Bayerischer VGH, Beschluss vom 15.04.2011 - 7 CE 11.500
Fundstelle
openJur 2012, 115302
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antragsgegnerin wird unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 22. Februar 2011 (RN 1 E 11.219) im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, dem Antragsteller einen Nachtermin zur Nachholung des am 14. Dezember 2010 versäumten Leistungsnachweises im Grundkurs Mathematik zu gewähren.

II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Zwischen den Parteien ist umstritten, ob der Antragsteller, der die letzte Klasse des achtjährigen Gymnasiums der Antragsgegnerin besucht, den angekündigten Leistungsnachweis im Grundkurs Mathematik (schriftliche Arbeit) am 14. Dezember 2010 mit ausreichender Entschuldigung versäumt hat und ihm deshalb ein Nachtermin zu gewähren ist oder ob ihm wegen nicht ausreichender Entschuldigung in Bezug auf den versäumten Leistungsnachweis die Note 6 (0 Punkte) zu erteilen ist.

Das Verwaltungsgericht Regensburg hat im Eilverfahren den auf Gewährung eines Nachtermins gerichteten Antrag des Antragstellers mit Beschluss vom 22. Februar 2011 abgelehnt. Der Antragsteller habe zwar einen Anordnungsgrund, jedoch keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Er habe den Leistungsnachweis ohne ausreichende Entschuldigung versäumt, weil er der Antragsgegnerin die am 14. Dezember 2010 ausgestellte ärztliche Bescheinigung über seine an diesem Tag vorliegende Erkrankung nicht unverzüglich vorgelegt habe. Auch der zwischen den Parteien im Einzelnen umstrittene Einwand, der Antragsteller habe eine Mitschülerin am 14. Dezember 2010 „per SMS“ von seiner Verhinderung informiert und die Mitschülerin den Lehrer hierüber unterrichtet, begründe die Annahme einer ausreichenden Entschuldigung der Versäumnis nicht. Auf die Gründe des Beschlusses wird Bezug genommen.

Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Rechtsschutzbegehren weiter. Er beantragt sinngemäß,

der Antragsgegnerin unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 22. Februar 2011 (RN 1 E 11.219) im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, dem Antragsteller einen Nachtermin zur Nachholung des am 14. Dezember 2010 versäumten Leistungsnachweises im Grundkurs Mathematik zu gewähren.

Zur Begründung führt der Antragsteller im Wesentlichen aus, das Verwaltungsgericht gehe zu Unrecht davon aus, der Antragsteller sei nur dann „ausreichend“ entschuldigt, wenn er die ärztliche Bescheinigung über seine Erkrankung „unverzüglich“ vorlege. Ein solches Erfordernis lasse sich den einschlägigen Bestimmungen nicht entnehmen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze des Bevollmächtigten des Antragstellers vom 3. März 2011 und 28. März 2011 verwiesen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten ihres Vorbringens wird auf die Schriftsätze ihres Bevollmächtigten vom 18. März 2011 und 8. April 2011 verwiesen.

Die Landesanwaltschaft Bayern als Vertreter des öffentlichen Interesses hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Schülerakte Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Der Antragsteller hat für den begehrten Erlass einer einstweiligen Anordnung in Bezug auf die Gewährung eines Nachtermins nicht nur einen bereits vom Verwaltungsgericht wegen Eilbedürftigkeit zu Recht anerkannten Anordnungsgrund, sondern auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

1. Der Antragsteller kann den geltend gemachten Anspruch auf Gewährung eines Nachtermins nach der im Eilverfahren gebotenen vorläufigen Prüfung des Senats auf § 59 Abs. 1 Satz 1 der Schulordnung für die Gymnasien in Bayern (Gymnasialschulordnung - GSO) vom 23. Januar 2007 (GVBl S. 68, BayRS 2235-1-1-1-UK), zuletzt geändert durch Verordnung vom 29. Juli 2010 (GVBl S. 640), stützen. Versäumen danach Schüler einen angekündigten Leistungsnachweis mit ausreichender Entschuldigung, so erhalten sie einen Nachtermin. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Antragsteller habe sein Versäumnis nicht ausreichend entschuldigt, teilt der Senat nicht.

a) Der Antragsteller hat den angekündigten Leistungsnachweis im Grundkurs Mathematik am 14. Dezember 2010 mit ausreichender Entschuldigung versäumt. Denn er konnte am Schulunterricht und damit auch am Leistungsnachweis wegen Krankheit nicht teilnehmen. Dieser Umstand ist durch ärztliche Bescheinigung vom gleichen Tag, eingegangen bei der Antragsgegnerin am 16. Dezember 2010, nachgewiesen und zwischen den Parteien auch unstreitig.

