Bayerischer VGH, Beschluss vom 23.11.2010 - 11 CS 10.2550
Fundstelle
openJur 2012, 112186
  • Rkr:
Tenor

I. Die Beschwerde wird verworfen.

II. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren und - insoweit unter Abänderung der Nummer 3 des angefochtenen Beschlusses - auch für das Verfahren im ersten Rechtszug auf jeweils 10.000,-- € festgesetzt.

Gründe

I.

Durch Bescheid vom 27. Juli 2010 entzog das Landratsamt Nürnberger Land dem Antragsteller, der eine Fahrerlaubnis der Klassen A, A1, B, BE, C1, C1E, C, CE, T, L und M besaß, die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen aller Klassen und gab ihm auf, seinen Führerschein beim Landratsamt abzuliefern. Der letztgenannte Ausspruch wurde für sofort vollziehbar erklärt; für den Fall seiner nicht fristgerechten Befolgung wurde dem Antragsteller die Anwendung unmittelbaren Zwanges angedroht. Der Entscheidung lag zugrunde, dass gegen den Antragsteller wegen zwischen dem 25. September 2005 und dem 17. Februar 2010 begangener Verstöße gegen Verkehrsvorschriften acht Bußgeldbescheide erlassen worden waren, die (unter Abzug von zwei Punkten für die Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Beratung) zum Anfall von 20 Punkten im Verkehrszentralregister geführt hatten.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Klage des Antragstellers wurde nach Aktenlage noch nicht entschieden. Den Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, lehnte das Verwaltungsgericht Ansbach durch Beschluss vom 28. September 2010 ab.

Mit der hiergegen eingelegten Beschwerde beantragt der Antragsteller die Aufhebung dieses Beschlusses und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid vom 27. Juli 2010 sowie die Aufhebung der Vollziehung dieses Bescheids.

Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde zu verwerfen, da die hierfür gegebene Begründung nicht dem Darlegungserfordernis des § 146 Abs. 4 VwGO genüge.

II.

Die Beschwerde war gemäß § 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO zu verwerfen, da sie nicht in einer den Erfordernissen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO entsprechenden Weise begründet wurde.

Bei der Beantwortung der Frage, ob das der Beschwerdebegründung dienende Vorbringen des Antragstellers den Anforderungen der letztgenannten Bestimmung genügt, kann nur der Inhalt des Schriftsatzes seiner Bevollmächtigten vom 27. Oktober 2010 berücksichtigt werden. Die Zuschriften vom 11. und vom 16. November 2010 müssen zu diesem Zweck außer Betracht bleiben, da sie dem Verwaltungsgerichtshof erst nach dem Ablauf der am 2. November 2010 endenden einmonatigen Beschwerdebegründungsfrist (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) zugegangen sind.

Eine ordnungsgemäße Beschwerdebegründung liegt nur vor, wenn sich aus den fristgerecht vorgetragenen Gesichtspunkten die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Beschlusses ergibt (Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, RdNr. 41 zu § 146; Redeker/von Oertzen, VwGO, 14. Aufl. 2004, RdNr. 22 zu § 146). Ausgehend von der Entscheidung des Verwaltungsgerichts hat der Beschwerdeführer aufzuzeigen, in welchen Punkten und weshalb die hierfür gegebene Begründung aus seiner Sicht nicht tragfähig ist. Zu diesem Zweck müssen die den angefochtenen Beschluss tragenden Rechtssätze oder die tatsächlichen Annahmen, auf denen diese Entscheidung beruht, mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (VGH BW vom 1.7.2002 NVwZ 2002, 1388/1389). Das setzt voraus, dass der Beschwerdeführer den Streitstoff prüft, sichtet und rechtlich durchdringt und er sich mit den Gründen des angefochtenen Beschlusses befasst (Guckelberger in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, RdNr. 76 zu § 146). An der nötigen inhaltlichen Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung fehlt es u. a. dann, soweit lediglich Vorbringen aus dem ersten Rechtszug wiederholt oder hierauf sogar nur Bezug genommen wird (vgl. VGH BW vom 11.4.2002 NVwZ-RR 2002, 797; Redeker/von Oertzen, a.a.O., RdNr. 21 zu § 146).

