Bayerischer VGH, Beschluss vom 22.06.2011 - 7 CE 11.10332
Fundstelle
openJur 2012, 116245
  • Rkr:
Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,-- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Zulassung zum Studium der Humanmedizin (Vorklinik) im ersten Fachsemester an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) für das Wintersemester 2010/ 2011.

Das Bayerische Verwaltungsgericht München hat den Antrag mit Beschluss vom 17. Februar 2011 abgelehnt.

Mit der Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Rechtsschutzziel weiter. Sie macht geltend, die LMU habe ihre Ausbildungskapazität nicht ausgeschöpft. Das Verwaltungsgericht habe die Verringerung der Lehrkapazität zu Unrecht nicht beanstandet. Es habe den Wegfall einer Professorenstelle sowie zweier Stellen in der Gruppe der wissenschaftlichen Assistenten ohne nähere Prüfung allein deshalb hingenommen, weil der eingetretene Verlust an Lehrveranstaltungsstunden (LVS) anderweitig (unter anderem durch eine Deputatserhöhung bei zwei Angestelltenstellen und Stellenänderungen im Fach Biochemie) ausgeglichen worden und eine Minderung des Gesamtlehrdeputats insoweit nicht eingetreten sei. Für die - fachübergreifenden - Stellenänderungen fehle es indes an einer nachvollziehbaren Begründung der LMU. Ferner sei für die Gruppe der wissenschaftlichen Mitarbeiter im Beamtenverhältnis der pauschale Ansatz einer Lehrverpflichtung von jeweils neun LVS zu gering. Andere Hochschulen würden teilweise (für Inhaber einer „neuen“ Stelle) eine Lehrverpflichtung von 10 LVS vorsehen. Außerdem sei in „harten NC-Fächern“ regelmäßig die „höchste Lehrverpflichtung anzusetzen“. Schließlich sei die Schwundberechnung „zu hinterfragen“. Nach der von der Antragstellerin vorgenommenen Schwundberechnung ergebe sich eine Vielzahl noch freier zusätzlicher Studienplätze. Die Berechnung müsse im Übrigen über zehn (und nicht nur über fünf) Semester erfolgen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz des Bevollmächtigten der Antragstellerin vom 8. April 2011 verwiesen.

Der Antragsgegner widersetzt sich der Beschwerde.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, auf das sich die Prüfung des Senats beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), begründet den geltend gemachten Anordnungsanspruch der Antragstellerin nicht.

1. Das Verwaltungsgericht geht zu Recht davon aus, dass die LMU ihre Ausbildungskapazität im Studiengang Humanmedizin (Vorklinik) ausgeschöpft hat. Der Senat folgt den Gründen des streitgegenständlichen Beschlusses des Verwaltungsgerichts und nimmt hierauf Bezug (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Ergänzend ist im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen zu bemerken:

a) Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Überprüfung des zur Verfügung stehenden Lehrangebots der Lehreinheit Humanmedizin (Vorklinik) der LMU im Wintersemester 2010/2011 dahin, ob im Vergleich zum Vorjahr sich ergebende Änderungen der personellen Ausstattung im Ergebnis zu einer Verringerung des Lehrangebots geführt haben oder etwaige Verringerungen durch entsprechende Mehrungen des Lehrangebots (etwa durch Deputatserhöhungen bei wissenschaftlichen Angestellten oder Stellenänderungen) ausgeglichen worden sind, ist nicht zu beanstanden.

Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, Minderungen des Lehrangebots bedürften dann keiner besonderen Begründung seitens der LMU, wenn sie durch entsprechende Mehrungen des Lehrangebots der Lehreinheit vollständig ausgeglichen würden, entspricht der bisherigen Rechtsprechung des Senats (vgl. z.B. BayVGH vom 3.5.2010 Az. 7 CE 10.10094 <juris> RdNr. 16 und vom 21.5.2008 Az. 7 CE 08.10093 <juris> RdNr. 11). Zwar sind absolute Zulassungsbeschränkungen für Studienanfänger einer bestimmten Fachrichtung nur dann verfassungsmäßig, wenn sie in den Grenzen des unbedingt Erforderlichen unter erschöpfender Nutzung der vorhandenen Ausbildungskapazitäten angeordnet werden (vgl. BVerfG vom 18.7.1972 BVerfGE 33, 303 ff.). Folglich sind Kapazitätsminderungen auf das unbedingt erforderliche Maß zu beschränken und das Zugangsrecht der Hochschulbewerber ist dabei mit den ebenfalls grundrechtlich geschützten Belangen der Hochschulen und Lehrpersonen sowie den Ausbildungsbedürfnissen der bereits zugelassenen Studenten umfassend abzuwägen (vgl. z.B. BVerfG vom 8.2.1984 BVerfGE 66, 155/177 ff.; BVerwG vom 15.12.1989 DVBl 1990, 530 f.). Die Hochschulbewerber haben jedoch grundsätzlich keinen einklagbaren Anspruch auf Erhöhung der Ausbildungskapazitäten, weil auch Teilhaberechte nach dem Grundgesetz stets unter dem Vorbehalt des Möglichen im Sinne dessen stehen, was der Einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen kann. Die Entscheidung über Umfang und Prioritäten des Hochschulausbaus obliegt dabei in erster Linie dem Gesetzgeber (vgl. BVerfG vom 18.7.1972 a.a.O.). Lassen somit die von der Hochschule im Rahmen ihrer Gestaltungs- und Organisationsfreiheit getroffenen Entscheidungen die Ausbildungskapazität der betroffenen Lehreinheit im Ergebnis unverändert, so finden auch die erhöhten Abwägungs- und Begründungserfordernisse, die sonst an eine Kapazitätsminderung zu stellen wären, keine Anwendung (vgl. BayVGH vom 3.5.2010 a.a.O.). Weil der betroffenen Lehreinheit für die Berechnung ihres Lehrangebots alle Stellen des wissenschaftlichen und künstlerischen Lehrpersonals und der sonstigen Lehrpersonen zuzuordnen sind (vgl. § 45 Abs. 1 Satz 1 HZV), kommt es ferner auf die Frage, innerhalb welcher Gruppe der Lehrpersonen und aus welchen hochschulinternen Gründen jeweils der Ausgleich einzelner Minderungen von Lehrverpflichtungen stattfindet, nicht an. Das Verwaltungsgericht hat deshalb zu Recht (unter anderem) Deputatserhöhungen der wissenschaftlichen Angestellten sowie Stellenänderungen im Fach Biochemie in seine Prüfung einbezogen, ob die Änderungen der personellen Ausstattung der Lehreinheit Humanmedizin (Vorklinik) kapazitätsneutral geblieben sind.

b) Die Gruppe der wissenschaftlichen Mitarbeiter im Beamtenverhältnis ist in die Berechnung des Lehrangebots zu Recht mit einem pauschalen Ansatz einer Lehrverpflichtung von jeweils neun LVS einbezogen worden. Wissenschaftliche Mitarbeiter im Sinn des § 4 Abs. 1 Nr. 6 der Verordnung über die Lehrverpflichtung des wissenschaftlichen und künstlerischen Personals an Universitäten, Kunsthochschulen und Fachhochschulen (Lehrverpflichtungsverordnung – LUFV) vom 14. Februar 2007 (GVBl S. 201, BayRS 2030-2-21-WFK), geändert durch Verordnung vom 12. März 2008 (GVBl S. 81), haben - soweit ihnen Lehraufgaben übertragen werden - eine Lehrverpflichtung von höchstens zehn Lehrveranstaltungsstunden. Dass dieser Maximalwert im Hinblick auf die von dieser Personengruppe wahrzunehmenden weiteren Dienstaufgaben regelmäßig nicht voll ausgeschöpft wird, begegnet nach ständiger Rechtsprechung des Senats keinen Bedenken. Es gibt auch unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Verpflichtung der LMU zur erschöpfenden Nutzung der vorhandenen Ausbildungskapazitäten (vgl. BVerfG vom 18.7.1972 BVerfGE 33, 303 ff.) keinen zwingenden Grund, die Lehrtätigkeit dieser Gruppe von Mitarbeitern einseitig zu Lasten ihrer Forschungstätigkeit oder ihrer sonstigen Aufgaben auszuweiten (vgl. z.B. BayVGH vom 13.7.2007 Az. 7 CE 07.10109 u.a. <juris> RdNr. 7). Die personellen Verhältnisse in anderen Hochschulen sind insoweit unerheblich.

c) Die von der LMU im Rahmen ihrer Kapazitätsermittlung vorgenommene und vom Verwaltungsgericht überprüfte Berechnung der streitgegenständlichen Schwundquote (§ 53 der Verordnung über die Hochschulzulassung an den staatlichen Hochschulen in Bayern [Hochschulzulassungsverordnung - HZV] vom 18.6.2007 [GVBl S. 401, BayRS 2210-8-2-1-1-WFK], zuletzt geändert durch Verordnung vom 15.4.2011 [GVBl S. 213]), ist ebenfalls nicht zu beanstanden.

Die Studienanfängerzahl ist nach der Bestimmung des § 53 HZV dann zu erhöhen, wenn zu erwarten ist, dass wegen Aufgabe des Studiums oder Fachwechsels oder Hochschulwechsels die Zahl der Abgänge an Studierenden in höheren Fachsemestern größer ist als die Zahl der Zugänge (Schwundquote). Maßgebend für die Ermittlung der Zugänge und Abgänge sind die jeweiligen statistischen Erhebungen über den Bestand der im betreffenden Studiengang vorhandenen (eingeschriebenen) Studierenden.

Eine „Korrektur“ der in die Schwundberechnung einbezogenen Bestandszahlen der Studenten kommt nach der Rechtsprechung des Senats nur dann in Betracht, wenn sich die Studentenzahlen aufgrund außergewöhnlicher Einflussfaktoren in „atypischer“ Weise entwickeln und diese im sonstigen Studienverlauf ungewöhnliche Entwicklung in geeigneter Weise rechnerisch auszugleichen oder zu neutralisieren ist. Dies kann etwa bei gerichtlich nachträglich zugelassenen Studenten der Fall sein, wenn sich bei Zugrundelegung der Bestandszahlen eine „ganz ungewöhnliche („positive“) Schwundquote“ ergeben würde (vgl. z.B. BayVGH vom 24.8.2009 Az. 7 CE 09.10352 u.a. <juris> RdNr. 24 ff.).

Das Verwaltungsgericht hat bei der Überprüfung der von der LMU errechneten Schwundquote dem Umstand, dass sich unter Zugrundelegung der Bestandszahlen eine „positive“ Schwundquote ergeben würde, dadurch Rechnung getragen, dass es den auffälligen und ungewöhnlichen Anstieg der Bestandszahlen vom Wintersemester 2007/2008 (1. Fachsemester: 831 Studenten) zum Sommersemester 2008 (2. Fachsemester: 861 Studenten) und vom Sommersemester 2009 (2. Fachsemester: 774 Studenten) zum Wintersemester 2009/2010 (3. Fachsemester: 786 Studenten) durch eine Änderung der in die Berechnung einbezogenen Bestandszahlen „neutralisiert“ hat. Die von der Antragstellerin darüber hinaus begehrte „Korrektur“ der in die Schwundberechnung einzubeziehenden Bestandszahlen ist demgegenüber nicht veranlasst.

Die Antragstellerin weist in diesem Zusammenhang für das Wintersemester 2007/ 2008 und das Wintersemester 2008/2009 auf gerichtlich nachträglich zugelassene Studenten hin und begehrt, von den tatsächlichen Bestandszahlen abweichende (hypothetische) Studentenzahlen in die Schwundberechnung einzubeziehen. Dies hätte nach ihrer Berechnung eine deutlich geringere Schwundquote und somit eine Vielzahl noch freier zusätzlicher Studienplätze zur Folge. Für eine derartige - von den Bestandszahlen der in den jeweiligen Fachsemestern tatsächlich eingeschriebenen Studenten bereits von vornherein abweichende - (hypothetische) Berechnungsweise der Schwundquote gibt es jedoch keinen Anlass. Denn für die Schwundberechnung bleiben allein die statistischen Erhebungen über den Bestand der im betreffenden Studiengang tatsächlich vorhandenen (eingeschriebenen) Studenten maßgebend und nicht etwa hypothetische Überlegungen, wie viel Studierende möglicherweise einzuschreiben gewesen wären. Besonders ungewöhnliche Entwicklungen der Studentenzahlen im Studienverlauf sind gegebenenfalls, soweit notwendig, in geeigneter Weise rechnerisch auszugleichen. Dies hat das Verwaltungsgericht in seiner streitgegenständlichen Entscheidung getan. Für weitergehende Eingriffe in die Schwundberechnung ist kein Raum.

Die Berechnung der Schwundquote auf der Grundlage von fünf Semestern ist vom Senat ebenfalls nicht zu beanstanden. Der Zeitraum von fünf Semestern ist – wie das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Senats zutreffend ausgeführt hat – ausreichend lang, um eine verlässliche Prognose über das künftige Studierverhalten (Aufgabe des Studiums, Fach- oder Hochschulwechsel) abgeben zu können.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004 S. 1327).

3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs ... 1 VwGO).