Bayerischer VGH, Beschluss vom 13.01.2009 - 20 ZB 08.3229
Fundstelle
openJur 2012, 97339
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 444,71 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 28. Oktober 2008 ist zulässig (§ 124 a Abs. 4 VwGO), hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Gemäß § 124 Abs. 1 VwGO steht den Beteiligten die Berufung gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts nur zu, wenn sie vom Verwaltungsgericht oder vom Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Eine Zulassung durch das Verwaltungsgericht erfolgte nicht. Auch der Senat sieht hierfür keinen Anlass. Er hält den Antrag auf Zulassung der Berufung für unbegründet, weil Zulassungsgründe im Sinne des § 124 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Der Kläger hat keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils dargelegt (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO). Nach der Rechtsprechung des Senats sind ernstliche Zweifel am Ergebnis der Entscheidung zu fordern (vgl. zuletzt BayVGH vom 26.8.2008 Az. 20 ZB 08.1680; vom 14.7.2008 Az. 20 ZB 08.1272; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., RdNr. 7 a zu § 124; Eyermann, VwGO, 12. Aufl., RdNrn. 54 ff. zu § 124). Ernstliche Zweifel an der Ergebnisrichtigkeit eines Urteils sind begründet, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. BVerfG vom 26.3.2007 BayVBl 2007, 624; vom 23.6.2000 DVBl 2000, 1458).

Davon ausgehend vermochte der Kläger die vom Verwaltungsgericht ermittelten und festgestellten Tatschen samt den daraus gezogenen Rechtsfolgen nicht durchgreifend in Frage zu stellen.

Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die im Bescheid vom 26. Juli 2007 festgesetzten Niederschlagswassergebühren rechtmäßig sind und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), weil sie in den Bestimmungen der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung und zur Fäkalschlammentsorgungssatzung (BGS-EWS/FES) der Beklagten vom 9. März 1992 i.d.F. vom 7. November 2005 eine tragfähige Rechtsgrundlage finden.

Nach § 10 Abs. 1 BGS-EWS/FES bemisst sich die Niederschlagswassergebühr nach den bebauten und befestigten Flächen des Grundstückes, von denen Niederschlagswasser in die öffentliche Entwässerungsanlage abfließen kann. Gemäß Abs. 2 gilt als befestigt jeder Teil der Grundstücksfläche, dessen Oberfläche so beschaffen ist, dass Niederschlagswasser vom Erdreich nicht oder nur unwesentlich aufgenommen werden kann. Diese Maßstabsregelung ist rechtlich nicht zu beanstanden und verstößt insbesondere nicht gegen den Grundsatz der Bestimmtheit.

Das in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Rechtsstaatsprinzip erfordert, die Abgabegrundlagen nach Inhalt, Gegenstand, Zweck und Ausmaß so bestimmt zu fassen, dass die auf den Abgabepflichtigen zukommende Belastung vorhersehbar und berechenbar ist. Der Betroffene muss sich auf die Abgaben, die auf ihn zukommen werden oder von denen er freigestellt wird, rechtzeitig einstellen können. Deshalb müssen im Abgabenrecht die Abgabetatbestände vom Normgeber so präzise und vollständig wie möglich bestimmt werden, damit der möglicherweise Abgabepflichtige erkennen kann, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang die Abgabepflicht eintritt. Die Notwendigkeit der Auslegung einer Bestimmung nimmt ihr aber noch nicht die Bestimmtheit. Dem Bestimmtheitserfordernis ist vielmehr genügt, wenn Auslegungsschwierigkeiten anhand der allgemeinen Auslegungsgrundsätze bewältigt werden können (vgl. BVerfGE 21, 73/79; 21, 209/215; 83, 130/145; Wuttig/Hürholz/Thimet/Nöth, Gemeindliches Satzungsrecht, Teil IV Frage 2; Ecker, Kommunalabgaben in Bayern, Nr. 2.6.2.3 m.w.N.).

Unter Beachtung dieser Grundsätze begegnet nach der Rechtsprechung ein Maßstab, der sich an den versiegelten Flächen orientiert, worunter die bebauten zuzüglich der befestigten Flächen zu verstehen sind, zur Berechnung der Niederschlagswassergebühr keinen rechtlichen Bedenken (vgl. Wuttig u. a., a.a.O., Teil IV Frage 36 Nr. 5.2 m.w.N.). Die Satzungsformulierung, dass als befestigte Flächen auch Oberflächen anzusehen sind, aufgrund deren Beschaffenheit das Niederschlagswasser vom Erdreich „nur unwesentlich“ aufgenommen werden kann, hält sich im Rahmen des dem Satzungsgeber eingeräumten weiten Ermessensspielraums. Der unbestimmte Rechtsbegriff der Unwesentlichkeit ist ohne weiteres einer gesetzeskonformen Auslegung zugänglich und erstreckt sich hinreichend deutlich auf alle Anlieger, auf deren Grundstück die anfallende Niederschlagswassermenge wegen der örtlichen Gegebenheiten nur in unerheblicher, vernachlässigbarer Weise versickern kann. Der Satzungsgeber ist in den Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit nicht gehalten, sich bei der Wahl eines Gebührenmaßstabs, eines Wahrscheinlichkeitsmaßstabs, bei der der Gesichtspunkt der Praktikabilität eine besondere Rolle spielt, für den zweckmäßigsten, vernünftigsten, gerechtesten oder wahrscheinlichsten unter den möglichen Maßstäben zu entscheiden. Es muss lediglich gewährleistet sein, dass bei etwa gleichen Inanspruchnahmen etwa gleich hohe Gebühren zu leisten sind. Dem wird die Regelung in § 10 Abs. 1 und 2 BGS-EWS/FES gerecht, bei der die tatsächlich bebauten und befestigten Grundstücksflächen ein geeignetes Maß zur Bemessung des Vorteils einer Niederschlagswasserableitung darstellen. Denn auf solchen Flächen fällt das abzuleitende Niederschlagswasser hauptsächlich an. Auch ist in § 10 Abs. 2 Satz 2 eine Ermäßigung für begrünte Tiefgaragen und begrünte Dächer vorgesehen. Dass die Beklagte als Satzungsgeber, anders als in der BGS/EWS des Abwasserzweckverbandes Erdinger Moos beabsichtigt, im Hinblick auf weitere künstliche Beläge mit offenen Fugen von über 10 mm oder für bestimmte Untergrundbeschaffenheiten von zusätzlichen Gebührenreduzierungen abgesehen hat, lag in ihrem pflichtgemäßen Ermessen und lässt weder einen Verstoß gegen das Willkürverbot noch gegen den Gleichheitssatz oder das Äquivalenzprinzip erkennen (vgl. Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 BV, § 5 Abs. 2 Satz 1 KAG).

Wenn der Kläger ein Informationsschreiben der Beklagten vom November/Dezember 1998 falsch verstanden haben mag, lässt das die Wirksamkeit der BGS-EWS/FES unberührt. Im Übrigen ist die Erläuterung, dass eine an die Kanalisation angeschlossene Garage und Zufahrt bei der Flächenberechnung zu berücksichtigen seien im Gegensatz zu einer nicht angeschlossenen Terrasse, nicht geeignet, den Kläger zu einer Verkennung der Rechtslage zu verleiten.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung konnte der Kläger auch nicht dadurch wecken, dass er den Abfluss des sich auf der strittigen Grundstücksfläche ansammelnden Niederschlagswassers in die öffentliche Entwässerungseinrichtung in Frage stellte. Mit der ersten Instanz geht der erkennende Senat davon aus, dass es sich bei dem mit Platten (30 cm x 30 cm) belegten und mit Pflastersteinen (5 cm x 5 cm) abgegrenzten Garagenvorplatz um eine befestigte Fläche im Sinne der Abgabesatzung handelt, weil das Niederschlagswasser durch die Fugen und Pflastersteinzwischenräume nur in unbedeutendem Umfang, mithin unwesentlich vom Erdreich aufgenommen werden kann. Hieran ändert in entscheidungserheblicher Weise auch nichts der Pflanzenbewuchs, welcher sich mangels Pflege der strittigen Grundstücksfläche hierauf im Laufe der Jahre gebildet hat. Angesichts der Tatsache, dass der Kläger trotz Aufforderung und Erinnerung Angaben zur betreffenden Grundstücksflüche im Anhörungsverfahren nicht gemacht hat, eine Neigung der Fläche in Richtung der Garagen im Widerspruchsverfahren nicht erwähnt, im Klageverfahren nur angedeutet und im Zulassungsverfahren schließlich geltend gemacht hat, ist dieses Vorbringen wegen Steigerung schon wenig überzeugend. Dessen ungeachtet ist diese Behauptung jedenfalls nicht geeignet, bei starken Regenfällen einen Abfluss bzw. Überlauf in einen in der Schrothstraße befindlichen Gully und damit eine Inanspruchnahme der gemeindlichen Oberflächenwasserkanalisation ernsthaft anzuzweifeln. Zur Vermeidung weiterer Wiederholungen wird auf die zutreffenden Ausführungen im Widerspruchsbescheid sowie im angefochtenen Urteil verwiesen.

Der vom Kläger vorgebrachte Einwand einer Verwirkung greift ebenfalls nicht durch. Das Rechtsinstitut der Verwirkung (vgl. dazu allgemein Palandt, BGB, 67. Aufl., RdNrn. 87 ff. zu § 242), worunter man die unzulässige verspätete Rechtsausübung versteht (vgl. BayVGH vom 19.12.1986 Az. 23 B 85 A. 2852), gilt zwar auch für den Bereich des Abgabenrechts (vgl. BayVGH vom 28.6.1985 Az. 23 B 83 A. 2450). Die Verwirkung setzt jedoch voraus, dass ein Recht längere Zeit nicht ausgeübt worden ist und dass besondere Umstände im Verhalten des Berechtigten hinzutreten, die geeignet sind, beim Verpflichteten die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen zu lassen (vgl. BayVGH vom 30.6.1982 BayVBl 1983, 120; vom 22.5.2002 Az. 23 CS 02.906; vom 10.12.2007 Az. 23 B 07.1974). Daran fehlt es hier. Der Kläger ist seiner in § 10 Abs. 5 BGS-EWS/FES festgeschriebenen Anzeigepflicht nicht nachgekommen. Dieser Umstand schloss bereits eine Verwirkung aus, weil der Kläger wegen Verstoßes gegen seine Anzeigepflicht keine schutzwürdige Vertrauensposition erlangen konnte. Außerdem sind keine außergewöhnlichen Umstände erkennbar, die beim Kläger die Vorstellung hätten begründen können, dass die Beklagte auf die Erhebung einer Niederschlagswassergebühr für die Fl.Nr. ***/… verzichten wollte (vgl. BayVGH vom 17.5.2006 Az. 23 CS 06.928; vom 15.5.2003 BayVBl 2004, 144).

Des Weiteren führt die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) nicht zur Zulassung der Berufung. Eine solche ist nur dann anzunehmen, wenn eine bisher nicht geklärte Tatsachen- oder Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung mit Auswirkung auf den Einzelfall aufgeworfen wird, welche für die Berufungsinstanz entscheidungserheblich ist und im Sinne einer einheitlichen Anwendung und Auslegung oder für die Fortbildung des Rechts der Klärung bedarf (vgl. BayVGH vom 6.5.2008 Az. 20 ZB 08.644; vom 15.7.1996 GK 1997 Nr. 30; Kopp/Schenke, a.a.O., RdNr. 10 zu § 124). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben, weil die aufgeworfene Frage keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf indiziert. Die Beurteilung, welcher Ermessensspielraum dem Ortsgesetzgeber bei der Ausgestaltung des Tatbestands für die Erhebung einer Niederschlagswassergebühr zusteht, insbesondere, in welchem Umfang er eine Differenzierung vorzunehmen habe, würde sich in einem Berufungsverfahren nicht stellen. Die materiell-rechtliche Prüfung einer Satzung, insbesondere deren Maßstabsregelung, beschränkt sich auf den konkreten Einzelfall, dient aber nicht dazu, in Zentimetern oder Millimetern anzugeben, etwa ab welchen Fugenbreiten welche Gebührenermäßigungen als ermessensgerecht zu bewerten sind oder welche Bodenbeschaffenheiten welche Niederschlagswassergebühren rechtfertigen. Da bei der Oberflächenwasserbeseitigung die durch Gebühren abzugeltenden Entsorgungsleistungen nicht genau gemessen werden können, bleibt es dem Satzungsgeber überlassen, welchen von mehreren zur Verfügung stehenden Wahrscheinlichkeitsmaßstäben er wählen will. Wie bereits ausgeführt, ist er im Rahmen dieser Gestaltungsfreiheit nicht gehalten, sich für den zweckmäßigsten, vernünftigsten oder gerechtesten unter den möglichen Maßstäben zu entscheiden. Die Wirksamkeit der BGS-EWS/FES der Beklagten hat der Kläger nicht ernsthaft in Zweifel gezogen.

Die Berufung ist auch nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Aus dem Vorbringen des Klägers ergibt sich weder das Vorliegen eines besonders unübersichtlichen oder schwierig zu ermittelnden Sachverhalts (vgl. Eyermann, a.a.O., RdNr. 25 zu § 124 VwGO; RdNrn. 24 und 33 zu § 124 a VwGO) noch ergeben sich überdurchschnittliche, das normale Maß nicht unerheblich übersteigende rechtliche Schwierigkeiten (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., RdNr. 9 zu § 124 VwGO). Die Rechtmäßigkeit des von der Beklagten bestimmten Versiegelungsmaßstabs bei Ableitung des Niederschlagswassers in die öffentliche Einrichtung ist unter Anwendung der Gesetze und Beachtung der vorhandenen Rechtsprechung ohne weiteres zu beantworten, wobei insoweit eine besonders schwierige entscheidungsrelevante rechtliche Problematik nicht aufgezeigt wird.

Schließlich führt der behauptete Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) nicht zur Zulassung der Berufung. Die erhobene Aufklärungsrüge kann schon deshalb keinen Erfolg haben, weil der anwaltlich vertretene Kläger von der Stellung förmlicher Beweisanträge zur weiteren Sachaufklärung abgesehen, auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet und damit nicht alles ihm Zumutbare zur Abwendung einer etwaigen mangelnden Aufklärung unternommen hat (§ 173 VwGO i.V.m. §§ 295, 531 ZPO; vgl. BVerwG vom 21.1.1998 Az. BVerwG 8 B 7.98; Kopp/Schenke, a.a.O., RdNr. 13 zu § 124; Eyermann, a.a.O. RdNr. 22 zu § 138). Denn die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um das Unterlassen der Stellung von Beweisanträgen vor Gericht zu kompensieren (vgl. BVerwG vom 6.3.1995, Buchholz 310, § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265 und vom 3.7.1998 Az. 6 B 67.98). Abgesehen davon musste sich dem Verwaltungsgericht zur Feststellung der Rechtmäßigkeit der geforderten Niederschlagswassergebühren, welche die Jahre zurückliegenden Abrechnungszeiträume vom Januar 2003 bis Ende Juni 2007 betrafen, keine weitere Sachaufklärung aufdrängen. Im Kern übt der Kläger Kritik an der Entscheidung des Verwaltungsgerichts und behauptet einen Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung, der grundsätzlich nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen ist und einen Verfahrensmangel nicht begründen kann.

Nach alldem ist der Antrag auf Zulassung der Berufung mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 und 3, § 47 Abs. 1 und 3 GKG sowie § 9 Satz 1 ZPO.

Mit der Ablehnung des Antrags, die gemäß § 124 a Abs. 5 Satz 3 VwGO keiner weiteren Begründung bedarf, wird das Urteil vom 28. Oktober 2008 rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).