Bayerischer VGH, Beschluss vom 22.10.2009 - 11 ZB 09.832
Fundstelle
openJur 2012, 103603
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die 1961 geborene Klägerin wurde mit Strafbefehl des Amtsgerichts M. vom 31. Oktober 1997 zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie am 5. September 1997 mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,05 Promille einen Pkw geführt hatte. Gleichzeitig wurde ihr die Fahrerlaubnis entzogen, die ihr bisher nicht wiedererteilt wurde. Am 11. Juli 2007 verhängte das Amtsgericht M. gegen die Klägerin eine Geldstrafe, weil sie am 21. April 2007 ein Fahrrad mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,28 Promille geführt hatte.

Einer Anordnung der Beklagten vom 22. Oktober 2007, zur Ausräumung von Zweifeln an ihrer Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen und fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen ein medizinisch-psychologisches Fahreignungsgutachten innerhalb von drei Monaten vorzulegen, kam die Klägerin nicht nach.

Mit Bescheid vom 18. April 2008 untersagte die Beklagte der Klägerin, Fahrzeuge aller Art auf öffentlichem Verkehrsgrund zu führen.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Anfechtungsklage wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 20. Februar 2009 ab. Hiergegen richtet sich der Antrag auf Zulassung der Berufung.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist nicht begründet, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht dargelegt wurden bzw. nicht vorliegen.

1. Die Klägerin macht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils geltend (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

1.1 Sie trägt vor, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass sich das der Beklagten gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 FeV zustehende Auswahlermessen auf Null reduziert habe, weil sie das von ihr geforderte Fahreignungsgutachten nicht vorgelegt habe. Da die Nichtvorlage des Gutachtens erst das Auswahlermessen eröffnet habe, hätte es für eine Ermessensreduzierung auf Null eines zusätzlichen Umstandes bedurft, der nicht gegeben sei. So sei das Verwaltungsgericht Hannover (Urteil vom 21.12.2007 Az. 9 B 4217/07) von einer Ermessensreduzierung auf Null erst bei einem völlig unkontrollierten Gebrauch von Drogen und die Verkehrssicherheit beeinträchtigenden Medikamenten sowie Alkohol während der Fahrt mit dem Fahrrad ausgegangen. Die Beklagte habe in dem angefochtenen Bescheid keine Prüfung vorgenommen, ob der erstrebte Sicherungszweck auch durch ein milderes Mittel erreichbar sei. Außerdem sei die Beibringungsanordnung vom 22. Oktober 2007 nicht anlassbezogen gewesen.

Dieses Vorbringen stellt die Richtigkeit des angefochtenen Urteils nicht in Frage. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde, wenn sich jemand als ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet zum Führen von Fahrzeugen oder Tieren erweist, ihm das Führen zu untersagen, zu beschränken oder die erforderlichen Auflagen anzuordnen. Die Beklagte durfte nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung der Klägerin schließen, weil sie das von ihr nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV geforderte medizinisch-psychologische Gutachten nicht fristgerecht beigebracht hatte. § 13 FeV ist gemäß § 3 Abs. 2 FeV entsprechend anzuwenden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Führer eines Fahrzeugs und damit auch eines Fahrrads zum Führen ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet ist. Eine derartige Tatsache lag hier aufgrund der Verurteilung der Klägerin vom 11. Juli 2007 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr vor.

Die Beibringungsanordnung war durch § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV gedeckt, der nach seinem klaren Wortlaut nicht das Führen eines Kraftfahrzeugs, sondern lediglich eines Fahrzeugs voraussetzt, so dass die Teilnahme am Straßenverkehr als Radfahrer mit einem Blutalkoholgehalt von 1,6 Promille oder mehr ausreichend ist (BVerwG vom 21.05.2008 NJW 2008, 2621). Die Beibringungsanordnung vom 22. Oktober 2007 war aus diesem Grund auch entgegen der Behauptung der Klägerin anlassbezogen und widersprach nicht dem Übermaßverbot.

Wegen der somit zugrunde zulegenden Nichteignung der Klägerin zum Führen von Fahrzeugen war die Beklagte verpflichtet, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um der von der Klägerin ausgehenden Gefahr für die Verkehrssicherheit zu begegnen. Hinsichtlich Art und Umfang der nach § 3 Abs. 1 FeV zu treffenden Maßnahme hat die Rechtsprechung der zuständigen Fahrerlaubnisbehörde ein Auswahlermessen zugebilligt (OVG Bremen vom 9.01.1990 NJW 1990, 2081; OVG Niedersachsen vom 1.04.2008 NJW 2008, 2059; BayVGH vom 27.03.2006 Az. 11 ZB 06.41). Dies bedarf jedoch der rechtlichen Präzisierung. Zunächst ist entsprechend dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu prüfen, welche die Verkehrssicherheit gewährleistende Maßnahme den Betroffenen am wenigsten belastet, d.h. ob die beabsichtigte Maßnahme verhältnismäßig ist und nicht gegen das Übermaßverbot verstößt. Zwischen mehreren, gleich geeigneten und verhältnismäßigen Maßnahmen hat die Behörde dann ein Auswahlermessen. In diesem Sinn sind auch die zitierten Entscheidungen zu verstehen, in denen jeweils geprüft wird, ob die getroffene Maßnahme verhältnismäßig ist bzw. gegen das Übermaßverbot verstößt.

