OLG München, Beschluss vom 26.09.2011 - 11 W 1719/11
Fundstelle
openJur 2012, 118230
  • Rkr:
Tenor

Die weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die weitere Beschwerde der Staatskasse richtet sich gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 20.07.2011, durch den auf Beschwerde des Beratungshelfers die Vergütung einer vom Amtsgericht bewilligten Beratungshilfe auf insgesamt 189,92 € festgesetzt wurde.

Auf die Sachdarstellung des Landgerichts wird Bezug genommen.

In dem angegriffenen Beschluss schließt sich das Landgericht nach ausführlicher Darstellung der unterschiedlichen Auffassungen in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte unter Abkehr von der bisher vom Senat vertretenen Auffassung (11 WF 1369/87 vom 4.12.87; 11 WF 1093/97 vom 17.2.1998 und 11 W 2318/08 vom 19.12.2008) der Meinung des Oberlandesgerichts Stuttgart an (FamRZ 2007, 574), wonach Regelungen für die Zeit der Trennung eine eigene Angelegenheit und die Scheidung mit den Folgesachen im Sinne des § 16 Nr. 4 RVG ebenfalls eine eigene Angelegenheit darstellen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die vom Landgericht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache ausdrücklich zugelassene und mit Schreiben vom 05.09.2011 für die Staatskasse eingelegte weitere Beschwerde. Zur Begründung wird auf die bisherige Rechtsprechung des Senats Bezug genommen, wonach unabhängig von der Anzahl der Gegenstände sowie dem zeitlichem Umfang der Beratungshilfe in derartigen Fällen vom Beratungsanwalt immer nur eine Angelegenheit Trennung/Scheidung abgerechnet werden könne.

Nach Nichtabhilfe durch die Kammer wurden die Akten dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

1. Die weitere Beschwerde ist aufgrund ihrer Zulassung durch das Landgericht München I in dem Beschluss vom 26.07.2011 statthaft § 56 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 6 RVG. Sie ist auch zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben worden. Die am 06.09.2011 eingegangene Beschwerde gegen den am 26.07.2011 zur Zustellung expedierten Beschluss des Landgerichts ist rechtzeitig, da sich ein Nachweis über die förmliche Zustellung des landgerichtlichen Beschlusses an die Staatskasse in den Akten nicht findet. Diese wurde nach einem Vermerk der Rechtspflegerin erst am 22.08. 2011 dem zuständigen Bezirksrevisor zugeleitet. Die 2 Wochenfrist gemäß §§ 33 Abs. 6 Satz 4 i.V.m. Abs. 3 Satz 3 RVG ist somit gewahrt.

2. Die weitere Beschwerde ist jedoch unbegründet, da die angefochtene Entscheidung nicht auf einer Rechtsverletzung beruht, §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 6 Satz 2 RVG, 546 ZPO. Der Senat folgt unter teilweiser Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung der Auffassung des Landgerichts , dass bei Beratungshilfe, die für den Fall der Trennung mit einer Mehrzahl zu regelnder Rechtsbeziehungen und für den Fall der nachfolgenden Scheidung mit mehreren Folgesachen geleistet wird, insgesamt mindestens zwei verschiedene Angelegenheiten vorliegen.

a) Gemäß § 44 RVG erhält der Rechtsanwalt für die Tätigkeit im Rahmen der Beratungshilfe eine Vergütung nach § 2 Abs. 2 RVG i.V.m. Nr. 2500 bis 2508 VV RVG. Voraussetzung ist die Erteilung eines Berechtigungsscheins außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens in bestimmten Angelegenheiten § 2 Abs. 2 BerHG. Damit ist dieser Begriff die Basis des Vergütungsanspruchs des Beratungshilfeanwalts, da er pro Angelegenheit die Pauschalgebühr von 70,00 € lediglich einmal erhält, ohne dass es im Prinzip auf den zeitlichen Umfang der Tätigkeit oder die Anzahl der Rechtsverhältnisse ankommt, in denen Rechtsrat erteilt wird.

b) Zur Auslegung und Bestimmung des Umfangs einer Angelegenheit in familienrechtlichen Beratungsverhältnissen wird ein breites Spektrum an Lösungsvorschlägen in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte vertreten (siehe dazu Gerold/Schmidt/Müller-Rabe RVG 19. Aufl. § 16 Rn 29 ff). Dabei hat der Senat bisher die Auffassung vertreten, dass unabhängig von der Anzahl der Gegenstände Trennung und Scheidung immer einen einheitlichen innerlich zusammengehörigen Lebenssachverhalt bilden, dem ein einheitlicher Auftrag zugrunde liegt und der deshalb einen einheitlichen Rahmen der Tätigkeit des Anwalts vorgibt. Diese Auffassung des Senats war gestützt auf die Regelungen der Angelegenheit in § 15 Abs. 2 RVG und der Regelung des "Gegenstandes" der anwaltlichen Tätigkeit in § 22 Abs. 1 RVG (siehe Senat vom 19.12.2008 11 W 2318/08; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 18. Aufl. § 16 Rn 18 und 25 und Senat MDR 88,330; ebenso OLG Nürnberg, MDR 2004, 1186).

Die abweichenden Auffassungen anderer Oberlandesgerichte, die für Scheidung nebst Folgesachen (OLG Düsseldorf AnwBl. 1986, 162; FamRZ 2009, 1244; OLG Braunschweig AnwBl. 1984, 514; OLG Hamm AGS 2005, 30 und OLG Köln FamRZ 2009, 1345; KG RVGreport 10,141) aber auch bei Scheidung/Folgesachen/Trennung und selbst unter verschiedenen Trennungsgegenständen jeweils gebührenrechtlich eigene Angelegenheiten annehmen (OLG Stuttgart vom 4.10.2006 8 W 360/06; OLG Düsseldorf FamRZ 2009, 713; OLG Frankfurt AGS 09,593; ders. RVGreport 2010, 143; OLG Hamm FamRZ 05,532; OLG Dresden RVGreport, 2011, 219; OLG Nürnberg vom 29.03.2011 11 WF 1590/10 und OLG Bamberg vom 28.12.2010 8 W 97/10) wurde vom Senat vor diesem Hintergrund abgelehnt, da der innere Zusammenhang der jeweiligen Beratungsgegenstände durch diese Aufspaltung in verschiedene Angelegenheiten nicht hinreichend berücksichtigt würde (Senat 11 W 2318/08).

3. An dieser bisher vertretenen Auffassung hält der Senat jedenfalls für den hier zu beurteilenden Einzelfall nicht länger fest.

a) § 16 Nr. 4 RVG verklammert bei der gerichtlichen Beratung die Scheidungssache und die Folgesachen (früher § 621 Abs. 1 Nr 1, 623 Abs. 1-3, Abs. 5 jetzt § 137 Abs. 2, 3 FamFG) zu einer Angelegenheit. Nachdem der Begriff der Angelegenheit gem. § 15 Abs. 2 RVG schon früher ausdrücklich auf die außergerichtliche Beratung übertragen wurde, ist es aus Sicht des Senats folgerichtig, auch die Regelung des § 16 Nr. 4 RVG zur Abgrenzung der Angelegenheit bei Scheidung und Folgesachen für die Beratungshilfe heranzuziehen und daraus gebührenrechtliche Folgerungen zu ziehen (so OLG Stuttgart 8 W 360/06). Den Verfechtern der gegenteiligen Meinung, die für die Beratungshilfe auch im Bereich der Scheidung und Folgensachen untereinander jeweils von einer eigenen Angelegenheit ausgehen (OLG Düsseldorf FamRZ 2009, 1244; Köln FamRZ 2009, 1345) ist zwar zuzugeben, dass die Anwendbarkeit von § 16 Nr. 4 RVG nicht zwingend erscheint, da die Vorschrift ausdrücklich lediglich das gerichtliche Verbundverfahren erfasst und die dort geltende Kompensation der Zusammenrechnung der Gebührenstreitwerte im Beratungshilferecht gerade nicht gilt.

b) Eine Rechtsverletzung bei Auslegung des Begriffs der Angelegenheit im Sinne des § 2 Beratungshilfegesetz kann der Senat jedoch nicht feststellen, da sich das Landgericht bei der Abgrenzung - insoweit übereinstimmend mit der Senatsrechtsprechung - vor allem auf den inneren Zusammenhang zwischen den einzelnen Gegenständen und den einheitlichen Rahmen des äußeren Lebenssachverhaltes Scheidung/Trennung stützt, der letztlich auch der Regelung des § 16 Nr. 4 RVG zugrunde liegt. Darüber hinaus läßt das Landgericht dessen Anwendbarkeit ausdrücklich offen.

Gleichwohl kann aus der Regelung des § 16 Nr 4 RVG abgeleitet werden, dass nach dem Willen des Gesetzgebers ein innerer Zusammenhang zwischen dem Lebenssachverhalt Trennung und ihrer Folgen, sowie dem Lebenssachverhalt Scheidung und ihrer Folgen nicht anzunehmen ist, da die Trennung im Katalog der Scheidungsfolgesachen nicht aufgeführt ist. Als Folge davon gelten - mit Ausnahme des Kindesunterhalts - Regelungen für die Zeit der Trennung im Scheidungsfall nicht fort, die Scheidung stellt insoweit eine Zäsur dar (so auch OLG Stuttgart aaO). Zutreffend ist aber dann die Folgerung des Landgerichts, dass Regelungen für die Zeit der Trennung, die nicht Folgesache der Scheidung sind, auch gebührenrechtlich nicht als dieselbe Angelegenheit wie die Scheidung und ihre Folgesachen anzusehen sind (so auch Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert Müller-Rabe RVG 17. Aufl. VV 2005-2508 Rn 26; OLG Brandenburg RVGreport 2010, 143 und FamRZ 2010, 833 und OLG Stuttgart aaO). In dem vom Senat anders entschiedenen Fall 11 WF 2318/08 war zudem nicht glaubhaft gemacht, ob überhaupt eine außergerichtliche Beratung zum Gegenstand "Unterhalt für den Fall der Scheidung" stattgefunden hatte.

Die Annahme von zwei Angelegenheiten bei Trennung und Scheidung bietet den Vorteil, dass der Umfang der abzurechnenden Angelegenheiten vom Urkundsbeamten nicht in jedem Einzelfall gesondert zu bestimmen ist (so aber Gerold/Schmidt/Müller-Rabe RVG 19. Aufl. § 16 Rn 28). Eine Einzelfallprüfung wäre für den Urkundsbeamten nicht zumutbar (so auch Düsseldorf, FamRZ 2009, 1244; Köln FamRZ 09,1345). Die Annahme von wenigstens zwei Angelegenheiten verwirklicht den vom Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 31.10.01 (NJW 2002, 429) erwähnten Gedanken der Gebührengerechtigkeit, da sie dem Aufwand umfangreicher Erstberatungen bei mehreren Gegenständen jedenfalls in einer Höhe Rechnung trägt, die der Vergütung von Verfahrenspflegern bei vergleichbarem Zeitaufwand entspricht.

4. Eine Kostenentscheidung war nicht veranlaßt, da das Verfahren gebührenfrei ist, § 33 Abs. 9 RVG.