bis 10 der Richtlinie zu berücksichtigen, in denen die anerkannten Verfolgungsgründe und Verfolgungshandlungen näher beschrieben sind, und unter welchen Voraussetzungen staatlicher Schutz gewährleistet ist bzw. eine innerstaatliche Fluchtalternative vorliegt.

Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind in der Person der Klägerin wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, nämlich Frauen, erfüllt, die nach dem herrschenden Staats- und Gesellschaftssystem des Iran nach einer nicht einvernehmlichen Trennung letztlich der Bedrohung durch ihre Ehemänner bzw. Familienangehöriger hilflos ausgeliefert sind. Für die Annahme einer bestimmten sozialen Gruppe können geschlechtsspezifische Aspekte berücksichtigt werden. Insbesondere der soziale Begriff des Geschlechts (Gender) kann Frauen vor einem gesellschaftlichen Hintergrund, in dem ihnen bestimmte Rollen und Identitäten zugewiesen sind, einer bestimmten sozialen Gruppe zugehörig machen (vgl. Marx, Handbuch zur Flüchtlingsanerkennung Teil 1, § 19 RdNr. 69 bis 79; ders., Furcht vor Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, ZAR 2005, 177 f.).

Im Ergebnis ist die Unterscheidung zwischen politischer Verfolgung und rein privaten Auseinandersetzungen jedenfalls bei der Prüfung des Verfolgungsakteurs obsolet. Beim Vorliegen eines Verfolgungsgrundes kommt es nicht mehr auf die Person des Verfolgers, sondern auf die Frage an, ob hiergegen im Herkunftsstaat effektiver Schutz erlangt werden kann. Die Art des Verfolgungsakteurs bleibt relevant für die Frage, ob dem Verfolgten eine hinreichende Schutzgewährung zuteil wird bzw. er in zumutbarer Weise im Herkunftsland um Schutz vor Verfolgung nachsuchen kann (vgl. Göbel-Zimmermann/Masuch in Huber, AufenthG, 1. Aufl. 2010, RdNr. 29 ff.). Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob bei einer Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure eine Gefahr geschlechtsspezifischer Verfolgung für alleinstehende Frauen ohne Unterstützung durch den Familienverband besteht (vgl. BayVGH, B.v. 11.03.2010, Az. 6 ZB 09.30001).

Die Klägerin hat zur Überzeugung des Gericht glaubhaft gemacht, dass ihr im Falle einer Rückkehr in den Iran geschlechtsspezifische Verfolgung i.S. von § 60 Abs. 1 Satz 1, 3, 4c AufenthG droht, die direkt bzw. indirekt von ihrem Ehemann bzw. von ihren Familien ausgeht.

Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung am 2. November 2011 glaubhaft und überzeugend von den Misshandlungen berichtet. So hat sie vorgetragen – und das deckt sich auch mit den in der vorgelegten Bundesamtsakte enthaltenen Erkenntnissen –, dass ihr Mann sie schon im Jahre 2008 zusammengeschlagen hat, obwohl sie schwanger gewesen ist. Sie habe das Kind seinerzeit während der Trennungsphase abtreiben lassen. Außerdem sei sie in der Folgezeit – wie auch schon zuvor – nach der Rückkehr zu ihrem Ehemann täglich geschlagen worden. Selbst die Nachbarn hätten ihren Ehemann darauf angesprochen. Die tätlichen Übergriffe des Ehemanns der Klägerin, gerade auch in Form der „häuslichen Gewalt“, werden des Weiteren belegt durch die zum Verfahren beigezogene polizeiliche Ermittlungsakte über einen Vorfall am 6. Oktober 2011, in deren Folge die Klägerin ins Universitätsklinikum Würzburg eingeliefert wurde. Weiter belegt das Attest des Universitätsklinikums Würzburg vom 7. Oktober 2011 Verletzungen der Klägerin, die als Opfer häuslicher Gewalt durch den Ehemann beigebracht worden sind. Dem Attest des Universitätsklinikums Würzburg ist des Weiteren zu entnehmen, dass die Klägerin neben den akuten Verletzungen auch im Bereich der unteren Extremitäten mit älteren Hämatomen übersät war. Darüber hinaus haben die Übergriffe des Ehemannes auch insofern zu psychischen Schäden geführt, als die Klägerin vorgetragen hat, dass sie nicht mehr ruhig schlafen könne und Angst vor ihrem Mann habe.