Das Beschwerdevorbringen erschöpft sich - abgesehen von den nachfolgend zu erörternden Begründungsfragmenten - darin, dass der Antragsteller pauschal seinen gesamten Vortrag aus dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht unter Hinweis namentlich auf die Ausführungen in der Antrags- und der Klageschrift zum Gegenstand des Vorbringens im Beschwerdeverfahren gemacht hat. Ein solches Vorgehen genügt den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO ersichtlich nicht, da hierdurch das gesetzliche Erfordernis einer gesonderten, in Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung zu erarbeitenden Beschwerdebegründung umgangen wird.

Aus den gleichen Gründen unbeachtlich ist die im Schriftsatz vom 27. Oktober 2010 aufgestellte Behauptung, der Antragsteller habe im erstinstanzlichen Verfahren vorgetragen "und wohl auch nachgewiesen", dass er die beiden jüngsten der acht ihm entgegengehaltenen Ordnungswidrigkeiten nicht begangen habe bzw. sie nicht habe begehen können. Denn dieser Behauptung fehlt aufgrund der unzulässigen Bezugnahme auf das erstinstanzliche Vorbringen, die insbesondere nicht in Gestalt einer Verweisung auf eine konkrete, leicht zu identifizierende Textstelle aus einem im ersten Rechtszug eingereichten Schriftsatz vorgenommen wurde (vgl. zu dieser Voraussetzung für eine zulässige Bezugnahme in einem nach § 146 Abs. 4 VwGO zu beurteilenden Beschwerdeverfahren BayVGH vom 7.12.2006 VRS Bd. 112 [2007], S. 152/153), die erforderliche Substantiierung.

Unabhängig hiervon ist dieses Vorbringen auch rechtlich unbehelflich. Denn nach § 4 Abs. 3 Satz 2 StVG ist die Fahrerlaubnisbehörde bei Maßnahmen nach § 4 Abs. 3 Satz 1 StVG an rechtskräftige Entscheidungen über Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten gebunden. Selbst wenn der Antragsteller nachgewiesen hätte, dass eine oder mehrere der Bußgeldbescheide, die zum Anfall der 20 Punkte beigetragen haben, zu Unrecht ergangen sind, ergäbe sich aus einer solchen Beweisführung so lange nicht die Rechtswidrigkeit des verfahrensgegenständlichen Entziehungsbescheids, als die Rechtskraft der fraglichen Bußgeldbescheide nicht beseitigt wurde.

Das Vorbringen, mit dem der Antragsteller darzutun versucht, dass die im Rahmen einer Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO anzustellende Interessenabwägung zu seinen Gunsten ausfallen müsse, genügt ebenfalls nicht den sich aus § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO ergebenden Anforderungen. Denn auch insoweit hat er im Wesentlichen nur auf sein Vorbringen im ersten Rechtszug, namentlich auf den Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 21. September 2010, Bezug genommen und wiederholt unsubstantiiert behauptet, in seinem Fall könne es kein öffentliches Interesse am Vollzug des streitgegenständlichen Bescheids geben.

Soweit er darauf verweist, auch nach Auffassung des Verwaltungsgerichts sei es nicht Sinn des § 4 StVG, eventuelle organisatorische Mängel in Betrieben eines Betroffenen mit dem Entzug von dessen Fahrerlaubnis zu ahnden, ist dieses Vorbringen wiederum rechtlich unbehelflich. Denn im unmittelbaren Anschluss an die vom Antragsteller insoweit in Bezug genommene Textpassage im Beschluss vom 28. September 2010 hat bereits das Verwaltungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass etwaige Nachlässigkeiten im Betrieb des Antragstellers, die ggf. dazu geführt haben, dass er gegen Bußgeldbescheide nicht fristgerecht Einspruch eingelegt hat, im Hinblick auf die sich aus § 4 Abs. 3 Satz 2 StVG ergebende Bindungswirkung unbeachtlich wären.

13Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. § 52 Abs. 1 und 2 GKG und den Empfehlungen in den Abschnitten II.1.5 Satz 1, II.46.1, II.46.3, II.46.4 und II.46.8 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 7./8. Juli 2004 (NVwZ 2004, 1327). Wenn das Verwaltungsgericht den Streitwert auf 7.500,-- € festgesetzt hat, so stand das in Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Senats, der eine Fahrerlaubnis der Klasse B dann bei der Streitwertbemessung unberücksichtigt gelassen hat, wenn das Rechtsschutzgesuch außerdem die Erteilung oder den Entzug einer Fahrerlaubnis der Klassen C1(E), C(E), D1(E) oder D(E) zum Gegenstand hatte. Hierbei blieb indes außer Betracht, dass Fahrerlaubnisse der vorgenannten Klassen gemäß § 6 Abs. 3 Nrn. 4 bis 9 FeV nicht auch eine Fahrerlaubnis der Klasse B einschließen. Vielmehr berechtigen Fahrerlaubnisse der Klassen C und C1 nach § 6 Abs. 1 Satz 1 FeV ausdrücklich nur dazu, Kraftfahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse von "mehr als 3500 kg" zu führen, während die Klasse B die Befugnis zum Führen von Kraftfahrzeugen mit einer zulässigen Gesamtmasse "von nicht mehr als 3500 kg" verschafft. Die Klassen C und C1 stehen zur Klasse B mithin in einem komplementären Verhältnis; erst eine zu den Klassen C bzw. C1 hinzutretende Fahrerlaubnis der Klasse B berechtigt den Inhaber der erstgenannten Klassen, auch Fahrzeuge mit einer Gesamtmasse von bis zu 3500 kg zu führen. Ein gleichartiges Verhältnis besteht zwischen den Klassen D bzw. D1 und B: Während die letztgenannte Klasse nach § 6 Abs. 1 Satz 1 FeV Kraftfahrzeuge mit "nicht mehr als acht Sitzplätzen" umfasst, beginnt der Geltungsbereich der Klassen D und D1 der gleichen Vorschrift zufolge bei "mehr als acht Sitzplätzen". Dass Fahrerlaubnisse der Klassen C, C1, D oder D1 eine Fahrerlaubnis der Klasse B nicht einschließen, verdeutlicht auch § 9 Satz 1 Halbsatz 1 FeV: Danach setzt die Erteilung der erstgenannten Klassen voraus, dass der Bewerber die Fahrerlaubnis der Klasse B bereits besitzt oder er die Voraussetzungen für deren Erteilung erfüllt.

Vor diesem Hintergrund hält es der Senat in Abweichung von seiner bisherigen Praxis für geboten, den Entzug der Klasse B (oder das Verlangen, eine Fahrerlaubnis für diese Klasse zu erhalten) auch dann bei der Streitwertbemessung zu berücksichtigen, wenn sich das Rechtsschutzbegehren des Klägers oder Antragstellers zusätzlich auf mindestens eine der Klassen C1(E), C(E), D1(E) oder D(E) erstreckt. Streitwertrelevant sind im vorliegenden Fall mithin die Klassen A, B, C und E. Aus dem zweimaligen Ansatz des Auffangwerts nach § 52 Abs. 2 GKG (je einmal für die Klasse A und die Klasse B), des eineinhalbfachen Auffangwerts für die Klasse C und des halben Auffangwerts für die Klasse E ergäbe sich in einem Hauptsacheverfahren ein Streitwert von 20.000,-- €. Dieser Betrag ist hier zu halbieren, da ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes inmitten steht. Die Befugnis des Verwaltungsgerichtshofs, den Streitwertansatz der Vorinstanz zu ändern, folgt aus § 63 Abs. 3 GKG.