Bayerischer VGH, Urteil vom 19.05.2011 - 2 B 11.353
Fundstelle
openJur 2012, 115996
  • Rkr:
Tenor

I. In Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 29. Juni 2009 wird die Klage abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

III. Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen eine baurechtliche Verfügung, mit der ihr aufgegeben wurde, keine Personen in ihr Wohnheim aufzunehmen bzw. dort zu belassen, die dauerhaft zur Führung eines eigenen Haushalts und zu einer eigenverantwortlichen Lebensplanung nicht mehr in der Lage sind.

Das Wohnheim befindet sich in einem neungeschoßigen Gebäude (R… Straße …, Fl.Nr. …/3 der Gemarkung München VII), dessen Errichtung als Wohngebäude mit Bescheiden vom 30. April und 6. Dezember 1962 genehmigt wurde. Das Gebäude wurde seinerzeit nicht als Hochhaus eingestuft, da der Fußboden des 9. Obergeschoßes zwar mehr als 22 m über die Geländeoberfläche liegt, in diesem Geschoß jedoch nur Technikräume vorgesehen waren.

Das Gebäude wurde alsbald nach Fertigstellung für Zwecke des Betriebs eines Altenheims oder Altenwohnheims umgenutzt. Eine ausdrückliche Genehmigung dieser Nutzung nach Baurecht für den Gesamtbestand erfolgte zunächst nicht. Die Beklagte genehmigte aber wiederholt bauliche Änderungen oder Nutzungsänderungen, die sich auf diesen Betrieb bezogen. Unter anderem genehmigte die Beklagte mit Bescheid vom 26. Mai 1976 die Errichtung von drei Personalwohnungen im 9. Obergeschoß. Besondere Anforderungen an die Ausführung der Rettungswege im Hinblick darauf, dass das Gebäude damit als Hochhaus einzustufen war, wurden mit dem Bescheid nicht gestellt.

Eigentümer des Grundstücks ist mittlerweile eine Wohnungseigentümergemeinschaft, an der auch die Klägerin beteiligt ist. Diese beantragte am 15. März 1985 eine Baugenehmigung für die Nutzungsänderung des Gebäudes zu einem Seniorenwohnheim. Beigefügt waren dem Antrag Bestandspläne, jedoch keine Betriebsbeschreibung.

Mit Bescheid vom 6. Juli 1987 genehmigte die Beklagte die beantragte Nutzungsänderung. Mit weiterem Bescheid vom 15. Dezember 1989 wurde der Rechtsvorgängerin der Klägerin die heimrechtliche Erlaubnis für den Betrieb eines Altenwohnheims in dem Gebäude mit 107 Heimplätzen erteilt.

Bereits mit Schreiben vom 6. Juni 1989 hatte die Beklagte (Referat für Stadtplanung und Bauordnung) die Rechtsvorgängerin der Klägerin aufgefordert, verschiedene bei einer Überprüfung des Heims festgestellte Mängel des Brandschutzes zu beheben.

Mit Schreiben vom 8. August 1996 teilte die Beklagte (Heimaufsicht) der Klägerin mit, wegen der vorhandenen brandschutztechnischen Defizite, insbesondere des fehlenden zweiten baulichen Rettungsweges, sei es erforderlich, die Unterbringung pflegebedürftiger und desorientierter Heimbewohner auf maximal ein bis zwei Personen je Stockwerk zu beschränken. Sollte eine solche Reduzierung nicht mehr möglich sein, bestünden aus brandschutztechnischer Sicht dann keine Bedenken mehr, wenn das Gebäude bautechnisch nachgerüstet werde.

Mit weiterem Schreiben vom 4. März 1997 erläuterte die Beklagte näher, um welchen Personenkreis es gehe. Im Hinblick auf etwaige Schwierigkeiten bei der Rettung in einem Brandfall seien besonders problematisch bewegungsunfähige, stark gehbehinderte, dauernd bettlägerige, desorientierte und sonstige Personen, die auf dauernde oder überwiegend fremde Hilfe angewiesen seien.

Nach den Feststellungen der Beklagten hat sich die Zahl der pflegebedürftigen Heimbewohner im Lauf der Jahre kontinuierlich erhöht. Bei einer Heimnachschau am 20. September 2000 wurde festgestellt, dass von damals 94 Bewohnern 38 als pflegebedürftig eingestuft waren (Pflegestufe I: 20 Bewohner, Pflegestufe II: 12 Bewohner, Pflegestufe III: 6 Bewohner).

Verhandlungen zwischen den Beteiligten mit dem Ziel einer einvernehmlichen Lösung der Problematik durch bauliche Nachrüstung hinsichtlich des Brandschutzes führten zu keinem Ergebnis.

Mit Bescheid vom 7. Mai 2001 gab die Beklagte der Klägerin daraufhin auf, die Nutzung als Pflegeheim bzw. als Einrichtung für pflegebedürftige Personen bis zum Zeitpunkt einer entsprechenden baurechtlichen Genehmigung und der Erfüllung sämtlicher sicherheitsrelevanter Auflagen zu unterlassen. Die sofortige Vollziehung der Verfügung wurde angeordnet.

Zur Begründung wurde ausgeführt, Rechtsgrundlage für die Verfügung sei Art. 82 Satz 2 BayBO 1998. Danach könne die Nutzung baulicher Anlagen untersagt werden, sofern sie im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften erfolge. Dies sei hier der Fall, weil wegen der Aufnahme pflegebedürftiger Personen in das Wohnheim davon auszugehen sei, dass eine Nutzung als Pflegeheim erfolge, die aber nicht genehmigt und auch nicht offensichtlich genehmigungsfähig sei. Die Beklagte schreite regelmäßig bei Vorliegen einer rechtswidrigen Nutzung ein. Im vorliegenden Fall liege der Grund für die Nutzungsuntersagung im Wesentlichen in der Tatsache, dass pflegebedürftige Personen im Brandfall einer akuten Gefahr ausgesetzt seien, nicht rechtzeitig gerettet werden zu können, weil ein zweiter Rettungsweg fehle.

Mit weiterem Bescheid vom selben Tag wurde der Grundstückseigentümerin (Wohnungseigentümergemeinschaft) aufgegeben, ein Brandschutzkonzept und einen Bauantrag für die notwendige Nachrüstung einzureichen.