Infolge der letzten Misshandlungen hat die Klägerin sich von ihrem Ehemann getrennt. Ausgehend vom maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) hat das Gericht keine Zweifel, dass die Trennung der Klägerin vom Ehemann nun auch nachhaltig und auf Dauer ist. Die Klägerin hat erklärt, dass es für sie ausgeschlossen sei, so wie im Jahr 2009 erneut zu ihrem Ehemann zurückzukehren. Der Klägerbevollmächtigte hat ergänzt, zurzeit laufe ein entsprechender Umverteilungsantrag, dass die Klägerin gegebenenfalls nach München käme, um dort sicher zu sein. Des Weiteren ergibt sich aus der polizeilichen Ermittlungsakte, dass der Schutz der Klägerin in der bisherigen Umgebung nicht gewährleistet ist. Die Polizei hat auch ein Kontaktverbot ausgesprochen. Die Klägerin hat des Weiteren in der mündlichen Verhandlung glaubhaft vorgetragen, dass sie gegebenenfalls bereit sei, auch auf das Sorgerecht für das Kind zu verzichten. Eine Rückkehr zu ihrem Ehemann hält sie für völlig ausgeschlossen.

Weiter ist das Gericht überzeugt, dass die vom Ehemann bzw. von Familienangehörigen ausgesprochenen Drohungen gegenüber der Klägerin ernsthaft und realistisch sind, so dass ihr eine alleinige Rückkehr in den Iran nicht zugemutet werden kann. So hat sowohl ihr Schwager (der Bruder ihres Mannes) gedroht, sie töten zu wollen, wenn sie nicht zu ihrem Mann zurückkehre und allein in den Iran zurückkomme. Des Weiteren hat ihr ältester Bruder sie angerufen und ausdrücklich gedroht, sie zu töten, wenn sie allein ohne ihren Ehemann in den Iran zurückkehre. Ihr Bruder hat diese Drohung nicht nur persönlich ihr gegenüber ausgesprochen, sondern auch gegenüber einer Freundin. In der schon erwähnten polizeilichen Ermittlungsakte sind ebenfalls entsprechende Drohungen des Ehemannes vermerkt. Die Klägerin hat in Konsequenz der Drohungen den telefonischen Kontakt mit ihrer Familie insoweit abgebrochen, als sie die SIM-Karte des Telefons ausgetauscht und sich eine neue Telefonnummer zugelegt hat.

Weiterhin hat die Klägerin nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass sich bei einer Rückkehr in den Iran die ganze Familie einig sei, dass es eine Schande sei, wenn sie sich von ihrem Mann trenne. Die logische Konsequenz sei der Tod. Ihr drohe ein Ehrenmord. Die Familie wolle nicht das Gesicht verlieren. Unterstrichen wird diese Aussage dadurch, dass die Mutter der Klägerin und der Vater ihres Ehemanns Geschwister sind, sie und ihr Ehemann also Cousins sind. Dadurch droht der Klägerin Todesgefahr nicht bloß von der Familie des Ehemannes, sondern auch von ihrer eigenen Familie bzw. der gesamten Familie. Unter diesem Aspekt besteht für die Klägerin auch keine inländische Fluchtalternative (§ 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG). Sie kann sich bei einer Rückkehr nicht auf sonstige familiäre Beziehungen stützen. Eine alleinige Rückkehr in den Iran an einen sonstigen Ort ist ihr nicht zuzumuten.

