Bayerischer VGH, Beschluss vom 29.11.2010 - 15 B 10.1439
Fundstelle
openJur 2012, 111780
  • Rkr:
Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 19. März 2009 wird in Nr. I., soweit darin die Fortsetzungsfeststellungsklagen abgewiesen wurden, und in Nr. II. aufgehoben.

II. Es wird festgestellt, dass die Kläger vor Inkrafttreten der Veränderungssperre für den Bebauungsplan mit Grünordnungsplan Nr. 74 („Erholungsgebiet Friedberger Au“) einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung hatten.

III. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.

IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 115 v.H. des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 38.010,27 Euro festgesetzt.

VI. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Kläger begehren die Feststellung, dass sie vor Inkrafttreten der Veränderungssperre für den Bebauungsplan mit Grünordnungsplan Nr. 74 („Erholungsgebiet Friedberger Au“) einen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung für den Neubau einer Maschinenhalle auf den Grundstücken Fl.Nrn. 1688 und 1689 der Gemarkung Friedberg hatten. Die Grundstücke stehen im Eigentum des Klägers zu 1.

Die Beklagte entschied über den Bauantrag vom 18. Januar 2007 zunächst nicht. Vielmehr ließ der Stadtrat der Beklagten am 26. April 2007 ein Bürgerbegehren zur Frage zu, ob für das sog. „Erholungsgebiet Friedberger Au“ ein qualifizierter Bebauungsplan aufgestellt werden soll. Gleichzeitig stellte die Beklagte das Vorhaben der Kläger zurück. Das Bürgerbegehren wurde am 17. Juni 2007 durchgeführt, wobei eine Mehrheit für die Aufstellung des Bebauungsplans stimmte.

Am 21. Juni 2007 beschloss der Stadtrat der Beklagten gemäß den Vorgaben des Bürgerentscheids die Aufstellung des Bebauungsplans mit Grünordnungsplan Nr. 74 („Erholungsgebiet Friedberger Au“) sowie den Erlass einer Veränderungssperre, die auch die Grundstücke des Klägers zu 1 erfasst. Der Aufstellungsbeschluss und die Veränderungssperre wurden am 26. Juni 2007 ortsüblich bekannt gemacht.

Am 5. Juli 2007 lehnte die Beklagte den Bauantrag der Kläger vom 18. Januar 2007 ab. Das Bauvorhaben sei im Hinblick auf die Veränderungssperre unzulässig, eine Ausnahme könne nicht erteilt werden.

Mit Klagen vom 24. April 2007 beantragten die Kläger die Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung einer Baugenehmigung, hilfsweise die Feststellung, dass die Beklagte in der Zeit vor Inkrafttreten der Veränderungssperre zur Erteilung verpflichtet war. Das Verwaltungsgericht wies die Klagen mit Urteil vom 19. März 2009 ab. In den Urteilsgründen ist ausgeführt, dass die Veränderungssperre sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht wirksam sei und deshalb dem geplanten Bauvorhaben entgegenstehe. Die Kläger hätten auch zu keinem Zeitpunkt vor dem Inkrafttreten der Veränderungssperre einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung gehabt, weil ein zureichender Grund für die Untätigkeit der Beklagten vorgelegen habe.

Auf Antrag der Kläger hat der Senat die Berufungen gegen das Urteil wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit zugelassen, soweit die Fortsetzungsfeststellungsklagen abgewiesen wurden (Az.: 15 ZB 10.1340). Im Übrigen wurden die Anträge auf Zulassung der Berufung abgelehnt (Az.: 15 ZB 09.1671).

Die Kläger sind der Auffassung, dass sie vor dem Inkrafttreten der Veränderungssperre am 26. Juni 2007 einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung hatten. Die Beklagte habe das Genehmigungsverfahren für das streitgegenständliche Vorhaben mit den Genehmigungsverfahren für den Neubau eines Zucht- und Mastschweinestalles und eines Wohnhauses ersichtlich in der Absicht vermengt, die Verfahrensdauer hinauszuzögern. Sie habe in diesem Zusammenhang ohne sachlichen Grund verfahrensverzögernde An- und Abfragen behördlicher Stellungnahmen durchgeführt. Auch sei der Beklagten kein sich an das Verwaltungsverfahren anschließender nachfolgender Zeitraum zur Wahrnehmung ihrer Planungshoheit zuzubilligen.

Die Kläger beantragen,

unter teilweiser Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 19. März 2009 festzustellen, dass die Beklagte in der Zeit vor Inkrafttreten der Veränderungssperre für den Bebauungsplan mit Grünordnungsplan Nr. 74 („Erholungsgebiet Friedberger Au“) am 26. Juni 2007, jedenfalls im Zeitraum ab dem 30. April 2007 bis zum 26. Juni 2007 verpflichtet war, den Klägern den beantragten Genehmigungsbescheid zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufungen zurückzuweisen.

Sie geht davon aus, dass die Ablehnung des klägerischen Vorhabens im Rahmen des zeitlich Zulässigen erfolgt sei. Nach Eingang der Stellungnahme des Amtes für Landwirtschaft und Forsten am 2. April 2007 sei der Beklagten mindestens ein weiterer Zeitraum von zwei Monaten zur Bearbeitung des Bauantrags zuzubilligen gewesen. Das Zusammentreffen von Gemeinde und Baugenehmigungsbehörde dürfe nicht zu einer Schmälerung derjenigen Rechtsstellung führen, die die Gemeinde zur Sicherung ihrer Planungshoheit sonst hätte. Die vom Verwaltungsgericht im Anschluss an die Zwei-Monats-Frist zugestandene Bearbeitungszeit von drei Wochen sei deutlich zu kurz bemessen. Im Übrigen habe die Beklagte die Entscheidung des Bayerischen Landtags über die von den Klägern eingereichte Petition abwarten dürfen.

Mit richterlichem Schreiben vom 20. Oktober 2010 wurde den Beteiligten eine Entscheidung nach § 130 a VwGO unter Hinweis auf die vorläufige rechtliche Beurteilung durch den Senat angekündigt. Ihnen wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen.

II.

Über die Berufungen kann nach § 130 a Satz 1 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entschieden werden, weil sie der Senat einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten wurden vorher gehört. Gegenstand der Klagen ist die Feststellung, dass die Kläger vor Inkrafttreten der Veränderungssperre einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung hatten (§ 88 VwGO).

1. Die Berufungen sind zulässig und begründet. Die Kläger hatten bis zum Inkrafttreten der Veränderungssperre für den Bebauungsplan mit Grünordnungsplan Nr. 74 („Erholungsgebiet Friedberger Au“) einen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung. Das Urteil war deshalb insoweit aufzuheben.

a) Das Vorhaben der Kläger war vor Inkrafttreten der Veränderungssperre am 26. Juni 2007 genehmigungsfähig. Die Maschinenhalle sollte einem landwirtschaftlichen Betrieb auf den Grundstücken FlNrn. 1687, 1688 und 1689 dienen. Das Verwaltungsgericht hat im Verfahren Au 5 K 07.424 festgestellt, dass die von den Klägern geplante landwirtschaftliche Hofstelle für Zucht- und Mastschweinehaltung im Außenbereich als privilegiertes Vorhaben zulässig war und öffentliche Belange nicht entgegenstanden. Die Erschließung des Gesamtvorhabens war gesichert. Auch die Sperrwirkung des Art. 18 a Abs. 9 GO stand der Erteilung der Baugenehmigung nicht entgegen, weil die Aufgaben der Bauaufsichtsbehörden übertragene Aufgaben sind. Auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts in den Urteilsgründen im Verfahren Au 5 K 07.424 (Nrn. II.1. und 2.) wird insoweit Bezug genommen (§ 130 b Satz 2 VwGO analog). Die Beteiligten stellen die materiell-rechtliche Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens bis zum Inkrafttreten der Veränderungssperre nicht in Frage.

b) Zu der allein noch streitigen Frage, zu welchem Zeitpunkt oder in welchem Zeitraum die Beklagte verpflichtet war, die beantragte Baugenehmigung zu erteilen, wird Folgendes ausgeführt:

(1) Mit der Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog kann die Feststellung begehrt werden, dass die Baugenehmigungsbehörde verpflichtet war, vor Inkrafttreten der Veränderungssperre die beantragte Baugenehmigung zu erteilen (BVerwG vom 2.10.1998 NVwZ 1999, 523; BayVGH vom 10.3.2004 Az. 26 BV 02.1127 <juris> RdNr. 38). Die Klage kann auch auf die Feststellung gerichtet sein, dass dem Bauherrn während eines bestimmten Zeitraums ein Anspruch auf Erteilung einer Genehmigung oder eines Vorbescheids zustand. Dies betrifft etwa die Fälle, in denen ein Vorhaben nach Ablauf einer Veränderungssperre bis zum Erlass eines Bauleitplanes oder einer erneuten Veränderungssperre für einen bestimmten Zeitraum genehmigungsfähig war (vgl. hierzu BVerwG vom 28.4.1999 BVerwGE 109, 74 ff.; vom 21.10.2004 Az. 4 B 76/04 <juris> RdNr. 2).

Die Feststellung umfasst jedoch allein die materiell-rechtliche Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens, nicht aber die Frage, ab welchem Zeitpunkt oder in welchem Zeitraum die Bauaufsichtsbehörde den Bescheid gegebenenfalls hätte erlassen müssen. Es ist grundsätzlich zu unterscheiden zwischen der Frage der Bebaubarkeit, die Gegenstand eines klärungsfähigen Rechtsverhältnisses sein kann, und der Pflicht der Baugenehmigungsbehörde, die Baugenehmigung in angemessener Zeit zu erteilen. Letzteres kann nur Gegenstand eines vor den Zivilgerichten zu führenden Amtshaftungs- oder Entschädigungsprozesses sein. Die Zivilgerichte sind dabei an die (rechtskräftige) Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses - oder in einem bestimmten Zeitraum - ein Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung bestand, gebunden (BVerwG vom 2.10.1998 a.a.O.; BGH vom 28.9.1995 NVwZ-RR 1996, 65). Die genaue Bestimmung der Anspruchsgrundlagen ist allerdings den Zivilgerichten ebenso zu überlassen wie die Frage, in welchem Umfang in derartigen Fällen eine Entschädigung in Betracht kommt (BVerwG vom 30.6.2004 a.a.O.; BGH vom 3.7.1997 BayVBl 1998, 764). Erst in diesem Zusammenhang ist auch zu klären, welche Bearbeitungszeit im konkreten Fall noch angemessen war (BGH vom 9.6.1994 NJW-RR 1994, 1171) und ob die handelnden Amtsträger ein Verschulden triff, welches Haftungsansprüche auslöst (vgl. z.B. BGH vom 11.6.1992 NVwZ 1992, 1119 zur Frage, ob ein Planungsausschuss zu Recht noch eingeschaltet wurde; ebenso BGH vom 23.1.1992 BayVBl 1992, 444).

(2) Das Verwaltungsgericht hat die den Zivilgerichten vorbehaltenen Fragen in seine Prüfung mit einbezogen und kam unter Anrechnung verschiedener Bearbeitungszeiten zu dem Ergebnis, dass die Beklagte bis zum Inkrafttreten der Veränderungssperre einen zureichenden Grund hatte, die beantragte Baugenehmigung noch nicht zu erteilen. Damit trifft das Gericht lediglich eine Aussage über die der Beklagten zuzubilligende Bearbeitungszeit. Eine derartige Feststellung ist nicht Gegenstand des im Rahmen der Fortsetzungsfeststellungsklage zu klärenden Rechtsverhältnisses.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 709 ff. ZPO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 1, § 47 GKG. Ausgehend hiervon erscheint ein Streitwert in Höhe von 1/10 der geschätzten Rohbaukosten der Bedeutung der Sache für die Kläger angemessen (vgl. Nrn. 9.1.9 und 1.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom 7./8. Juli 2004, NVwZ 2004, 1327).

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.