Bayerischer VGH, Beschluss vom 19.03.2009 - 11 CE 08.3100
Fundstelle
openJur 2012, 98916
  • Rkr:
Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren - insoweit unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 6. November 2008 - und das Beschwerdeverfahren wird auf je 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der 1979 geborene Antragsteller will im vorläufigen Rechtsschutzverfahren erreichen, dass er von seiner am 21. März 2007 in der Tschechischen Republik erworbenen Fahrerlaubnis der Klasse B auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch machen darf.

Die deutsche Fahrerlaubnis ist dem Antragsteller mit Urteil des Amtsgerichts Coburg vom 31. März 2003 (Az. 3 Ds 7 Js 8450/02) wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung und unerlaubten Entfernens vom Unfallort entzogen und eine Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis von 7 Monaten angeordnet worden. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Antragsteller am 5. September 2002 gegen 1.40 Uhr unter dem Einfluss von Cannabis ein Kraftfahrzeug geführt, einen Unfall mit Sachschaden verursacht und die Unfallstelle verlassen hatte, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen. Einen Antrag auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis vom 14. April 2004 verfolgte er nicht weiter, nachdem er von der Behörde zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens aufgefordert worden war.

Im Juni 2007 teilte die Polizei der Fahrerlaubnisbehörde mit, dass sich der Antragsteller bei einer Verkehrskontrolle mit einem tschechischen Führerschein, ausgestellt am 21. März 2007, ausgewiesen habe. Als Wohnort sei im Führerschein … eingetragen. Die Fahrerlaubnisbehörde bat daraufhin das Kraftfahrt-Bundesamt, die Ausstellungsbehörde in der Tschechischen Republik um Rücknahme der Fahrerlaubnis zu ersuchen.

Nachdem die Fahrerlaubnisbehörde durch einen Auszug aus dem Verkehrszentralregister erfahren hatte, dass der Antragsteller im Juli 2007 eine Geschwindigkeitsübertretung begangen hatte, forderte sie ihn zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auf. Die Bevollmächtigten des Antragstellers baten daraufhin mit Schriftsatz vom 22. Februar 2008 um Fristverlängerung für das vorzulegende Gutachten und Akteneinsicht.

Die Fahrerlaubnisbehörde wurde weiter mit Schreiben der Polizei vom 17. April 2008 unterrichtet, dass bei dem Antragsteller anlässlich einer Verkehrskontrolle am 6. April 2008 um 9.15 Uhr sowohl der Alkoholtest als auch der Drogenschnelltest positiv verlaufen sei. Bei der chemisch-toxikologischen Untersuchung der entnommenen Blutprobe konnten Amphetamin (238 ng/ml), MDMA (Konzentration unterhalb des Grenzwerts) und Benzoylecgonin (21 ng/ml) nachgewiesen werden. In den Akten befindet sich diesbezüglich der Abdruck einer Verkehrsordnungswidrigkeitenanzeige vom 10. Juni 2008.

Mit Schreiben vom 27. August 2008 forderte die Fahrerlaubnisbehörde den Antragsteller auf, seinen tschechischen Führerschein zur Eintragung eines Sperrvermerks vorzulegen. In seinem Führerschein sei ein deutscher Wohnort anstelle eines Wohnorts im Ausstellerstaat eingetragen. Damit sei der Antragsteller gemäß § 28 Abs. 4 FeV und der geltenden Rechtsprechung nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland berechtigt.

Nach Anhörung verpflichtete die Fahrerlaubnisbehörde den Antragsteller mit sofort vollziehbarem Bescheid vom 1. Oktober 2008, seinen tschechischen Führerschein zur Eintragung eines Sperrvermerks vorzulegen. Für den Fall, dass er der Vorlageanordnung nicht innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheids Folge leiste, werde ein Zwangsgeld in Höhe von 150 € fällig. In den Bescheidsgründen wird ausgeführt, dass Rechtsgrundlage für die Vorlageanordnung § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG und § 47 Abs. 2 FeV seien. Die Berechtigung des Antragstellers, von seiner EU-Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, sei nach § 28 Abs. 4 Nrn. 2 und 3 FeV ausgeschlossen. Diese Rechtsfolge ergebe sich unmittelbar aus der Fahrerlaubnisverordnung, es bedürfe keines konstitutiv wirkenden Verwaltungsaktes. Nach der beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung hatte der Antragsteller ein Wahlrecht zwischen Widerspruchseinlegung und unmittelbarer Klageerhebung.

Der Antragsteller ließ Widerspruch einlegen und beantragte beim Verwaltungsgericht, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 1. Oktober 2008 des Antragsgegners wiederherzustellen. Bereits zuvor hatte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht beantragt festzustellen, dass er vorläufig berechtigt sei, von seiner am 21. Februar 2007 in der Tschechischen Republik erworbenen Fahrerlaubnis der Klasse B auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen. Diesen Antrag hielt er nach Erlass des Bescheids vom 1. Oktober 2008 als zusätzlichen Antrag ausdrücklich aufrecht.

Das Verwaltungsgericht hat die Anträge mit Beschluss vom 6. November 2008 abgelehnt. Auf die Gründe des Beschlusses wird Bezug genommen.

Mit der Beschwerde werden die Anträge in erster Instanz aufrechterhalten. Zur Begründung der Beschwerde wird vorgetragen, dass erhebliche Bedenken bestünden, ob der Verordnungsgeber mit der Vorschrift des § 28 Abs. 4 FeV von der am 26. Juni 2008 erstmals formulierten Kompetenz zur Anerkennungsversagung bei gewissen ausländischen Fahrerlaubnissen Gebrauch gemacht habe. So sei es bis dahin „einhellige Rechtsauffassung“ gewesen, dass das Wohnsitzerfordernis nicht vom Aufnahmestaat überprüft werden könne. Weiter sei die Vorschrift des § 28 Abs. 4 FeV zu unbestimmt, was ihre Nichtigkeit zur Folge habe. Die vom europäischen Gerichtshof in den Urteilen vom 26. Juni 2008 formulierte Anerkennungsversagungskompetenz richte sich nicht an den Gesetz- und Verordnungsgeber, sondern an die Behörden des Aufnahmemitgliedstaates. Dabei bedürfe es einer pflichtgemäßen Ermessensentscheidung, die nicht gegeben sei. Es sei nicht nachvollziehbar, warum die Annahme einer konkludenten Anerkennung in Fällen der vorliegenden Art falsch sein solle. Die Straßenverkehrsbehörde habe es hingenommen und mit ihrem Abhilfebescheid sogar amtlich bekräftigt, dass der Antragsteller wieder am öffentlichen Straßenverkehr auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland teilnehmen habe dürfen. Im Übrigen gebe es keine sachliche Rechtfertigung dafür, Inhaber von bestimmten tschechischen Fahrerlaubnissen aus der Zeit bis zum 30. Juni 2006, die gar nicht gegen ein nationales Wohnsitzprinzip verstoßen haben könnten, anders zu beurteilen, als Erwerber von Fahrerlaubnissen aus Mitgliedstaaten, die generell auf die Angabe des Wohnsitzes in den Führerscheinen verzichteten, wie das beispielsweise in Polen oder Ungarn gehandhabt werde.

Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Ergänzend wird auf die Gerichtsakten und die beigezogene Fahrerlaubnisakte Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht festgestellt, dass der Antrag nach § 123 VwGO auf vorläufige Feststellung der Berechtigung des Antragstellers, von seiner am 21. März 2007 in der Tschechischen Republik erworbenen Fahrerlaubnis der Klasse B auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen, unzulässig ist.

Wie in dem Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 6. November 2008 ausgeführt wird, ist der Antrag nach § 123 VwGO unzulässig, wenn der Antragsteller Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO erlangen kann (vgl. § 123 Abs. 5 VwGO). Es kann hier dahingestellt bleiben, ob der Antragsteller – wie das Verwaltungsgericht ausgeführt hat – den Erlass einer Anordnung der Fahrerlaubnisbehörde hätte abwarten müssen. Ein Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers für eine vorläufige Feststellung mit dem Inhalt, von der tschechischen Fahrerlaubnis im Bundesgebiet Gebrauch machen zu dürfen, ist jedenfalls nach Erlass des Bescheids vom 1. Oktober 2008, mit dem der Antragsteller aufgefordert wird, seinen tschechischen Führerschein zur Eintragung eines Sperrvermerks vorzulegen, und des dagegen eingelegten Rechtsbehelfs weder dargelegt worden noch sonst ersichtlich. Der Antragsteller hätte seinen Antrag nach § 123 VwGO nach Erlass des Bescheids vom 1. Oktober 2008 in einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO umstellen können.

Den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des eingelegten Widerspruchs gegen den Bescheid vom 1. Oktober 2008 hat das Verwaltungsgericht zu Recht jedenfalls als unbegründet abgelehnt, da eine Anfechtungsklage voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird. Der Antragsteller ist verpflichtet, seinen tschechischen Führerschein zur Eintragung eines Sperrvermerks vorzulegen, da seine EU-Fahrerlaubnis nicht im Bundesgebiet gilt.

Richtiger Rechtsbehelf gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 1. Oktober ist nach Art. 15 Abs. 2 AGVwGO die Anfechtungsklage, da es sich hierbei nicht um eine personenbezogene Prüfungsentscheidung im Sinn von Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AGVwGO handelt. Wie der Senat in seiner Entscheidung vom 7. August 2008 (BayVBl 2009, 111 f.) ausgeführt hat, liegt eine Prüfungsentscheidung im Sinn von Art. 15 Abs. 1 Nr. 6 AGVwGO vor, wenn jedenfalls eine Prüfung der Eignung des Betroffenen zum Führen von Fahrzeugen, auch im Vorfeld der streitgegenständlichen Entscheidung, stattgefunden hat. Weiter gilt Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AGVwGO für die anlässlich der Prüfungsentscheidung ergangenen Annexentscheidungen wie die Ablieferungspflicht des entzogenen Führerscheins. Vorliegend hat die Fahrerlaubnisbehörde aber nicht die Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen überprüft. Die Behörde musste für den Bescheid vom 1. Oktober 2008 das Vorliegen der in Art. 28 Abs. 4 FeV normierten Voraussetzungen, denen zufolge die grundsätzliche Befugnis, von einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, in bestimmten Fällen nicht besteht, feststellen. Eine Eignungsüberprüfung ist darin in Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, wonach die Überprüfung der Eignung des EU-Fahrerlaubnisinhabers ausschließlich dem Ausstellermitgliedstaat obliegt, nicht vorgesehen. Der zulässige Rechtsbehelf der Klage kann aber noch eingelegt werden, da dem Bescheid vom 1. Oktober 2008 eine unzutreffende Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt war (vgl. § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO).

Das Vorbringen, mit dem sich der Antragsteller gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheids des Antragsgegners vom 1. Oktober 2008 wendet, führt nicht zum Erfolg der Beschwerde.

Soweit sich der Antragsteller gegen die Anwendbarkeit der Regelungen in § 28 Abs. 4 FeV wendet, hat er sich bereits mit den Gründen auf S. 6 2. Absatz und Seite 7 letzter Absatz der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nicht auseinandergesetzt. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats, die in der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung auch wiedergegeben wurde, dass § 28 Abs. 4 FeV zur Ungültigkeit einer EU-Fahrerlaubnis im Bundesgebiet führt, wenn auf der Grundlage von Angaben im Führerschein oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen feststeht, dass zum Zeitpunkt der Ausstellung des Führerscheins sein Inhaber, auf den im Bundesgebiet eine Maßnahme des Entzugs einer früheren Fahrerlaubnis angewendet worden ist, seinen ordentlichen Wohnsitz im Sinn von Art. 7 Abs. 1 Buchstabe b der Richtlinie 91/439/EWG nicht im Hoheitsgebiet des Ausstellermitgliedstaats hatte (vgl. auch BayVGH vom 26.2.2009 11 C 09.296).

Weiter handelt es sich bei dem den Mitgliedstaaten vom Europäischen Gerichtshof zugestandenen Recht, in ihrem Hoheitsgebiet die Anerkennung einer von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Fahrberechtigung unter den genannten Voraussetzungen abzulehnen, um eine rechtliche Befugnis der Mitgliedstaaten zu einer entsprechenden Gestaltung ihres innerstaatlichen Rechts und nicht um die Begründung eines Ermessensspielraums der Verwaltungsbehörden. Dies folgt, wie das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 11. Dezember 2008 (Az. 3 C 26.07) ausgeführt hat, schon daraus, dass der Europäische Gerichtshof hier Regelungen einer Richtlinie ausgelegt hat, also eines Instruments des sekundären Gemeinschaftsrechts, das, wie Art. 249 EG zu entnehmen ist, gerade auf die Umsetzung durch die Mitgliedstaaten angelegt ist und sich an sie richtet.

Die vom Antragsteller am 21. März 2007 in der Tschechischen Republik erworbene Fahrerlaubnis ist von der deutschen Fahrerlaubnisbehörde auch nicht anerkannt worden. Ein entsprechender Anerkennungswille der Fahrerlaubnisbehörde ist nicht erkennbar. Die Behörde hat nach Kenntnis darüber, dass sich der Antragsteller im Besitz eines tschechischen Führerscheins befindet, sowohl versucht beim Ausstellermitgliedstaat die Rücknahme des Führerscheins zu erreichen als auch ein medizinisch-psychologisches Gutachten angefordert. Ein Abhilfebescheid, wie mit der Beschwerdebegründung vorgetragen wird, ist hier nicht ergangen.

Soweit der Antragsteller eine unterschiedliche Behandlung der Inhaber tschechischer Fahrerlaubnisse gegenüber den Inhabern von Fahrerlaubnissen aus Mitgliedstaaten, die generell keine Wohnsitzangabe in den Führerschein aufnehmen, wie Polen oder Ungarn rügt, ist kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG festzustellen. Es liegt keine Ungleichbehandlung vor, wenn der deutsche Wohnsitz nicht in dem ausländischen Führerschein selbst vermerkt ist, sich jedoch aus anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden, unbestreitbaren Informationen feststellen lässt, dass die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 91/439/EWG aufgestellte Wohnsitzvoraussetzung zum Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins nicht erfüllt war. In diesen Fällen ist die Ungültigkeit der Fahrerlaubnis im Bundesgebiet in gleicher Weise gegeben wie in den Fällen, in denen sich der Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis unmittelbar aus dem ausländischen Führerschein ergibt. Wenn dagegen bei Führerscheinen ohne Wohnsitzangabe keine vom Ausstellerstaat herrührenden Informationen vorliegen, kann zwar eine Ungleichbehandlung vorliegen, die aber sachlich gerechtfertigt ist. Der sachliche Differenzierungsgrund liegt in der vom EuGH in seinen Entscheidungen vom 26. Juni 2008 (Az. C-329/06 und C-343/06 Rdnr. 69, C-334/06 bis C-336/06 Rdnr. 66) betonten besonderen Bedeutung eines Nachweises dafür, dass die in der Führerscheinrichtlinie geforderte Wohnsitzvoraussetzung erfüllt ist.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG in Verbindung mit den Empfehlungen in den Abschnitten II. 1.1.1, 1.5 Satz 1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 7./8. Juli 2004 (NVwZ 2004, 1327 f.). Die Befugnis, die erstinstanzliche Streitwertfestsetzung von Amts wegen zu ändern, ergibt sich aus § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG.