FG Nürnberg, Urteil vom 05.01.2011 - 6 K 1574/10
Fundstelle
openJur 2012, 113400
  • Rkr:
Tatbestand

Streitig ist, ob die Übernahme der Beiträge zur Berufshaftpflichtversicherung von angestellten Rechtsanwälten durch den Arbeitgeber auch insoweit steuerbarer und steuerpflichtiger Arbeitslohn ist, als sie über den Mindestbeitrag hinausgeht, wenn das Anstellungsverhältnis im Briefkopf der Kanzlei durch den Zusatz „angestellt“ deutlich gemacht wird.

Der Kläger ist Rechtsanwalt. Er beschäftigt in seiner Kanzlei zwei angestellte Anwälte. Im Briefkopf der Kanzlei werden die beiden mit der Berufsbezeichnung „Rechtsanwalt (angestellt)“ geführt.

Auf seine Anfrage vom 20.04.2010 hin erteilte ihm das Betriebsstättenfinanzamt am 05.05.2010 die Auskunft (§ 42e Einkommensteuergesetz -EStG-), dass die Übernahme der Berufshaftpflichtversicherungsbeiträge der angestellten Rechtsanwälte durch den Arbeitgeber steuerbarer und steuerpflichtiger Arbeitslohn i.S.d. § 8 Abs. 1 i.V.m. § 19 Abs. 1 EStG sei, da es sich um Werbungskostenersatz handle, der nicht steuerbefreit sei. Ein überwiegend eigenbetriebliches Interesse des Arbeitgebers sei nicht anzunehmen, da der Arbeitnehmer gemäß § 51 Bundesrechtsanwaltsordnung -BRAO- zum Abschluss dieser Versicherung gesetzlich verpflichtet sei.

Der Einspruch des Klägers wurde mit Einspruchsentscheidung vom 10.09.2010 als unbegründet zurückgewiesen.

Im Klageverfahren begehrt der Kläger die Feststellung, dass die vom Arbeitgeber übernommenen Beiträge zur Berufshaftpflichtversicherung der angestellten Rechtsanwälte insofern nicht steuerbarer und steuerpflichtiger Arbeitslohn sind, als sie den Mindestbeitrag überschreiten.

Zur Begründung führt er an, durch den auf das Anstellungsverhältnis verweisenden Zusatz im Briefkopf werde eine mögliche Außenhaftung der angestellten Rechtsanwälte als „Scheinsozien“ – anders als im Fall des BFH-Urteils vom 26.07.2007 VI R 64/06 (vorgehend FG Nürnberg Urteil vom 04.05.2006 VI 200/2005) – ausgeschlossen. Die angestellten Anwälte hätten nach den arbeitsrechtlichen Grundsätzen „gefahrgeneigter Tätigkeit“ nur solche Schäden zu tragen (bzw. für solche Schäden den Regressanspruch des zuvor vom Geschädigten in Anspruch genommenen Arbeitgebers zu erfüllen), die sie vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hätten. Bei mittlerer Fahrlässigkeit hätten sie einen Teil des Schadens zu tragen; bei leichter Fahrlässigkeit müsse der Arbeitgeber alleine für den Schaden aufkommen. Da sich der geschädigte Mandant immer zunächst an den Arbeitgeber halten könne, laufe dieser Gefahr, bei Schäden, die die Deckung aufgrund der Mindestversicherungssumme übersteigen, „sitzen zu bleiben“, wenn er die angestellten Anwälte nicht entsprechend höher versichere. Die „Höherversicherung“ der angestellten Anwälte liege deshalb ganz überwiegend in seinem eigenbetrieblichen Interesse. Der angestellte Anwalt sei bereits durch die Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs geschützt.

Der Kläger beantragt sinngemäß, den Bescheid vom 05.05.2010 und die Einspruchsentscheidung vom 10.09.2010 aufzuheben.

Der Kläger beantragt weiter sinngemäß, festzustellen, dass die von ihm übernommenen Beiträge für die Berufshaftpflichtversicherung der bei ihm angestellten Rechtsanwälte nicht steuerbaren und steuerpflichtigen Arbeitslohn darstellen, soweit sie pro Anwalt den Betrag von 957,95 € brutto jährlich übersteigen.

