Bayerischer VGH, Urteil vom 24.01.2011 - 12 BV 10.477
Fundstelle
openJur 2012, 113371
  • Rkr:
Tenor

I. Das Urteil der Verwaltungsgerichts wird auf die Berufung der Klägerin in den Nummern III. und IV. abgeändert und erhält insoweit folgende Fassung:

„III. Es wird zudem festgestellt, dass die vom Beklagten begehrte Rückforderung der gegenüber der Klägerin vorgenommenen Kostenerstattung für unbegleitete Minderjährige auch in Höhe von 3.558,64 EUR rechtswidrig ist.

IV. Die Klägerin hat 1/4, der Beklagte hat 3/4 der Kosten des Verfahrens zu tragen.“

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um eine Rückforderung des Beklagten einer der Klägerin bereits bewilligten und als Vorschuss ausbezahlte Kostenerstattung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.

Der Beklagte erstattet der Klägerin Leistungen, die diese als Trägerin der Jugendhilfe nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) an unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gemäß §§ 7, 8 des Gesetzes über die Aufnahme und Unterbringung der Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (Aufnahmegesetz – AufnG) vom 24. Mai 2002 (GVBl. 2002, 192) erbringt. Die Klägerin erhält Kostenerstattung in Form von Vorschussleistungen, die nach Rechnungslegung im Wege einer Abrechnung bzw. Nachberechnung vom Beklagten geprüft und entweder als erstattungsfähig anerkannt oder als nicht erstattungsfähig zurückgefordert werden.

Mit Schreiben vom 21. November 2006 gab der Beklagte auf entsprechende Anträge der Klägerin das Ergebnis seiner Abrechnung für den Zeitraum der Jahre 2003 bis einschließlich 2005 mit Nachberechnungen für die Jahre 2003 und 2004 bekannt, wonach er von der Klägerin 4.625.096,97 Euro zuviel geleistete Vorschusszahlungen zurückgeforderte. Die Klägerin kam dieser Forderung teilweise nach und zahlte einen Betrag von 4.438.522 Euro an den Beklagten zurück. Über den verbleibenden Differenzbetrag in Höhe von 186.574,97 Euro konnten die Beteiligten keine Einigung erzielen.

Mit Telefax vom 29. Dezember 2006 beantragte die Klägerin beim Verwaltungsgericht München, festzustellen, dass die vom Beklagten begehrte Rückforderung der ihr gegenüber vorgenommenen Kostenerstattung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Höhe von insgesamt 12.159,93 Euro – später berichtigt auf 9.788,50 Euro – rechtswidrig sei. Der Klagebegründung legte die Klägerin einzelne Positionen aus der Abrechnung bzw. aus der Nachberechnung für das Jahr 2003 zugrunde und zwar die Kosten für

Probewohnen       1.619,33 Euro,Heimunterbringung einer scheinbar minderjährigen Person 1.435,35 Euro,Bekleidungsausstattung 1.012,81 Euro,Bezahlung eines Barbetrages 0,60 Euro,Telefongebühr im Rahmen des Betreuten Wohnens 30,05 Euround Regelsatzleistungen im betreuten Wohnen 5.690,36 Euro.Der Beklagte trat dem entgegen. Für die Erstattung von Kosten für Probewohnung als Kosten der Jugendhilfe fehle es an einer Rechtsgrundlage im Achten Buch Sozialgesetzbuch. Für die Erstattung von Kosten, die für eine tatsächlich volljährige Person aufgewendet wurden, fehle es an einer Erstattungsvorschrift, diese bezöge sich eben nur auf minderjährige Leistungsberechtigte, wobei es ohne Belang sei, dass man bei Leistungsgewährung von der Minderjährigkeit dieser Person ausgegangen sei. Hinsichtlich der Bekleidungskosten bzw. des Barbetrages seien Kosten nur in Höhe der nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) vorgesehenen Sätze erstattungsfähig. Eine Person könne während einer Jugendhilfemaßnahme diesbezüglich keine höheren Beträge erhalten als eine vergleichbare Person in staatlicher Gemeinschaftsunterkunft. Telefonkosten seien nach den Richtlinien des Bayer. Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familien und Frauen nicht erstattungsfähig, denn sie seien nicht notwendig. Hinsichtlich der Regelsatzleistungen sei nicht nachvollziehbar, warum in den benannten Hilfefällen C. A., R. M. und E. Z. der geltend gemachte Aufwand nicht bereits durch die Unterbringung abgedeckt sei. In den entsprechenden Abrechnungsblättern werde die Summe der Tagessätze sogar mit „Verpflegungskosten“ bezeichnet, was gegen die von der Klägerin vorgebrachte Annahme spreche, die fraglichen Kosten seien nicht von der Unterbringung erfasst.

