ArbG Würzburg, Urteil vom 28.07.2010 - 1 Ca 2108/09
Fundstelle
openJur 2012, 109426
  • Rkr:
Tenor

1. Es wird festgestellt, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 10.11.2009, zugegangen am 19.11.2009, nicht aufgelöst worden ist.

3. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Der Streitwert wird auf 4.768,50 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten insbesondere darüber, ob zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis besteht.

Die Klägerin ist bei dem Beklagten seit 01.04.2008 als Schulbegleiterin tätig. Ein Schulbegleiter, auch Integrationshelfer genannt, ist eine Person, die während eines Teils oder auch während der gesamten Schulzeit, einschließlich des Schulweges, bei einem Schüler ist, um dessen behinderungsbedingte Defizite zu kompensieren und Hilfestellungen (Hilfe bei alltäglichen Verrichtungen) zu geben. Dabei ist der Integrationshelfer kein Zweitlehrer, sondern er unterstützt den Schüler bei der Umsetzung von Übungen, bietet Unterstützung im sozialen und emotionalen Bereich (z.B. Beruhigung des Schülers) und hilft bei der Kommunikation. In der Praxis ist Schulbegleiter häufig ein Zivildienstleistender oder eine junge Frau, die ein freiwilliges soziales Jahr ableistet. Im Einzelfall können es aber auch Kinderpflegerinnen, Erzieherinnen, Hausfrauen oder Hausmänner sein.

Die rechtlichen Grundlagen für die Schulbegleitung als Teilbereich der Eingliederungshilfe sind in §§ 53, 54 SGB XII geregelt. In § 54 Abs. 1, Satz 1 Nr. 1 SGB XII ist bestimmt, dass zu den Leistungen der Eingliederungshilfe auch „Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, vor allem im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht“ zählen.

Die konkreten Aufgaben der Schulbegleitung bestimmen sich dabei nach den jeweiligen persönlichen Erfordernissen des Schülers. Bei schwer körperbehinderten Kindern besteht die Aufgabe der Schulbegleitung hauptsächlich darin, einfache Handreichungen während des Unterrichts vorzunehmen und in der persönlichen Betreuung, wie z.B. den Rollstuhl zu schieben und beim Besuch der Toilette oder beim Essen und Trinken behilflich zu sein.

Den Vertragsbeziehungen der Parteien liegt vorliegend der schriftliche Honorarvertrag vom 13.03./20.03.2008 zugrunde (vgl. Blatt 17,18 d.A.). Danach arbeitet die Klägerin als Honorarbeauftragte in der Tagesstätte des Vereins für K… als Schulbegleitung für J… B… . J… B… ist ein 14-jähriges Mädchen mit sowohl körper-licher als auch geistiger Behinderung. Sie besucht die Schule und Tagesstätte, deren Träger jeweils der Beklagte ist. Sie wird mit dem Schulbus, den Jo…, von zu Hause abgeholt, in die Schule bzw., Tagesstätte gebracht und am Nachmittag von den Jo… wieder nach Hause gefahren. Während des Schulbetriebs, insbesondere der Unterrichtsstunden wird sie von der Klägerin betreut, wobei sich die konkreten Aufgaben der Klägerin an den persönlichen Bedürfnissen von J… orientieren.

Mit Schreiben vom 10.11.2009, der Klägerin am 19.11.2009 zugegangen, kündigte der Beklagte das Vertragsverhältnis zum 31.12.2009 (vgl. Kündigungsschreiben – Blatt 6 d.A.).

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der vorliegenden, am 10.12.2009 beim Arbeitsgericht Würzburg anhängig gemachten Klage, welche dem Beklagten am 16.12.2009 zugestellt wurde.

Die Klägerin hält die Kündigung für sozial ungerechtfertigt.

Die Klägerin trägt vor:

Der Beklagte beschäftige ständig zirka 100 Arbeitnehmer.

Ihr Vertragsverhältnis sei als ein Arbeitsverhältnis anzusehen. Sie sei in vollem Umfang in den organisatorischen Ablauf der Schule bzw. Tagesstätte integriert. Nach Ende des Schultages führe sie J… (im Rollstuhl) zum Mittagessen und füttere sie. Sodann werde sie weiter in der Tagesstätte von ihr betreut. Je nach dem unterschiedlichen Programm (Gartenarbeit, Waldtag) leiste sie entsprechende Hilfestellungen. Am so genannten Backtag müsse sie für J… den Mixer halten, weil sie dies eigenständig nicht könne.

Sie (Klägerin) handle dabei nicht selbstständig. Ihre Aktivitäten würden von den Pflegefachkräften vorgegeben. In ihren Entscheidungen sei sie damit gerade nicht frei, sondern vielmehr Weisungen unterworfen. So sei ihr zu Beginn des Schuljahres auch ein Dienstplan für Teilzeitkräfte ausgehändigt worden (vgl. Kopie, Anlage K 4 = Blatt 19 d.A.), aus dem sich ihre Anwesenheitsverpflichtung ergebe. Darüber hinaus erhalte sie Anweisungen vom Kunstlehrer, mit J… ein Bild zu malen oder beim Schwimmen/Sportunterricht.

Die Klägerin beantragt:

1.Es wird festgestellt, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht.2.Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten vom 10.11.2009, zugegangen am 19.11.2009, nicht aufgelöst wird.Demgegenüber beantragt der Beklagte,

die Klage kostenpflichtig abzuweisen.

Der Beklagte trägt vor:

Der von der Klägerin geschilderte Arbeitsablauf entspreche nicht den tatsächlichen Gegebenheiten. Der als Anlage K 4 vorgelegte Dienstplan für Teilzeitkräfte sei von ihr selbst erstellt worden. Tatsächlich sei es so, dass sich die Einsatzzeiten der Klägerin am Bedarf der von ihr betreuten J… B… orientieren. Die Eltern des betreuten Kindes erhalten vom Sozialversicherungsträger ein Stundenpensum genehmigt, welches dem Bedarf von J… entspricht. Im Rahmen dieses Stundenpensums werde die Arbeitszeit der Klägerin verteilt (vorliegend: 25 Stunden pro Woche). Aus diesem Grund sei auch in dem von der Klägerin vorgelegten Honorarvertrag die „Weisungsfreiheit“ gestrichen. Alleinige und ausschließliche Aufgabe der Klägerin sei es, J… B… dann, wenn sie in der Schule sei, zu unterstützen. Deshalb könne die Klägerin nicht – wie eine normale freie Mitarbeiterin – nach Lust und Laune arbeiten. Die Klägerin müsse dann arbeiten, wenn J… in der Schule war. Wenn J… nicht in der Schule war, habe die Klägerin auch nicht gearbeitet.

Zu keiner Zeit sei die Klägerin irgendwelchen Weisungen von Angestellten des Beklagten unterstellt gewesen. Auf Grund der Genehmigung durch den Sozialversicherungsträger seien die von der Klägerin ausgeübten Arbeitszeiten vorgegeben gewesen, jedoch nicht durch ihn (den Beklagten). Aus diesem Grunde gebe es auch keinen „Dienstplan“ für die Klägerin.

An einem normalen Schultag werde J… von den Fahrern des Schulbusses in den Klassenraum gebracht. Die Klägerin warte dort auch nicht auf Anweisungen des Lehrers. Dieser gebe Unterricht, und damit den Schülern – wie in jeder Schule – Aufgaben. Wenn ein Kind die Aufgaben nicht bewältigen könne, bringe sich der Schulbegleiter ein und unterstütze das Kind. Die Klägerin sei mithin keine Zweitlehrerin, sondern erteile nur Hilfestellungen. Keinesfalls erhalte sie die Anweisung, mit J… ein Bild zu malen oder bestimmte Bewegungen (z.B. im Schwimmunterricht) auszuführen. Die Klägerin gewährleiste J… nur die Möglichkeit, am Unterricht in der Klasse teilzunehmen indem sie diese bei even-tuellen Defiziten unterstützt.

Nicht zutreffend sei auch die Behauptung der Klägerin, sie sei auch nach dem Schulunterricht voll in das Programm der Tagesstätte integriert gewesen. Im Rahmen der Schulbegleitung sei es ihre Aufgabe gewesen, mit J… zusammen zum Essen zu gehen und diese anschließend bei Bedarf zu pflegen, so dass J... nahtlos in die Tagesstätte gelangen konnte. Das Mittagessen gehörte noch zum Schulbegleitungsumfang. Keinesfalls sei die Klägerin zu bestimmten Tätigkeiten angewiesen worden. Ihre Aufgabe habe vielmehr darin bestanden, - wenn J... in der Schule war – 25 Wochenstunden in der Schule zu sein.

Letztlich werde die Schulbegleitung nicht von ihm (Beklagten), sondern von den Eltern organisiert. Diese seien es auch, die das „letzte Wort“ bezüglich der Person des Schulbegleiters haben. Er (Beklagter) habe nur die Zahlfunktion für die Eltern übernommen, um diesen den administrativen Aufwand zu erleichtern. Er (Beklagter) stelle mithin nur den administrativen Rahmen zur Verfügung.

Die Klägerin erwidert:

Die Dienstpläne kamen so zustande, dass sie sich mit der Gruppenleiterin zusammengesetzt und den Dienstplan erstellt habe. Ihre Einsatzzeiten orientierten sich in erster Linie an den Schulzeiten und den Stundenplänen von J... Im Rahmen der genehmigten 25 Stunden führe sie ihre Aufgaben ausgerichtet am Bedarf des Kindes bzw. dem Schul-pensum, das J... zu absolvieren habe, aus. Zu verweisen sei darauf, dass J... schwerstbehindert sei und sich nicht artikulieren kann. Insoweit wisse niemand, inwieweit sie Anweisungen des Lehrers verstanden habe. Hier setze ihre Tätigkeit als Schulbegleiterin an, d.h. hier gebe sie entsprechende Hilfestellungen. Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass sie nicht von dem Sozialversicherungsträger, sondern von dem Beklagten angestellt worden sei. Ein Vertragsverhältnis bestehe auch nicht zu den Eltern von J... Auch habe niemals ein Vorstellungsgespräch bei den Eltern stattgefunden.

Entgegen dem Vorbringen des Beklagten erhalte sie sehr wohl konkrete Anweisungen durch Lehrkräfte des Beklagten sowie von anderen Betreuern, die sie auch zu befolgen habe, so z.B. beim Schwimmunterricht.

Hinzuweisen sei noch darauf, dass sie an Förderplanbesprechungen für J... teilgenommen habe und dass die von ihr wahrgenommenen Tätigkeiten vor ihrer Beschäftigung von Arbeitnehmern des Beklagten mit verrichtet wurden.

Der Beklagte erwidert:

Da die Klägerin keine Teilzeitkraft und keine Mitarbeiterin der Tagesstätte sei, sondern vielmehr Schulbegleitung, komme dem Dienstplan keine rechtliche Bedeutung zu. Die Einsatzzeiten der Klägerin orientierten sich vielmehr ausschließlich an den Schulzeiten und Stundenplänen von J... B…. Hieraus werde deutlich, dass die Klägerin nicht weisungsabhängig war, sondern „Kindesabhängig“. Schon gar nicht sei die Klägerin damit bei ihm als Arbeitnehmerin angestellt. Nicht zutreffend sei, dass sie in der Tagesstätte integriert war. Ihre Schulbegleitungstätigkeit habe die Klägerin schon vor Beginn der Tagesstätte beendet. Auch habe die Klägerin die letzten Jahre nicht am Schwimmunterricht teilgenommen.

So genannte Förderplanbesprechungen habe es nur einmal pro Schuljahr gegeben. Hieraus könne aber keinesfalls eine Integration in die schulische Organisation abgeleitet werden. Das Schullandheim, die Samstags- Elterntage und das Sommerfest seien Schulveranstaltungen, die von den 25 bewilligten Wochenstunden gedeckt seien. Die Schüler haben 25 Wochenstunden Unterricht; die Klägerin begleite J... exakt für diese 25 Wochenstunden im Schulunterricht. In der Tagesstätte sei die Klägerin nicht tätig.

Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Gründe

I.

Der Rechtsweg zum Arbeitsgericht ist nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 b ArbGG eröffnet.