Das Finanzamt beantragt unter Bezugnahme auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung, die Klage abzuweisen.

Aus den Akten ergibt sich noch, dass auf dem vom Kläger in seiner Kanzlei verwendeten Vollmachtsformular im Briefkopf unter „ X RECHTSANWÄLTE“ alle drei Anwälte ohne Angestelltenzusatz aufgeführt sind. Die Vollmacht wird der Kanzlei erteilt. Die Klageschrift ist in der „Wir-Form“ verfasst („... zeigen wir an, dass wir... vertreten... unserer Legitimation... erheben wir Klage...“).

Der Kläger hat eine Kopie seines Haftpflichtvertrages vorgelegt, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird. Nach Auskunft der Versicherung ist es dort üblich, Sozien jeweils über eigene Verträge mit jeweils gleichen Versicherungssummen zu versichern, „nur“ angestellte Anwälte über den Kanzleiinhaber. Sozien sind nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 des Versicherungsvertrages Berufsangehörige (Rechtsanwälte), die ihren Beruf nach außen hin gemeinschaftlich ausüben, ohne Rücksicht auf die vertragliche Regelung im Innenverhältnis. Die Beschäftigung eines zuschlagspflichtigen Mitarbeiters, der nicht Sozius i.S.d. § 1 Abs. 2 ist, gilt nach § 13 Abs. 1 des Versicherungsvertrages als Erweiterung des versicherten Risikos. Die Prämie richtet sich nach der Höhe der Versicherungssumme und nach Art und Umfang der Tätigkeit, nicht danach, ob der Mitarbeiter als Sozius oder „Nichtsozius“ versichert ist.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung einverstanden, §§ 79a Abs. 3 und 4, 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung -FGO-.

Gründe

Die Klage ist unbegründet. Die dem Kläger vom Finanzamt erteilte Auskunft, wonach die Übernahme der Berufshaftpflichtversicherungsbeiträge seiner angestellten Anwälte durch ihn als Arbeitgeber (in voller Höhe) steuerbarer und steuerpflichtiger Arbeitslohn i.S.d. § 8 Abs. 1 i.V.m. § 19 Abs. 1 EStG ist, ist zutreffend.

1.Gemäß der geänderten Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 30.04.2009 VI R 54/07, BStBl II 2010, 996) stellt eine dem Arbeitgeber erteilte Anrufungsauskunft nach § 42e EStG nicht mehr nur eine Wissenerklärung sondern einen feststellenden Verwaltungsakt i.S.d. § 118 AO dar. Die Vorschrift des § 42e EStG gibt dem Arbeitgeber nicht nur ein Recht auf förmliche Verbescheidung seines Antrags, sondern berechtigt ihn auch, eine ihm erteilte Anrufungsauskunft erforderlichenfalls im Klageweg inhaltlich überprüfen zu lassen.2.Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG gehören u.a. Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden, zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit. Dem Tatbestandsmerkmal „für“ ist nach ständiger Rechtsprechung zu entnehmen, dass ein dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zugewendeter Vorteil Entlohnungscharakter für das Zurverfügungstellen der Arbeitskraft haben muss, um als Arbeitslohn angesehen zu werden. Dagegen sind solche Vorteile kein Arbeitslohn, die sich bei objektiver Würdigung aller Umstände nicht als Entlohnung, sondern lediglich als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzung erweisen. Ein Vorteil wird dann aus ganz überwiegend eigenbetrieblichem Interesse gewährt, wenn im Rahmen einer Gesamtwürdigung aus den Begleitumständen zu schließen ist, dass der jeweils verfolgte betriebliche Zweck im Vordergrund steht. In diesem Fall des „ganz überwiegend“ eigenbetrieblichen Interesses kann ein damit einhergehendes eigenes Interesse des Arbeitnehmers, den betreffenden Vorteil zu erlangen, vernachlässigt werden. Die danach erforderliche Gesamtwürdigung hat insbesondere Anlass, Art und Höhe des Vorteils, Auswahl der Begünstigten, freie oder nur gebundene Verfügbarkeit, Freiwilligkeit oder Zwang zur Annahme des Vorteils und seine besondere Geeignetheit für den jeweils verfolgten betrieblichen Zweck zu berücksichtigen. Tritt das Interesse des Arbeitnehmers gegenüber dem des Arbeitgebers in den Hintergrund, kann eine Lohnzuwendung zu verneinen sein. Ist aber - neben dem eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers - ein nicht unerhebliches Interesse des Arbeitnehmers gegeben, so liegt die Vorteilsgewährung nicht im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers und führt zur Lohnzuwendung (BFH-Urteil vom 26.07.2007 VI R 64/06, BStBl II 2007, 892 m.w.N.).163.Unstreitig ist die Übernahme der Mindestversicherungsbeiträge durch den Arbeitgeber Arbeitslohn, da diese im überwiegenden Interesse der Arbeitnehmer erfolgt, die ohne Versicherungsschutz nicht als Rechtsanwalt tätig werden könnten, §§ 12 Abs. 2 und 14 Abs. 2 Nr. 9 BRAO. (Vgl. hierzu auchDiller, Versicherungsbeiträge für angestellte Anwälte steuerpflichtiger Arbeitslohn?, AnwBl 2010, 269).17Im Streitfall wäre nach dem oben Gesagten auch die Übernahme der darüber hinaus gehenden Beitragsanteile für die Höherversicherung der angestellten Anwälte als Arbeitslohn zu qualifizieren, da das Interesse des Arbeitnehmers an der Höherversicherung nicht gegenüber einem überwiegenden Interesse des Arbeitgebers in den Hintergrund tritt.