Die Klägerin vertrat demgegenüber weiterhin die Auffassung, ob eine Person minderjährig oder volljährig sei, sei nach dem Wissensstand zum Zeitpunkt der Hilfegewährung zu entscheiden. Das richtige Geburtsdatum der hier betroffenen Person sei aber erst nach Beendigung der Jugendhilfemaßnahme anlässlich der Eheschließung bekannt geworden. Hinsichtlich der Regelsatzleistungen ergebe sich aus den Kalkulationen und Abrechnungsblättern, dass in den entsprechenden Kosten der Unterbringung keine Lebenshaltungs- bzw. Verpflegungskosten enthalten seien. Der strittige Barbetrag enthalte einen Rundungsfehler in Höhe von 0,05 Euro pro Monat.

Vor dem Verwaltungsgericht München fanden am 17. Oktober 2007 und am 8. Juli 2009 Termine zur mündlichen Verhandlung statt. Auf Hinweis des Gerichts, dass anfallende Kosten für Probewohnen unter Darlegung der Notwendigkeit des Einrichtungswechsels zu erstatten seien, erklärten die Beteiligten das Verfahren hinsichtlich dieser Kosten übereinstimmend für erledigt.

Der Beklagte erklärte zu den Regelsatzleistungen, dass solche nur in Höhe der Höchstsätze nach § 3 Abs. 2 Satz 2 und 3 AsylbLG übernommen werden könnten. Dadurch würde sich der Kürzungsbetrag von zunächst 5.690,36 Euro auf 2.545,83 Euro verringern. Strittig blieben Erstbeträge für C. in Höhe von 183,09 Euro, für M. in Höhe von 1.571,16 Euro und für E. in Höhe von 791,58 Euro. Infolgedessen erklärten die Beteiligten mit weiteren Schriftsätzen vom 25. November 2009 und 30. November 2009 den Rechtsstreit in der Hauptsache auch hinsichtlich der übrigen Regelsatzleistungen in Höhe von 3.144,53 Euro für erledigt.

Weiter für erledigt erklärten die Beteiligten mit Schriftsätzen vom 4. Dezember 2009 und 7. Dezember 2009 das Verfahren in der Hauptsache auch hinsichtlich der Kürzung des Barbetrages, nachdem die Klägerin diese Kürzung anerkannt hatte.

Mit Urteil vom 16. Dezember 2009 stellte das Verwaltungsgericht das Verfahren insoweit ein, als die Beteiligten es in der Hauptsache für erledigt erklärt hatten, stellte des Weiteren fest, dass die vom Beklagten begehrte Rückforderung der gegenüber der Klägerin vorgenommenen Kostenerstattung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Höhe von 1.465,40 Euro rechtswidrig war und wies im Übrigen die Klage ab. Die Kürzung der Erstattungsleistungen durch den Beklagten in Höhe von 1.435,35 Euro für den volljährigen J. sei rechtswidrig, zudem sei die Klage auch insoweit erfolgreich, als sie die Feststellung der Rechtswidrigkeit der vom Beklagten vorgenommenen Kürzung für Telefongebühren bei Unterbringung im Betreuten Wohnen begehrt. Unbegründet sei die Klage hingegen hinsichtlich der noch streitigen Positionen „Bekleidung“ und „Regelsatz“. Die Auffassung der Klägerin, der Umfang der insoweit erstattungsfähigen Kosten sei nicht durch die Höchstbeträge des § 3 AsylbLG gedeckelt, treffe nicht zu. Bereits Art. 8 Abs. 1 Satz 1 AufnG bestimme, dass der Umfang erstattungsfähiger Leistungen durch die „unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit notwendigen Kosten“ begrenzt sei. Dem Aufnahmegesetz sei zwar einerseits zu entnehmen, dass auch Asylsuchende unter den Geltungsbereich des Achten Buches Sozialgesetzbuches fallen. Andererseits treffe das Asylbewerberleistungsgesetz für den dort genannten Personenkreis aber eine eindeutige Begrenzung des Leistungsumfanges und damit eine an bestimmte Merkmale geknüpfte Abstufung im System der sozialen Leistungen.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer beim Verwaltungsgericht München am 26. Februar 2010 eingegangenen Berufung. Die hier streitgegenständlichen Leistungen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge beträfen Kinder und Jugendliche, bei denen Jugendhilfebedarf vorliege. In solchen Fällen seien die §§ 3 und 6 AsylbLG nicht als lex speziales gegenüber § 39 SGB VIII zu sehen. Die Leistungen zum Unterhalt des Kindes oder des Jugendlichen bemäßen sich somit nach den Maßstäben der Jugendhilfe und nicht nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Auch aus § 9 Abs. 2 AsylbLG ergebe sich, dass Leistungen anderer, insbesondere Träger von Sozialleistungen, durch dieses Gesetz nicht berührt würden. Im Bereich der Landeshauptstadt München habe der Regelsatz eines Haushaltsvorstandes im streitgegenständlichen Zeitraum 384 Euro betragen, während die Grundleistung eines Haushaltsvorstandes im Rahmen des § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylbLG nur 184,07 Euro betragen habe. Für die Bekleidungsausstattung sehe die Klägerin im Rahmen des § 8 Abs. 3 des Rahmenvertrages nach § 78f SGB VIII eine Höchstgrenze von 515 Euro vor, während die Grundausstattung nach § 3 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AsylbLG nur einen Bedarf von maximal 306,72 Euro vorsehe.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 16. Dezember 2009 insoweit aufzuheben, als die Klage in Nr. III des Urteiltenors abgewiesen worden sei und festzustellen, dass die vom Beklagten vorgenommenen Kürzungen auch hinsichtlich der Positionen „Bekleidung“ und „Regelsatz“ rechtswidrig sei.

Der Beklagte beantragt mit Schriftsatz der Landesanwaltschaft Bayern vom 22. April 2010,

die Berufung zurückzuweisen.

Das Verwaltungsgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass der Umfang der vom Beklagten der Klägerin zu erstattenden Leistungen, wie sich aus Art. 7 und 8 AufnG ergebe, durch den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit begrenzt werde. Mit der Regelung in Art. 7 AufnG seien die damaligen Forderungen des Bayerischen Obersten Rechnungshofes umgesetzt worden, eine gesetzliche Grundlage für die bis dahin bestehende Vollzugspraxis, den örtlichen Trägern die Kosten der Kinder- und Jugendhilfe in diesem Bereich zu erstatten, zu schaffen. Ein Beschluss des Ministerrats vom 12. Mai 1992 habe vorgesehen, die staatliche Erstattung der Kosten der Jugendhilfe für Asyl suchende unbegleitete minderjährige Ausländer für die Zeit ab dem 1. Januar 1993 mittels Verwaltungsvorschrift zu regeln. Die daraufhin ergangene Verwaltungsvorschrift vom 2. Februar 1993 sei vom Bayerischen Obersten Rechnungshof jedoch nicht als ausreichende Rechtsgrundlage für die bestehende Vollzugspraxis angesehen worden. Eine solche Rechtsgrundlage sei deshalb mit der Vorschrift des Art. 7 AufnG nachgeholt worden. Die Regelung bezwecke einen einheitlichen Vollzug für alle unbegleiteten minderjährigen Personen, die zum Personenkreis der Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gehörten. Art. 8 AufnG knüpfe an diese Regelung an und normiere, welche Kosten der Freistaat Bayern für die Unterbringung und Versorgung unbegleiteter Minderjähriger im Sinne von Art. 7 AufnG den örtlichen Jugendhilfeträgern zu erstatten habe. Der Hinweis der Klägerin auf die notwendigen Kosten nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch bedeute indes nicht, dass sich die Leistungen zum Unterhalt des Jugendlichen ausschließlich und ohne jede weitere Differenzierung nach den Maßstäben der Jugendhilfe zu richten hätten. Eine Kostenerstattung nach den Maßstäben der Jugendhilfe setze vielmehr eine spezifische jugendhilferechtliche Bedarfslage voraus. Diese besondere Bedarfslage folge aus dem Umstand, dass für asylverfahrensmündige und asylsuchende Jugendliche das Asylverfahrens- und Asylbewerberleistungsrecht auf der einen Seite und das Jugendhilferecht auf der anderen Seite zur Überschneidung gelange. Nach dem bisherigen im Freistaat Bayern praktizierten sogenannten 4-Stufenmodell würden alle unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge je nach ihrem besonderen persönlichen Bedürfnis betreut und zwar bei festgestelltem Jugendhilfebedarf in einer Jugendhilfeeinrichtung der Stufe I und II oder aber bei verneintem Jugendhilfebedarf in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft der Stufe III und IV. Dabei führe ein festgestellter Jugendhilfebedarf aber nicht gleichsam automatisch zur Anwendung aller Leistungsmaßstäbe nach dem Jugendhilferecht. Es gebe zahlreiche Leistungen – wie z.B. die hier streitgegenständliche Ausstattung mit Bekleidung –, die ebenso bei einem Jugendlichen anfielen, für den kein Jugendhilfebedarf festgestellt worden sei und der sich in einer betreuten Gemeinschaftsunterkunft befinde. Die Leistungen für Bekleidung würden daher einheitlich nach Maßgabe des § 3 AsylbLG abgerechnet. Hieraus erkläre sich, dass in dem AMS vom 6. Februar 2006 im Hinblick auf die einzelnen erstattungsfähigen Leistungen (dort Nr. 4.2.1) die Kosten der notwendigen Erstausstattung mit Bekleidung betreffend auch auf die Abrechnung nach § 3 AsylbLG verwiesen werde. Das entspreche im Übrigen auch der früheren Verwaltungspraxis. Letztlich verweist der Beklagte auf die gesetzliche Wertentscheidung, wie sie dem § 2 AsylbLG zugrunde liege.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die vorgelegten Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen. Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Gründe

Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist im vollen Umfang begründet, weil das Verwaltungsgericht unter Nummer III. des Urteils vom 16. Dezember 2009 die Klage zu Unrecht teilweise abgewiesen hat.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Urteil des Verwaltungsgerichts nur insoweit, als es die Klage der Klägerin abgewiesen hat. Hinsichtlich des erledigten Teiles im Verfahren der ersten Instanz (Nummer I des Urteils vom 16. Dezember 2009), der das Probewohnen (1.619,33 EUR), einen Barbetrag (0,60 EUR) und einen Teil der geltend gemachten Regelleistungen (3.144,53 EUR) umfasst, sowie hinsichtlich des Rückforderungsbetrages in Höhe von 1.465,40 EUR (Nummer II dieses Urteiles), der sich aus den Kosten der Heimunterbringung für einen nur vermeintlich Minderjährigen (1.435,35 EUR) und Telefongebühren im betreuten Wohnen (30,05 EUR) zusammensetzt, ist Rechtskraft eingetreten. Im Berufungsverfahren anhängig ist damit nur noch der Rückforderungsbetrag für die als Vorschuss geleisteten Beträge in Höhe von 1.012,81 EUR für Bekleidungsausstattung und von 2.545,83 EUR für Regelleistungen im Betreuten Wohnen.

Die so verstandene Berufung ist im vollen Umfang begründet, weil das mit dem Berufungsantrag noch geltend gemachte Klagebegehren zulässig und begründet ist.

Die Klage ist zulässig. Der Senat schließt sich insoweit den Überlegungen des Verwaltungsgerichts zum hier nicht greifenden Vorrang der Leistungsklage an.

Die Klage ist auch begründet, denn die Klägerin hat einen Anspruch auf Kostenerstattung auch hinsichtlich der im Berufungsverfahren allein noch strittigen Posten „Regelsatz“ und „Bekleidung“, so dass festzustellen ist, dass die vom Beklagten insoweit geltend gemachte Rückforderung rechtswidrig ist. Auf die übrigen Voraussetzungen für eine Rückforderung geleisteter Vorauszahlungen kommt es deshalb nicht mehr an.

Der Rechtsanspruch der Klägerin auf Kostenerstattung ergibt sich aus Art. 7 Abs. 1 AufnG, der bestimmt, dass soweit unbegleitete minderjährige Personen im Sinne von Art. 1 AufnG Anspruch auf Leistungen der Jugendhilfe nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch haben, der Freistaat Bayern den Trägern der Jugendhilfe erstattungspflichtig ist (vgl. auch § 89d Abs. 1 Satz 3 SGB VIII).

Die Tatbestandsvoraussetzungen für einen solchen Erstattungsanspruch nach Art. 7 Abs. 1 AufnG sind gegeben. Die betroffenen unbegleiteten minderjährigen Personen fallen – das ist zwischen den Beteiligten unstreitig – in den Anwendungsbereich des Art. 1 AufnG, denn sie sind an sich leistungsberechtigt nach § 1 AsylbLG. Ebenso unstreitig haben sie einen Anspruch auf Leistungen nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch, den die Klägerin erfüllt hat. Ein solcher Anspruch für minderjährige unbegleiteten Asylbewerber auf Leistungen nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch ergibt sich aus § 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 und 4 SGB VIII (vgl. dazu BVerwG vom 24.6.1999 BVerwGE 109, 155 = FEVS 51, 152) in Verbindung mit dem Haager Minderjährigen Schutzabkommen vom 5. Oktober 1961 (siehe dazu etwa die Antwort der Bundesregierung zur Anfrage „Unbegleitete Minderjährige in der Bundesrepublik Deutschland“ vom 29.6.1995 BT-Drs. 13/1873; und für den – hier nicht einschlägigen – Zeitraum ab dem 1. Januar 2011 das Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und die Maßnahmen zum Schutz von Kindern) und der Vorschrift zur örtlichen Zuständigkeit in § 86 Abs. 7 SGB VIII. Ob ein jugendhilferechtlicher Bedarf gegeben ist, unterliegt der fachlichen Beurteilungen der Jugendämter (st. Rspr. des Senats zu § 35a SGB VIII, vgl. dazu ausführlich BayVGH vom 24.6.2009 Az. 12 B 09.606 und vom 18.2.2008 JAmt 2008,596). Die Klägerin hat einen solchen jugendhilferechtlichen Bedarf bejaht und diesen Leistungsanspruch erfüllt, indem sie Hilfe zur Erziehung gemäß § 34 in Verbindung mit § 27 SGB VIII gewährt hat (vgl. etwa die Eintrittsmeldung der Einrichtung „Intensiv Betreutes Wohnen“ vom 17. Dezember 2003). Das erscheint hinsichtlich der hier (noch) in Rede stehenden minderjährigen unbegleiteten Asylbewerber geeignet und angemessen (vgl. das Informationsschreiben des Vereins „Betreuung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge“ in München und die Empfehlung des Bayerischen Landesjugendhilfeausschuss vom 17. Februar 1993) und steht hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der gewährten Hilfeleistung gemäß § 34 SGB VIII durch deren Unterbringung in Einrichtungen für Betreutes Wohnen auch nicht im Streit. Der Rechtmäßigkeit der Leistungsgewährung steht letztlich auch nicht entgegen, dass anspruchsberechtigt für die Hilfe zur Erziehung die nicht im Inland verweilenden Personensorgeberechtigten der minderjährigen unbegleiteten Asylbewerber sind (vgl. etwa Tammen/Trenczek in Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 6. Aufl. 2009, § 27 RdNrn. 38 f.).

26Im Berufungsverfahren streiten die Beteiligten lediglich noch über die Höhe der sich hieran anschließenden Kostenerstattung für die tatsächlich erbrachten Jugendhilfeleistungen.

27Der Senat teilt die dazu grundlegende Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Leistungen den besonderen Bedürfnissen des dem Achten Buch Sozialgesetzbuch unterfallenden Personenkreis gerecht werden müssen. Gedeckt hat die Klägerin und streitig sind hier noch die Bedarfe für Lebensunterhalt und Bekleidung der betroffenen unbegleiteten Minderjährigen. Der Umfang ihrer Leistungsverpflichtung hierzu ergibt sich aus § 39 Abs. 1 SGB VIII, der in seinem Satz 1 bestimmt, dass dann, wenn Hilfe nach den §§ 32 bis 35 SGB VIII gewährt wird, auch der notwendige Unterhalt des Kindes oder Jugendlichen außerhalb des Elternhauses sicherzustellen ist (allgemein dazu Fischer in Schellhorn/Fischer/Mann, SGB VIII/KJHG, 3. Aufl. 2007, § 39 RdNrn. 12 ff.; Stähr in Hauck/Haines, SGB VIII, Stand: Juni 2010, § 39 RdNrn. 9 ff.). Dieser Anspruch setzt für sich genommen keine materielle Bedürftigkeit voraus, sondern wird kraft Gesetzes durch die Hilfe zur Erziehung ausgelöst (Wiesner in Wiesner, SGB VIII, 3. Aufl. 2006, § 39 RdNr. 10). Er ist bloßer Annex zur an sich gewährten Jugendhilfe (Kunkel in LPK-SGB VIII, 3. Aufl. 2006, § 39 RdNr. 3). Nach § 39 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII soll der gesamte regelmäßig wiederkehrende Bedarf durch laufende Leistungen gedeckt werden. Dieser Unterhalt umfasst zuerst die in § 27 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch und § 20 Zweites Buch Sozialgesetzbuch genannten Bedarfspositionen und nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII zudem die Kosten des Sachaufwandes sowie Pflege und Erziehung des Kindes (vgl. dazu Tammen in Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, a.a.O., § 39 RdNrn. 7 ff.). Für die Bemessung dieses Unterhalts enthält § 39 SGB VIII selbst keine näheren Vorgaben.

28Damit regelt der Gesetzgeber den vom Träger der Jugendhilfe gemäß Art. 7 Abs. 1 AufnG zu deckende Bedarf unbegleiteter minderjähriger Asylbewerber, die Anspruch auf Jugendhilfeleistungen haben, signifikant anders, als den Bedarf an Grundleistungen, der nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu decken ist (vgl. dazu Linhart/Adolph, SGB II, SGB XII und AsylbLG, Stand: Januar 2011, § 3 AsylbLG RdNrn. 6 ff., 11, 17 ff.) und der darin begründet ist, dass er Personen betrifft, die über kein verfestigtes Bleiberecht verfügen und auch keinen Integrationsbedarf haben (vgl. BVerwG vom 29.9.1998 Buchholz 436.0 § 120 BSHG Nr. 18 = FEVS 49, 97).