Hinsichtlich beider Streitgegenstände – Feststellung des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses sowie Kündigungsschutzklage – handelt es sich um sogenannte „sic-non-Fälle“, bei denen die für die Rechtswegzuständigkeit maßgebliche Tatsache – hier: Arbeitnehmereigenschaft – gleichzeitig Voraussetzung für die Begründetheit der Klage ist (sogenannte doppelrelevante Tatsache). Hauptbeispiel ist die auf Feststellung des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses gerichtete Klage (Statusklage) sowie die Kündigungsschutzklage, wie im vorliegenden Falle (vgl. Schwab/Weth/Walker, ArbGG, 2. Aufl., § 2 Rnr. 213 m.w.N.). In einem solchen Fall reicht es aus, dass die Klagepartei schlüssig Tatsachen vorträgt, aus denen sich die Arbeitnehmereigenschaft ergibt. Eine Beweiserhebung ist dann im Rahmen der Rechtswegprüfung nicht erforderlich (vgl. BAG vom 24.04.1996, 5 AZB 25/95, AP Nr. 1 zu § 2 ArbGG 1979 Zuständigkeitsprüfung; BAG vom 08.11.2006, 5 AZB 36/06, NZA 2007, Seite 53).

Die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts, des Arbeitsgerichts Würzburg, folgt aus § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. §§ 12, 17, 29 ZPO.

II.

Die Klage ist zulässig.

Das für die Feststellungsklage des Kündigungsrechtsstreits nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse folgt bereits aus der Präklusionsgefahr nach §§ 4, 7 KSchG.

Daneben ist aber auch für die Statusklage ein eigenes Feststellungsinteresse gegeben. Aus dem Grundsatz der Prozessökonomie folgt auch die Zulässigkeit von Feststellungsanträgen, die die zentrale Streitfrage der Parteien – Bestehen eines Arbeitsverhältnisses und nicht etwa nur ein freies Dienstverhältnis – klären kann (vgl. BAG vom 20.07.1994, 5 AZR 169/93, AP Nr. 26 zu § 256 ZPO 1977).

Die Zulässigkeit der so genannten Statusklage folgt vorliegend auch aus § 256 Abs. 2 ZPO (Zwischenfeststellungsklage).

III.

Die gegen die Kündigung vom 10.11.2009 gerichtete Kündigungsschutzklage ist rechtzeitig erhoben, §§ 4, 7 KSchG. Mit ihrer am 10.12.2009 beim Arbeitsgericht Würzburg anhängig gemachten Klage, welche dem Beklagten am 16.12.2009 zugestellt wurde, hat sich die Klägerin rechtzeitig innerhalb der 3-wöchigen Klagefrist des § 4 KSchG gegen die ihr am 19.11.2009 zugegangene Kündigung gewandt, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB, § 167 ZPO. Präklusion nach § 7 KSchG ist nicht eingetreten.

IV.

Die Klage ist auch begründet.

Die Klägerin steht in einem Arbeitsverhältnis zum Beklagten. Dieses ist durch die Kündigung vom 10.11.2009 nicht aufgelöst worden.

Im Einzelnen gilt Folgendes:

1. Das Rechtsverhältnis der Parteien ist ein Arbeitsverhältnis.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unterscheidet sich das Arbeitsverhältnis vom Rechtsverhältnis eines freien Mitarbeiters (Dienstnehmers) durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, in welcher der zur Dienstleistung Verpflichtete jeweils steht. Die Abhängigkeit ergibt sich aus der Eingliederung in eine fremd bestimmte Arbeitsorganisation und aus dem Umfang der Weisungsgebundenheit. Der eine allgemeine gesetzgeberische Wertung zum Ausdruck bringende § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB enthält insoweit ein typisches Abgrenzungsmerkmal. Nach dieser Bestimmung ist selbständig, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann, unselbständig und damit Arbeitnehmer aber der Mitarbeiter, dem dies nicht möglich ist (vgl. z.B. BAG vom 19.11.1997, AP Nr. 90 zu § 611 BGB Abhängigkeit).

Das Weisungsrecht des Arbeitgebers kann Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen. Die Frage, in welchem Maß der Mitarbeiter auf Grund derartiger Weisungsrechte persönlich abhängig ist, lässt sich nicht abstrakt für alle Beschäftigten beantworten, sondern hängt vor allem auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab (BAG AP Nr. 26 u. 42 zu § 611 BGB Abhängigkeit). Manche Tätigkeiten können sowohl im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses als auch im Rahmen eines anderen Rechtsverhält-nisses erbracht werden, andere regelmäßig nur im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses. Bei untergeordneten und einfacheren Arbeiten ist eher eine Eingliederung in die fremde Arbeitsorganisation anzunehmen als bei gehobenen Tätigkeiten. Ein Arbeitsverhältnis kann aber auch bei Diensten höherer Art gegeben sein, selbst wenn dem Dienstverpflichteten ein hohes Maß an Gestaltungsfreiheit, Eigeninitiative und fachlicher Selbständigkeit verbleibt (vgl. BAG vom 06.05.1998, 5 AZR 347/97, AP Nr. 94 zu § 611 BGB Abhängigkeit).

Für die Abgrenzung des Arbeitsverhältnisses vom freien Mitarbeiterverhältnis kommt es nicht darauf an, wie die Parteien das Vertragsverhältnis bezeichnen (BAG AP Nr. 6 zu § 611 BGB Abhängigkeit). Der Status des Beschäftigten richtet sich nicht nach den Wünschen und Vorstellungen der Vertragspartner, sondern danach, wie die Vertragsbeziehungen nach ihrem Geschäftsinhalt objektiv einzuordnen sind. Widersprechen sich Vereinbarungen und tatsächliche Durchführung, so ist letztere maßgebend.

Letztlich kommt es auf eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalles an (vgl. BAG vom 06.05.1998, aaO).

b) Soziale Arbeit kann sowohl im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses als auch in anderen Rechtsverhältnissen erbracht werden (vgl. BAG vom 06.05.1998, aaO).

Unter Berücksichtigung der oben dargestellten Grundsätze der Recht-sprechung des BAG ist vorliegend allein entscheidend, ob und wie intensiv die Klägerin in die Betreuungsorganisation des Beklagten integriert ist und in welchem Umfang sie den Inhalt ihrer Tätigkeit, die Art und Weise der Durchführung ihrer Arbeitszeit und die sonstigen Umstände ihrer Dienstleistung unter Berücksichtigung der Besonderheiten der geschuldeten Tätigkeit als Schulbegleiterin beeinflussen kann (vgl. auch LAG Baden-Württemberg vom 20.02.2002, 11 Sa 2/02, Rnr. 76, zitiert nach Juris).

50Danach ist die Klägerin als Arbeitnehmerin einzustufen. Sie ist weisungsabhängig in die Arbeitsorganisation des Beklagten eingegliedert. Sie kann ihre Tätigkeit als Betreuerin für J... B… nicht im Wesentlichen frei gestalten.

aa) Der Umfang der wöchentlichen Arbeitszeit ist mit 25 Stunden fest vereinbart. Er entspricht der vorgegebenen Unterrichtszeit an der Schule des Beklagten. Auch Beginn und Ende der Arbeitszeiten der Klägerin richten sich nach dem Stundenplan der Schule des Beklagten. Freie Gestaltungsmöglichkeiten ergeben sich für die Klägerin hierbei nicht.

bb) Auch bezüglich des Orts ihrer Arbeitsleistung steht ihr kein Freiraum zu. Sie erbringt ihre Tätigkeit in den Schulräumen und damit in den Einrich-tungen des Beklagten.

cc) Zwar mag es zutreffen, dass der Beklagte der Klägerin in aller Regel keine konkreten fachlichen Weisungen erteilt. Doch ändert dies nichts daran, dass ihm grundsätzlich ein arbeitsvertragliches Weisungsrecht zusteht. (vgl. auch BAG vom 06.05.1998, aaO, Rnr. 63; siehe auch LAG Köln vom 22.09.2000, 4 Sa 848/00, Rnr. 14, zitiert nach Juris). Dies folgt bereits daraus, dass er als Träger der Schule und als Dienstherr der dort beschäftigten Lehrkräfte für den Schulbetrieb verantwortlich ist.