Einen Antrag der Klägerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des gegen die Nutzungsuntersagung eingelegten Widerspruchs lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 28. Juni 2001 ab (Az. M 8 S 01.2362). Mit Beschluss vom 27. August 2001 lehnte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof einen Antrag auf Zulassung der Beschwerde ab (Az. 2 ZS 01.2056). In den Gründen der Entscheidung führte der Senat aus, nach summarischer Prüfung sei davon auszugehen, dass die tatsächliche Nutzung des Gebäudes nicht mehr der genehmigten Nutzung als Seniorenwohnheim entspreche.

Nachdem die Beklagte erfahren hatte, dass die Klägerin zum 1. August 2001 eine gehbehinderte Frau mit Pflegestufe I als Bewohnerin aufgenommen hatte, gab sie der Klägerin mit Bescheid vom 17. Dezember 2001 auf, es ab sofort zu unterlassen, Personen, für die eine Pflegestufe festgestellt ist, in das Wohnheim aufzunehmen. Die sofortige Vollziehung der Verfügung wurde angeordnet. Weiter wurde der Klägerin ein Zwangsgeld in Höhe von 12.500 Euro angedroht.

Einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des gegen die Verfügung erhobenen Widerspruchs vom 21. Januar 2002 lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 16. Juli 2002 ab (Az. M 8 S 02.2416).

Auf der Grundlage eines im Auftrag der Grundstückseigentümerin erstellten Brandschutzkonzepts (Gutachten vom 2.2.2004) ist mittlerweile eine brandschutztechnische Nachrüstung des Gebäudes durchgeführt worden. Wesentlicher Bestandteil des Konzepts war die Ertüchtigung des innenliegenden Treppenraums, der mit einer Spüllüftung ausgestattet wurde. Die Anforderungen an einen Sicherheitstreppenraum wurden mit der Nachrüstung jedoch wegen des Fehlens von Schleusen zwischen dem Treppenraum und den einzelnen Nutzungseinheiten nicht erfüllt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14. August 2008 wurden die Regelungen in den jeweiligen Ziffern 1 der Bescheide vom 7. Mai und vom 17. Dezember 2001 zusammengefasst und neu formuliert. Danach wird der Klägerin untersagt, (pflegebedürftige) Personen, die aufgrund ihres körperlichen und/oder geistigen Zustands dauerhaft zur Führung eines eigenen Haushalts und einer eigenverantwortlichen Lebensplanung nicht mehr in der Lage sind, in das Wohnheim aufzunehmen bzw. diese dort zu belassen. Die Zwangsgeldandrohung des Bescheids vom 17. Dezember 2001 wurde aufgehoben. Ferner wurde die Anordnung der sofortigen Vollziehung beider Bescheide ausgesetzt. Im Übrigen wurde der Widerspruch zurückgewiesen.

Zur Begründung wird ausgeführt, aufgrund der brandschutztechnischen Nachrüstung sei eine erhebliche Gefahr für Leben und Gesundheit der Heimbewohner im Sinn von Art. 54 Abs. 4 BayBO 2008 nicht mehr gegeben. Es bestehe daher keine Notwendigkeit mehr, die der damaligen aktuellen Gefährdungslage geschuldete Anordnung vom 17. Dezember 2001 aufrechtzuerhalten und der Klägerin generell die Aufnahme von Personen zu untersagen, für die eine Pflegestufe nach dem Sozialgesetzbuch XI festgestellt sei. Die Aufnahme von Personen mit einer Pflegestufe werde – zumal in den Pflegestufen II und III – jedoch überwiegend daran scheitern, dass diesen in der Regel keine dauerhafte Führung eines eigenen Haushalts mehr möglich sein werde. Im Übrigen sei die untersagte Nutzung nicht vom Bestandsschutz umfasst, da sie außerhalb der Variationsbreite der genehmigten Nutzung als Seniorenwohnheim liege.

Auf die am 19. September 2008 erhobene Klage hin hob das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 29. Juni 2009 die Bescheide der Beklagten vom 7. Mai 2001 und vom 17. Dezember 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheids der Regierung von Oberbayern vom 14. August 2008 bis auf die Ziffern 2, 4 und 6 des Widerspruchsbescheids auf. Es begründete die Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die Voraussetzungen des Art. 76 Satz 2 BayBO 2008 nicht vorlägen, da mit der Regelung in Ziffer 1 des Widerspruchsbescheids der Sache nach ein Eingriff in die bestandsgeschützte Nutzung erfolge. Zur Bestimmung von Inhalt und Reichweite der Baugenehmigung vom 6. Juli 1987 für die Nutzung des Gebäudes als Seniorenwohnheim könne hier auf die zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung gebräuchlichen heimrechtlichen Begriffsbestimmungen zurückgegriffen werden, da für den Betrieb der Klägerin neben der Baugenehmigung auch eine heimrechtliche Erlaubnis erforderlich gewesen sei. Folglich habe eine formell wie materiell rechtmäßige Nutzung zur Voraussetzung gehabt, dass die baurechtliche Genehmigung das heimrechtliche Nutzungsspektrum vollständig erfasste. Abzugrenzen seien Altenwohnheime insbesondere von Altenheimen und Altenpflegeheimen. Allerdings sei es verfehlt, aus den Begriffsbestimmungen abzuleiten zu wollen, dass in Altenwohnheimen ausschließlich eine Betreuung von Menschen erfolgen dürfte, die einen eigenen Haushalt führten und bei denen kein dauerhafter Pflegebedarf bestehe. Eine solche Auffassung würde verkennen, dass Altenwohnheime typischerweise darauf ausgerichtet seien, auch den mit zunehmenden Alter der Bewohner regelmäßig erhöhten Betreuungs- und Pflegebedarf befriedigen zu können, um den Bewohnern einen Verbleib in der gewohnten Umgebung, also eine Kontinuität der Wohn- und Lebenssituation zu ermöglichen. Der Umstand, dass in einem Altenwohnheim auch eine Anzahl von Langzeitbewohnern lebten, die aufgrund ihres Gesundheitszustands nicht (mehr) dem Bild des „rüstigen Alten“ entsprächen, sei eine Belegungs- und Betriebssituation, die in den meisten Alterswohnheimen vorübergehend oder auch dauerhaft auftreten werde. Dies mache ein solches Heim im heimrechtlichen Sinn noch nicht zu einem Alten- oder Altenpflegeheim oder zu einer Mischform der verschiedenen Heimtypen. Im Übrigen sei nach den sozialrechtlichen Bestimmungen die Erbringung häuslicher Pflegeleistungen auch in einem Altenheim zulässig und ein solches Heim werde dadurch nicht zu einem Pflegeheim. Für die Bestimmung des Inhalts der Baugenehmigung sei wesentlich darauf abzustellen, welches Nutzungsspektrum nach Auffassung der zuständigen Heimaufsicht seinerzeit durch die Erlaubnis zum Betrieb eines Altenwohnheims abgedeckt wurde, da die korrespondierende Baugenehmigung darauf Bezug nehmen musste und nicht angenommen werden könne, dass mit der Baugenehmigung ein Mehr an Nutzungsmöglichkeiten als aus behördlicher Sicht zur Ausnutzung der heimrechtlichen Genehmigung erforderlich erlaubt werden sollte. Aus heimrechtlicher Sicht sei es für die Einstufung des Betriebs als Altenwohnheim unschädlich gewesen, dass in dem Heim auch dauernd pflegebedürftige Personen weiter betreut würden. In der heimrechtlichen Praxis sei jedenfalls zum Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung (noch) davon ausgegangen worden, dass dies nur für den Fall gelte, dass der Anteil der Pflegefälle an der Heimbewohnerschaft nicht überwiege. Die heimrechtliche Erlaubnis vom 15. Dezember 1989 habe einen Betrieb in eben diesem Umfang zugelassen und nichts anderes könne im Ergebnis für die korrespondierende Baugenehmigung vom 6. Juli 1987 gelten.

Mit ihrer vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Berufung beantragt die Beklagte,

das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 29. Juni 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die streitgegenständliche Nutzung liege nicht mehr in der Variationsbreite der im Jahr 1987 erteilten Baugenehmigung. Der Heimtypus eines Seniorenwohnheims sei hinreichend bestimmt bzw. bestimmbar. Er sei abzugrenzen von den Heimtypen Altenheim und Pflegeheim. Die Annahme, wonach die Variationsbreite der im Jahr 1987 erteilten Genehmigung erst bei mehr als 50% Pflegebedürftigen überschritten sei, sei nicht zutreffend. Beantragt gewesen sei nur ein Seniorenwohnheim, eine weitergehende Betriebsbeschreibung fehlte. Auch die Auflagen in der Genehmigung bezögen sich nur auf den Heimtypus Seniorenwohnheim. Es fänden sich auch keine sonstigen Anhaltspunkte in den Akten, wonach eine darüber hinausgehende Nutzung, d.h. ein weiterer Heimtypus oder eine Mischform beantragt oder genehmigt worden wäre. Auch die heimrechtliche Erlaubnis vom 15. Dezember 1989 habe keinen Einfluss auf die zwei Jahre zuvor erteilte baurechtliche Genehmigung. Insbesondere sei durch diese Erlaubnis nicht nachträglich die Variationsbreite der im Jahr 1987 erteilten Baugenehmigung erweitert worden. Eine solche Annahme verbiete sich schon aus formalen Gründen. Das Baugenehmigungsverfahren setze einen formalisierten Antrag voraus, die Genehmigung selbst habe schriftlich zu erfolgen. An alldem fehle es hier. Die untersagte Nutzung sei daher formell rechtswidrig. Sie sei auch nicht offensichtlich genehmigungsfähig. Dies folge bereits daraus, dass bei Sonderbauten hohe Anforderungen im Hinblick auf den vorbeugenden Brandschutz gelten würden. Auch schutzwürdiges Vertrauen auf das Absehen von der Untersagung der nicht genehmigten Nutzung könne hier nicht geltend gemacht werden.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Im Übrigen wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 12. Mai 2011, den Inhalt der Gerichtsakten und der dem Gericht vorliegenden Behördenakten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage gegen die Nutzungsuntersagung zu Unrecht stattgegeben. Der angefochtene Verwaltungsakt ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 125 VwGO). Der Bescheid ist hinreichend bestimmt (1.) und materiell rechtmäßig (2.).

1. Der angefochtene Bescheid ist in Ziffer 1 hinreichend bestimmt (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG). Der Bestimmtheitsgrundsatz verlangt, dass der Inhalt der Entscheidung für den Adressaten verständlich ist; der Adressat muss erkennen können, was von ihm gefordert wird. Der Wille der Behörde muss vollständig zum Ausdruck kommen und unzweideutig erkennbar sein. Allerdings reicht es aus, wenn sich der Inhalt des Verwaltungsakts anhand seiner Begründung und unter Heranziehung den Beteiligten bekannter Umstände durch Auslegung bestimmen lässt (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 11. Aufl. 2010, § 37 RdNr. 6; Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 37 RdNr. 31 f.).

Daran gemessen ist die Nutzungsuntersagung hier nicht zu beanstanden. Die Formulierung in Ziffer 1 des Widerspruchsbescheids, wonach der Beklagten untersagt wird, (pflegebedürftige) Personen, die aufgrund ihres körperlichen und/oder geistigen Zustands dauerhaft zur Führung eines eigenen Haushalts und einer eigenverantwortlichen Lebensplanung nicht mehr in der Lage sind, im Anwesen R… Straße … aufzunehmen bzw. diese dort zu belassen, macht hinreichend deutlich, welches Verhalten von der Klägerin verlangt wird. Soweit die Klägerin vorträgt, die Dauerhaftigkeit der Pflegebedürftigkeit könne von ihr nicht diagnostiziert werden, ist ihr entgegenzuhalten, dass sie als Betreiberin der Einrichtung und Erbringerin der Pflegeleistungen in der überwiegenden Anzahl der Fälle eine genaue Kenntnis des Zustands der einzelnen Bewohner hat oder haben muss, um die Betreuung und Pflege im Einzelfall im erforderlichen Umfang erbringen zu können. Gegebenenfalls ist auch der behandelnde Arzt, ein Betreuer oder eine sonstige Bezugsperson zur Abgabe der erforderlichen Prognose in der Lage, ob lediglich eine vorübergehende Pflegebedürftigkeit vorliegt und eine eigenständige Haushaltsführung in absehbarer Zeit (wieder) in Frage kommt oder nicht.

2. Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen einer Nutzungsuntersagung sind erfüllt. Nach Art. 82 Satz 2 BayBO 1998 bzw. Art. 76 Satz 2 BayBO 2008 kann die Nutzung einer baulichen Anlage untersagt werden, wenn die Nutzung öffentlich-rechtlichen Vorschriften widerspricht. Diese Voraussetzung ist grundsätzlich schon dann erfüllt, wenn eine bauliche Anlage formell illegal – also ohne die erforderliche Genehmigung – genutzt wird. Da die Nutzungsuntersagung in erster Linie die Funktion hat, den Bauherrn auf das Genehmigungsverfahren zu verweisen, muss grundsätzlich nicht geprüft werden, ob das Vorhaben auch gegen materielles Recht verstößt und somit nicht genehmigungsfähig ist. Allerdings darf eine formell rechtswidrige Nutzung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit regelmäßig dann nicht untersagt werden, wenn sie offensichtlich genehmigungsfähig ist (vgl. BayVGH vom 29.9.1981 BayVBl 1982, 51; vom 4.8.2004 BayVBl 2005, 369). Nach diesen Maßstäben ist die Nutzungsuntersagung hier materiell rechtmäßig. Entgegen der Auffassung der Klägerin handelt es sich bei der vorliegenden Nutzung um eine genehmigungsbedürftige Nutzungsänderung (siehe a)), für die eine Genehmigung nicht vorliegt. Die Nutzung der baulichen Anlage ist nicht offensichtlich genehmigungsfähig (siehe b)) und verletzt auch im Übrigen nicht den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (siehe c)). Ermessensfehler sind nicht ersichtlich (siehe d)).

a) Bei dem strittigen Vorhaben handelt es sich um eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung im Sinn von Art. 62 Satz 1 BayBO 1998 bzw. Art. 55 Abs. 1 BayBO 2008. Eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung liegt vor, wenn durch die Verwirklichung eines Vorhabens die einer jeden Art von Nutzung eigene „Variationsbreite“ verlassen wird – nur dann handelt es sich um eine Nutzungsänderung im baurechtlichen Sinn – und wenn für die geänderte Nutzung andere bauordnungs- oder bauplanungsrechtliche Anforderungen in Betracht kommen als für die bisherige Nutzung (vgl. BVerwG vom 7.11.2002 BRS 66 Nr. 70; BayVGH vom 9.7.1985 BayVBl 1986, 275; vom 15.7.1999 Az. 2 B 94.2595 – juris; vom 4.11.2002 Az. 15 CS 02.2193 – juris; vom 27.7.2005 Az. 26 ZB 05.1519 – juris). Bei der Nutzung des Gebäudes für pflegebedürftige Personen handelt es sich nicht um eine Nutzung als Altenwohnheim, sondern um eine andersartige Nutzung (siehe aa)). Auch die derzeitige Nutzung hält sich nicht innerhalb der Variationsbreite der im Jahr 1987 erteilten Genehmigung (siehe bb)). Schon deshalb liegt die Änderung nicht mehr im Rahmen der Variationsbreite der genehmigten Nutzung und ist die strittige neue Nutzung möglicherweise anders zu beurteilen als die genehmigte Nutzung. Handelt es sich aber um eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung, dann ist die neue Nutzung auch nicht vom Bestandsschutz gedeckt, den die frühere genehmigte Nutzung genoss (vgl. BayVGH vom 26.2.2007 Az. 1 ZB 06.2296 – juris). Dafür, dass die Nutzungsänderung wegen Art. 62 Satz 1 a.E., 63, 64, 85 bis 87 BayBO 1998 bzw. Art. 55 Abs. 1 a.E., 56 bis 58, 72, 73 BayBO 2008 nicht genehmigungspflichtig war bzw. ist, sind keine Anhaltspunkte ersichtlich.

aa) Die mit Bescheid vom 6. Juli 1987 erteilte Baugenehmigung, die der baurechtlichen Absicherung der bereits seit Jahren im streitgegenständlichen Anwesen betriebenen Nutzung diente, erlaubt allein die Nutzung des Gebäudes als Seniorenwohnheim. Dabei entspricht der Begriff „Seniorenwohnheim“, wie die Parteien in der mündlichen Verhandlung des Senats übereinstimmend erklärten, dem eines Altenwohnheims im Sinn der BayBO 1982. Beantragt war auch nur ein Seniorenwohnheim, eine weitere Betriebsbeschreibung fehlte. Die Auflagen in der Genehmigung bezogen sich ebenfalls nur auf den Heimtypus Seniorenwohnheim. Es finden sich auch keine sonstigen Anhaltspunkte in den Akten, wonach eine darüber hinausgehende Nutzung beantragt oder genehmigt worden wäre.

Im Zeitpunkt des Erlasses der Nutzungsuntersagung am 7. Mai 2001 entsprach die tatsächliche Nutzung des Gebäudes nicht (mehr) der genehmigten Nutzung. Abzustellen ist dabei auf die zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung gebräuchlichen heimrechtlichen Begriffsbestimmungen. Bei der Abgrenzung zwischen Wohnnutzung und anderen Nutzungsarten im Bereich der heimmäßigen Unterbringung älterer Menschen bietet sich auch städtebaulich ein Rückgriff auf die im Heimrecht entsprechend gängiger Praxis entwickelten Heimtypen an. Danach war vornehmlich zwischen den Typen des Altenwohnheims, des Altenheims und des Altenpflegeheims zu unterscheiden (vgl. § 1 Abs. 1 und § 3 Abs. 1 Heimgesetz – HeimG – vom 7.8.1974, neu bekanntgemacht in BGBl 1990 I S. 764 ff. sowie §§ 14 bis 28 der Heimmindestbauverordnung – HeimMindBauV – i.d.F. vom 3.5.1983, BGBl I S. 550 ff.). Beim Altenwohnheim stand der Wohncharakter eindeutig im Vordergrund. In diesen Heimtyp mieteten oder kauften sich nicht pflegebedürftige ältere Menschen ein, statteten die Wohnräume in der Regel mit eigenem Mobiliar aus und führten darin – ungeachtet der vom Heimträger im Bedarfsfall zur Verfügung gestellten Betreuungsdienste – grundsätzlich einen selbständigen Haushalt. Dementsprechend waren die Heimverträge stark miet- oder eigentumsrechtlich ausgestaltet und mussten die Wohnplätze auch über alle zur selbständigen Haushaltsführung notwendigen Einrichtungen verfügen (vgl. §§ 19 bis 22 HeimMindBauV). Die Kategorie des reinen (oder überwiegenden) Altenpflegeheims (vgl. §§ 23 bis 27 HeimMindBauV) diente der Aufnahme von voraussehbar oder von vornherein auf Dauer pflegebedürftiger alter Menschen. Auch dieser Heimtyp hatte insofern Elemente des Wohnens, als er auf Dauer und als Heimstatt genutzt wurde. Jedoch trat das Element des Wohnens stark hinter dem Versorgungs-, Pflege- und Betreuungscharakter der Einrichtung zurück. Die pflegebedürftigen Heiminsassen waren regelmäßig weder zur eigenständigen Haushaltsführung noch sonst zu der dem Wohnen wesenseigenen freien Disposition und Tagesplanung in der Lage.

