Bayerischer VGH, Beschluss vom 24.02.2011 - 13a ZB 10.30445
Fundstelle
openJur 2012, 113619
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 2. November 2010 ist unbegründet, weil die Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nrn. 1 und 3 AsylVfG nicht vorliegen.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargestellte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre, bisher höchstrichterlich oder – bei tatsächlichen Fragen oder nicht revisiblen Rechtsfragen – durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht geklärt, aber klärungsbedürftig und über den zu entscheidenden Fall hinaus bedeutsam ist (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, RdNr. 36 zu § 124).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Der Kläger hält für klärungsbedürftig, ob „Yeziden im Irak bzw. in der Provinz Mosul/Ninive einer Gruppenverfolgung unterliegen“. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts könne von einer Entspannung der Situation derzeit überhaupt keine Rede sein.

Das Verwaltungsgericht hat unter Zugrundelegung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Gruppenverfolgung (vgl. BVerwG vom 14.7.2009 BVerwGE 134, 188 = NVwZ 2010, 196) die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Gefahrendichte verneint. Zur Beurteilung der Lage hat das Gericht insbesondere die auch von dem Kläger genannte Stellungnahme des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien vom 17. Februar 2010 herangezogen und ausgewertet. Danach seien im Distrikt Sheikan Übergriffe auf Yeziden nicht bekannt geworden. Die Situation werde als „derzeit eher ruhig“ bezeichnet. Die Sicherheitslage sei vergleichsweise gut.

Von dem Kläger werden keine neuen oder anderen Zahlen, Fakten und Erkenntnisse vorgetragen, die die Beurteilung des Verwaltungsgerichts in Frage stellen könnten. Allein das Verlangen nach Neubewertung einer Quelle genügt nicht, um von einer grundsätzlichen Bedeutung ausgehen zu können (vgl. Berlit in GK-AsylVfG, RdNr. 609 zu § 78). Nach den von dem Kläger genannten Stellungnahmen des UNHCR vom 22. Mai 2009 sowie vom Juli 2010 sind zwar Angehörige religiöser Minderheiten – wie Yeziden – im Irak nach wie vor von Verfolgung bedroht. Eine hinreichende Verfolgungsdichte bezüglich der Yeziden als religiöse Gruppe lässt sich damit jedoch nicht belegen. Das gleiche gilt für den Vortrag, es sei von wesentlich höheren Anschlagszahlen und einer hohen Dunkelziffer auszugehen. Soweit der Kläger auf Entscheidungen (darunter des erkennenden Senats vom 8.1.2007), Auskünfte und Anweisungen aus den Jahren 2005 bis 2007 verweist, berücksichtigen diese nicht die neueren, vom Verwaltungsgericht herangezogenen Erkenntnismittel.

Ein weiterer Klärungsbedarf hinsichtlich der Annahme des Verwaltungsgerichts, es liege derzeit keine Gruppenverfolgung von Yeziden im Irak bzw. in der Herkunftsregion des Klägers vor, ist damit nicht gegeben. Das Verwaltungsgericht hat sich ausreichend mit dieser Frage insbesondere unter Berücksichtigung der genannten Stellungnahme des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien auseinandergesetzt. Dass die Erwägungen des Verwaltungsgerichts die aufgeworfene Frage nicht ausreichend beantworten, wird von dem Kläger ebenfalls nicht aufgezeigt und ist auch nicht offensichtlich.

Eine grundsätzliche Bedeutung ist auch nicht in Hinblick auf die Frage, ob „Yeziden im Irak bzw. in der Provinz Mosul/Ninive einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben im Rahmen eines innerstaatlichen Konflikts ausgesetzt sind“, anzunehmen. Dass Iraker bei einer Rückkehr nach Mosul nach derzeitiger Sicherheitslage im Allgemeinen keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ausgesetzt sind, hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof bereits in seiner Entscheidung vom 21. Januar 2010 ausgeführt (Az. 13a B 08.30285). Der Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass auch keine spezielle Gefährdung des Klägers in dessen Herkunftsregion vorliege, hat dieser keine neuen Erkenntnisse entgegengesetzt. Soweit er auf den Selbstmordanschlag am 17. August 2010 in Bagdad hinweist, richtete sich dieser gegen Armee-Bewerber. Eine gezielte Verfolgung von Yeziden lässt sich hierbei nicht erkennen.

Der Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG ist ebenfalls nicht gegeben. Der Verfahrensmangel des § 138 Nr. 3 VwGO (Versagung des rechtlichen Gehörs) liegt nicht vor. Der Kläger rügt insoweit einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, als es das Verwaltungsgericht unterlassen habe, ihn in der mündlichen Verhandlung auf Ungereimtheiten in der Verfolgungsgeschichte hinzuweisen.

Art. 103 Abs. 1 GG gibt den Beteiligten an einem gerichtlichen Verfahren vor allem ein Recht darauf, sich zu dem der gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Die Feststellung und Würdigung des Tatbestands ist Sache der Gerichte. Die Behauptung, die richterlichen Tatsachenfeststellungen seien falsch oder der Richter habe einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung beigemessen, vermag grundsätzlich einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen (BVerfG vom 19.7.1967 BVerfGE 22, 267/273). Aus Art. 103 Abs. 1 GG ergibt sich auch keine Hinweispflicht des Richters zur beabsichtigten Beweiswürdigung und Entscheidung (BVerfG vom 15.5.1984 BVerfGE 67, 90/95). Die Rüge des Klägers begründet nicht die Annahme einer unzulässigen Überraschungsentscheidung. Eine den verfassungsrechtlichen Anspruch genügende Gewährung rechtlichen Gehörs setzt auch voraus, dass der Verfahrensbeteiligte bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt zu erkennen vermag, auf welchen Tatsachenvortrag es für die Entscheidung ankommen kann. Dem Art. 103 Abs. 1 GG ist aber keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Richters zu entnehmen (BVerfG vom 29.5.1991 BVerfGE 84, 188/190; BVerfG vom 19.5.1992 BVerfGE 86, 133/144). Eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das Gericht in seiner Entscheidung auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt abstellt, der weder im Verwaltungsverfahren noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erörtert wurde und der zunächst als fernliegend anzusehen war und damit dem Rechtsstreit eine unerwartete Wende gibt (BVerwG vom 15.5.2008 NVwZ 2008, 1025/1027; vom 19.6.1998 NVwZ-RR 1998, 759). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Die Verfolgungsgeschichte des Klägers war ausweislich der Niederschrift vom 27. Oktober 2010 Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Da hierbei auch über die Verfolgungsgeschichte des Neffen Emad gesprochen wurde, fußen die diesbezüglichen Erwägungen in den Entscheidungsgründen nicht etwa auf einem fernliegenden Gesichtspunkt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG.