Bayerischer VGH, Beschluss vom 31.05.2011 - 7 ZB 10.2930
Fundstelle
openJur 2012, 115484
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Kläger tragen gesamtschuldnerisch die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 411,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die im Zuständigkeitsbereich des Beklagten in O. wohnhaften Kläger begehren die Kostenfreiheit des Schulwegs (Übernahme der Kosten von Streifenkarten des Münchner Verkehrs-und Tarifverbunds - MVV) für ihre am 23. Januar 1999 geborene Tochter, die das Gymnasium in F. im Schuljahr 2009/2010 in der 5. Klasse besucht hat.

Der Beklagte lehnte den Antrag der Kläger auf Kostenfreiheit des Schulwegs für das Schuljahr 2009/2010 mit Bescheid vom 24. Juli 2009 ab. Das Gymnasium in F. sei mit monatlichen Fahrtkosten von 55,50 Euro (MVV-Zeitkarte Ausbildungstarif I für Schüler bis 14 Jahre: sechs Ringe) nicht die nächstgelegene Schule im Sinn der Schülerbeförderungsverordnung (SchBefV). Nächstgelegene Schulen seien vielmehr Gymnasien in M. mit monatlichen Fahrtkosten von 42,40 Euro (MVV-Zeitkarte Ausbildungstarif I für Schüler bis 14 Jahre: vier Ringe). Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe des Bescheids verwiesen.

Die Klage der Kläger hat das Bayerische Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 4. Oktober 2010 abgewiesen. Auf die Gründe des Urteils wird Bezug genommen.

Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung machen die Kläger im Wesentlichen geltend, an der Richtigkeit des Urteils bestünden ernstliche Zweifel. Es sei zwischen den Parteien unstreitig, dass die Tochter der Klägerin das Gymnasium in F. kostengünstig mit MVV-Streifenkarten erreichen könne, weil Schüler bis zum 14. Lebensjahr für jede Einzelfahrt (unabhängig von der Länge des Fahrtwegs) lediglich einen Streifen (= 1,10 Euro) entwerten müssten. Für diese Schüler sei für die Fahrten zur Schule die Verwendung von MVV-Streifenkarten deutlich kostengünstiger als die Verwendung von MVV-Zeitkarten (Monatskarten nach dem Ausbildungstarif I für Schüler bis 14 Jahre), sofern nach dem MVV-Tarifsystem vier oder mehr Ringe zu durchfahren seien. Das Gymnasium in F. sei nach alledem die nächstgelegene Schule, da die Tochter der Kläger keine andere vergleichbare Schule kostengünstiger erreichen könne. Das Verwaltungsgericht gehe demgegenüber zu Unrecht davon aus, es liege im gerichtlich nicht zu beanstandenden Organisationsermessen des Beklagten, beim maßgeblichen Kostenvergleich aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität lediglich Zeitkarten (Monatskarten) in den Blick zu nehmen. Die Berufung sei auch deshalb zuzulassen, weil die Rechtssache besondere rechtliche Schwierigkeiten aufweise, grundsätzliche Bedeutung habe und das angefochtene Urteil auf einem Verfahrensmangel beruhe. Das Verwaltungsgericht habe das Vorbringen der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren nicht hinreichend gewürdigt, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt und den Klägern damit rechtliches Gehör nicht hinreichend gewährt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz der Bevollmächtigten der Kläger vom 20. Oktober 2010 verwiesen.

Der Beklagte nimmt im Zulassungsverfahren auf sein Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren Bezug.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten und die Behördenakte Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die von den Klägern geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

1. An der Richtigkeit des angefochtenen Urteils des Verwaltungsgerichts bestehen keine ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Kläger haben keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Kostenfreiheit des Schulwegs (Übernahme der Kosten von MVV-Streifenkarten) für ihre Tochter zum Besuch des Gymnasiums in F. im Schuljahr 2009/2010. Der Senat folgt den Gründen des angefochtenen Urteils und nimmt hierauf Bezug (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Ergänzend ist zu bemerken:

a) Das Verwaltungsgericht geht zu Recht davon aus, dass für die Tochter der Kläger nicht das Gymnasium in F., sondern vergleichbare Schulen in M. die nächstgelegenen Schulen im Sinn der gesetzlichen Regelungen zur Kostenfreiheit des Schulwegs sind.

aa) Die notwendige Beförderung der Schüler auf dem Schulweg ist kraft Gesetzes (unter anderem) bei öffentlichen Gymnasien bis einschließlich Jahrgangsstufe 10 Aufgabe der kreisfreien Gemeinde oder des Landkreises des gewöhnlichen Aufenthalts des Schülers (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Kostenfreiheit des Schulwegs [Schulwegkostenfreiheitsgesetz – SchKfrG] in der Fassung der Bekanntmachung vom 31.5.2000 [GVBl S. 452, BayRS 2230-5-1-UK], zuletzt geändert durch Gesetz vom 23.7.2010 [GVBl S. 334]). Der Aufgabenträger trägt die Kosten der notwendigen Beförderung (Art. 3 Abs. 1 SchKfrG). Die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit sind zu beachten (Art. 2 Abs. 1 Satz 3 SchKfrG). Der Aufgabenträger erfüllt seine Verpflichtung grundsätzlich im Zusammenwirken mit Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 SchKfrG).

