Bayerischer VGH, Beschluss vom 30.08.2010 - 11 CS 10.239
Fundstelle
openJur 2012, 110113
  • Rkr:
Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,-- € festgesetzt.

Gründe

I.

Durch bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 3. August 2006 entzog das Landratsamt Schwandorf der Antragstellerin die Fahrerlaubnis. Dieser Entscheidung lag zugrunde, dass eine der Antragstellerin am 12. Februar 2006 entnommene Blutprobe 53 ng/ml Amphetamin, 498 ng/ml Methamphetamin und 9,6 ng/ml THC-Carbonsäure enthalten hatte.

Am 25. August 2009 erlangte die Landespolizei davon Kenntnis, dass die Antragstellerin am 12. März 2009 in der Tschechischen Republik eine Fahrerlaubnis der Klasse B erworben hatte. Im zugehörigen Führerschein ist ein in Tschechien liegender Ort eingetragen. Nach Darstellung der Landespolizei war die Antragstellerin vom 18. April 2008 bis zum 21. Januar 2009 in der Tschechischen Republik gemeldet.

Durch Bescheid vom 28. Oktober 2009 stellte das Landratsamt fest, dass der der Antragstellerin am 12. März 2009 ausgestellte Führerschein der Klasse B sie nicht berechtige, auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Kraftfahrzeuge dieser Klasse zu führen (Nummer 1 des Bescheidstenors). Unter der Nummer 2 des Tenors wurde die Antragstellerin verpflichtet, diesen Führerschein spätestens am fünften Werktag ab der Zustellung des Bescheids beim Landratsamt zur Eintragung eines Sperrvermerks vorzulegen. Dieser Ausspruch wurde in der Nummer 3 des Bescheidstenors für sofort vollziehbar erklärt. Falls die Antragstellerin der Verpflichtung zur Vorlage des Führerscheins nicht fristgerecht nachkomme, wurde ihr ein Zwangsgeld angedroht. Auf die Bescheidsgründe wird Bezug genommen.

Mit der am 18. November 2009 zum Verwaltungsgericht Regensburg erhobenen Klage, über die nach dem Kenntnisstand des Verwaltungsgerichtshofs noch nicht entschieden wurde, erstrebt die Antragstellerin die Aufhebung des Bescheids vom 28. Oktober 2009.

Den gleichzeitig gestellten Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die unter der Nummer 3 dieses Bescheids getroffene Verfügung wiederherzustellen, lehnte das Verwaltungsgericht durch Beschluss vom 9. Dezember 2009 ab. Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auch gegen die Nummer 1 des angefochtenen Bescheids sei statthaft, da dieser feststellende Ausspruch, ließe die Antragstellerin ihn bestandskräftig werden, ihr u. U. als eigenständiger Rechtsgrund entgegengehalten würde, aus dem sich unabhängig von der materiellen Rechtslage ihre fehlende Befugnis ergeben könnte, von ihrer tschechischen Fahrerlaubnis im Bundesgebiet Gebrauch zu machen. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO sei jedoch unbegründet, da gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bei summarischer Prüfung keine Bedenken bestünden.

Mit der gegen diese Entscheidung eingelegten Beschwerde beantragt die Antragstellerin,

1. unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 9. Dezember 2009 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Landratsamts Schwandorf vom 28. Oktober 2009 zur Nummer 1 dieses Bescheids wiederherzustellen;

2. unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg "zu II. Ziff. 2" die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Landratsamts Schwandorf vom 28. Oktober 2009 zur Nummer 2 hinsichtlich der Verpflichtungen zur Eintragung eines Sperrvermerks wiederherzustellen.

Wegen der zur Begründung dieses Rechtsmittels vorgetragenen Gesichtspunkte wird auf den Schriftsatz des Bevollmächtigten der Antragstellerin vom 4. Februar 2010 verwiesen.

Der Antragsgegner beantragt unter Bezugnahme auf die Beschlüsse des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 10. November 2009 (ZfS 2010, 116) und vom 21. Dezember 2009 (DAR 2010, 103), die Beschwerde zurückzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und den vom Verwaltungsgericht beigezogenen Vorgang des Landratsamts Schwandorf verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

1. Mit dem Beschwerdeantrag 1 verfolgt die Antragstellerin ein Rechtsschutzbegehren, das sie in erster Instanz noch nicht anhängig gemacht hat. Denn dort hat sie im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO - der Sache nach zu Recht - ausschließlich beantragt, "die aufschiebende Wirkung der Klage vom 18. November 2009 gegen die Verfügung der Beklagten im Bescheid vom 28. Oktober 2009 zu Ziff. 3 wiederherzustellen." Sie trug damit dem Umstand Rechnung, dass das Landratsamt in der Nummer 3 des Bescheidstenors nur die unter der Nummer 2 ausgesprochene Aufforderung, den tschechischen Führerschein zur Eintragung eines Sperrvermerks vorzulegen, für sofort vollziehbar erklärt hatte.

Die im Beschwerdeantrag 1 deshalb liegende Antragserweiterung ist nach der Spruchpraxis des beschließenden Senats zulässig, da diese Verfahrenshandlung innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO vorgenommen und hierfür eine den Erfordernissen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügende Begründung gegeben wurde (vgl. BayVGH vom 9.6.2005 VRS Bd. 109, S. 141/148 f.; vom 13.9.2005 Az. 11 CS 05.987 <juris> RdNr. 45; vom 11.5.2010 Az. 11 CS 10.68 <juris> RdNr. 25). Die im Schriftsatz des Bevollmächtigten der Antragstellerin vom 4. Februar 2010 vorgetragenen Gesichtspunkte, mit denen die Gültigkeit der tschechischen Fahrerlaubnis der Antragstellerin in Deutschland dargetan werden soll, betreffen auch - und in erster Linie - die Frage, ob der feststellende Ausspruch in der Nummer 1 des verfahrensgegenständlichen Bescheids rechtmäßig ist. Die Sachdienlichkeit der Antragserweiterung (vgl. § 91 Abs. 1 VwGO) hatte der Senat nicht zu prüfen, da sich der Antragsgegner durch den im Schriftsatz vom 22. Februar 2010 gestellten Antrag, die Beschwerde deswegen (zur Gänze) zurückzuweisen, weil das Verwaltungsgericht richtig entschieden habe, im Sinn von § 91 Abs. 2 VwGO auf den erweiterten Antrag sachlich eingelassen hat.

Die Beschwerde muss hinsichtlich des Antrags 1 jedoch deshalb ohne Erfolg bleiben, weil der unter der Nummer 1 des Bescheids vom 28. Oktober 2009 erlassene Verwaltungsakt weder kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist noch er durch behördliche Anordnung für sofort vollziehbar erklärt wurde. Ein sich hierauf beziehender Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist deshalb unzulässig. Die Antragstellerin hat sich zu der Erweiterung ihres Rechtsschutzbegehrens in der Beschwerdeinstanz allen erkennbaren Umständen nach deshalb veranlasst gesehen, weil das Verwaltungsgericht auf Seite 2 des angefochtenen Beschlusses den Inhalt des Bescheids vom 28. Oktober 2009 dahingehend wiedergegeben hatte, es sei die sofortige Vollziehbarkeit der Nummern 1 und 2 des Bescheidstenors angeordnet worden. Diese Darstellung findet im Wortlaut des Bescheids indes keine Grundlage. Wenn es in der Nummer 3 des Bescheidstenors heißt "Die sofortige Vollziehung der vorstehenden Verpflichtung (Ziff. 2) wird hiermit angeordnet", so ist angesichts dieser eindeutigen Ausdrucksweise der Behörde für die Annahme, auch der feststellende Ausspruch in der Nummer 1 des Bescheidstenors sei für sofort vollziehbar erklärt worden, kein Raum. Ebenfalls unzutreffend hat das Verwaltungsgericht den in der Klage- und Antragsschrift vom 18. November 2009 gestellten Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO (Antrag Nr. 3) dahingehend wiedergegeben, mit ihm werde die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die sofortige Vollziehung "des Bescheids" vom 28. Oktober 2009 erstrebt. Tatsächlich bezog sich der Antrag Nummer 3 im Schriftsatz vom 18. November 2009 jedoch nur auf die Nummer 3 des Bescheids vom 28. Oktober 2009, die ausschließlich die sofortige Vollziehbarkeit der Nummer 2 des Bescheidstenors zum Gegenstand hatte.

Wenn das Verwaltungsgericht in Abschnitt II.1 der Gründe des Beschlusses vom 9. Dezember 2009 die Statthaftigkeit des von ihm auf die Nummer 1 des verfahrensgegenständlichen Bescheids erstreckten Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO damit begründete, dass die Antragstellerin diesen Ausspruch nicht bestandskräftig werden lassen dürfe, so stellte es hiermit auf einen Gesichtspunkt ab, dem allein im Rahmen der erhobenen Anfechtungsklage gegen die Nummer 1 des Bescheids Bedeutung zukommt. Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist demgegenüber von vornherein nicht geeignet, den Eintritt der Unanfechtbarkeit eines Verwaltungsakts zu verhindern.

2. Soweit die Beschwerde die sofortige Vollziehbarkeit der Nummer 2 des angefochtenen Bescheids bekämpft, lässt sich gegenwärtig nicht sicher beurteilen, ob dieser Ausspruch der Nachprüfung im anhängigen Hauptsacheverfahren standhalten wird. Die in einem Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO anzustellende Interessenabwägung lässt es jedoch geboten erscheinen, an der sofortigen Vollziehbarkeit dieses Verwaltungsakts festzuhalten.

2.1 Da sich die erhobene Anfechtungsklage auf den gesamten Bescheid vom 28. Oktober 2009 bezieht, ist der unter der Nummer 1 dieses Bescheids getroffene feststellende Ausspruch gegenwärtig nicht vollziehbar (vgl. zur aufschiebenden Wirkung auch von Anfechtungsrechtsbehelfen, die sich gegen feststellende Verwaltungsakte richten, § 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Auf die Frage der Rechtmäßigkeit der Nummer 2 des Bescheidstenors wirkt sich dieser Umstand indes nicht aus. Sind die sich aus § 28 Abs. 4 Satz 1 FeV ergebenden Voraussetzungen für die Inlandsungültigkeit einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis erfüllt, tritt diese Rechtsfolge nach dem Wortlaut dieser Bestimmung unmittelbar kraft Gesetzes ein, ohne dass ein Bescheid erlassen werden muss, der die Befugnis, von einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis im Bundesgebiet Gebrauch zu machen, mit rechtsgestaltender ("konstitutiver") Wirkung aberkennt. Desgleichen bedarf es, um die sich aus § 28 Abs. 4 Satz 1 FeV ergebende Folge herbeizuführen, keines feststellenden Verwaltungsakts. § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV stellt einen solchen Ausspruch vielmehr in das Ermessen der Behörde. Die rechtliche Konstellation, über die hier zu befinden ist, gleicht damit der Sachverhaltsgestaltung, dass die Behörde von vornherein vom Erlass eines auf § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV gestützten Feststellungsbescheids absieht und sie sich darauf beschränkt, vom Betroffenen die Vorlage eines ausländischen EU-Führerscheins zur Eintragung eines Sperrvermerks im Sinn von § 47 Abs. 2 Sätze 2 und 3 FeV zu verlangen.

Ihre Rechtsgrundlage findet die dem Antragsteller in der Nummer 2 des Bescheidstenors auferlegte Vorlagepflicht in den - hier entsprechend anzuwendenden - Vorschriften des § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG und des § 47 Abs. 2 Satz 1 FeV (BayVGH vom 10.11.2009, a.a.O., S. 119). Die Pflicht zur Vorlage eines Führerscheins hängt danach davon ab, dass die Berechtigung, die in dieser Beweisurkunde dokumentiert wird, nicht (bzw. nicht mehr) besteht. Die Rechtslage gleicht insoweit der in Art. 52 Satz 1 BayVwVfG vorausgesetzten Situation, dass die Wirksamkeit eines Verwaltungsakts "nicht oder nicht mehr gegeben" ist. Die Nummer 2 des Bescheidstenors wird der Nachprüfung im anhängigen Klageverfahren deshalb dann standhalten, wenn die tschechische Fahrerlaubnis, die dem am 12. März 2009 ausgestellten Führerschein zugrunde liegt, in der Bundesrepublik Deutschland ungültig ist.

2.2 Die Beschwerdebegründung stellt nicht in Abrede, dass im gegebenen Fall die Tatbestandsvoraussetzungen des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV (und zwar in der Variante "bestandskräftige Entziehung der Fahrerlaubnis im Inland durch eine Verwaltungsbehörde") erfüllt sind. Ebenfalls außer Streit steht, dass der Entziehungsbescheid vom 3. August 2006 angesichts der für seine Tilgung im Verkehrszentralregister gemäß § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVG geltenden zehnjährigen Frist noch im Sinn von § 28 Abs. 4 Satz 3 FeV berücksichtigungsfähig ist. Die Antragstellerin ist jedoch der Auffassung, dem Eintritt der sich aus § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV ergebenden Rechtsfolge stehe der Anwendungsvorrang des Rechts der Europäischen Union entgegen.

Das zentrale Problem sieht sie insoweit zu Recht darin, ob Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (ABl L 403 vom 30.12.2006, S. 18) so ausgelegt werden kann, dass ein Mitgliedstaat der Europäischen Union (der "Aufnahmestaat") unter Berufung auf diese Vorschrift befugt ist, die Gültigkeit einer im EU-Ausland ab dem 19. Januar 2009 (d.h. ab dem Tag, an dem Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG gemäß Art. 18 Satz 2 dieser Richtlinie anwendbar geworden ist) erteilten Fahrerlaubnis allein deswegen abzulehnen, weil der Aufnahmestaat gegenüber dem Inhaber dieser Fahrerlaubnis - wie bei der Antragstellerin der Fall - eine der in Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG aufgezählten Maßnahmen ergriffen hat. Ist diese Frage zu bejahen, so steht die Rechtmäßigkeit des behördlichen Vorlageverlangens außer Zweifel. Sollte die Nichtanerkennungsbefugnis des Aufnahmestaates demgegenüber auch bei Fahrerlaubnissen, die ab dem 19. Januar 2009 erteilt wurden, von der zusätzlichen Erfüllung eines der Kriterien abhängen, von denen der Europäische Gerichtshof in seinen bisherigen, zur Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein (ABl L 237 vom 24.8.1991, S. 1) ergangenen Entscheidungen die Befugnis des Aufnahmestaates zur Nichtanerkennung ausländischer EU-Fahrerlaubnisse abhängig gemacht hat, so ist ungesichert, ob die Nummer 2 des Bescheids vom 28. Oktober 2009 Bestand haben kann. Es lässt sich derzeit nämlich nicht mit der erforderlichen Sicherheit sagen, es liege eine vom Ausstellerstaat selbst herrührende, unbestreitbare Information vor, der zufolge die Tschechische Republik bei der Erteilung der Fahrerlaubnis an die Antragstellerin gegen das europarechtliche Wohnsitzerfordernis (Art. 7 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2006/126/EG) verstoßen hat. Hierbei kann dahinstehen, ob die auf Seite 60 der Fahrerlaubnisakte festgehaltene, nach Aktenlage vom Gemeinsamen Zentrum der deutsch-tschechischen Polizei- und Zollzusammenarbeit stammende Auskunft über den Zeitraum der Anmeldung der Antragstellerin in Tschechien als eine von der Tschechischen Republik erteilte Information angesehen werden kann. Denn unabhängig davon würde der Umstand, dass der Antragstellerin eine tschechische Fahrerlaubnis erst erteilt wurde, nachdem sie nicht mehr in jenem Land gemeldet war, u. U. noch nicht "unbestreitbar" beweisen, dass sie am 12. März 2009 keinen ordentlichen Wohnsitz im Sinn von Art. 12 der Richtlinie 2006/126/EG mehr in Tschechien unterhielt. Denn das (Fort-)Bestehen einer Anmeldung gehört nicht zu den Tatbestandsmerkmalen, von denen nach Art. 12 dieser Richtlinie die Existenz eines ordentlichen Wohnsitzes abhängt. Im Fall der Antragstellerin kommt hinzu, dass die ihr gegenüber tätig gewordene tschechische Fahrerlaubnisbehörde durch die Eintragung eines in Tschechien liegenden Ortes in das Feld 8 des Führerscheins bekundet hat, dass sie von der Erfüllung des Wohnsitzerfordernisses im Zeitpunkt der Ausstellung dieses Dokuments ausging. Dass eine Abmeldung im Ausstellerstaat ein (sehr) gewichtiges Indiz gegen das Vorhandensein eines Wohnsitzes im Zeitpunkt der Erteilung einer Fahrerlaubnis darstellt, wird bei alledem keineswegs verkannt.

Die Frage, ob - und bejahendenfalls inwieweit - die Kriterien, von deren Erfüllung der Europäische Gerichtshof unter der alleinigen Geltung der Richtlinie 91/439/EWG die Nichtanerkennungsbefugnis des Aufnahmestaates abhängig gemacht hat, auch seit der Anwendbarkeit des Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG Geltung beanspruchen, kann letztlich nur der Europäische Gerichtshof selbst beantworten. Um insoweit eine Klärung herbeizuführen, hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof durch Beschluss vom 16. August 2010 (Az. 11 B 10.1030) eine Vorabentscheidung dieses Gerichts zu folgender Frage eingeholt:

"Sind Art. 2 Abs. 1 und Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG dahingehend auszulegen, dass ein Mitgliedstaat die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ablehnen muss, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person außerhalb einer für sie geltenden Sperrzeit ausgestellt wurde, wenn deren Führerschein im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats entzogen worden ist, und diese Person zum Zeitpunkt der Führerscheinausstellung ihren ordentlichen Wohnsitz im Hoheitsgebiet des Ausstellermitgliedstaates hatte?"

Dem in Abschnitt VII.6 der Beschwerdebegründung vorgetragenen Anliegen ist damit zu einem wesentlichen Teil Rechnung getragen.

2.3 Solange die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die Vorlagefrage aussteht, muss über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO, in denen sich das Problem der inhaltlichen Tragweite des Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG stellt, auf der Grundlage einer Interessenabwägung befunden werden. Sie fällt im vorliegenden Fall zu Ungunsten der Antragstellerin aus. Denn es ginge mit erheblichen Gefahren für bedeutsame Schutzgüter - nämlich das Leben und die Gesundheit einer Vielzahl unbeteiligter Personen - einher, würde sie bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit des Bescheids vom 28. Oktober 2010 im Inland Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr führen. Das wäre mit der Verpflichtung der öffentlichen Gewalt, diese Rechtsgüter vor Verletzungen durch Dritte zu schützen (vgl. z.B. BVerfG vom 16.10.1977 BVerfGE 46, 160/164), nicht vereinbar.

Die Antragstellerin hat nach eigenem Bekunden (vgl. ihre Angaben bei ihrer polizeilichen Einvernahme als Beschuldigte am 13.2.2006) während eines Zeitraums von eineinhalb Jahren vor diesem Tag sowohl Amphetamin als auch Cannabis konsumiert. Neben der nicht unerheblichen Dauer dieses Rauschmittelgebrauchs und der damit typischerweise einhergehenden Gewöhnung fällt zu ihren Lasten ins Gewicht, dass sie sich nicht auf die Einnahme einer Droge beschränkt, sondern sie sowohl aufputschende Betäubungsmittel (Amphetamin und Methamphetamin) als auch eine überwiegend sedierende Substanz (Cannabis) eingenommen hat. Von Personen, die einen dergestalt multiplen Drogenkonsum pflegen, geht tendenziell eine besonders hohe Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs aus, da die unterschiedlichen Wirkungen der eingenommenen Stoffe - zumal in ihrer Kombination - besonderes unberechenbar und auch für einen erfahrenen Konsumenten noch weniger einzuschätzen sind, als das bei Betäubungsmitteln generell der Fall ist.

Weiter gesteigert wird die von der Antragstellerin ausgehende Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs dadurch, dass sie am 12. Februar 2006 ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt hat, obwohl sie damals unter dem akuten Einfluss von Amphetamin und Methamphetamin stand. Insbesondere die Methamphetaminkonzentration in ihrem Blut war damals außerordentlich hoch; der therapeutische Wirkspiegel dieser Substanz reicht nach dem von der Landespolizei seinerzeit eingeholten Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Erlangen-Nürnberg vom 26. April 2006 nur bis maximal 50 ng/ml. Wenn die Antragstellerin ungeachtet dessen motorisiert am Straßenverkehr teilnahm, so zeigt das, dass ihr die Belange der Verkehrssicherheit gleichgültig waren.

Anhaltspunkte dafür, dass sich an dieser Einstellung seither etwas geändert hat, liegen weder vor, noch hat die Antragstellerin diesbezügliche Behauptungen aufgestellt. Wenn sie sich im März 2009 eine Fahrerlaubnis in Tschechien besorgt hat, so darf darin im Gegenteil ein gewichtiges Indiz dafür gesehen werden, dass sie die Überprüfung der Wiedererlangung ihrer Fahreignung nach deutschem Recht aus gutem Grund scheut. Denn das würde nach der Nummer 9.5 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung eine belegte einjährige Betäubungsmittelabstinenz und den im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Fahreignungsbegutachtung zu erbringenden Nachweis voraussetzen, dass es bei ihr zu einem tiefgreifenden, gefestigten Einstellungswandel in Bezug auf den Konsum von Drogen gekommen ist.

Wenn sich die Antragstellerin nach Erhalt des Bescheids vom 28. Oktober 2009 nicht dazu bereit fand, der sofort vollziehbaren Verpflichtung nachzukommen, den tschechischen Führerschein dem Landratsamt innerhalb von fünf Werktagen ab der Bescheidszustellung zur Eintragung eines Sperrvermerks vorzulegen, ihr vielmehr durch Bescheid vom 19. November 2009 die Anwendung unmittelbaren polizeilichen Zwanges zur Durchsetzung dieser Verpflichtung angedroht werden musste, so bestätigt das zusätzlich, dass sie nach wie vor nicht bereit ist, den Geboten der Rechtsordnung zu folgen.

Im Rahmen der anzustellenden Interessenabwägung ist auch von Bedeutung, dass nach Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs gewichtige Gründe dafür sprechen, dass ausländische EU-Fahrerlaubnisse, die ab dem 19. Januar 2009 erteilt wurden, vom Aufnahmestaat bereits dann nicht anerkannt werden dürfen, wenn die Voraussetzungen des Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG vorliegen, ohne dass weitere Tatsachen hinzukommen müssen. In diesem Zusammenhang wird auf die Gründe des Beschlusses des Senats vom 10. November 2009 (a.a.O.) verwiesen, der in der Beschwerdebegründung erwähnt wird und der dem Bevollmächtigten der Antragstellerin deshalb bekannt ist. Im Vorlagebeschluss vom 16. August 2010 (a.a.O., RdNrn. 42 - 44) hat der Senat diesen Rechtsstandpunkt nochmals bekräftigt. Zu den in der Beschwerdebegründung vorgebrachten Gegenargumenten ist folgendes anzumerken:

a) Zu Unrecht macht die Antragstellerin geltend, es sei "davon auszugehen", dass der Europäische Gerichtshof bei seiner Entscheidung vom 9. Juli 2009 (Rechtssache C-445/08; NJW 2010, 217) die Richtlinie 2006/126/EG mitberücksichtigt habe. Tatsächlich wird dieses Normenwerk an keiner Stelle des Beschlusses vom 9. Juli 2009 erwähnt. Als Gegenstand des in der Rechtssache C-445/08 zu behandelnden Vorabentscheidungsersuchens wird in der Randnummer 1 des Beschlusses vom 9. Juli 2009 vielmehr (ausschließlich) "die Auslegung der Art. 1 Abs. 2, 7 Abs. 1 sowie 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG … in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. September 2003 (ABl. L 283, S. 1) geänderten Fassung" bezeichnet. Da in dem zugrunde liegenden Rechtsstreit über die Pflicht der Bundesrepublik Deutschland zu befinden war, eine am 26. April 2005 - mithin vor dem Inkrafttreten der Richtlinie 2006/126/EG und erst recht vor dem Beginn der Anwendbarkeit des Art. 11 Abs. 4 dieser Richtlinie - erworbene ausländische EU-Fahrerlaubnis anzuerkennen, kam auch von der Sache her nur die Richtlinie 91/439/EWG als europarechtlicher Prüfungsmaßstab in Betracht. Der Versuch, aus den in Abschnitt V der Beschwerdebegründung zitierten, im Beschluss vom 9. Juli 2009 enthaltenen Aussagen Anhaltspunkte für die zutreffende Auslegung des Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG zu gewinnen, vermag deshalb nicht zu überzeugen.

Aus den gleichen Gründen kann die Antragstellerin auch aus den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 11. September 2008 (BGHZ 178, 51), des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Dezember 2008 (Az. 3 C 26.07 [BVerwGE 132, 315]; Az. 3 C 38.07 BayVBl 2009, 374) sowie des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18. Juni 2009 (Blutalkohol Bd. 46 [2009], 354) und vom 19. Oktober 2009 (Az. 2 B 1754/09) nichts zu ihren Gunsten herleiten, da europarechtlicher Prüfungsmaßstab auch in jenen Verfahren allein die Richtlinie 91/439/EWG war. Das Bundesverwaltungsgericht hat in den Entscheidungsgründen der beiden Urteile vom 11. Dezember 2008 (a.a.O.), denen am 27. Dezember 2004 bzw. am 25. Mai 2005 erworbene ausländische EU-Fahrerlaubnisse zugrunde lagen, ausgeführt:

"Der gemeinschaftsrechtliche Maßstab ergibt sich aus der Richtlinie des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein 91/439/EWG (…). Dagegen ist die Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (…), sog. 3. EU-Führerscheinrichtlinie, nicht anwendbar. Nach ihrem Art. 18 gilt Art. 11 Absätze 1 und 3 bis 6 mit den Regelungen über den Entzug, die Ersetzung und die Anerkennung von Führerscheinen erst ab dem 19. Januar 2009" (BVerwG vom 11.12.2008 Az. 3 C 26.07, a.a.O., RdNr. 16; vom 11.12.2008 Az. 3 C 38.07, a.a.O., RdNr. 15).

Dem von Bundesgerichtshof am 11. September 2008 (a.a.O.) bzw. vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof am 19. Oktober 2009 (a.a.O.) entschiedenen Verfahren lagen ausländische EU-Fahrerlaubnisse zugrunde, die am 24. September 2004 bzw. am 13. März 2006 - und damit ebenfalls vor dem Stichtag "19. Januar 2009" - erteilt worden waren. Weder der Bundesgerichtshof noch der Hessische Verwaltungsgerichtshof hatten deshalb Veranlassung, sich zur Auslegung der Richtlinie 2006/126/EG zu äußern; dieses Normenwerk wird in ihren Entscheidungen demgemäß an keiner Stelle erwähnt. Gleiches gilt für den Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18. Juni 2009 (a.a.O.), der sich ebenfalls nur mit der Auslegung der Richtlinie 91/439/EWG befasst. In dieser Entscheidung wird zwar das Datum der tschechischen Fahrerlaubnis, über deren Gültigkeit in Deutschland zu befinden war, nicht ausdrücklich mitgeteilt; aus der Tatsache, dass der jenem Verfahren zugrunde liegende Ausgangsbescheid vom 22. September 2008 stammt, muss jedoch erschlossen werden, dass die in Frage stehende tschechische Fahrerlaubnis zu einem davor liegenden Zeitpunkt erteilt wurde.

b) Der vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof für zutreffend erachteten Auslegung des Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG kann nicht durchgreifend entgegengehalten werden, dass die Richtlinie 91/439/EWG - und damit auch deren Art. 8 Abs. 4 - gemäß Art. 17 der Richtlinie 2006/126/EG im Wesentlichen noch bis zum Ablauf des 18. Januar 2013 fortgilt. Zwar wäre es im Interesse der Rechtsklarheit wünschenswert gewesen, wenn der europarechtliche Normengeber angesichts der in den Sätzen 1 und 2 des Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG statuierten strikten Verpflichtungen der Mitgliedstaaten Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG, der den Mitgliedstaaten hinsichtlich der gleichen Regelungsgegenstände ein Ermessen einräumt, vom Zeitpunkt der Anwendbarkeit des Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG an aufgehoben hätte. Wenn das nicht geschehen ist, so kann daraus jedoch nicht hergeleitet werden, die vom Europäischen Gerichtshof auf der Grundlage von Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG entwickelten Einschränkungen der Befugnis zur Nichtanerkennung ausländischer EU-Führerscheine sollten auch auf solche Fahrerlaubnisse Anwendung finden, die ab dem 19. Januar 2009 erteilt wurden. Denn das Europäische Parlament und der Rat haben beim Erlass der Richtlinie 2006/126/EG hinsichtlich der Frage, wie auf das Phänomen des Führerscheintourismus zu reagieren ist, einen grundlegenden Paradigmenwechsel vollzogen. Sowohl der Wortlaut der insoweit geschaffenen Regelungen als auch ihre Entstehungsgeschichte zeigt, dass den Mitgliedstaaten ein möglichst effizientes Instrumentarium an die Hand gegeben werden sollte, um den Missstand des Führerscheintourismus zu bekämpfen. Um dieses Anliegen zu verwirklichen, entsprach es nach dem Verständnis des Verwaltungsgerichtshofs dem Willen der normsetzenden Stellen, den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen (Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126/EG) insoweit stärker einzuschränken, als das nach der Richtlinie 91/439/EWG der Fall war.

Bereits im Beschluss vom 22. Februar 2007 (Az. 11 CS 06.1644) hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof dargelegt, dass die Richtlinie 2006/126/EG ausweislich zahlreicher Erklärungen, die im Laufe des Normsetzungsverfahrens seitens der Kommission, des Rates sowie des Ausschusses für Verkehr und Fremdenverkehr des Europäischen Parlaments abgegeben wurden, u. a. ausdrücklich dem Zweck dient, den Führerscheintourismus zu bekämpfen. Auf die Ausführungen in der Randnummer 25 des in mehreren Fachzeitschriften (DAR 2007, 535; ZfS 2007, 354; NZV 2007, 539) veröffentlichten, zudem im juristischen Informationssystem "Juris" zugänglichen Beschlusses vom 22. Februar 2007 wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Ebenfalls bereits im Beschluss vom 22. Februar 2007 (a.a.O., RdNr. 25) wurde aufgezeigt, dass die am Normsetzungsverfahren beteiligten Stellen unter "Führerscheintourismus" - in Übereinstimmung mit dem Sprachgebrauch, der sich insoweit in Deutschland herausgebildet hat - das Phänomen verstanden, dass Personen, denen die Fahrerlaubnis in einem Mitgliedstaat (z.B. wegen Fahrens unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen) entzogen wurde, einen Scheinwohnsitz im Ausland begründen und dort eine Fahrerlaubnis erwerben, um damit die Voraussetzungen für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis zu unterlaufen (vgl. Seite 32 des Berichts des Ausschusses für Verkehr und Fremdenverkehr des Europäischen Parlaments vom 3.2.2005, Dok.-Nr. A6-0016/2005).

Um den Führerscheintourismus zu unterbinden, ist der europäische Normgeber von der fakultativen Regelung des Art. 8 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 91/439/EWG ("Ein Mitgliedstaat kann es ablehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen …") - abgesehen von den Fällen der in einem anderen Mitgliedstaat erfolgten bloßen "Aufhebung" (in der französischen Fassung "annulation") eines Führerscheins (vgl. Art. 11 Abs. 4 Satz 3 der Richtlinie 2006/126/EG) - zu der imperativisch zu verstehenden Aussage des Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG übergegangen ("Ein Mitgliedstaat lehnt die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ab …"). Ebenfalls eine die Mitgliedstaaten strikt verpflichtende, keinen Ermessensspielraum mehr einräumende Regelung enthält Art. 11 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 2006/126/EG. Danach "lehnt" es ein Mitgliedstaat ab, einem Bewerber, dessen Führerschein in einem anderen Mitgliedstaat eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen wurde, einen Führerschein auszustellen. Art. 8 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 91/439/EWG sah demgegenüber nur eine dahingehende fakultative Handlungsoption vor.

In ihrer Zusammenschau bewirken die Sätze 1 und 2 des Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG, dass die Einschränkung, die Aussetzung oder der Entzug einer Fahrerlaubnis, die durch einen Mitgliedstaat vorgenommen wird, unionsweit Geltung beansprucht: Jedem anderen Mitgliedstaat ist es gemäß Art. 11 Abs. 4 Satz 1 verwehrt, dem Betroffenen seinerseits eine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Verstößt ein Mitgliedstaat gegen diese Verpflichtung, ist das Land, in dem es zur Einschränkung, Aussetzung oder zum Entzug der Fahrerlaubnis gekommen ist, nach Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG nicht berechtigt, diese europarechtswidrig erteilte Fahrerlaubnis anzuerkennen.

Hieraus ergibt sich ein weiterer entscheidender Unterschied zu der Rechtslage, die unter der alleinigen Geltung der Richtlinie 91/439/EWG bestand. Erteilte ein Mitgliedstaat vor dem 19. Januar 2009 einer Person eine Fahrerlaubnis, der diese Berechtigung in einem anderen Mitgliedstaat entzogen worden war, so verstieß dieser Ausstellungsstaat wegen des nur fakultativen Charakters des Art. 8 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 91/439/EWG dann nicht gegen europäisches Recht, wenn er sich über die Eignung und Befähigung des Fahrerlaubnisbewerbers in einer Weise vergewissert hatte, die den europarechtlichen Mindestanforderungen genügte, und der Bewerber im Hoheitsgebiet des Ausstellerstaates seinen ordentlichen Wohnsitz unterhielt. Seit dem 19. Januar 2009 ist die Erteilung einer Fahrerlaubnis an einen Bewerber, der sich in einem anderen EU-Mitgliedsland einer Maßnahme im Sinn von Art. 11 Abs. 4 Sätze 1 und 2 der Richtlinie 2006/126/EG ausgesetzt gesehen hat, nach dem Wortlaut des Art. 11 Abs. 4 Satz 1 demgegenüber auch dann strikt verboten, wenn das Wohnsitzerfordernis gewahrt ist und der Ausstellerstaat eine europarechtskonforme Eignungs- und Befähigungsüberprüfung durchgeführt hat. Dieser Unterschied kann bei der Beurteilung, ob es nach neuem Recht noch eines (in bestimmter Weise nachgewiesenen) Wohnsitzverstoßes bedarf, und ob die Durchführung einer Eignungsüberprüfung im Ausstellerstaat den Aufnahmestaat hindert, den Inhaber einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis wegen eines in seinem Hoheitsgebiet früher verfügten Entzugs der Fahrerlaubnis weiterhin als fahrungeeignet anzusehen, nicht außer Betracht bleiben. Gleiches gilt für die Beantwortung der Frage, in welcher Weise der Aufnahmestaat, in dem es früher zu einer Einschränkung, Aussetzung oder zum Entzug der Fahrerlaubnis gekommen ist, auf den - erst nach neuem Recht zu bejahenden - Verstoß eines anderen Mitgliedstaates gegen die bindende europarechtliche Vorgabe des Art. 11 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 2006/126/EG reagieren darf (ob er namentlich - wie nach der zur Richtlinie 91/439/EWG entwickelten Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs der Fall - abgesehen von bestimmten Ausnahmefällen darauf beschränkt ist, entweder beim Ausstellerstaat auf eine Rücknahme der dort erteilten Fahrerlaubnis zu dringen oder gegen diesen Staat ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten).

Der Paradigmenwechsel, den der europäische Normengeber beim Erlass der Richtlinie 2006/126/EG hinsichtlich der Regelungen vollzogen hat, die der Verhinderung und Bekämpfung des Führerscheintourismus dienen, lässt sich auch anhand der Entstehungsgeschichte des Art. 11 Abs. 4 dieser Richtlinie belegen. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat im Beschluss vom 20. Januar 2010 (Az. 16 B 814/09 <juris>; SVR 2010, 150; ZfS 2010, 236; VRS Bd. 118 [2010], 314) unter Auswertung der einschlägigen Materialien eingehend dargelegt, dass es sich bereits der Richtlinienentwurf der Kommission vom 21. Oktober 2003 ausdrücklich zum Ziel gesetzt hatte, den Führerscheintourismus dadurch zu beseitigen, dass die Mitgliedstaaten einer Person, der der Führerschein entzogen wurde, keinen neuen Führerschein ausstellen dürfen. Allerdings enthielt dieser Entwurf noch keine Regelungen, die geeignet gewesen wären, dieses Anliegen effektiv zu verwirklichen. Dieses Defizit wurde dadurch behoben, dass der Ausschuss für Verkehr und Fremdenverkehr des Europäischen Parlaments in Gestalt der Änderungsanträge 54 und 57 Formulierungen vorschlug, die den Mitgliedstaaten jene strikten Ge- und Verbote auferlegten, die sich (mit geringfügigen sprachlichen Änderungen) heute in Art. 11 Abs. 4 Sätze 1 und 2 der Richtlinie 2006/126/EG finden. Wegen der Einzelheiten wird auf die eingehende Darstellung in den Randnummern 9 bis 27 des Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 20. Januar 2010 (a.a.O.) sowie in den Randnummern 17 bis 21 des gleichfalls auf einer Auswertung der einschlägigen Quellen beruhenden Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 21. Januar 2010 (Az. 10 S 2391/09 <juris>; DAR 2010, 153; VRS Bd. 118 [2010], 249) verwiesen.

Dass die Verpflichtung des Aufnahmestaates, die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins abzulehnen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, die sich im Aufnahmestaat einer Einschränkung, einer Aussetzung oder einem Entzug der Fahrerlaubnis ausgesetzt gesehen hat, nach neuem Recht nicht mehr von einem Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis abhängen sollte, verdeutlicht auch der Umstand, dass die Delegationen der Mitgliedstaaten es bei der Beratung des Richtlinienentwurfs der Kommission abgelehnt haben, einen Vorschlag Tschechiens aufzugreifen, der auf die Einfügung folgender Bestimmung abzielte:

"Ein Mitgliedstaat kann es ablehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person zu einem Zeitpunkt ausgestellt wurde, in dem diese Person ihren Wohnsitz nicht in dem ausstellenden Mitgliedstaat hatte"

(vgl. Dok.-Nr. 11800/04 des Rates der Europäischen Union vom 1.9.2004 TRANS 265 CODEC 949, S. 41; interinstitutionelles Dossier 2003/0252 (COD)).

Dass sowohl das an die Mitgliedstaaten gerichtete Verbot, einer Person dann eine Fahrerlaubnis zu erteilen, wenn gegen sie in einem anderen Mitgliedstaat eine Maßnahme der Einschränkung, der Aufhebung oder des Entzugs einer Fahrerlaubnis ergriffen wurde, als auch die Verpflichtung des Aufnahmestaates, eine gleichwohl erteilte neue Fahrerlaubnis nicht anzuerkennen, von keinen zusätzlichen Voraussetzungen als denen abhängen sollte, die in Art. 11 Abs. 4 Sätze 1 und 2 der Richtlinie 2006/126/EG Eingang gefunden haben, verdeutlicht auch folgender Passus im Bericht des Ausschusses für Verkehr und Fremdenverkehr des Europäischen Parlaments (Dok.-Nr. A6-0016/2005, zit. nach OVG NRW vom 20.1.2010, a.a.O., RdNr. 27):

"Gemäß dem Genfer und dem Wiener Übereinkommen befasst sich der Vorschlag in Artikel 8 Absatz 5 mit der Frage der gegenseitigen Anerkennung von Strafmaßnahmen, um dafür zu sorgen, dass ein in einem Mitgliedstaat entzogener Führerschein in allen Mitgliedstaaten einen Führerscheinentzug bedeutet. Dies muss jedoch verstärkt werden, und daher hat der Berichterstatter einen Änderungsantrag eingereicht, der die Mitgliedstaaten verpflichtet, jede Einschränkung, jede Aussetzung und jeden Entzug anzuerkennen, die von einem anderen Mitgliedstaat verhängt wurden, und die Anerkennung der Gültigkeit von Führerscheinen abzulehnen, auf die eine solche Maßnahme angewendet wurde."

Lässt sich aber sowohl anhand eines Vergleichs zwischen dem Wortlaut des Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG und des Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG als auch anhand der Entstehungsgeschichte der letztgenannten Bestimmung mit zweifelsfreier Deutlichkeit zeigen, dass der europarechtliche Normgeber einem Entzug der Fahrerlaubnis oder vergleichbaren Maßnahmen, zu denen es in einem Mitgliedstaat gekommen ist, unionsweit Geltung verschaffen wollte, ohne dass in diesem Zusammenhang weitere Voraussetzungen erfüllt sein müssen, so lassen sich hieraus auch Schlussfolgerungen für das Verhältnis der beiden vorgenannten Normen zueinander ziehen: Da andernfalls die Verwirklichung der Absicht des Richtliniengebers nicht ausreichend gewährleistet wäre, den Führerscheintourismus zu unterbinden, muss davon ausgegangen werden, dass den verpflichtenden Geboten, die sich aus Art. 11 Abs. 4 Sätze 1 und 2 der Richtlinie 2006/126/EG ergeben, der Vorrang vor den in Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG getroffenen Regelungen zukommen soll. Das steht in Einklang mit dem Grundsatz, dass bei inhaltlichen Divergenzen eine neuere Norm die ältere auch dann verdrängt, wenn diese - wie bei Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG der Fall - nicht förmlich aufgehoben wurde.

Bei alledem verkennt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof nicht, dass Art. 11 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 2006/126/EG mit einer gewissen Erschwerung für die praktische Ausübung des Grundrechts der Unionsbürger auf Freizügigkeit (Art. 45 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union; ABl C 303 vom 14.12.2007, S. 1) dann einhergehen kann, wenn eine Person tatsächlich und endgültig in einen anderen Mitgliedstaat als den verzogen ist, in dem ihr eine Fahrerlaubnis entzogen wurde. Denn sie muss auf der Grundlage einer Auslegung dieser Vorschrift, die sich strikt am Wortlaut und der Regelungsabsicht des Richtliniengebers orientiert, wie er sich aus den im Normsetzungsverfahren angefallenen Materialien entnehmen lässt, in den letztgenannten Staat zurückkehren, um dort eine neue Fahrerlaubnis zu erlangen. Ob insoweit eine gemäß Art. 52 Abs. 1 Satz 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in jeder Hinsicht gerechtfertigte Einschränkung des Grundrechts auf Freizügigkeit inmitten steht oder Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG seinerseits einer einschränkenden Interpretation bedarf, muss der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vorbehalten bleiben, die auf den Vorlagebeschluss vom 16. August 2010 (a.a.O.) hin zu erwarten ist. Da die Antragstellerin nach den unwidersprochen gebliebenen Feststellungen der Landespolizei auch während der Zeit ihrer Anmeldung in Tschechien weiterhin im Bundesgebiet gemeldet war und sie sich ausweislich der im vorliegenden Rechtsstreit angegebenen Adresse auch jetzt in Deutschland aufhält, stellt sich diese Problematik in ihrem Fall indes nicht.

c) Aus dem Vorgesagten folgt, dass es entgegen dem Beschwerdevorbringen unschädlich ist, wenn das Ziel, den Führerscheintourismus zu unterbinden, in den der Richtlinie 2006/126/EG vorangestellten Erwägungsgründen nicht ausdrücklich zum Ausdruck gebracht wurde. Denn die Auslegung des Textes der Richtlinie selbst und der Rückgriff auf die im Normsetzungsverfahren angefallenen Materialien lassen den Willen des Richtliniengebers auch ohne einen solchen Hinweis in zweifelsfreier Deutlichkeit erkennen.

d) Entgegen der in Abschnitt IV der Beschwerdebegründung aufgestellten Behauptung eröffnet Art. 11 Abs. 4 Sätze 1 und 2 der Richtlinie 2006/126/EG in der vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof für zutreffend erachteten Auslegung nicht die Möglichkeit, "dass der im europäischen Raum geltende Grundsatz der Einheitlichkeit der Rechtsanwendung … unterlaufen wird". Wenn Art. 11 Abs. 4 Satz 1 dieser Richtlinie jeden Mitgliedstaat verpflichtet, bestimmte in einem anderen Mitgliedstaat ergriffene fahrerlaubnisrechtliche Maßnahmen nicht dadurch zu unterlaufen, dass dem Betroffenen eine neue Fahrerlaubnis erteilt wird, so wird dem Grundsatz, dass die Europäische Union auf die Verwirklichung eines einheitlichen Rechtsraums hin angelegt ist, hierdurch im Gegenteil ersichtlich Rechnung getragen.

Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG in der Auslegung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs trägt ferner dem Grundsatz der größtmöglichen Wirksamkeit des Unionsrechts ("effet utile") deutlich besser Rechnung, als das bei Art. 8 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 91/439/EWG der Fall war. Denn wenn die erstgenannte Bestimmung den Aufnahmestaat verpflichtet, eine Fahrerlaubnis, die ein anderer Mitgliedstaat unter Missachtung von Art. 11 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 2006/126/EG erteilt hat, als ungültig zu behandeln, so werden Verstöße gegen die letztgenannte Bestimmung wirksamer sanktioniert, als das nach der bisherigen, auf die Richtlinie 91/439/EWG gestützten Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs möglich war. Den Einwänden, die die Antragstellerin in Abschnitt VII.4 der Beschwerdebegründung unter dem Gesichtpunkt des "effet utile" gegen das vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof für zutreffend erachtete Normverständnis vorbringt, kann deshalb nicht gefolgt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. § 52 Abs. 1 und 2 GKG und den Empfehlungen in den Abschnitten II.1.5 Satz 1 und II.46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 7./8. Juli 2004 (NVwZ 2004, 1327).