Nach § 28 HeimMindBauV waren, wenn Teile einer Einrichtung mehreren Einrichtungsarten im Sinn des § 1 Abs. 1 HeimG zuzuordnen waren, auf diese Teile die Anforderungen der Verordnung für die ihnen jeweils entsprechende Einrichtungsart anzuwenden. Die Nutzung einer als Seniorenwohnheim genehmigten Einrichtung auch als Altenpflegeheim bedurfte einer baurechtlichen Genehmigung, weil an ein Altenpflegeheim in mehrfacher Hinsicht strengere Anforderungen gestellt wurden: So mussten zusätzliche, nach Art, Zahl und Ausgestaltung den Besonderheiten der Pflegebedürftigkeit angepasste Funktions- und Zubehörräume sowie Therapieräume vorhanden sein (vgl. § 24 Abs. 1 und 2 und § 26 HeimMindBauV). Schließlich waren auch die Gemeinschafts- und Sanitärräume besonders auszugestalten (§§ 25 und 27 HeimMindBauV). Ihrem Zweck entsprechend erforderten Pflegeheime endlich besonders ausgebildete Pflegekräfte.

Das Anwesen R… Straße … wurde – auch – als Einrichtung für pflegebedürftige Personen genutzt. Dabei kommt es aus baurechtlicher Sicht nicht darauf an, ob – überwiegend – ein Pflegeheim betrieben wurde, d.h. ob die Anzahl der pflegebedürftigen Bewohner die der noch ohne größeren Betreuungsaufwand lebenden Bewohner überstieg. Es ist insbesondere nicht darauf abzustellen, ob ein Anteil von mehr als bis zu 50% der Bewohnerschaft dauernd pflegebedürftig und daher zur Führung eines eigenen Haushalts nicht mehr in der Lage war. Dies ergibt sich aus der Systematik der zum Zeitpunkt der Genehmigung des Seniorenwohnheims geltenden Heimmindestbauverordnung. Diese sieht in ihrem § 28 insbesondere vor, dass bei Mischformen die jeweils erforderlichen Mindeststandards gesichert sein müssen. Eine 50%-Grenze würde daher im Ergebnis bedeuten, dass gegebenenfalls bei bis zu 50% der Bewohner die erforderlichen Mindeststandards nicht eingehalten werden müssten. Diese Bewohner hätten dann keinen Anspruch auf einen aufgrund ihrer körperlichen oder geistigen Einschränkungen an sich erforderlichen zusätzlichen Bedarf, z.B. in Bezug auf Therapieräume oder in Hinsicht auf die Anforderungen an sanitäre Einrichtungen. Dies wollte § 28 HeimMindBauV ersichtlich verhindern.

Unerheblich ist auch, ob nach sozialrechtlichen Bestimmungen (z.B. § 36 SGB XI) die Erbringung häuslicher Pflegeleistungen auch in einem Altenwohnheim zulässig ist. Denn aus den sozialrechtlichen Bestimmungen – der sozialrechtliche Pflegeheimbegriff ist nicht deckungsgleich mit dem des Heimrechts – lässt sich für das Baurecht nichts ableiten. Unmaßgeblich ist auch die Frage, ob die Klägerin selbst oder ein anderer Pflegedienst die Pflegeleistungen erbringt. Auch der Umstand, dass Altenwohnheime häufiger darauf ausgerichtet sind, den Bewohnern auch für den Fall der Pflegebedürftigkeit einen Verbleib in der gewohnten Umgebung zu ermöglichen, führt nicht dazu, dass die Nutzung durch die Klägerin nach wie vor als Betrieb eines Altenwohnheims einzustufen wäre. Denn entscheidend ist, ob und inwieweit die tatbestandlichen Voraussetzungen objektiv erfüllt waren, unter denen nach § 1 Abs. 1 HeimG die besonderen Vorschriften des Heimgesetzes Anwendung finden (vgl. Kunz/Butz/Wiedemann, HeimG, 9. Aufl. 2003, § 1 RdNr. 3). Dafür kommt es darauf an, ob pflegebedürftige Personen betreut werden. Unerheblich ist, ob im Einzelfall gewisse Einrichtungen tatsächlich vorhanden oder nicht vorhanden sind. Die Veränderung in der Bewohnerschaft kann damit - wie im vorliegenden Fall - Einfluss auf die baurechtliche Einstufung des Vorhabens haben (vgl. dazu, dass der Übergang von einem Altenheim zu einem Pflegeheim eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung sein kann, Nieders. OVG vom 17.5.2001 Az. 1 MB 1424/01 – juris).

37Entscheidend ist somit, ob sich die tatsächliche Nutzung des Heims (noch) im Rahmen der der genehmigten Nutzungsform Altenwohnheim eigenen Variationsbreite hielt. Dies war jedenfalls nur dann der Fall, wenn die Anzahl der pflegebedürftigen Heimbewohner so gering war, dass sie im Vergleich zur Zahl der übrigen Bewohner nicht ins Gewicht fiel (vgl. zum Kriterium der Anzahl der pflegebedürftigen Bewohner für die Abgrenzung von Pflegeheim und Altenheim, Hess. VGH vom 10.9.1985 Az. IX 0E 45/81 ESVGH 36, 31). Dies ist jedoch nicht erst dann zu verneinen, wenn sich der Anteil der pflegebedürftigen Heimbewohner fünfzig Prozent nähert.