Die Verordnung über die Schülerbeförderung (Schülerbeförderungsverordnung -SchBefV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. September 1994 (GVBl S. 953, BayRS 2230-5-1-1-UK), zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. Juli 2010 (GVBl S. 334), regelt die näheren Voraussetzungen für die notwendige Beförderung der Schüler auf dem Schulweg nach Maßgabe des Art. 2 Abs. 3 SchKfrG. Die Beförderungspflicht besteht zum Pflicht- und Wahlpflichtunterricht der nächstgelegenen Schule (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SchBefV). Nächstgelegene Schule ist (unter anderem) diejenige Schule der gewählten Schulart, Ausbildungs- und Fachrichtung, die mit dem geringsten Beförderungsaufwand erreichbar ist (§ 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SchBefV = § 2 Abs. 1 Satz 2Nr. 3 SchBefV in der für das streitgegenständliche Schuljahr 2009/ 2010 geltenden Fassung der Verordnung = a.F.).

In der Rechtsprechung ist geklärt, dass zur Bestimmung des (geringsten) Beförderungsaufwands für den betroffenen Schüler nicht auf die Entfernung oder den Zeitaufwand zum Erreichen der Schule abzustellen ist, sondern auf die vom Aufgabenträger unter Beachtung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit vorgenommene konkrete Organisation zur Durchführung der Beförderungspflicht und die in diesem Zusammenhang zu den einzelnen Schulen anfallenden Fahrtkosten (vgl. z.B. BayVGH vom 12.2.2001 BayVBl 2001, 308/309, vom 20.4.2009 Az. 7 ZB 08.3048 <juris> RdNr. 11, vom 7.6.2010 Az. 7 ZB 09.2415 <juris> RdNr. 10, vom 13.4.2011 Az. 7 B 10.1423 <juris> RdNr. 15).

bb) Der Beklagte erfüllt im Zusammenwirken mit dem Münchner Verkehrs- und Tarifverbund (MVV) seine gesetzliche Beförderungspflicht durch die EDV-gestützte Ausgabe von personalisierten MVV-Zeitkarten (Monatskarten). Nach dieser vom Verwaltungsgericht zu Recht nicht beanstandeten und von den Klägern auch nicht substantiiert in Zweifel gezogenen konkreten Organisation des Beklagten zur Durchführung seiner Beförderungspflicht ist für die Tochter der Kläger das Gymnasium in F. deshalb nicht die nächstgelegene Schule, weil - wie zwischen den Parteien unstreitig ist - die Fahrtkosten (bei Verwendung einer MVV-Zeitkarte) dorthin höher sind als zu vergleichbaren Schulen in M.

cc) Der Einwand der Kläger, das Gymnasium in F. sei dann die am kostengünstigsten zu erreichende (nächstgelegene) Schule, wenn ihre Tochter MVV-Streifenkarten anstelle von MVV-Zeitkarten benutze, ist demgegenüber nicht stichhaltig.

(1) Denn der bayerische Gesetz- und Verordnungsgeber bezweckt mit den Bestimmungen über die Kostenfreiheit des Schulwegs und der Beschränkung der Kostenfreiheit auf die unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit „notwendige“ Beförderung nicht nur die finanzielle Entlastung der Schüler und Eltern von Fahrtkosten. Vielmehr steht gerade auch die „optimale Organisation der Schülerbeförderung im Vordergrund“ (vgl. BayVGH vom 6.8.1984 BayVBl 1985, 565/566). Der Senat erkennt deshalb in ständiger Rechtsprechung an, dass die Bestimmungen über die Kostenfreiheit des Schulwegs in engem Zusammenhang mit der Organisation des bayerischen Schulwesens stehen. Zweck der Bestimmungen ist es danach (auch), ein Schülertransportnetz aufzubauen, das den Schulen tragfähige Einzugsbereiche sichert. Dies dient ebenso der Konzentration des Schulwesens wie der Differenzierung des Unterrichtsangebots. Gleichzeitig soll das Entstehen unzumutbar langer Schulwege vermieden werden (BayVGH vom 6.8.1984 a.a.O.). Durch den Aufbau eines Schülertransportnetzes soll auch darauf hingewirkt werden, dass die einzelnen Schulen, die grundsätzlich für bestimmte Einzugsgebiete und im Hinblick auf voraussichtliche Schülerzahlen geschaffen und bereitgehalten werden, angemessen ausgelastet sind (BayVGH vom 15.6.1999 Az. 7 ZB 99.1103 <juris> RdNr. 8). Dem öffentlichen Interesse der auf den näheren Einzugsbereich abstellenden Schulplanung und den Interessen der beteiligten Aufgabenträger, die auch bei geringerer Schülerzahl die notwendige Beförderung zu den nächstgelegenen Schulen sicherzustellen haben, widerspricht es somit, eine Beförderungspflicht auch zu entfernter liegenden Schulen anzunehmen (vgl. BayVGH vom 13.4.2011 Az. 7 B 10.1423 a.a.O. RdNr. 19). Mit dem genannten Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelungen zur Kostenfreiheit des Schulwegs ist es daher unvereinbar, wenn der zuständige Aufgabenträger seine Beförderungspflicht auch gegenüber Schülern erfüllen müsste, die von ihrem Wohnort aus beliebig weit entfernte Schulen innerhalb des MVV-Tarifsystems besuchen wollen.