a)Das erhebliche Eigeninteresse der angestellten Anwälte an einer über den Mindestversicherungsschutz hinausgehenden Versicherung ergibt sich im Streitfall aus dem Risiko einer Inanspruchnahme als Scheinsozius. Die Anwaltshaftung ist in den letzten Jahren massiv verschärft worden. Ob allein ein Hinweis auf das Angestelltenverhältnis im Briefkopf der Kanzlei einen Haftungsausschluss begründen kann, dürfte ernstlich zweifelhaft sein (vgl. Semrau, NJW-aktuell Heft 38/2006, XVI), zumal im Streitfall auf dem Vollmachtsformular ein solcher Hinweis völlig fehlt und die drei Anwälte im Außenverhältnis als Sozietät auftreten (vgl. Klageschrift).b)Ein überwiegend eigenbetriebliches Interesse des Arbeitgebers an der Höherversicherung der Arbeitnehmer, welches das Eigeninteresse der Arbeitnehmer überlagern könnte, scheidet hier aus:Der erhöhte Versicherungsschutz dient insbesondere nicht einem möglichen Regress des für einen durch den Angestellten verursachten Schaden in Anspruch genommenen Arbeitgebers. Sind die Angestellten über die Versicherung des Arbeitgebers mitversichert, gleicht dies den Schaden aus, so dass der Arbeitgeber keinen Schaden hat. Das gilt sogar für Schäden, die der Arbeitnehmer „durch wissentliches Abweichen von Gesetz Vorschrift, Anweisung oder Bedingung des Auftraggebers oder durch sonstige wissentliche Pflichtverletzung“ verursacht hat (§ 4 Nr. 5 des vorliegenden Versicherungsvertrages).

Wurden für die beteiligten Anwälte jeweils eigene Verträge geschlossen, wird der Schaden ebenfalls von der Versicherung getragen; der Versicherungsfall eines Sozius gilt als Versicherungsfall aller Sozien (§ 12 Abs. 1 des Versicherungsvertrages).

Soweit der Arbeitgeber ein eigenbetriebliches Interesse daran haben könnte, nicht auf einem durch Unterversicherung (und damit Unterdeckung) verursachten Schaden „sitzen zu bleiben“, überwiegt dieses - jedenfalls im Streitfall, in dem eine Inanspruchnahme des angestellten Anwalts als Scheinsozius nicht ausgeschlossen werden kann, - nicht gegenüber dem Eigeninteresse des angestellten Anwalts an einer dem „Gesamtkanzleirisiko“ entsprechenden Versicherung aller Anwälte. Die angemessene Versicherung liegt im Interesse sämtlicher Beteiligten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.