Weiter ist dabei zu berücksichtigen, dass sich Umfang und Art der Tätigkeiten der Klägerin – unstreitig – an den persönlichen Bedürfnissen der zu betreuenden Schülerin, J... B… orientieren, wobei zudem die Vorgaben des Schulunterrichts, insbesondere durch den Stundenplan zu berücksichtigen sind. Insoweit liegt hier durchaus eine vergleichbare Konstellation wie in dem vom BAG in der Entscheidung vom 06.05.1998, 5 AZR 347/97 entschiedenen Fall einer Familienhelferin vor (siehe auch LAG Köln, aaO). So wie dort die Tätigkeit durch die Gegebenheiten der Familie bestimmt waren, werden Umfang und Art der Tätigkeiten der Klägerin hier durch die Vorgaben auf Grund des Schulunterrichts und des Stundenplans „fremd bestimmt“. So wie die Arbeitszeit einer Familienhelferin bestimmt wird, wenn eine Mutter zu einem beliebigen Zeitpunkt um Hilfe bittet, weil ein Familienmitglied randaliert, der betrunkene Ehemann sie bedroht oder auch nur eine plötzliche ernste Erkrankung abzufedern ist (vgl. LAG Köln, aaO, Rn. 18), bestimmt auch vorliegend das konkrete Einzelereignis Art und Umfang der von der Klägerin gegenüber der zu betreuenden J... B… vorzunehmenden Unterstützungsleistung. Diese muss abhängig von dem betreffenden Unterrichtsfach und abhängig von der wechselnden Tagesverfassung von J... B… stets der jeweiligen Situation entsprechend angepasst werden. Mal muss nur der Rollstuhl positioniert werden, mal muss J... der Bleistift für den Zeichen-/Werkunterricht gereicht werden, mal muss Juli Hilfestellung beim Essen geleistet werden, mal muss ihr eine Erklärung der Lehrkraft näher erläutert werden.

Der Umstand, dass sich Umfang und Art der Tätigkeiten hierbei nach den Bedürfnissen der zu betreuenden Schülerin richten, ist mithin geradezu typisch für die Tätigkeit einer Schulbegleiterin, und steht der Annahme eines Arbeitsverhältnisses keineswegs entgegen (so im Ergebnis auch BAG vom 06.05.1998, aaO sowie LAG Köln, aaO, für die Tätigkeit einer Familienhelferin; anderer Ansicht: LAG Baden-Württemberg vom 20.02.2002, 11 Sa 2/02, mit Rücksicht auf die Besonderheit des dortigen Falles: unter anderem keine Vorgaben hinsichtlich des Ortes der Arbeitsleistung).

dd) Dafür, dass vorliegend von einem Arbeitsverhältnis auszugehen ist, spricht – neben der dargestellten Abhängigkeit vom Schulbetrieb des Beklagten – schließlich noch der Umstand, dass die Tätigkeiten der Klägerin nach ihrem bis zuletzt unbestritten gebliebenen Sachvortrag vor ihrer Beschäftigung von Arbeitnehmern des Beklagten mit verrichtet worden sind.

2. Ist die Klägerin mithin als Arbeitnehmerin einzustufen, so ist weiter festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 10.11.2009 nicht beendet worden ist.

Diese erweist sich nämlich als sozial ungerechtfertigt im Sinne des § 1 KSchG und damit als rechtsunwirksam.

Das Kündigungsschutzgesetz findet unstreitig Anwendung. Die Klägerin ist seit 01.04.2008 bei dem Beklagten tätig. Der Beklagte beschäftigt ständig zirka 100 Arbeitnehmer.

Zur Rechtfertigung der streitgegenständlichen Kündigung hat der Beklagte keine Gründe vortragen lassen.

Die Kündigung ist damit sozial ungerechtfertigt, § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG.

Nach alledem war zu entscheiden, wie geschehen.

V.

Als unterlegene Partei hat der Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, § 46 Abs.2 ArbGG i.V.m. § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG, § 3 ff ZPO, § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG. Dabei hat das Gericht für den Kündigungsrechtsstreit 3 Gehälter und für die sogenannte Statusklage wegen teilweise bestehender wirtschaftlicher Identität 1 Gehalt in Ansatz gebracht.