OLG Bamberg, Beschluss vom 18.03.2009 - 3 Ss OWi 196/2009
Fundstelle
openJur 2012, 99400
  • Rkr:
Tenor

I. Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Hof vom 2. Oktober 2008 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen sowie in der Kostenentscheidung aufgehoben.

II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Hof zurückverwiesen.

Gründe

I.

1. Das Amtsgericht hat die bislang straßenverkehrsrechtlich nicht in Erscheinung getretene, von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung gemäß § 73 Abs. 2 OWiG entbundene, dort jedoch von ihrem Verteidiger wirksam vertretenen Betroffene am 02.10.2008 wegen einer fahrlässigen Verkehrsordnungswidrigkeit der Nichteinhaltung des Mindestabstandes von einem vorausfahrenden Fahrzeug (§ 4 Abs. 1 Satz 1 StVO) zu einer Geldbuße von 300 Euro verurteilt und gegen die Betroffene – abweichend von dem entsprechend Nr. 12. 6 .4 BKat in der zur Tatzeit gültigen Fassung des Bußgeldkatalogs neben einer Regelgeldbuße von 200 Euro ein Fahrverbot von zwei Monaten vorsehenden Bußgeldbescheid vom 15.05.2008 – ein Fahrverbot lediglich für die Dauer eines Monats verhängt.

Nach den Feststellungen steuerte die Betroffene am 17.04.2008 um 15.57 Uhr den von ihr geführten Pkw auf der BAB A 72 in Fahrtrichtung Dresden, wobei sie bei Kilometer 13,2 bei einer Geschwindigkeit von 133 km/h einen Abstand von nur 11,45 Metern zum vorausfahrenden Fahrzeug und damit von weniger als 2/10 des halben Tachowertes einhielt.

2. Mit ihrer ausdrücklich auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsbeschwerde rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts. Sie beanstandet, dass das Amtsgericht gegen die Betroffene nicht entsprechend dem Bußgeldbescheid neben einer Geldbuße von 200 Euro ein (Regel-) Fahrverbot für die Dauer von zwei Monaten verhängt hat.

Die zur Rechtsbeschwerdebegründung der rechtsmittelführenden Staatsanwaltschaft vom 13.11.2008 abgegebene Stellungnahme des Verteidigers der Betroffenen vom 16.02.2009 lag dem Senat ebenso vor wie die zur Antragsschrift der Staatsanwaltschaft bei dem Rechtsbeschwerdegericht vom 17.02.2009 abgegebene Gegenerklärung des Verteidigers vom 09.03.2009.

II.

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt ist, erweist sich als begründet.

1. Das Amtsgericht hat zutreffend erkannt, dass aufgrund seiner Feststellungen gemäß §§ 24, 25 Abs. 1 Satz 1 1. Alt., 26 a StVG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BKatV i.V.m. Nr. 12.6.4 (Geschwindigkeit über 130 km/h) der Tabelle 2 zum BKat in seiner zur Tatzeit gültigen Fassung neben der Anordnung einer Geldbuße in Höhe von 200 Euro die Verhängung eines Regelfahrverbots für die Dauer von zwei Monaten wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers in Betracht kam.

2. Allerdings hält die Begründung, aufgrund derer sich das Amtsgericht abweichend von dem an sich verwirkten Regelfahrverbot von zwei Monaten zur Verhängung eines Fahrverbots für die Dauer lediglich eines Monats veranlasst gesehen hat, einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

a) Aufgrund der auch von den Gerichten zu beachtenden Vorbewertung des Verordnungsgebers in § 4 Abs. 1 BKatV ist das Vorliegen einer groben Pflichtverletzung im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG indiziert, so dass es regelmäßig der Anordnung eines Fahrverbotes als Denkzettel und Besinnungsmaßnahme bedarf (BGHSt 38, 125/130 und 231/235; BayObLG VRS 104, 437/438; ständige Rspr. des Senats). Diese Bindung der Sanktionspraxis dient nicht zuletzt der Gleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer (Anwendungsgleichheit) und der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der durch bestimmte Verkehrsverstöße ausgelösten Rechtsfolgen (BVerfG NZV 1996, 284/285; OLG Zweibrücken DAR 2003, 531/532; KG NZV 2002, 47). Zu diesen Rechtsfolgen zählt jedoch nicht nur die Frage, ob gegen einen Betroffenen „in der Regel“ ein Fahrverbot zu verhängen ist (§ 4 Abs. 1 Satz 1 BKatV), sondern auch - wie sich aus § 4 Abs. 1 Satz 2 BKatV ergibt - die „in der Regel“ festzusetzende Dauer des aufgrund einer groben Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG verwirkten Fahrverbots (OLG Bamberg ZfSch 2006, 533 ff. = DAR 2006, 515 f. = VRS 111, 62 ff. = SVR 2007, 65 f. m. Anm. Krumm = VRR 2006, 230 ff. m. Anm. Gieg).

b) Ebenso wie von der Verhängung eines Regelfahrverbots nur dann gänzlich abgesehen werden kann, wenn wesentliche Besonderheiten in der Tat oder in der Persönlichkeit des Betroffenen anzunehmen sind und deshalb der vom Bußgeldkatalog erfasste Normalfall nicht vorliegt, ist der Tatrichter vor einer Verkürzung der im Bußgeldkatalog vorgesehenen Regeldauer des Fahrverbots gehalten zu prüfen, ob der jeweilige Einzelfall Besonderheiten aufweist, die ausnahmsweise die Abkürzung rechtfertigen können und daneben eine angemessene Erhöhung der Regelbuße als ausreichend erscheinen lassen. Hier wie dort können dabei sowohl außergewöhnliche Härten als auch eine Vielzahl minderer Erschwernisse bzw. entlastender Umstände genügen, um eine Ausnahme zu rechtfertigen (OLG Bamberg a.a.O. m. weit. Nachw.).

Auch die Frage der Dauer eines zu verhängenden Fahrverbots liegt hierbei – wie die Verteidigung durchaus zutreffend ausführt - grundsätzlich im Verantwortungsbereich des Tatrichters, der innerhalb des ihm eingeräumten Bewertungsspielraums die Wertungen nach eigenem pflichtgemäßen Ermessen zu treffen hat. Seine Entscheidung kann vom Rechtsbeschwerdegericht deshalb nur daraufhin überprüft werden, ob er sein Ermessen deshalb fehlerhaft ausgeübt hat, weil er die anzuwendenden Rechtsbegriffe verkannt, die Grenzen des Ermessens durch unzulässige Erwägungen überschritten und sich nicht nach den Grundsätzen und Wertmaßstäben des Gesetzes gerichtet hat. In Zweifelsfällen hat das Rechtsbeschwerdegericht die Bewertung des Tatrichters zu respektieren, und zwar auch dann, wenn es selbst hinsichtlich der Frage der Fahrverbotsdauer zu einem abweichenden Ergebnis gelangte.

c) Den vorstehenden Anforderungen an die Ermessenserwägungen des Richters im Rahmen der Bemessung der Fahrverbotsdauer werden die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils nicht gerecht:

aa) Zwar hat sich das Amtsgericht auch hinsichtlich der Frage der Fahrverbotsdauer zu Recht mit den unmittelbaren und mittelbaren beruflichen und wirtschaftlichen Folgen eines zweimonatigen Fahrverbots für die Betroffene auseinandergesetzt, nachdem diese bestimmte, von einem zweimonatigen Fahrverbot ausgehende berufliche Konsequenzen geltend gemacht hat. Wie in den ähnlich gelagerten und etwa bei Berufskraftfahrern in aller Regel gegenüber einer pauschalen Verkürzung der Verbotsfrist vorrangig zu prüfenden Möglichkeit einer nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG ausdrücklich vorgesehenen Fahrverbotsbeschränkung auf bestimmte Fahrzeugarten gebot dies schon das mit Verfassungsrang ausgestattete rechtsstaatliche Übermaßverbot (OLG Bamberg a.a.O.).

bb) Entgegen der Rechtsauffassung des Amtsgerichts und der Verteidigung weisen die genannten "triftigen Gründe" jedoch weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht Besonderheiten auf, die für sich allein oder in ihrer Zusammenschau eine Abkürzung der Regelfahrverbotsdauer von zwei Monaten auf nur einen Monat hier ausnahmsweise rechtfertigen könnten:

14(1) Soweit die Betroffene geltend macht, schon wegen ihres (werk-)täglich zu erreichenden – von ihrer Wohnung mehr als 85 Kilometer entfernten - Arbeitsplatzes bei einem Geldinstitut in Kulmbach auf die Kraftfahrzeugnutzung angewiesen zu sein, fehlen im Rahmen der Urteilsgründe u.a. Erörterungen dazu, warum die Betroffene zur Abmilderung der in erster Linie hierdurch (und zwar auch im Hinblick auf eine denkbare Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel) bedingten Erschwernisse nicht darauf verwiesen werden kann, vorübergehend auf eigene Kosten ein Zimmer in einer Pension oder eine Appartement-Wohnung in Arbeitsplatznähe anzumieten. Die in diesem Zusammenhang anfallenden Aufwendungen wären schon deshalb als grundsätzlich zumutbar anzusehen, weil ihnen die von der Betroffenen ersparten Aufwendungen aus der dann zumindest weitgehend entfallenden werktäglichen Pkw-Nutzung gegenüber zu stellen wären.

(2) Auch soweit das Amtsgericht darauf abhebt, dass die Betroffene im Rahmen ihrer Berufsausübung als Kundenbetreuerin auf die Fahrzeugnutzung angewiesen sei, belegen die Urteilsfeststellungen auch in besonderer Ansehung des in der Hauptverhandlung verlesenen Schreibens der Arbeitgeberin der Betroffenen vom 20.09.2008 keine gerade durch das Fahrverbot oder seine einen Monat übersteigende Dauer drohende Existenzbedrohung, insbesondere eine drohende Arbeitsgeberkündigung der Betroffenen. Die festgestellte "Statusbeeinträchtigung" ist von der Betroffenen vielmehr – wie schon die rechtsmittelführende Staatsanwaltschaft völlig zutreffend ausführt - ohne weiteres hinzunehmen.

(3) Die in der Bußgeldkatalogverordnung vorgesehenen abgestuften Regelahndungen gehen von fahrlässiger Begehung, gewöhnlichen Tatumständen und fehlenden Vorahndungen des Betroffenen aus (vgl. § 1 Abs. 2, § 3 Abs. 1 BKatV). Der Umstand, dass die Betroffene bisher verkehrsrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist, rechtfertigt ein Abweichen von der vorgesehenen Regeldauer des Fahrverbots von zwei Monaten daher auch dann nicht, wenn der Betroffenen - mit durchaus guten Gründen - eine günstige Prognose hinsichtlich ihres künftigen Verkehrsverhaltens zugebilligt werden mag.

(4) Entsprechendes gilt, soweit das Amtsgericht für die Frage der Abkürzung der Regelfahrverbotsdauer dem – nach den für das Rechtsbeschwerdegericht maßgeblichen Urteilsgründen schon von der Betroffenen selbst nicht vorgebrachten - Umstand eine entlastende Wirkung zuerkennen will, dass die Betroffene die Abstandsunterschreitung als "bedrängte" Führerin des mittleren von drei Fahrzeugen begangen hat. Inwieweit der Tatsache, dass die Betroffene das mittlere von drei Fahrzeugen und damit zugleich das erste Fahrzeug führte, mit dem eine massive Abstandsunterschreitung zum vorausfahrenden Fahrzeug begangen wurde, vorliegend zu einer den objektiven oder subjektiven Unrechtsgehalt des groben Pflichtenverstoßes herabsetzende Bedeutung zukommen sollte, ist für den Senat weder tatsächlich noch rechtlich schlüssig. Hinweise darauf, dass zugunsten der Betroffenen insoweit von einem im Einzelfall privilegierenden sog. Augenblicksversagen oder gar von einer notstandsähnlichen Situation auszugehen wäre, fehlen nicht nur völlig, sondern erscheinen eher fernliegend.

III.

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist daher das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch sowie in der Kostenentscheidung aufzuheben; wegen der Wechselwirkung zwischen Fahrverbot und Geldbuße betrifft die Aufhebung nicht nur die Fahrverbotsanordnung, sondern den gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 353 StPO).

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht zurückverwiesen (§ 79 Abs. 6 OWiG).

Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat allerdings verwehrt, da in einer neuen Verhandlung möglicherweise doch noch ergänzende, wenn auch derzeit nicht konkret erkennbare Feststellungen zu der Frage getroffen werden könnten, ob gerade ein zweimonatiges Fahrverbot für die Betroffene – selbst unter Berücksichtigung der nach Aktenlage unverändert eröffneten Möglichkeiten eines Vollstreckungsaufschubs nach § 25 Abs. 2a StVG - eine unverhältnismäßige Härte darstellt.

Für die neue Hauptverhandlung und Entscheidung weist der Senat im Hinblick auf Bl. 33/34 d.A. vorsorglich auf seine Rechtsprechung zur Bekanntmachungspraxis sog. "Protokollurteile" zur Herbeiführung einer (frühzeitigen) Rechtsmittelerklärung der Staatsanwaltschaft hin (Beschluss vom 16.12.2008 – 3 Ss OWi 1060/08 <bei juris> = BeckRS 2009, 3920 = ZfS 2009, 175 ff.).

IV.

Der Senat entscheidet durch Beschluss gemäß § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG.

Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.