Bayerischer VGH, Beschluss vom 21.06.2011 - 19 C 10.153
Fundstelle
openJur 2012, 116102
  • Rkr:
Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1. Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde des Klägers (§ 146 Abs. 1, § 147 VwGO) ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung abgelehnt, da die Klage im Haupt- und Hilfsantrag keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO; §§ 114, 121 Abs. 1 ZPO). Auf die Begründung im angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 30. November 2009 wird insoweit Bezug genommen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).

Zu den Ausführungen des Klägers im Beschwerdeverfahren ist ergänzend auszuführen:

1.1 Der Vorhalt, dass das Verwaltungsgericht bei der Ablehnung von Prozesskostenhilfe von einem unzutreffenden Maßstab ausgegangen sei, trifft offensichtlich nicht zu. Ausweislich des Obersatzes der Gründe II. hat es auf hinreichende Erfolgsaussichten abgestellt; die spätere Formulierung, dass die Klage nicht begründet sei, beruht auf der bei summarischer Prüfung gewonnen Überzeugung des Verwaltungsgerichts, dass weder hinsichtlich des Haupt- noch des Hilfsantrags ein Anspruch bestehe.

1.2 Der Kläger stellt im Beschwerdeverfahren nicht in Frage, dass § 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG die zutreffende Rechtsgrundlage für eine Wohnsitzauflage in der Aufenthaltserlaubnis darstellt. Er bestreitet auch nicht, dass er trotz des vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge festgestellten Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen unzureichender Behandelbarkeit einer Erkrankung in seinem Heimatland keinen subsidiären Schutzstatus gemäß Art. 18 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2008 (sog. Qualifikationsrichtlinie = QRL) besitzt, da er die Voraussetzungen des Art. 15 QRL nicht erfüllt. Vielmehr macht er geltend, dass er einem subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des Art. 18 QRL durch den Bundesgesetzgeber in § 25 Abs. 3 AufenthG gleichgestellt worden sei. Hierfür geben jedoch weder die Gesetzeslage noch die höchstrichterliche Rechtsprechung etwas her:

Mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz vom 28. August 2007 hat der Gesetzgeber die seit dem Zuwanderungsgesetz in § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG normierten ausländerrechtlichen Abschiebungsverbote geändert und in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG Vorgaben der Qualifikationsrichtlinie zum subsidiären Schutzstatus aufgenommen. Er hat dabei die positiven Voraussetzungen eines subsidiären Schutzstatus nach Art. 15 QRL als absolute Abschiebungsverbote ausgestaltet. Gegenüber den nationalen ausländerrechtlichen Abschiebungsverboten – wie in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG – stellt der subsidiäre Schutzstatus einen selbstständigen Streitgegenstand dar, der auch regelmäßig weitergehende Rechte als die Feststellung eines sonstigen (nationalen) ausländerrechtlichen Abschiebungsverbots vermittelt (vgl. BVerwG, U.v. 24.6.2008 – 10 C 43/07 insb. Tz 13 und 15). Aus der zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ergibt sich nicht, dass im Rahmen des – dort ausdrücklich behandelten - § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG eine Gleichstellung des nach nationalem Recht vor Abschiebung geschützten bzw. möglicherweise aufenthaltsberechtigten Ausländers mit einem subsidiär Schutzberechtigten nach der Qualifikationsrichtlinie beabsichtigt ist. Entgegen der Ansicht des Klägers stellt § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG auch lediglich die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für gemäß § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG vor Abschiebung geschützte Ausländer ins Ermessen der Ausländerbehörde und gebietet nicht, die nach nationalem Recht geschützten Ausländer hinsichtlich eventuell weitergehender Rechtsfolgen den subsidiär Schutzberechtigten gleichzustellen. Dagegen spricht vielmehr die Regelung in § 60 Abs. 11 AufenthG, die ausdrücklich bestimmt, dass (nur) für die Feststellung von Abschiebungsverboten gemäß Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG die einschlägigen Artikel der Qualifikationsrichtlinie über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatangehörigen gelten. Dem entsprechen auch die insoweit das behördliche Ermessen gemäß § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG bindenden bzw. zumindest leitenden Ziffern 12.2.5.2.1 und 2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum AufenthG (AVwV). Danach werden Wohnsitz beschränkende Auflagen erteilt bei Inhabern von Aufenthaltserlaubnissen nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des AufenthG (also auch gemäß § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG), soweit und so lange diese – wie hier der Kläger – Leistungen nach dem SGB II oder XII beziehen. Ein eine Ausnahme begründender Fall einer Veränderung des Wohnsitzes zum Zwecke der Erwerbstätigkeit (vgl. BayVGH, B.v. 19.2.2007 – 19 C 09.2793 u.a.) liegt hier nicht vor.

Auch im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG bedarf es keiner uneingeschränkten Gleichbehandlung von subsidiär Schutzberechtigten und Ausländern, bei denen ein Abschiebungsverbot nach nationalem Recht festgestellt wurde. Die jeweils zugrunde liegenden Regelungen beruhen auf den Entscheidungen verschiedener Normgeber, die jeweils unterschiedliche bzw. im Einzelfall weitergehende Rechte einräumen können (BVerwG a.a.O.; vgl. auch VG Oldenburg, U.v. 7.9.2009 – 11 A 1337/08). Dem Verwaltungsgericht Würzburg konnte bei dem vom Kläger zitierten Urteil vom 3. März 2008 – W 7 K 07.981 – die spätere höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts noch nicht bekannt sein; zudem wird dort die Reichweite des § 25 Abs. 3 AufenthG verkannt und die Vorschrift über die allein geregelte mögliche Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hinaus auf eine Gleichstellung mit subsidiär Schutzberechtigten erstreckt. In dem des Weiteren vom Kläger zitierten Beschluss des 21. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 23. Januar 2009 (21 BV 08.30134) wird die Frage einer Gleichstellung von nach nationalem Recht vor Abschiebung geschützten Ausländern mit subsidiär Schutzberechtigten bzw. die Regelungsweite des § 25 Abs. 3 AufenthG auch nicht ansatzweise problematisiert; hierzu bestand auch keinerlei Anlass, da ein völlig anderer Sachverhalt als vorliegend zugrunde lag, nämlich die Frage eines Ausnahmefalles i.S. Art. 4 Abs. 4 Satz 1 AufnG bei einer Verpflichtung zur Wohnsitznahme in einer Gemeinschaftsunterkunft. Im gegebenen Fall ist der Kläger jedoch frei, innerhalb des Landkreises einen Wohnsitz nach eigener Wahl zu nehmen, und auch in seiner sonstigen Bewegungsfreiheit uneingeschränkt. Auch das Bundesverfassungsgericht (vgl. B.v. 13.6.2006 – 1 BvR 1160/03) vertritt – dort betreffend den Rechtsschutz bei Vergabeentscheidungen – die Ansicht, dass es nicht den Gleichheitssatz verletze, wenn der nationale Gesetzgeber in Umsetzung entsprechender Vorgaben europarechtlicher Richtlinien oberhalb bzw. unterhalb des dort vorgesehen Schwellenwertes andere Gestaltungen treffe, und lässt es letztlich dahingestellt, ob Art. 3 Abs. 1 GG es gebiete, auch für von solchen Richtlinien nicht erfasste Sachverhalte die gleiche Regelung wie die europarechtlich vorgegebene zu schaffen.

Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass der Senat zwischenzeitlich auch in einem Hauptsacheverfahren (vgl. B.v. 9.5.2011 – 19 B 10.3284) entschieden hat, dass die Bestimmungen der QRL einer Wohnsitzauflage für einen Sozialhilfe beziehenden Ausländer, bei dem nach nationalem Recht ein krankheitsbedingtes Abschiebeverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festgestellt worden ist, nicht entgegen stehen.

Schließlich lässt der Kläger außer Betracht, dass selbst bei einer – nicht gegebenen – Gleichstellung mit subsidiär Schutzberechtigten im Sinne Art. 18 QRL den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eröffnet ist, die Bewegungsfreiheit (sogar) von Personen mit subsidiärem Schutzstatus unter gleichen Bedingungen wie für andere sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet aufhaltende Drittstaatsangehörige zu regeln (Art. 32 QRL), so dass § 12 Abs. 2 Satz 1 AufenthG auch bei Annahme einer Gleichbehandlung mit subsidiär Schutzberechtigten anwendbar wäre.

1.3 Die im Beschwerdeverfahren vom Kläger geltend gemachten weiteren Umstände führen zu keinem anderen Ergebnis:

Maßgeblicher Zeitpunkt für die gerichtliche Entscheidung ist grundsätzlich derjenige der sog. Entscheidungsreife, also der Zeitpunkt, zu dem das Prozesskostenhilfegesuch vollständig, einschließlich der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, vorliegt und dem Prozessgegner gegebenenfalls Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden ist (vgl. Kopp, Kommentar zur VwGO, 15. Aufl. 2007, RdNr. 14 a und 16 zu § 166). Im Beschwerdeverfahren ist grundsätzlich zu prüfen, ob die verwaltungsgerichtliche Entscheidung rechtmäßig war, insbesondere wenn – wie hier – das Hauptsacheverfahren bereits beendet ist (vgl. Einstellungsbeschluss vom 21.5.2010 – RO 9 K 09.1710) und eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht mehr der Rechtsverfolgung dient. Im Zeitpunkt des angefochtenen Beschlusses vom 30. November 2009 war der Kläger jedoch weder verheiratet noch Kindesvater, noch seine Lebensgefährtin erneut schwanger. Bei der Anschrift in P., wo der Kläger gemeldet war, handelte es sich auch nicht um eine Gemeinschaftsunterkunft, so dass ihm und seiner – nicht berufstätigen – Lebensgefährtin dort oder anderswo im Landkreis N. eine gemeinsame Wohnsitznahme möglich gewesen wäre. Würde man der entsprechenden Argumentation des Klägers folgen und vorliegend auf den „heutigen Zeitpunkt“ abstellen, also auf den der gerichtlichen Entscheidung im Beschwerdeverfahren, müsste zudem auch der zwischenzeitliche Umzug des Klägers zu seiner Lebensgefährtin aufgrund der Zuzugsgenehmigung der Stadt N. berücksichtigt werden.

2. Die Kostenentscheidung entspricht §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2 VwGO; die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 166 VwGO, § 127 Abs. 4 ZPO).

Einer Streitwertfestsetzung bedarf es im Hinblick auf § 3 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum GKG nicht.

Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§§ 152 Abs. 1, 158 Abs. 1 VwGO).