Die in solchen Fällen einschlägigen §§ 27, 34, 39 SGB VIII werden weder durch das Asylverfahrensgesetz noch durch das Asylbewerberleistungsgesetz verdrängt. Insbesondere lässt die Sonderzuständigkeit in § 86 Abs. 7 Satz 1 SGB VIII „für Leistungen an Asylsuchende“ den Rückschluss zu, dass die für minderjährige Asylsuchende in Betracht kommenden Sozialleistungen eben nicht abschließend im Asylverfahrens- oder im Asylbewerberleistungsgesetz geregelt sind (BVerwG a.a.O.). Weder das Achte Buch Sozialgesetzbuch noch das Aufnahmegesetz enthalten auch nur ansatzweise eine Regelung dafür, dass sich der im Anwendungsbereich des § 39 SGB VIII vom Jugendhilfeträger zu deckende jugendhilferechtliche Bedarf in den Fällen des Art. 7 Abs. 1 AufnG nicht nach dem Jugendhilferecht, sondern nach dem Asylbewerberleistungsgesetz richten soll (so auch Linhart/Adolph, a.a.O., § 6 AsylbLG RdNr. 23 unter Hinweis auf BVerwG vom 24.6.1999 a.a.O.). Eine solche Regelung stieße letztlich auch auf verfassungsrechtliche Bedenken. Das bedarf aber hier keiner weiteren Vertiefung.

Rechtssystematisch fehlerhaft wäre es, die in Art. 8 AufnG angesprochenen Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit heranzuziehen, um die jugendhilferechtlichen Bedarfe nach § 39 SGB VIII von vorne herein zu begrenzen, denn Art. 8 AufnG und die Verweisungsvorschrift in Art. 7 Abs. 2 AufnG betreffen lediglich Fragen zur Höhe der sich hieran anschließenden Kostenerstattung zwischen Jugendhilfeträgern und dem Freistaat Bayern. Lediglich hinsichtlich des Verfahrens der Kostenerstattung – nicht aber zur Höhe der zu leistenden Erstattungen – enthält Art. 8 Abs. 2 Satz 1 AufnG eine Verordnungsermächtigung.

Der Senat hat nach alledem keine Bedenken dagegen, dass die Klägerin bei dem Verlangen nach Kostenerstattung gemäß Art. 7 Abs. 1 AufnG die von ihr nach § 39 Abs. 1 SGB VIII tatsächlich aufgewandten Mittel mit den hier streitgegenständlichen Beträgen angesetzt hat. Der Einwand der Regierung von Oberbayern im Schreiben vom 12. Oktober 2009, auch im Falle des Betreuten Unterbringens könnten im Rahmen der Kostenerstattung nach Maßgabe des § 3 Abs. 2 Sätze 2 und 3 AsylbLG nur die im AMS zum Vollzug des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) – Hinweise zu § 3 AsylbLG vom 18. November 2004 genannten Höchstsätze für Ernährung, Unterkunfts- und Bekleidungskosten übernommen werden, findet keine Stütze im Gesetz.

32Es handelt sich dabei zum einen um die letztlich noch streitigen Teilbeträge für „Regelleistungen“ in (Gesamt-)Höhe von 2.545,83 EUR, die von der Klägerin für C. A. (183,09 EUR), für R. M. (1.571,16 EUR) und für E. Z (791,58 EUR) als Jugendhilfeleistungen im Betreuten Wohnen in den Einrichtungen „Verein für Sozialarbeit  – BMF, Außenbetreutes Wohnen“ und „Adelgundenheim – Innenbetreutes Wohnen“ tatsächlich aufgewendet worden sind. Diese Leistungen umfassen neben Unterkunft und Verpflegung die pädagogische Versorgung ebenso wie Aufwendungen für „zusätzliche Leistungsbereiche Schule und/oder Ausbildung“ (siehe dazu etwa die Entgeltvereinbarung nach § 78b SGB VIII zwischen der Entgeltkommission München – Jugendhilfebereich – und der Kath. Jugendfürsorge München e.V. vom 19. Juni 2002). Solche Einzelpositionen aus Entgeltvereinbarungen nach § 78b SGB VIII können im Kostenerstattungsverfahren nach Art. 8 Abs. 1 AufnG unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit jedenfalls nicht mit dem bloßen Hinweis in Frage gestellt werden, der jugendhilferechtliche Bedarf sei für Einzelpositionen aus Entgeltvereinbarungen nach § 78b SGB VIII vom Jugendhilfeträger nicht nachgewiesen worden. In diesem Punkt folgt der Senat nicht mehr der Auffassung des Verwaltungsgerichts, das etwa für die gegenüber dem Asylbewerberleistungsrecht höheren Kosten aus der Einzelposition „Ernährung bzw. Verpflegung“ eine von der Klägerin darzulegende jugendhilferechtliche Bedarfslage verlangt. Der Beklagte hat auch insoweit keine konkreten Umstände dargetan, aus denen sich eine abweichende tatsächliche Leistungserbringung herleiten ließe. Das von der Landesanwaltschaft Bayern im Schreiben vom 22. April 2010 erläuterte „sog. 4-Stufen-Modell“ ist unbehelflich, jedenfalls solange von der Rechtmäßigkeit der Erbringung von Jugendhilfeleistungen im Betreuten Wohnen gemäß §§ 27, 34 SGB VIII auszugehen ist, die der Beklagte dem Grunde nach auch nicht bestreitet.

Dasselbe gilt auch für die Jugendhilfeleistungen, die von der Klägerin im Anwendungsbereich des § 39 SGB VIII in Höhe von 1.012,81 EUR wegen Bekleidungsausstattung für acht unbegleitete minderjährige Personen erbracht worden sind. Auch hier gibt es keine gesetzlichen Anhaltspunkte dafür, dass die Leistungen für Bekleidung, wie der Beklagte meint, abweichend vom Jugendhilferecht nach den Vorschriften des Asylbewerberleistungsgesetz zu erbringen wären, weswegen auch hier das von der Regierung von Oberbayern zugrunde gelegte AMS zum Vollzug des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) - Hinweise zu § 3 AsylbLG vom 18. November 2004 nicht zur Anwendung kommt.

Hat die Klägerin aber die (hier noch streitigen) Leistungen zu Recht als Jugendhilfeleistungen gemäß §§ 27, 34 SGB VIII erbracht, kann sie auch in der Höhe ihrer tatsächlichen Aufwendungen gemäß § 39 Abs. 1 SGB VIII eine Kostenerstattung vom Beklagten erstreiten.

Zum Umfang dieser Erstattungspflicht verweist Art. 7 Abs. 2 AufnG auf Art. 8 Abs. 1 Satz 1 AufnG, der seinerseits bestimmt, dass der Staat den Landkreisen und kreisfreien Gemeinden die unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit notwendigen Kosten der nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für Personen im Sinne von Art. 1 AsylbLG und dem Achten Buch Sozialgesetzbuch für Personen im Sinne von Art. 7 AufnG erbrachten Leistungen erstattet. Zuständig für die Erstattungen sind die Regierungen (Art. 8 Abs. 3 AufnG).

Es bedarf aus Sicht des Senats keiner weiteren Vertiefung dafür, dass Jugendhilfeleistungen, die sowohl hinsichtlich des Leistungsgrundes als auch hinsichtlich der Leistungshöhe gesetzlichen Vorschriften entsprechen, damit auch unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit erbracht worden sind. Diese Grundsätze sind auch regelmäßig in den Entgeltvereinbarungen nach § 78b SGB VIII berücksichtigt (siehe § 78b Abs. 2 Satz 1 SGB VIII; vgl. dazu BVerwG vom 1.12.1998 BVerwGE 108, 47 = FEVS 49, 337 zu § 93 BSHG) und der Jugendhilfeträger ist auch regelmäßig zur Übernahme dieser Entgelte verpflichtet (§ 78b Abs. 1 SGB VIII).

Die Kostenentscheidung für das Berufungsverfahren beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die abgeänderte Kostenentscheidung für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht beruht (nunmehr) auf § 154 Abs. 1, § 161 Abs. 2 VwGO und berücksichtigt die vom Verwaltungsgericht für den erledigten Teil des Verfahrens getroffene Kostenverteilung.

Von einer Vollstreckungsschutzklausel hat der Senat abgesehen, denn er geht davon aus, dass die Beteiligten ihre ohnehin geringen außergerichtlichen Kosten nicht vor Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung vollstrecken.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

 

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 3.558, 63 EUR festgesetzt (§ 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 3 GKG).