15b) Den einschlägigen Regelungen der Gymnasialschulordnung lässt sich nicht entnehmen, das ärztliche Zeugnis über die Erkrankung müsse der Schule „unverzüglich“ vorgelegt werden, damit die Entschuldigung „ausreichend“ im Sinn von § 59 Abs. 1 Satz 1 GSO ist.

aa) Soweit das Verwaltungsgericht annimmt, vorliegend gelte § 87 Abs. 1 Satz 1 GSO entsprechend, so dass Erkrankungen unverzüglich durch ärztliches Zeugnis nachzuweisen seien, folgt ihm der Senat nicht.

17Zwar ordnet § 58 Abs. 4 Satz 2 GSO im Zusammenhang mit der Regelung, dass die Note 6 zu erteilen ist, wenn ein Schüler ohne ausreichende Entschuldigung einen angekündigten Leistungsnachweis versäumt (vgl. § 58 Abs. 4 Satz 1 GSO), die entsprechende Geltung von „§ 87 bzw. 87a Abs. 2“ GSO an und bestimmt § 87 Abs. 1 Satz 1 GSO (für das achtjährige Gymnasium) ebenso wie die gleichlautende Bestimmung des § 87a Abs. 1 Satz 1 GSO (für das neunjährige Gymnasium), dass Erkrankungen, die die Teilnahme einer Schülerin oder eines Schülers an der Abiturprüfung verhindern, unverzüglich durch ärztliches Zeugnis nachzuweisen sind. Die in § 58 Abs. 4 Satz 2 GSO getroffene Anordnung der entsprechenden Geltung von „§ 87 bzw. 87a Abs. 2“ GSO ist jedoch, wie der Antragsteller zu Recht anmerkt, in sich widersprüchlich und unklar.

Obwohl die Vorschriften der §§ 87 und 87a GSO im Wesentlichen gleichlautend sind, sollen nach dem Wortlaut des § 58 Abs. 4 Satz 2 GSO für die Schüler des achtjährigen Gymnasiums alle drei Absätze des § 87 GSO und für die Schüler des neunjährigen Gymnasiums nur der zweite Absatz des § 87a GSO entsprechend gelten. Ein sachlicher Grund für diese Differenzierung ist nicht erkennbar. Darüber hinaus bleiben vorliegend Sinn und Zweck einer entsprechenden Geltung der drei Absätze der genannten Vorschriften (§ 87 und § 87a GSO) unklar. So nimmt etwa der jeweils dritte Absatz der für die Abiturprüfung geltenden Bestimmungen Bezug auf die Einräumung eines Nachtermins nach § 74 Abs. 2 GSO (achtjähriges Gymnasium) und § 74a Abs. 2 GSO (neunjähriges Gymnasium), obwohl § 59 GSO den Nachtermin für die Nachholung von Leistungsnachweisen bereits (unmittelbar) regelt. Der jeweils zweite Absatz der §§ 87 und 87a GSO enthält Regelungen zu (Abitur-)Prüfungs-teilen, die im Falle einer zu vertretenden Versäumnis als nicht abgelegt gelten. Auch insoweit bleibt im Zusammenhang mit den in § 58 Abs. 4 GSO geregelten Leistungsnachweisen die Anordnung einer entsprechenden Geltung dieser Bestimmungen unverständlich. Soweit schließlich der jeweils erste Absatz der §§ 87 und 87a GSO die Verpflichtung des Schülers normiert, eine Erkrankung durch ärztliches Zeugnis nachzuweisen, hat der Verordnungsgeber eine solche Regelung in § 59 Abs. 4 Satz 1 GSO für die Nachholung von Leistungsnachweisen ebenfalls bereits getroffen, dort jedoch nur für den Fall, dass ein Schüler an einer Ersatzprüfung wegen Erkrankung nicht teilnimmt. Die Ersatzprüfung wird angesetzt, wenn ein Nachtermin mit ausreichender Entschuldigung versäumt wird (§ 59 Abs. 2 Satz 1 GSO). Für die Versäumnis eines Nachtermins hat der Verordnungsgeber eine solche Verpflichtung indes nicht vorgesehen (vgl. § 59 Abs. 2 Satz 1 GSO). Es gibt deshalb keinen sachlichen Grund für die Annahme, der Verordnungsgeber habe mit der Regelung des § 58 Abs. 4 Satz 2 GSO die Verpflichtung zur Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses im Fall der Versäumnis eines angekündigten Leistungsnachweises durch Erkrankung regeln wollen, wenn er eine solche Verpflichtung nicht auch für die Versäumnis eines Nachtermins, sondern ausdrücklich erst für die sich daran anschließende Ersatzprüfung und damit für den Fall der vorangegangenen (und ausreichend entschuldigten) Versäumnis des Leistungsnachweises und des Nachtermins vorsieht. Die „unverzügliche“ Vorlage des ärztlichen Zeugnisses fordert § 59 Abs. 4 Satz 1 GSO im Übrigen nicht.

bb) Die Verpflichtung, das ärztliche Zeugnis der Schule unverzüglich vorzulegen, lässt sich vorliegend auch nicht anderen Bestimmungen der GSO, insbesondere nicht § 37 Abs. 2 GSO entnehmen. Nach dieser Regelung kann die Schule bei Erkrankung von mehr als drei Unterrichtstagen oder bei Erkrankung am Tag eines angekündigten Leistungsnachweises die Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses verlangen. Häufen sich krankheitsbedingte Schulversäumnisse oder bestehen an der Erkrankung Zweifel, kann die Schule die Vorlage eines ärztlichen oder schulärztlichen Zeugnisses verlangen; wird das Zeugnis nicht vorgelegt, gilt das Fernbleiben als unentschuldigt (§ 37 Abs. 2 Sätze 1 und 2 GSO). In keinem der genannten Fälle fordert jedoch schon die Bestimmung selbst die „unverzügliche“ Vorlage des ärztlichen Zeugnisses.

c) Die Klärung des zwischen den Parteien im Einzelnen umstrittenen Einwands, der Antragsteller habe eine Mitschülerin am 14. Dezember 2010 „per SMS“ von seiner Verhinderung informiert und die Mitschülerin den Lehrer hierüber unterrichtet, kann – für den Fall, dass sich die Parteien nicht darüber verständigen können, ob die vom Antragsteller im Nachtermin erzielte Note tatsächlich zu werten ist – dem Hauptsacheverfahren überlassen werden. Denn die insoweit in Bezug genommene Bestimmung des § 37 Abs. 1 Satz 1 GSO, wonach ein Schüler, der aus zwingenden Gründen verhindert ist, am Unterricht oder an einer sonstigen verbindlichen Schulveranstaltung teilzunehmen, verpflichtet ist, die Schule unverzüglich unter Angabe des Grundes zu verständigen, ist für die Frage, ob der Antragsteller seine Versäumnis des angekündigten Leistungsnachweises ausreichend entschuldigt hat, wohl nicht einschlägig. Der Senat hält an seiner früheren Auffassung (vgl. Entscheidung vom 17.11.1992 Az. 7 CE 92.3166 <juris> RdNr. 19 ff.), nach der zur Auslegung des Begriffes der „ausreichenden Entschuldigung“ in Bezug auf die Versäumnis angekündigter Leistungsnachweise diejenige Bestimmung der GSO (nunmehr: § 37 Abs. 1 GSO) heranzuziehen sei, nach welcher ein Schüler, der aus zwingenden Gründen verhindert ist, am Unterricht oder an einer sonstigen verbindlichen Schulveranstaltung teilzunehmen, die Schule unverzüglich unter Angabe des Grundes zu verständigen habe, nicht fest. Bei der Bestimmung des § 37 Abs. 1 Satz 1 GSO, die ersichtlich auch eine fernmündliche Verständigung ermöglicht (vgl. hierzu § 37 Abs. 1 Satz 2 GSO), handelt es sich um eine den Schulbesuch regelnde Ordnungsvorschrift, deren Missachtung Ordnungsmaßnahmen nach sich ziehen mag. Sie beansprucht wohl aber keine Geltung für die vorliegend einschlägigen Bestimmungen über die Bewertung und Nachholung von Leistungsnachweisen.

2. Zur Sicherung des im Eilverfahren geltend gemachten Anspruchs des Antragstellers, wegen ausreichender Entschuldigung seiner Versäumnis nicht die Note 6 (0 Punkte) auf den Leistungsnachweis, sondern einen Nachtermin zu erhalten, ist die getroffene einstweilige Anordnung geboten und hinreichend. Der Senat geht davon aus, dass die Antragsgegnerin dem Antragsteller den Nachtermin in der bei ihr üblichen Weise gewährt und hierfür weitere gerichtliche Vorgaben nicht nötig sind.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327).

4. Die Entscheidung des Senats ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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