Nach den eigenen Angaben der Klägerin (Schreiben vom 1.8.2001 an die Beklagte) waren zum 30.6.2000 als Bewohner 91 Personen gemeldet, von denen 29 Bewohner Pflegeleistungen des ambulanten Dienstes der Klägerin erhielten. Weitere 6 Bewohner mit der Pflegestufe I wurden von Angehörigen versorgt. Die Anzahl der pflegebedürftigen Bewohner war demnach nicht so gering, dass noch ein reines Altenwohnheim vorgelegen hätte.

Auch später kehrte die Klägerin nicht zur reinen Betriebsform des Altenwohnheims zurück. In der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts am 29. Juni 2009 hat der Vertreter der Heimaufsicht unwidersprochen erklärt, dass der Anteil der in der Selbstrettungsmöglichkeit eingeschränkten Personen im Jahr 2006 bei ca. 32% gelegen habe. Im April 2008 habe sich der Anteil bereits auf über 50% belaufen. Von insgesamt 79 Bewohnern hätten 23 die Pflegestufe I, 16 die Pflegestufe II und 6 die Pflegestufe III besessen.

Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung des Senats behauptet hat, dass der Anteil an Pflegebedürftigen bisher 50% nicht überschritten habe, weil vorübergehende Leerstände in den Wohnungen nicht berücksichtigt seien, kann dies zu keinem anderen Ergebnis führen. Denn auch in den Jahren 2006 und 2008 war die Anzahl der pflegebedürftigen Bewohner nicht so gering, dass sie im Vergleich zu den übrigen Bewohnern nicht ins Gewicht gefallen wäre. Im Übrigen kann nicht davon ausgegangen werden, dass hinsichtlich der genannten 6 bis 7 Leerstände nur rüstige Personen aufgenommen werden. Mit der Aufnahme von Pflegebedürftigen ist auch in Bezug auf die Leerstände zu rechnen. Nach der Erklärung der Klägerin bestehen nämlich hinsichtlich der Aufnahme Pflegebedürftiger der Pflegestufe I grundsätzlich keine Probleme (vgl. Niederschrift vom 12.5.2011 S. 3).

Demgemäß war die von der Klägerin betriebene Einrichtung ihrem Charakter nach als Mischform von Altenwohn- und Altenpflegeheim anzusehen (vgl. § 28 HeimMindBauV). Diese geänderte Nutzung war baurechtlich genehmigungspflichtig, weil sie aus dem Blickwinkel der maßgeblichen öffentlich-rechtlichen Vorschriften anders zu beurteilen war, als ein reines Altenwohnheim.

Soweit die Klägerin geltend macht, dass die baurechtliche Beurteilung der Wohnheime hier der heimrechtlichen zu folgen habe, liegt das neben der Sache. Die heimrechtliche Erlaubnis vom 15. Dezember 1989 hat keinen Einfluss auf die zwei Jahre zuvor erteilte baurechtliche Genehmigung. Sie kann nicht nachträglich die Variationsbreite der im Jahr 1987 erteilten Baugenehmigung erweitern. Im Übrigen hat die Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass sich eine solche Annahme auch aus formalen Gründen verbietet. Das Baugenehmigungsverfahren setzt einen formalisierten Antrag voraus, die Genehmigung selbst hat schriftlich zu erfolgen (Art. 67 Abs. 1, Art. 72 Abs. 2 BayBO 1998; Art. 64 Abs. 1, Art. 68 Abs. 2 BayBO 2008). An alldem fehlt es hier. Nach der heimrechtlichen Genehmigung wurde kein weiteres Baugenehmigungsverfahren durchgeführt.

bb) Auch derzeit hält sich die Nutzung nicht innerhalb der Variationsbreite der im Jahr 1987 erteilten Genehmigung. Das Inkrafttreten des seit 1. August 2008 geltenden bayerischen Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes (PfleWoqG – GVBl S. 346) ändert an der Beurteilung des Sachverhalts nichts. Zwar wird an dem in der Heimmindestbauverordnung geregelten starren Heimtyp nicht festgehalten. Die Einrichtung der Klägerin wird derzeit als Betreutes Wohnen nach Art. 2 Abs. 2 PfleWoqG eingestuft (vgl. Vermerk der Beklagten vom 14.1.2010 und die Internetseite der Klägerin). Betreutes Wohnen ist grundsätzlich eine private Wohnform, die einer staatlichen Kontrolle durch die Heimaufsicht entzogen ist. Unter Betreutem Wohnen ist eine Wohnform zu verstehen, bei der die Vermieter oder die Verkäufer von abgeschlossenen Wohnungen durch Verträge mit Dritten oder auf andere Weise sicherstellen, dass den Mietern oder Käufern neben der Überlassung des Wohnraums Betreuungs- und Pflegeleistungen angeboten werden (vgl. LT-Drs. 15/10182, S. 19). Aus baurechtlicher Sicht ist davon auszugehen, dass sich in einer Einrichtung des Betreuten Wohnens auch Personen befinden und Aufnahme finden, die pflegebedürftig sind. Daraus ergeben sich unterschiedliche baurechtliche Anforderungen, insbesondere hinsichtlich des Brandschutzes (Art. 31 Abs. 3 Satz 2 a.E. BayBO 2008).

Mithin ist sowohl das Belassen (pflegebedürftiger) Personen, die aufgrund ihres körperlichen und/oder geistigen Zustands dauerhaft zur Führung eines eigenen Haushalts und einer eigenen eigenverantwortlichen Lebensplanung nicht mehr in der Lage sind, als auch die Aufnahme dieser Personen in das Wohnheim nicht von der Genehmigung umfasst.

b) Die derzeitige Nutzung ist nicht offensichtlich genehmigungsfähig, weil nicht ohne eine ins Einzelne gehende Prüfung beurteilt werden kann, ob die geänderte Nutzung zulässig ist. War die Nutzung im Zeitpunkt des Erlasses der Nutzungsuntersagung bzw. des Widerspruchsbescheids allerdings materiell legal und deshalb genehmigungsfähig, so steht dieser Umstand der Nutzungsuntersagung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Regelfall entgegen (so für die Beseitigungsanordnung Molodovsky in Koch/Molodovsky/Famers, BayBO, Stand: 1. Februar 2011, Art. 76 RdNr. 54). Jedoch war auch in der Vergangenheit die Nutzung nicht offensichtlich genehmigungsfähig.

Zu prüfen sind vor allem die Anforderungen, die der Brandschutz stellt (siehe aa)) und die Frage, ob ausreichend Stellplätze vorhanden sind (siehe bb)).

aa) Nach Art. 31 Abs. 1 BayBO 2008 müssen für Nutzungseinheiten mit mindestens einem Aufenthaltsraum in jedem Geschoß mindestens zwei voneinander unabhängige Rettungswege ins Freie vorhanden sein. Mit Blick auf Art. 31 Abs. 2 BayBO 2008 (siehe (1)) und Art. 31 Abs. 3 BayBO 2008 (siehe (2)) sind diesbezüglich Fragen offen. Auch nach Art. 15 Abs. 2 BayBO 1998 war die Nutzung nicht offensichtlich genehmigungsfähig (siehe (3)).

(1) Der zweite Rettungsweg kann nach Art. 31 Abs. 2 Satz 2 BayBO 2008 eine weitere notwendige Treppe oder eine mit Rettungsgeräten der Feuerwehr erreichbare Stelle der Nutzungseinheit sein. Ein zweiter Rettungsweg ist nicht erforderlich, wenn die Rettung über einen sicher erreichbaren Treppenraum möglich ist, in den Feuer und Rauch nicht eindringen können (Sicherheitstreppenraum; Art. 31 Abs. 2 Satz 3 BayBO 2008).

Bereits in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts bestanden erhebliche Differenzen darüber, ob die Brandschutzertüchtigung seitens der Klägerin den Anforderungen, die an einen Sicherheitstreppenraum zu stellen sind, genügt. So hat der von der Klägerin beigebrachte Brandschutzsachverständige erklärt, dass aufgrund der Gesamtheit der Maßnahmen des durchgeführten Brandschutzkonzepts nicht mit einer schnellen Brandausbreitung zu rechnen sei und der Unterschied zu einem Sicherheitstreppenraum lediglich im Fehlen der Schleusen zwischen Treppenraum und den einzelnen Nutzungseinheiten liege. Dieser Unterschied werde durch die eingebaute „Spüllüftung“ im Wesentlichen kompensiert. Demgegenüber sah die Fachkraft für Brandschutz der Beklagten die Gefahr des von der Klägerin verwirklichten Systems darin, dass die Tür zu einer vom Brandereignis nicht betroffenen Nutzungseinheit geöffnet werde, dadurch Rauch über die nicht betroffene Nutzungseinheit durch ein geöffnetes Fenster ins Freie strömen könne und die Nutzungseinheit dadurch verrauche. Trotz der Spüllüftung könne Rauch in den Treppenraum eindringen. Hinsichtlich der Fragen des Brandschutzes haben die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung des Senats übereinstimmend erklärt, dass sich gegenüber den in der Sitzung des Verwaltungsgerichts am 29. Juni 2009 vorgetragenen Gesichtspunkten nichts geändert habe. Damit bestehen auch die Differenzen fort und von einer offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit kann mit Blick auf Art. 31 Abs. 2 Satz 3 BayBO 2008 nicht gesprochen werden.

Soweit die Klägerin hilfsweise beantragt hat, einen Sachverständigen dazu einzuvernehmen, dass die auf der Basis des Brandschutzkonzepts vom 2. Februar 2004 verwirklichten Brandschutzmaßnahmen dem Standard eines Sicherheitstreppenraums entsprechen, war dem nicht weiter nachzugehen. Denn dieser Beweisantrag ist unbehelflich, weil es auf die offensichtliche Genehmigungsfähigkeit ankommt. Wenn zu der oben genannten Frage erst ein Sachverständiger einvernommen werden muss, ist die Genehmigungsfähigkeit gerade nicht offensichtlich. Im Übrigen wurden in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts bereits zwei sachkundige Personen gehört, die zu dieser Frage unterschiedliche Auffassungen vertreten haben. Bereits von daher kann man nicht davon ausgehen, dass das Vorhaben der Klägerin offensichtlich – und darauf kommt es im Zusammenhang mit der Nutzungsuntersagung allein an – genehmigungsfähig war.

(2) Gebäude, deren zweiter Rettungsweg über Rettungsgeräte der Feuerwehr führt und bei denen die Oberkante der Brüstung von zum Anleitern bestimmten Fenstern oder Stellen mehr als 8 m über der Geländeoberfläche liegt, dürfen nur errichtet werden, wenn die Feuerwehr über die erforderlichen Rettungsgeräte wie Hubrettungsfahrzeuge verfügt (Art. 31 Abs. 3 Satz 1 BayBO 2008). Die Fachkraft für Brandschutz der Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung des Senats erklärt, dass die Feuerwehr beim Erstzugriff ein Hubrettungsfahrzeug einsetzen könne, das die erforderliche Höhe erreiche. Allerdings könnten erst später durch nachrückende Kräfte mehrere Hubrettungsfahrzeuge beigebracht werden. Für den Zeitraum der nötigen Personenrettung sei dies nicht ausreichend. Der Senat hat keinen Anlass, an dieser Einschätzung zu zweifeln. Die Voraussetzungen des Art. 31 Abs. 3 Satz 1 BayBO 2008 liegen damit nicht vor.

Bei Sonderbauten ist der zweite Rettungsweg über Rettungsgeräte der Feuerwehr außerdem nur zulässig, wenn keine Bedenken wegen der Personenrettung bestehen (Art. 31 Abs. 3 Satz 2 BayBO 2008). Dass solche Bedenken hier existieren, liegt auf der Hand (vgl. zu den baurechtlichen Anforderungen an den zweiten Rettungsweg auch OVG Münster vom 25.8.2010 Az. 7 A 749/09, NVwZ-RR 2011, 47). Die Einordnung als Sonderbau ergibt sich aus der Eigenschaft des Gebäudes als Hochhaus (Art. 2 Abs. 4 Nr. 1 BayBO 2008). Der in diesen Fällen erforderliche zweite bauliche Rettungsweg (Art. 31 Abs. 3 Satz 2 BayBO 2008) ist nicht vorhanden.

(3) Die Nutzung war wegen der Brandschutzproblematik auch im Zeitpunkt der Nutzungsuntersagung nicht offensichtlich genehmigungsfähig. Denn nach Art. 15 Abs. 2 Satz 1 BayBO 1998 musste jede Nutzungseinheit mit Aufenthaltsräumen in jedem Geschoß über mindestens zwei voneinander unabhängige Rettungswege verfügen; ein zweiter Rettungsweg war nicht erforderlich, wenn die Rettung über einen Sicherheitstreppenraum möglich war. Der zweite Rettungsweg konnte eine mit Rettungsgeräten der Feuerwehr erreichbare Stelle sein, wenn die Feuerwehr über die erforderlichen Rettungsgeräte verfügte (Art. 15 Abs. 2 Satz 3 BayBO 1998). Dies war auch seinerzeit nicht der Fall, so dass von einer offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit nicht gesprochen werden kann. Die Klägerin hat insoweit nichts Gegenteiliges vorgetragen.

(bb) Die offensichtliche Genehmigungsfähigkeit scheitert auch daran, dass die Stellplatzfrage neu zu prüfen ist. Von einer Änderung des Nutzerkreises kann auch die Anzahl der nachzuweisenden Stellplätze nach der Satzung der Landeshauptstadt München über die Ermittlung und den Nachweis von notwendigen Stellplätzen für Kraftfahrzeuge (Stellplatzsatzung - StPlS -) vom 19.12.2007 betroffen sein (Art. 47 Abs. 2 Satz 2 BayBO 2008). Nach der Anlage 1 der Stellplatzsatzung ist für Pflegeheime ein Stellplatz je 15 Betten vorgesehen. Für besondere Wohnformen für alte und betreuungsbedürftige Menschen bemisst sich der Richtwert dagegen nach dem jeweiligen Einzelfall. Dabei hängt der Richtwert wiederum von den konkreten Nutzern ab. Damit kann sich die Stellplatzfrage neu stellen, wenn sich die Nutzung des ursprünglich genehmigten Altenwohnheims ändert.

Dies wird durch die Verordnung über den Bau und Betrieb von Garagen sowie über die Zahl der notwendigen Stellplätze vom 30. November 1993 (GaStellV) gestützt. Nach der GaStellV, die zwar aufgrund der Satzung der Beklagten nicht direkt anwendbar ist, werden unterschiedliche Stellplatzanforderungen bei Gebäuden mit Altenwohnungen (0,2 Stellplätze je Wohnung), bei Altenwohnheimen (1 Stellplatz je 15 Betten, mindestens 3 Stellplätze) und Altenheimen, Langzeit-/Kurzzeit-/Pflegeheimen (1 Stellplatz je 12 Betten bzw. Pflegeplätze, mindestens 3 Stellplätze) gestellt. Dies ist ebenfalls ein Indiz für die unterschiedliche Behandlung der Einrichtungen.

In der mündlichen Verhandlung des Senats wurde seitens der Klägerin erklärt, dass ca. 88 bis 90 Stellplätze vorhanden seien. Jedoch konnte nicht dargelegt werden, wem diese zugewiesen sind. Auch damit kann nicht geklärt werden, ob die Anforderungen an die Stellplätze, die die Beklagte stellt, offensichtlich erfüllt werden oder nicht.

Zum Zeitpunkt der Nutzungsuntersagung war hinsichtlich der Stellplatzfrage die Genehmigungsfähigkeit ebenfalls offen. Nach der früheren Stellplatzrichtlinie der Beklagten, die in Vollzug von Art. 52 BayBO 1998 erlassen worden war, gab es für unterschiedliche Wohnungen und Wohnheime verschiedene Anforderungen bezüglich der Stellplatzzahlen (Nr. 1.9a: „je 1 Stellplatz bei Altenwohnheimen für 8 Wohneinheiten, zuzüglich Ladezone und Stellplätze für Personal“ und Nr. 1.9b: „bei Altenheimen 1 Stellplatz pro 15 Betten zuzüglich Ladezone und Stellplätze für Personal, mindestens 5 Stellplätze“). Mithin stellte sich auch damals bei einer Nutzungsänderung die Stellplatzfrage neu und war nicht offensichtlich geklärt.

c) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist auch im Übrigen nicht verletzt. Die angegriffene Verfügung ist geeignet, den damit verfolgten Zweck zu erreichen. Zwar wird mit der streitgegenständlichen Nutzungsuntersagung die Gefahr, die im Brandfall für alle Bewohner des Anwesens R… Straße … besteht, nicht beseitigt. Jedoch wird das Risiko durch die Nutzungsuntersagung deutlich reduziert, weil die besonders gefährdete Personengruppe der bewegungsunfähigen, stark gehbehinderten, dauernd bettlägerigen und desorientierten Bewohner sich nicht mehr in dem Gebäude befindet. Die mit der Nutzungsuntersagung erreichte Risikoreduzierung rechtfertigt die Verfügung.

d) Bei der Betätigung des Ermessens muss die Behörde alle einschlägigen Tatsachen und sonstigen Gesichtspunkte mit dem ihnen bei objektiver Betrachtung zukommenden Gewicht in Ansatz bringen und abwägen (vgl. Sachs in Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008 § 40 RdNr. 13). Dabei muss sie auch Vertrauensschutzgesichtspunkte berücksichtigen (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl. 2007, § 40 RdNr. 57). Die Klägerin kann jedoch nicht mit Erfolg ein schutzwürdiges Vertrauen dahingehend geltend machen, die Bauaufsicht der Beklagten werde den Aufenthalt von Personen, die zur dauernden Führung eines eigenen Haushalts nicht mehr in der Lage sind, dauerhaft dulden. Ein solcher Vertrauenstatbestand ist hier nicht entstanden. Die Beklagte hat vielmehr darauf hingewiesen, dass auch im Fall von baulichen Maßnahmen zur Verbesserung des vorbeugenden Brandschutzes eine Nutzung des Gebäudes nur im Rahmen der Genehmigung möglich ist (vgl. nur Schreiben der Beklagten vom 11.8.2004 an die Eigentümergemeinschaft, zu der auch die Klägerin zählt).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 50.000 Euro festgesetzt (§ 52 Abs. 1 GKG, § 47 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 7./8. Juli 2004, DVBl 2004, 1525).