Das gegenüber der Klägerin verfügte Verbot, Fahrzeuge aller Art auf öffentlichem Verkehrsgrund zu führen, verstößt nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Für eine wenigstens bedingte Eignung der Klägerin zum Führen von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen wie z.B. Fahrrädern und Mofas bestehen keine Anhaltspunkte, da gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV wegen der Nichtvorlage des zu Recht geforderten medizinisch-psychologischen Gutachtens auf ihre völlige Nichteignung geschlossen werden durfte. Das geforderte Gutachten hätte sich auch zu der Frage äußern sollen, ob die Klägerin ein fahrerlaubnisfreies Fahrzeug nur unter bestimmten Beschränkungen bzw. Auflagen führen kann. Durch ihre Weigerung, sich untersuchen zu lassen, hat die Klägerin die Beantwortung dieser Frage vereitelt und kann sich deshalb nicht mit Erfolg darauf berufen, dass diese Frage positiv zu beantworten wäre.

Die von den Beteiligten erörterte Frage einer Ermessensreduzierung auf Null stellt sich nach alledem nicht.

1.2 Auch das weitere Vorbringen der Klägerin, dass ihre strafgerichtliche Verurteilung vom 31. Oktober 1997 gemäß § 65 Abs. 9 Satz 1 2. Halbsatz StVG nicht mehr verwertbar sei, stellt die Richtigkeit des angefochtenen Urteils nicht in Frage. Da die Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung vom 18. April 2008 bereits aus den oben dargestellten Gründen zu bejahen ist, kommt es auf die Verwertbarkeit der Verurteilung vom 31. Oktober 1997 nicht entscheidungserheblich an.

1.3 Die Klägerin rügt weiter, dass das Verwaltungsgericht und die Beklagte dieselben Voraussetzungen für eine Entziehung der Fahrerlaubnis und das Verbot des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge annehmen würden. Dies verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und das verfassungsrechtliche Übermaßverbot (Art. 20 Abs. 1 und 3 GG), weil das Gefährdungspotential bei fahrerlaubnispflichtigen Fahrzeugen um ein Vielfaches höher als bei fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen sei. Auch greife das Verbot des Fahrens mit fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen viel tiefer in die persönliche Lebensführung und -gestaltung ein.

Dieses Vorbringen der Klägerin greift nicht durch. Die Gefahren, die von dem Führer eines erlaubnisfreien Fahrzeugs ausgehen, mögen zwar geringer einzustufen sein als diejenigen, die ungeeignete Kraftfahrer verursachen, die erlaubnispflichtige Fahrzeuge führen. Sie sind aber erheblich genug, um die entsprechende Anwendung der Vorschriften der §§ 11 bis 14 FeV für gerechtfertigt zu halten, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Führer eines Fahrzeugs zum Führen ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet ist (§ 3 Abs. 2 FeV). Ebenso wenig unterliegt es Bedenken, dass die Fahrerlaubnisbehörde das Führen von Fahrzeugen untersagen, beschränken oder die erforderlichen Auflagen anordnen kann, wenn sich der Betreffende als ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist (§ 3 Abs. 1 FeV). Es liegt auf der Hand, dass Verkehrsunfälle, die ungeeignete Fahrer erlaubnisfreier Fahrzeuge verursachen, ebenfalls mit schwerwiegenden Folgen für Gesundheit und Leben anderer Verkehrsteilnehmer verbunden sein können (OVG Niedersachsen vom 1.04.2008, a.a.O.). Dabei ist zu beachten, dass die Teilnahme am Straßenverkehr unter erheblicher Alkoholisierung mit jedem Fahrzeug eine Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs bedeutet. Diese Einschätzung liegt auch § 316 StGB zugrunde, der nicht nur die Trunkenheitsfahrt mit einem Kraftfahrzeug unter Strafe stellt (BVerwG vom 21.05.2008, a.a.O.). Die Anwendung des § 3 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 13 Satz 1 Nr. 2 c FeV im Fall der Klägerin verstößt deshalb weder gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG noch gegen das Übermaßverbot.

2. Die Klägerin beruft sich ohne Erfolg darauf, dass die Rechtssache besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufweise. Insbesondere bei der Beurteilung der Voraussetzungen für eine Ermessensreduzierung auf Null und bei der Frage, ob die Verurteilung aus dem Jahr 1997 bereits tilgungsreif sei, handle es sich um rechtlich schwierige Fragen.

Die Frage einer Ermessensreduzierung auf Null stellt sich aus den oben dargestellten Gründen im Fall der Klägerin jedoch nicht. Ebenso wenig kommt es für die Entscheidung auf die Frage der Verwertbarkeit der strafgerichtlichen Verurteilung vom 31. Oktober 1997 an.

3. Die Rechtssache hat nicht die von der Klägerin geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

Um einen auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, ausführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist, erläutern, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist und darlegen, weshalb der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 12. Aufl. 2006, RdNr. 72 zu § 124 a).

Die Klägerin hat alle diese Voraussetzungen nicht erfüllt, soweit sie sich auf die Anwendung des § 3 FeV bezieht.

Im Übrigen hat sie zwar die Rechtsfrage formuliert, in welchen Fällen bei der Anordnung der Untersagung des Führens von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen von einer Ermessensreduzierung auf Null auszugehen ist. Sie hat jedoch weder dargelegt, weshalb diese Frage für den konkreten Rechtsstreit entscheidungserheblich sein soll - was auch nicht der Fall ist - noch, weshalb dieser Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt.

4. Die Klägerin macht außerdem geltend, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO). Insoweit behauptet sie eine Abweichung von der Entscheidung des OVG Bremen vom 19. Januar 1990 (a.a.O.).

Für die Zulassung wegen Divergenz kommt es jedoch nicht auf die Abweichung von der Entscheidung irgendeines Oberverwaltungsgerichts an, sondern nur auf die Abweichung von einer Entscheidung des dem Verwaltungsgericht im Rechtszug übergeordneten Oberverwaltungsgerichts (Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, § 124 RdNr. 12), hier also des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs. Eine Abweichung von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs wurde von der Klägerin nicht einmal behauptet.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 und 2 GKG.

Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).