(2) Es kommt hinzu, dass für den Aufgabenträger - entgegen der Annahme der Kläger - die Ausgabe von MVV-Streifenkarten keineswegs kostengünstig wäre. Denn der Aufgabenträger hat die notwendige Beförderung der Schüler nicht nur bis zu deren 14. Lebensjahr, sondern bis einschließlich Jahrgangsstufe 10 sicherzustellen (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 SchKfrG) und darüber hinaus - etwa bei Schülern an öffentlichen und staatlich anerkannten privaten Gymnasien ab der Jahrgangsstufe 11 - auch weiterhin die Kosten der notwendigen Beförderung (zum Teil) zu erstatten (Art. 3 Abs. 2 Satz 1 SchKfrG). Ab dem 14. Lebensjahr ist die Verwendung von MVV-Streifenkarten deutlich teurer als die Verwendung von MVV-Zeitkarten. Die Fahrtkosten sind dabei umso höher, je mehr Zonen (bei Streifenkarten) oder Ringe (bei Zeitkarten) nach dem MVV-Tarifsystem vom Wohnort des Schülers aus auf dem Weg zur Schule zu durchfahren sind. Ist bei der Verwendung einer MVV-Streifenkarte bis zum 14. Lebensjahr die Länge des Fahrtwegs noch unerheblich, so steigen ab dem 14. Lebensjahr die Fahrtkosten in Abhängigkeit vom Fahrtweg drastisch an. Der Aufgabenträger wird sich diesen absehbaren Kostenerhöhungen nicht entziehen können, weil den betroffenen Schülern ein Schulwechsel (an eine nähergelegene Schule) allein aus Kostenersparnisgründen kaum zuzumuten sein dürfte (vgl. § 2 Abs. 4 Nr. 2 SchBefV). Der Aufgabenträger kann bei der konkreten Organisation seiner Beförderungspflicht daher nicht nur das einzelne Schuljahr, sondern er darf ohne weiteres auch die gesamte Schulzeit in den Blick nehmen (vgl. BayVGH vom 7.6.2010 Az. 7 ZB 09.2415 a.a.O. RdNr. 15). Er darf die Schüler deshalb von Beginn seiner Beförderungspflicht an auch auf die Verwendung von MVV-Zeitkarten verweisen, um die voraussichtliche Entwicklung der tatsächlichen Fahrtkosten auf diese Weise realistisch erfassen zu können.

dd) Weil die Bestimmungen über die Kostenfreiheit des Schulwegs die Beförderungspflicht auf die nächstgelegene Schule beschränken, ist der Beklagte nicht verpflichtet, die Tochter der Kläger zu einer anderen als der nächstgelegenen Schule kostenfrei zu befördern. Dies ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn aus der Verfassung des Freistaates Bayern (BV) ergibt sich ebensowenig ein allgemeiner Anspruch auf Subventionierung von Ausbildungskosten wie ein Anspruch auf Kostenfreiheit des Schulwegs (vgl. VerfGH vom 7.7.2009 BayVBl 2010, 76/77). Machen der Schüler oder seine Eltern daher von ihrem Recht der freien Schulwahl in der Weise Gebrauch, dass der Schüler nicht die nächstgelegene Schule besucht, so darf ihm und seinen Eltern auch ohne Verstoß gegen Art. 118 Abs. 1 BV zugemutet werden, die finanziellen Folgen dieser Entscheidung selbst zu tragen (vgl. VerfGH vom 20.4.1990 VerfGH 43, 81/85).

2. Die Rechtssache weist weder besondere rechtliche Schwierigkeiten auf noch hat sie grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat die entscheidungserhebliche Frage, ob der Aufgabenträger die Schüler auf die Verwendung von MVV-Zeitkarten verweisen darf, schon auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Senats eindeutig beantworten können. Ein weiterer über den Einzelfall hinausgehender Klärungsbedarf besteht nicht. Das angefochtene Urteil leidet auch an keinem Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat das Vorbringen der Kläger hinreichend gewürdigt und die Berufung gegen das Urteil wegen fehlender grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache auch - entgegen der Ansicht der Kläger - zu Recht nicht zugelassen. Anhaltspunkte für eine (sonstige) Verletzung des Anspruchs der Kläger auf rechtliches Gehör bestehen nicht.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 159 Satz 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 3 und § 52 Abs. 1 und 3 GKG und bemisst sich nach der von den Klägern beanspruchten Höhe der im Schuljahr 2009/2010 zu ersetzenden Fahrtkosten (MVV-Streifenkarten).

4. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).