Die Aussagen der Klägerin und ihre Befürchtungen decken sich mit den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Unterlagen. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 27. Februar 2011, S. 31 ff., besteht im Iran eine geschlechtsspezifische Verfolgung von Frauen. Frauen, die ehelicher oder häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, können nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes nicht uneingeschränkt darauf vertrauen, dass effektiver staatlicher Schutz gewährt wird. Nach dem dortigen Recht kann sich einer Frau nur ausnahmsweise von ihrem Mann trennen. Im Iran bestehen nach wie vor zahlreiche diskriminierende Beschränkungen in Bezug auf Familienrecht, Zivilrecht und Strafrecht.

Einer Auskunft von amnesty international vom 9. Februar 2008 an das OVG Saarland ist zu entnehmen, dass der Umstand, dass sich eine Frau von ihrem Ehemann im Ausland getrennt und ihn verlassen hat, und sich weigert, zum Ehemann zurückzukehren, als Indiz für ihre Untreue und für unmoralisches Verhalten gewertet werden kann, welches in der iranischen Gesellschaft nicht geduldet wird.

Des Weiteren ist auf die Unterlagen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zu verweisen (vgl. Iran: Sanktion bei Verstoß gegen moralische Normen vom 30. Juni 2007 sowie Iran: Sanktion bei Verdacht des Ehebruchs vom 16. Mai 2007). Danach kann schon das Verlassen des Hauses oder der Umgang mit nicht verwandten Männern Anlass zur Beschuldigung unmoralischen Verhaltens geben. Die Frau ist für das Ansehen der eigenen Familie maßgeblich verantwortlich. Das Reinhalten der Ehre des Mannes oder seines Haushalts heißt auch nach dem in anderen orientalischen Gesellschaften wirksamen Ehre/Schande-Konzept ein Bewahren der ihm zugerechneten Frauen vor allem Gerede. Sowohl die Bedrohung durch die staatliche Strafverfolgung als auch der kaum existierende staatliche Schutz vor Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure, etwa durch Männer und sonstige Verwandte, unterstreichen die schwache Position der Frau im traditionellen Kontext und ein Klima der Willkür, soweit es um die Wahrnehmung ihrer Rechte geht. Man wird häufig nicht bei Verdacht von Ehebruch vor Gericht gebracht, sondern der Tradition entsprechend mit Schlägen, Einsperren und Tötungen bestraft. Hierbei spielen der gesellschaftliche Druck, Ehrvorstellungen sowie die Überzeugung, die Familienehre retten zu müssen, eine entscheidende Rolle. Die Täter, meist männliche Verwandte, können straffrei ausgehen oder kommen mit milderen Urteilen davon. Die Frau wird für das Ansehen der eigenen Familie verantwortlich gemacht und ihr Verhalten wird auch anhand dieser Normen streng kontrolliert. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen im Einzelfall auch der Grad der Frömmigkeit und Traditionsabhängigkeit der einzelnen Familien sowie ihr gesellschaftliches Umfeld. Gerade das Verlassen des Ehemanns und ein daraufhin folgendes Verbleiben im Ausland werden zu Lasten der Frau gewertet.

Die vorliegenden Erkenntnisse werden gestützt durch eine Auskunft des GIGA vom 4. Mai 2007 an das OVG des Saarlandes. Wenn der Ehemann meint, aufgrund eines vermeintlich untreuen Verhaltens seiner Frau irgendwie Aktionen gegen die Frau starten zu müssen, dann ist das eine individuelle persönliche Angelegenheit, die in seinem Belieben steht. Ortsüblich-realistisch ist immer die Tatsache mit zu berücksichtigen, dass der „gehörnte“ Ehemann im Iran nicht nur in seiner Ehre verletzt, sondern auch in seinem sozialen Ansehen der Mitwelt gegenüber insoweit beschädigt ist. Das Vorhaben der Ehefrau, die eheliche Lebensgemeinschaft mit ihrem Ehemann nicht fortzusetzen, gilt nach islamischem Recht als unbotmäßig. Ein Ehebruch durch die Ehefrau stellt für einen männlichen Iraner eine Kränkung in schwerstem Maße dar.

Nach der vorliegenden Erkenntnislage ist der Klägerin im konkreten Fall und zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung eine Rückkehr in den Iran nicht zuzumuten. Vielmehr droht ihr eine asylerhebliche, an das äußerliche Merkmal des Geschlechts anknüpfende Verfolgung, da sie sich gegen den Willen ihres Mannes von ihm getrennt hat. Der Klägerin droht von nichtstaatlichen Akteuren ausgehende Verfolgung. Der iranische Staat ist weder in der Lage noch willens, Schutz vor Verfolgung durch Familienangehörige in Fällen der vorliegenden Art zu bieten, wie die oben zitierten Auskünfte belegen. Frauen können bei ehelicher oder häuslicher Gewalt gerade nicht darauf vertrauen, dass ihnen effektiver staatlicher Schutz gewährt wird. Für die Klägerin besteht gerade auch im Hinblick auf ihre persönlichen familiären Verhältnisse keine inländische Fluchtalternative i.S. von § 60 Abs. 1 Satz 4 letzter Halbsatz AufenthG. Die Möglichkeit eines regionalen Ausweichens innerhalb des Irans ist zu verneinen (vgl. auch VG Stuttgart, U.v. 14.03.2011, Az. 11 K 553/10, NVwZ-RR 2011, 501; VG Stuttgart, U.v. 09.03.2006, Az. 11 K 11112/04; VG Düsseldorf, U.v. 25.08.2009, Az. 22 K 4844/08.A).

Der Klägerin ist nach ihren persönlichen Umständen gerade vor dem Hintergrund, dass sie als Cousine ihres Ehemanns auch mit ihm bzw. dessen Familie verwandt ist, und aufgrund des Umstandes, dass von beiden, also sowohl von ihrem eigenen Bruder als auch vom Bruder ihres Ehemannes Todesdrohungen ausgestoßen sind, nicht zuzumuten, in den Iran zurückzukehren. Sie könnte auf keinerlei familiäre Hilfe zugreifen und wäre auf sich allein gestellt. Sie hätte keine Verwandten, unter deren Schutz sie sich stellen könnte und die in der Lage wären, sie zu betreuen und zu versorgen. Nach alledem ist das Gericht nach informatorischer Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 2. November 2011 aufgrund der schriftlich vorgelegten Unterlagen und der beigezogenen Behörden- und Polizeiakten von den nachvollziehbar und in sich schlüssigen Schilderungen der Klägerin überzeugt. Zudem hat das Gericht aufgrund der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismittel keine Zweifel, dass der Klägerin bei einer Rückkehr in den Iran, nachdem sie ihren Mann gegen dessen Willen verlassen hat, eine Verfolgung i.S. des § 60 Abs. 1 AufenthG droht, so dass ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist.

Nach § 28 Abs. 1a AsylVfG kann sich die Klägerin bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG auch auf Umstände stützen, die nach Verlassen ihres Herkunftslandes entstanden sind.

Nach alledem war der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen und der angefochtene Bundesamtsbescheid insoweit in den Nrn. 2 bis 4 aufzuheben. Über die hilfsweise gestellten Anträge zum subsidiären Abschiebungsschutz (§ 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG) war nicht zu entscheiden.

Des Weiteren war auch die Abschiebungsandrohung aufzuheben, da nach § 34 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. §§ 59 und 60 Abs. 10 AufenthG das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Abschiebungsdrohung nur erlässt, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt und ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wird und er keinen Aufenthaltstitel besitzt. Im Fall der Flüchtlingsanerkennung darf umgekehrt eine Abschiebungsandrohung nicht ergehen. Neben der Aufhebung der entsprechenden Antragsablehnung im Bundesamtsbescheid war daher auch die dort verfügte Abschiebungsandrohung mit Ausreisefristbestimmung als rechtswidrig aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG, da die Klägerin im vollen Umfang obsiegt hat.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.