Bayerischer VGH, Beschluss vom 14.10.2009 - 12 ZB 08.1460
Fundstelle
openJur 2012, 103380
  • Rkr:
Tenor

I. Die Berufung wird zugelassen, soweit das Verwaltungsgericht Augsburg den Beklagten im Urteil vom 1. April 2008 unter Nr. I. Satz 2 über den März 2007 hinaus verpflichtet hat, der Klägerin eine monatliche Ausbildungsförderung in Höhe von 412,00 Euro zu bewilligen.

II. Im Übrigen wird der Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt.

Gründe

1. Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 1. April 2008 ist begründet, soweit die in Nr. I. Satz 2 des Urteilstenors ausgesprochene Verpflichtung des Beklagten, der Klägerin eine monatliche Ausbildungshilfe in Höhe von 412,00 Euro zu bewilligen, auch den Zeitraum April 2007 bis einschließlich Juli 2007 umfasst. Insoweit bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, weil die Klägerin die Ausbildung, für die sie am 28. August 2006 eine Förderung beantragt hatte, im März 2007 abgebrochen hat. Das Verwaltungsgericht hat zwar in den Entscheidungsgründen ausgeführt, dass „ein Anspruch auf Leistungen nur bis einschließlich März 2007“ bestehe. Eine Auslegung des Urteilstenors in diesem Sinn scheidet jedoch angesichts dessen eindeutigen Wortlauts aus, zumal das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 5. Mai 2008 lediglich Satz 1 der Nr. I. des Urteilstenors berichtigt hat, nicht jedoch den Verpflichtungsausspruch. Besteht mithin ein Widerspruch zwischen Urteilstenor und Entscheidungsgründen geht der Tenor vor (vgl. statt vieler Lambiris in Posser/Wolff, VwGO, 1. Aufl. 2008, RdNr. 9 zu § 117). Im Übrigen war es dem Verwaltungsgericht wegen der Vollstreckbarkeit des Tenors verwehrt, insoweit eine Formulierung zu wählen, die an sich der „Formulierung des Landratsamts“ im angefochtenen (ablehnenden) Bescheid entspricht.

2. Im Übrigen hat der Antrag auf Zulassung der Berufung keinen Erfolg, weil insoweit die vom Beklagten geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) nicht hinreichend dargelegt sind oder aber nicht greifen.

2.1 Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung bestehen etwa dann, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG vom 26.3.2007 BayVBl 2007, 624 und vom 23.6.2000 NVwZ 2000, 1363) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (so BVerwG vom 10.3.2004 DVBl 2004, 838). Das ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was der Beklagte innerhalb offener Frist zur Begründung seines Zulassungsantrags hat darlegen lassen (§ 124 a Abs. 5 Satz 2 VwGO).

2.1.1 Der Beklagte rügt, das Verwaltungsgericht habe bei der Ermittlung der für den Bewilligungszeitraum August 2005 bis Juli 2006 zu erstattenden Ausbildungsförderung zu Unrecht auch die für den (ersten) Bewilligungszeitraum (September 2003 bis Juli 2004) gewährte Förderung vom Vermögen der Klägerin abgezogen. Das Verwaltungsgericht hätte den Wert des Vermögens bei Beginn eines neuen Bewilligungszeitraums feststellen müssen und davon lediglich den für diesen Bewilligungszeitraum festgestellten Rückzahlungsbetrag (fiktiv) abziehen dürfen. Die fehlerhafte Berechnung des Verwaltungsgerichts beruhe auf einer „ex post Betrachtung“ und verstoße damit im Ergebnis gegen § 28 Abs. 2 BAföG. Der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Juli 1986 Az. 5 B 10/85 könne nichts anderes entnommen werden, weil es in dem zugrunde liegenden Verfahren lediglich um einen Folgeantrag gegangen sei. Das ist nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zu begründen.

Geht es um die Bewilligung von Ausbildungsförderung muss nach § 28 Abs. 2 BAföG von dem Vermögen ausgegangen werden, das zum Zeitpunkt der Antragstellung tatsächlich vorhanden ist. Anders ist die Rechtslage bei der Rücknahme von Bewilligungsbescheiden, die sich - wovon der Beklagte und das Verwaltungsgericht ausgehen - wegen verschwiegenen Vermögens später als rechtswidrig herausstellen. Hier ist rückschauend zu überprüfen, wie für bestimmte in der Vergangenheit liegende Bewilligungszeiträume die Ausbildungsförderung hätte bemessen werden müssen, wenn der Auszubildende seiner Mitwirkungspflicht (§ 46 Abs. 3 BAföG, § 60 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch) nachgekommen wäre. Dabei ist für den Regelfall davon auszugehen, dass ein Auszubildender anzurechnendes Vermögen auch tatsächlich verwendet, um seinen Lebensunterhalt und die Ausbildungskosten zu decken. Dementsprechend ist bei der Rücknahme von Bewilligungsbescheiden im Grundsatz in Rechnung zu stellen, dass der Auszubildende bei rechtmäßigem Verhalten das anzurechnende Vermögen anstatt der ihm rechtswidrig zugeflossenen Förderungsbeträge für seinen Lebens- und Ausbildungsbedarf verwendet hätte mit der Folge, dass es ihm im folgenden Bewilligungszeitraum nicht mehr angerechnet werden kann (vgl. BVerwG vom 18.7.1986 Buchholz 436.36 § 28 BAföG Nr. 1, ebenso BayVGH vom 25.10.2006 Az. 12 ZB 05.1661).

Danach begegnet es keinen ernstlichen Zweifeln, dass das Verwaltungsgericht das für den jeweiligen Bewilligungszeitraum zugrunde gelegte Vermögen im Grundsatz um den für den unmittelbar vorangegangenen Bewilligungszeitraum vom Landratsamt festgestellten Bedarf gemindert hat. Unbedenklich ist es aber auch, dass das Verwaltungsgericht insoweit den für den ersten Bewilligungszeitraums festgestellten Bedarf (4.532,00 Euro) auch für den (übernächsten) Bewilligungszeitraum August 2005 bis Juli 2006 vermögensmindernd berücksichtigt hat. Darin liegt keine die Klägerin begünstigende doppelte Anrechnung eines fiktiven Vermögensverbrauchs. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht - ebenso wie das Landratsamt - für den jeweiligen Bewilligungszeitraum zunächst das nach seiner Ansicht von der Klägerin treuwidrig auf ihren Vater übertragene Vermögen jeweils in voller Höhe und damit ohne Berücksichtigung eines der Bedarfsdeckung dienenden Verbrauchs dem bei der Antragstellung auf den verschiedenen Konten vorhandenen Vermögen hinzugezählt und sodann folgerichtig die bisher rechtswidrig zugeflossene Förderung abgezogen. Ein Verstoß gegen die in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Juli 1986 aufgestellten Grundsätze liegt darin entgegen der Ansicht des Beklagten nicht.

2.1.2 Der Beklagte wendet ferner ein, das Verwaltungsgericht habe unberücksichtigt gelassen, dass sich das Vermögen der Klägerin vom Tag der Antragstellung am 12. August 2004 bis zum folgenden Antrag am 25. Juli 2005 um 1.119,73 Euro vermehrt habe, was einen fiktiven Verbrauch der Förderleistungen widerlege. Das ist schon deshalb nicht geeignet, zugunsten des Beklagten ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Urteils zu begründen, weil auch der angefochtene Bescheid des Landratsamts unter anderem darauf beruht, dass für den Bewilligungszeitraum August 2005 bis Juli 2006 von dem zugrunde gelegten Vermögen der für den vorangegangenen Bewilligungszeitraum festgesetzte Erstattungsbetrag (1.974,86 Euro) vermögensmindernd berücksichtigt wurde. Im Übrigen spricht allein der Umstand, dass sich das Vermögen der Klägerin in der vom Beklagten dargelegten Weise vermehrt hat, nicht für einen atypischen Fall, bei dem es möglicherweise geboten wäre, von einer Minderung des Vermögens um die rechtswidrig zugeflossenen Förderungsbeträge abzusehen.

2.1.3 Der Beklagte wendet sich dagegen, dass das Verwaltungsgericht einen Betrag von 3.000,00 Euro, den der Vater der Klägerin am 20. Oktober 2003 auf deren Konto bei der PSD Bank überweisen hat, nicht ihrem Vermögen zugerechnet hat. Das Verwaltungsgericht hat dazu auf der Grundlage der Zeugeneinvernahme des Vaters der Klägerin ausgeführt, die Klägerin habe im Oktober 3.000,00 Euro von ihrem Vater erhalten, weil sie damals eine eigene Wohnung gesucht habe. Der Betrag sei ihr allein für diesen Zweck überwiesen worden und dementsprechend von ihr zurücküberwiesen (28.5.2004) worden, als sie ihre Umzugspläne aufgegeben habe. Der Beklagte rügt, die Überweisungsvorgänge vom 20. Oktober 2003 und vom 28. Mai 2004 belegten die vom Verwaltungsgericht angenommene Zweckbindung nicht. Das führt nicht weiter. Ohne darzulegen, dass die Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht ernstlich zweifelhaft ist, insbesondere Natur- oder Denkgesetze oder zwingende Erfahrungssätze verletzt (vgl. dazu Höfling/Rixen in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, RdNr. 79 ff. zu § 108), nimmt der Beklagte insoweit lediglich eine eigene, ihm günstige Bewertung vor.

2.2 Die Berufung ist nicht wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. Der Beklagte hat nicht dargelegt, welche konkrete und für den Rechtsstreit entscheidungserhebliche sowie über den Einzelfall hinausreichende Rechts- oder Tatsachenfrage einer berufungsgerichtlichen Klärung bedarf.

3. Über die Kosten ist wegen der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung in einer Instanz erst in der das Berufungsverfahren abschließenden Entscheidung zu befinden (vgl. Happ in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 12. Aufl. 2006, RdNr. 90 zu § 124 a).